|
Ins Morgenzwielicht starrte, gegenwartentrückt,
Die Königin, die Stirn ans Fensterkreuz gedrückt,
Dem Schicksal grollend, ihrem Gatten grimm und gram,
Das Herz zerwühlt von der Erinnrung Reuescham.
Und während sie so seufzte, mit sich selbst entzwei,
Ging draußen unterm Fenstersims der Tod vorbei.
Beleidigt prallte sie zurück, denn ruppig war
Des Todes Maul und pöbelhaft sein Schnauzenhaar.
«Pfui, Unhold! Weg aus dem Gesichte, hurtig, husch!»
Lief aus dem Zimmer, eilt ins Schlafgemach und wusch
Die Augen, zwei- und dreimal, Sicherheit zulieb.
Allein kein Augenwasser half; das Unbild blieb
Und folgt ihr nach, wohin sie trat, den langen Tag.
«Was oft des Willens Faust nicht unterdrückt, vermag
Des Schlafes sanfte Hand: sie wird Vergessen bringen.»
Doch weder Schlaf noch Ruhe mochten ihr gelingen,
Das Dunkel war zu schwarz, das Kissen war zu heiß,
Und Alpgesichte schreckten sie empor im Schweiß.
Entschlummert um die Stunde, da der Tag sich rötet,
Sah sie im Traum vom garstigen Unhold sich genötet.
«Was schafft doch unser Torenkopf so manchesmal
Mit Hirngespenstern», sprach sie, «einem unnütz Qual!
Indes das Wahnbild, das uns so bedrohlich deucht,
Der Tag mit seiner Klarheit handkehrum verscheucht.
Kein Ding ist so entsetzlich, blickst du hin genauer.»
Und stellte sich am Fenster morgens auf die Lauer.
Doch als der Tod nun wieder kam des Wegs daher,
Pfui, leid! war er noch häßlicher und schlimmer mehr.
Und nicht entging ihr, wie der Falsche hinterarg
Geschwind ein breites Messer in den Ärmel barg.
Das Messer aber blickte boshaft und gehässig
Und zielte just nach ihren Augen unablässig.
«Ihr Zymbler, Flötenpfeifer, Saitenfiedler all,
Her mit den Tongeschirren! Hochzeit ist der Fall!»
Die Läden schloß sie, stopfte alle Ritzen zu,
Steckte die Leuchter an: «Jetzt heißa, hopsa, ju!»
Sie sprang umher, rief: «Lustig!», jubelte: «Vergnügen!»
Doch konnte nie das Messer aus den Augen lügen.
Schauspieler dann bestellte sie und Possennarren:
«Gebt eure neusten Schnurren, eure wägsten Schmarren!»
Sie lachte viel; allein das Metzgermessermessen
Focht ihr um Aug und Ohr und ließ sich nicht vergessen.
«Mit Wein und Mahlzeit treib ich das Gedächtnis aus!»
Sie aß und trank, doch heulte Elend überm Schmaus.
Bis daß ihr mit dem Rausch das Lachen ausgegangen.
«Mit Torheit nütz ich nichts, Verstand ist anzufangen.
Versteh! Ein Messer sticht nach vornen. Hinterm Heft,
Einträchtig mit dem Arm, ist friedliches Geschäft.
Auf denn! Ich will mich mit dem Tode freundlich stellen,
Ihn mir gewinnen, mir ihn lieblich angesellen!»
Ins salbenduftige Bad, von linden Wassern lau,
Tauchte des wonniglichen Leibes Wunderbau
Sie schamhaft nieder, glättete die Nägel, kränzte
Das schwarze Haar, darin ein Demantsönnlein glänzte.
«Welch einen Rock, was meinst du, Hera, wähl ich mir?»
«Weiß ist der fleckenlosen Frauenschönheit Zier.»
Ein lieblich Lächeln, vor dem Spiegel schwenkend, dann
Und süßes Augenspiel gewöhnte sie sich an,
Geschickt, der Männer Herz und Sinne zu bewegen.
So vorbereitet, trat sie morgens ihm entgegen.
«Woher des Weges, Freund», empfing sie gleisend ihn,
«So früh am Morgen und so eilig? und wohin?
Komm, tritt ein wenig ein, setz dich, ein Stündchen nur!»
«Hab keine Zeit, bin von beschäftigter Natur.»
«Von Honig hab ich dir ein leckeres Gericht
Zum Frühstückimbiß.» «Danke! Honig eß ich nicht.»
Scheu um sich blickend, beugte sie sich heimlich vor,
Hielt ihn am Rockschoß fest und zischelt ihm ins Ohr.
Die Augen kniff der Tod und schielte: «Wohlgestalt
Und Weibergunst versucht mich nicht; ich bin zu alt.
Allein, so leid mirs wirklich tut, noch andre Leute
Warten auf mich», und zog die Uhr, «mit Schmerzen heute.»
Mit diesen Worten grüßt er leicht und lief von dannen.
Ins Vorhaus stürzend, schrie sie: «Holla, alle Mannen!
Wer mir den Tod, gleichgültig, ob mit offner Kraft
Oder vom Hinterhalte, aus dem Leben schafft,
Ein köstlich Heimgut will ich ihm zum Lohne des
Erstatten im Olymp, samt einem Sommerseß
Im Menschenbiet, an Knechten und an Herden reich,
Mit Äckern, Weinberg, saftigen Triften im Bereich!»
So rief die Zornige. Und als nun, wie gepflogen,
Der Tod am nächsten Morgen kam dahergezogen,
Geschahen schrille Pfiffe hinter ihm. Alsbald
Stürzte der Mörder Überfall aus Busch und Wald
Und stachen auf ihn los und schlugen ihn erbittert.
Doch klirrend sprang von seinem Panzerfell, zersplittert,
Der Schwerterklingen stumpfe Ohnmacht. Welche Hand
Ihn gröblich angegriffen, die erstarb im Brand.
Zu Hera aber, welche wut- und schreckensblaß
Vom Hausflur sah, beschämt und flehend um Erlaß,
Verneigte sich und grüßte zwischen Gnad und Hohn
Der Tod: «Tut nichts, zählt zum Geschäft, das kenn ich schon!»
Sinnlos vor Angst, des Hauses schwüle Unterkunft
Verschmähend, wich ins Feld der Fürstin Unvernunft,
Weil ihr gehetztes Herz auf der Verzweiflung Höhe
Die Hoffnung überriet, daß sie dem Tod entflöhe;
Fortstürmend Tag und Nacht, gleichviel wohin, nur fort.
Sie grüßte Wildnis 'Rettung', nannte Irrnis 'Hort'.
Doch als sie einst durch eine finstre Tannenschlucht
Auf kranken Sohlen trieb die willenlose Flucht:
Fluch und Verrat! Da tänzelte der Tod vor ihr
Und lüftete den Hut: «Wie gehts? Spazieren wir?»
Danach begriff sie ihrer Hoffnung Torentum,
Hängte das müde Haupt und kehrte wankend um.
Mit jenem Tage packt ein grauser Fieberwahn
Die Todesangstgehetzte mit den Krallen an,
So daß sie stets des Todes Moderhauch zu wittern
Vermeint und sprach: «Hört ihrs? Den Boden spür ich zittern
Von seinem Tritt. Und seht die Wände, wie sie beben!»
Doch wenn die Stunde nahte, wo der Tod beineben
Leibhaft am Haus vorüberzog, um jene Stunde
Schrak sie empor und lauerte mit offnem Munde
Auf ein Geräusch, das ihr des Unholds Ankunft bürgte:
«Jetzt, jetzt!» Ihr Herz entfärbte sich, der Atem würgte.
Doch war der schauerlichen Schritte Zug vorbei,
Sank sie für tot ins Kissen mit erlöstem Schrei.
Zu Ohren Zeus' des Königs kam die Trauermäre,
Daß krank die Königin, die traute Gattin, wäre.
An Ärzten ließ er laden, was der Umkreis bot:
«Ach, liebe Freunde», klagt er, «helft mir! Bittre Not!
Krank ist die hohe Herrin, weil sies nicht verfrißt,
Daß sie, die Götterfürstin, nicht unsterblich ist.
Den Tod verschmerzt sie nicht, ihr ekelt vor dem Sterben.
Um euer Mitleid, eure Einsicht laßt mich werben.
Vielleicht, wenn man ihr Ichor in die Adern gösse,
Wenn Nektar und Ambrosia stündlich sie genösse?»
«O Herr», versetzten sie, «wer sterblich ward geboren,
Dem nützt kein Ichor nichts, der Nektar ist verloren.»
Herolde sprengte Zeus umhin umher im Reich.
«Weiß einer Rettung vor dem Sterben: hurtig, gleich!
Ich lohns ihm fürstlich.» Siehe, da erschien in Schauern
Ein Schwarm von Pfuschern, Wettermausern, Wasserschauern.
Sie brachten Kräutlein viel: die Krankheit mochte dauern.
«Nach Erden flugs hinab zum Menschenvolke! Eile!
Ist einer, der von Todesangst die Herrin heile,
Die Schätze des Olymp, er hat mein Wort, sind sein.»
Doch schaut, sagt an: was steigt denn dort vom Tannenrain
Mit wichtigen Gesichtern, sieh, für eine Bande?
Salbader sinds und Gaukler aus dem Menschenlande.
Zweifelnd empfing sie Zeus: «Gering ist mein Vertrauen.
Doch auf! Zur Probe! Zeigt, laßt eure Künste schauen!»
Der Gaukler tats zuerst. Der wippte mit Begriffen,
Die Wörtlein händefingernd mit Gedankenkniffen,
Belehrend, wie der Tod ja lediglich Verneinung,
Desfolgends ohne Jasein-Dasein. Schmeckst die Meinung?
Der zweite pries ein Sälblein Jehukanaan
Als Schmalz und Balz für alle Weltenübel an.
Der dritte rief: «Darüber bin ich weg! Aha!
Andacht! Ich weiß es auf der Sternharmonika!»
Saß ab und meckerte das Liedlein 'Bababäh'
Vom Mütterlein Natur, der milden Mama Mäh.
Zeus schnob: «Stopft denen einen Schnuller in den Mund!
Denn wehe wird mir von dem Quatsch und wind und wund.
Ist das nun Bosheit oder Feigheit oder was
Von diesen schauerlichen Apothekern das?
Anankes blutige, schmerzdurchzuckte Fleischerhöhlen
Mit solchen kindischen Läpplein-Päpplein reinzuölen!
Ach Reue, daß ich nicht den ganzen Menschenlug,
Wie vormals ich beschlossen, kurz zusammenschlug!»
Und neuerdings mit goldnen Preisen ohne Geizen
Ließ er den Trost aus jedem Busch und Winkel reizen.
Heilande reisten an und Lehrer und Bekehrer,
Doch schwärzer ward der Kranken Mut und kummerschwerer.
Bis daß ihr eines Nachts ums Morgenrot geschah,
Daß sie im Schlummertraum Apollons Scheinbild sah,
Im Sonnenwagen thronend, klar von Glanz und Gold,
Die edle Stirn von Freundschaft und Erbarmen hold.
Drob klirrt ein alt, verrostet Herzenspförtchen, lang
Verschlossen und vergessen. Aus dem Pförtchen sprang
Gierig die Sehnsucht. Schluchzer, Tränen stürzten nach,
Und weiche Zartgefühle wurden weinend wach.
Aufschnellte sie vom Lager, frischer Hoffnung froh:
«Dort, bei Apoll blüht Trost mir: anders nirgendwo!»
Zierat und Schmuck verwarf sie: «Einfach sei mein Kleid:
Zum Bußgang vor sein Antlitz ziemt mir kein Geschmeid.»
Dann fort, die Sehnsuchtstraße durch Gebirg und Wald,
Und vor Apollons Hause zagt ihr Kleinmut bald.
«Edler», versuchte sie, sich schmiegend an die Tür,
«Ein reuig Herz entbietet schuldige Bußgebühr.
Auf deiner Schwelle bangt es, unter deinem Dache,
Hofft Mitleid, heischt Gehör, hält still gerechter Rache.»
Der Riegel rührt sich. Er erscheint, Apollon: «Hier,
Erlauchte Königin! Was soll Apollon dir?»
«O Herr, laß mein verweintes Antlitz dir genügen!
Weiß nicht, womit beginnen, wie die Worte fügen,
Kann nicht mehr denken, nicht mehr atmen, jammern nur.
Verzweiflung grinst; sie trieb mich auf des Trösters Spur.
Mitleid! Spend einen weisen Spruch mir zur Errichtung!
Denn mich verfolgt der Tod: sein Messer zischt Vernichtung.»
Apollon sprach: «Vom Glücklichen der Weisheitsspruch
In ein beklommen Herz hat ranzigen Geruch.
Lauf zu den Menschen, wenn du Zungenbalsam magst!
Doch da nach einem Trost, Unglückliche, du fragst,
Vernimm die Antwort: In Anankes harter Welt
Gedeiht in Berg und Tal kein andrer Trost, der hält,
Als zweier Augen Zwiegestirn, von Freundschaft traut,
Und einer dankbewegten Lippe Liebeslaut.
Hast Liebe du erworben, dich verpflichtet wem,
Was irrst du in die Ferne? Rüstig flieh zu dem!»
Sie rief: «Du täuschest mich, du hältst mir Wörtlein feil!
Die Liebe nicht, die Gegenwart, der Ort bringt Heil.
Der einzige Wunsch, von dem ich weiß, um den ich flehe,
Bist du, Apollons Blick, sein Atem, seine Nähe.
Ob mich dein Spruch verdammt, ob deine Huld mir sprießt:
Wenn nur mein Hunger deiner Stimme Ton genießt.
Wohl mir! Vor deinem Anblick macht die Hölle halt,
Die Schatten flüchten, und kein Schrecknis hat Gewalt.
Drum straf mich, tritt mit Füßen mich! ich bin bereit:
Allein von hinnen weich ich nicht in Ewigkeit.»
Apollon sprach: «Ich habe nicht, ein andrer hat
Auf deine Tränen Anspruch jetzt an meiner Statt.
Dein flehend Antlitz wegzuweisen, schmeckt mir schlecht;
Denn Gnade heißt mein Brauch. Hier hab ich des kein Recht.
Es gibt ein Bündnis, nenn es Mädchenraub, nenns Ehe,
Das einem einzgen schenkt des einzgen Weibes Nähe.
Ob Glück in Frieden oder Zwietracht mit Verdruß:
Die übrigen enterbt der zwei Zusammenschluß.
Dem alles, jenem nichts. Ein Weib ist nicht zu teilen.
Der darf verwunden, und der andre darf nicht heilen.
Antworte: bindet dich ein Bündnis, Hera? Sprichs!
Und welchem hast du dich verbündet? Sag: bin ichs?
Ruf 'Zeus' und nicht 'Apoll'! Du hattest dazumal,
Verspätete, doch heute hast du nicht die Wahl.»
«Erbarmen! Sei mein Fürsprech, Großer! Sprich: Vergeben!»
«Vergeben», sprach Apoll, «vergessen mit daneben.»
«Nein!» schrie sie, seine Knie umklammernd, «nicht vergiß
Und nicht vergib! Liebkose deine Rache, bis
Verjährter Groll, von junger Großmut überragt,
Versöhnt mich ansieht. Strafe, quäle deine Magd!
Willkommen deine Richterfaust! Die Schuld ist mein.
Erinnrung aber laß dir ins Gedächtnis schrein:
Es war ein Tag – o benedeiter Frühlingstag! –
Da mir der Männer edelster zu Füßen lag.
Ach blinde Törin, falsche Schlange, die ich war!
Daß du mich liebtest, Herrlicher, bleibt dennoch wahr.
Sprich nicht: ‹vergangen›, lüge nicht: ‹es ist zu spät!›
Was heißt Vergangenheit? was Zeit? Ein Wort. Noch steht
Im Wald derselbe Fels, noch duften jene Tannen,
Wo ich Unselige stieß die Seligkeit von dannen.
Nicht ich: denn eine andre siehst du vor dir beben,
Geläutert und gebessert, namens 'Dir-ergeben'.
Blick um dich! Schau ein hocherlauchtes Gleichnis! Deute!
So wie dem müden Gestern stets ein junges Heute
Der goldne gütige Tag entlockt, ist allezeit
Der Liebe Sonnenschein im Herzen frisch bereit.
'Jetzt' heißt des Glückes Losung. Komm, was brauchts dazu,
Zur wonnigen Wiedergegenwart, als ich und du?»
Apoll erwiderte: «Kein Wort bloß ist die Zeit,
Ein Raubtier nenns, gefräßig an der Ewigkeit.
Wohl grüßt sich oft im runden Lauf der Jahreskreise
Der Dinge Wiederkehr, doch keins auf alte Weise.
Anankes Weltall ist getauft: 'Veränderlich'.
Was stand, das liegt; und die sich suchten, meiden sich.
Die Felsen stehn, allein vermoost und minder jung.
Die Tannen duften noch, doch zeigen Rindensprung.
Unbill und Kränkung leidet keiner unverwundet,
Und kein zertretnes Glück, pflegs wie du willst, gesundet.
Laß ab! Dem Rufe 'Hera' folgt dahier kein Reim:
Ein neuer Name ist in meinem Haus daheim.
Hast du den Efeu in den Kehricht abgedankt,
Ertrage, daß er sich um andre Simsen rankt.
Ich weiß von Liebe, weiß von Treue, Königin,
Und zwischen mir und dir der Handel ist dahin.»
Und während er noch sprach, horch: helles Singen! Rüstig,
Auf schlanken Schenkeln, hoheitsstirnig, heldenbrüstig
Flog aus dem Wald daher mit freiem Atemschwung
Die Freundin Artemis, von Glück und Frohsinn jung.
Auf schnellte Hera, steif von steilem Stolz gebäumt,
Und neidisch nach der Feindin blickend, wutdurchschäumt:
«Es gibt ja», zischte sie, «die sich der Notdurft fügen
Und statt der Adlerin mit Kranichen begnügen!»
Zum Schutz die Arme breitend, wehrt Apollon: «Hort!»
Ergriff der Freundin Hände: «Schenks, das Gegenwort!
Das hat Verzweiflung dir gespuckt; wisch ab, verziehen.
Tritt ein, o Artemis. Die Gleichung ist gediehen!»
Als Hera von Apollons Schwelle trostesleer
Zur Heimat leitete die trübe Wiederkehr,
Saß sie, den glasigen Blick verzweiflungsnachtdurchgraust,
Auf einem Schemel, stützte mit geballter Faust
Das Kinn und stierte unablässig in die Ecke.
War niemand, der zu einem Wörtlein sie erwecke.
Kaum daß zum Schlingen mühsam sie den Mut erhob,
Wenn wer ihr Trank und Speise durch die Zähne schob.
«Ich will zum Automaten!» wimmerte der Schluß.
Und als nun der vernünftgen Gründe Redefluß
Ihr hitzig widerriet, erinnernd, daß von Erz
Der Automat geschaffen, nicht von Fleisch und Herz,
Daß keines Weges Spur zum Haus des Harten reiche,
Geschweige daß das Mitleid sein Metall erweiche:
«Ihr sprecht Vernunft, ich aber will zum Automaten!»
«Wer wird den Weg dir zeigen und die Richtung raten?»
«Das weiß ich nicht; ich weiß, ich will zum Automaten!»
Mahnung und Bitte bot ihr Zeus. Sie schwieg darob.
Den Gürtel um, in Wanderschuhen plump und grob
Die feinen Füße, in der Hand den Pilgerstab,
Tür zu! Und ohne Gruß ins Erdenland hinab.
«Freunde, wo zweigt der Weg, wo haust der Automat?»
Heischte die ewige Frage, die sie tonlos tat.
Von Tür zu Fenster warfen sich die Menschen zu:
«Weißt du etwas vom Automaten? Kennst ihn du?»
Und schüttelten die Köpfe: «Fremd und unbekannt
Ist uns der Name Automat hierum zuland.
Doch ist das, ei wahrhaftig, ist das, ist das nicht,
Seht doch, mich dünkt, die Königin von Angesicht?»
Und machten ihr zum Willkomm einen Ehrensturm,
«Ach!» klagte sie, «nicht Königin, ein armer Wurm!»,
Und irrte weiter, wer ihr Wegbelehrung schenke.
Sieh da! Von ungefähr im Läubchen einer Schenke
Gewahrte sie den Tod am Wirtstisch hinterm Glase.
Entsetzen lähmte sie. Der Tod erhob die Nase
Und lüftete den Hut, höflich, auf seine Weise:
«Wir gehn zum Automaten? hi? Glückauf zur Reise!»
«Ich mache des», bekannte trotzig sie, «kein Hehl.
Falls ich sein Mitleid rühre, hörst du den Befehl,
Daß mich dein Messer schont.» Der Tod verneigte sich
Mit unterwürfigem Buckel: «Jaha! sicherlich!
Ich bin sein Knecht bloß, töte nicht aus mir.» «Nun, wenn
Dem also ist, so weise mir die Straße denn!»
Diensteifrig sich erhebend, sputet er vors Haus
Und führte sie aufs freie Feld, vors Dorf hinaus.
«Horche», begann er und berührte sacht ihr Ohr.
Da drang ein dröhnend Tosen aus dem Grund hervor,
Als ob auf tausend unterirdischen Geleisen
Myriaden von Maschinen, schwer von wuchtigem Eisen,
Von fern nach ferne stampften ohne Aufenthalt.
Und alle donnerten das eine Wort: 'Gewalt!'
Danach betupft er ihr die Augenlider: «Schau!»
Jetzt sieh, am Horizonte, hinterm Himmelsblau,
Jenseits vom farbigen Tageslicht und Sonnenschein
Stieg ein Gebirge, schwarz, vom ältsten Urgestein,
Ins Augenfeld. Stärker an Leib und wahrer war
Als was gemeiniglich sich beut dem Blicke dar.
Von blitzdurchzuckten Wolken ein gespenstiger Hut
Beschattet eines rätselhaften Unheils Brut,
Indes von Dampf und Qualm ein rauchiger Nebelring
Im Kreisschritt immerfort den bösen Berg umging.
Was schreibt das rote Banner auf dem Gipfel? «Weh!»
Den Finger hob der Tod nach dem Gebirge: «Geh!»
Drei Tag und Nächte wanderte sie richtgerade,
Der Doppelführung folgend, nach dem Ziel die Pfade,
Die Augen heftend auf den Unheilsgipfel 'Böse',
Das Ohr geleitet von dem höllischen Getöse.
Doch als sie selber nun die donnerlärmumtäubte
Bergtreppe zagend stieg, doch steif, empor, da sträubte
Und krümmte sich in ihrer Hand der Wanderstab,
Erschloß den Mund und gab die Warnung grausend ab:
«Nach welchem ungeheuren Ziele schauerlich,
Tollkühne Herrin, nötigst du, Verwegne, mich?
Getreulich bin ich alle Pfade je gegangen,
Doch vor dem Horst des Automaten schnürt mich Bangen.»
«Ich will der Wahrheit schauen in den schwarzen Mund,
Ich will ergründen aller Übel letzten Grund,
Ich will den Schmack des Schmerzes an der Quelle schmecken,
Und ist kein Trost, des Trostes Eitelkeit entdecken.»
Ob Hagel sie umtoste, Feuer sengt ihr Haar,
Kam sie durch eines Zufalls Willkür wunderbar
Hinauf zum Gipfel, überm Weltgewölk hinaus,
Und siehe da: des Automaten Hof und Haus.
Vor ihrem Blick ein schroffer Mauerring von Stein,
Und ein Gewölbe führte nach dem Hof hinein,
Aus dessen Innern Räderschwang, Maschinengang
In steten Dampfesatemstößen brüllend drang.
Kein Wächter wehrte; offen stand die Eingangshalle,
Und höhnisch lud vom Dach ein Zuspruch: «Kommet alle!»
Nachdem sie eine Weile erst, um Mut zu fassen
Und ihren Geist dem künftgen Schrecknis anzupassen,
Von fern gestanden, trat sie in den Gang und sah.
Dies war der Anblick, der der Schaudernden geschah:
Auf einem ungeschlachten Eisenriesenroß
Hockte der Automat, ein eherner Koloß.
Von Kiesel war die Maske seines Angesichts,
Aus deren Löchern, statt belebten Augenlichts
Und statt des Atems, während er das stahlbeschiente
Geleis der Reitbahn, das dem Roß zur Straße diente,
In stößigem Holpertrabe stolperstocks durchstrauchte,
Von Zeit zu Zeit ein Pfiff erscholl, ein Feuer rauchte.
Des Rosses Hufe aber sprangen nicht: sie rollten,
Gleich Rädern laufend, willenlos die ewigen Volten.
Auf dem Geleise vor dem Rosse, sieh, was hupfen
Denn dort für Abertausende Millionen Tupfen?
Sinds Stäubchen oder sandige Körner? Nein, sie heben
Und regen sich von selber: Würmlein sinds, die leben.
Nicht Würmlein! Richtige, vernünftige Geschöpfe
Mit Aug und Ohren; zweckvoll wenden sie die Köpfe.
Sie schwingen Fähnlein über ihnen, rufen «Recht»
Und «Unrecht», sagen: «das ist gut» und «dies ist schlecht»
Und lehren: «Weisheit», warnen: «jenes ist ein Wahn» –
Da poltert auf dem Tier der Automat heran.
Jetzt Notgezeter, dann erreicht, zermalmt: ein Schrei,
Ein Brei, ein Räuchlein Stank und Stickstoff– hui, vorbei!
Das war das Stück, vor welchem geistlos, schreckentkräftet
Die Fürstin stand, den Angstblick auf den Brei geheftet.
Da stieß der Tod sie mit den Ellenbogen: «Juch!
Fang an, klag jetzt dem Automaten dein Gesuch!»
Da senkte sie das Haupt, erhob den Wanderstab
Und kehrte rückwärts den Enthoffnungsberg hinab.
Als sie beim ersten Wegesrank den Sonnenball
Von neuem sah in seinem gelben Strahlenschwall,
Grinst er entlarvt, ein Wirbelsturm von giftigen Gasen,
Ein Fluch, vom heißen Hauch des Weltenschlunds geblasen.
Als sie die Erde wiederfand beim zweiten Ranke,
Sah eine Decke, eine spinnendünne, kranke,
Sie um ein donnertobend Hammerwerk sich weben
Und auf der Decke wimmeln unvorsichtig Leben.
Doch als die Menschen selbst ihr kamen zu Gesicht,
Hob sie die beiden Arme hoch: «Und heulen nicht!!»
Die Haare wirr, die Augen irr, durchflog sie kurz,
Gradaus, dem Tollhund gleich, den Menschengau im Sturz,
Den Pilgerstab an Tür und Läden schlagend: «Auf!
Verschlafne Schleimtierseelen! Sammelt euch zuhauf!
Beim Schall der Trauerglocken rückt hinaus aufs Feld!
Auf einen himmelhohen Turm ein Schandmal stellt
Ananke, eurem Würger, der dem Automaten
Euch hat verkauft und euer Herz dem Tod verraten!
Kann schon Empörung euer kläglich Los nicht wenden,
Empfangt es doch nicht lammstumm aus des Henkers Händen!»
Doch wie sie dann, des Erdenlandes grünen Plan
Verlassend, floh den waldigen Olymp hinan
Und plötzlich auf demselben Stufenpfade da,
Den sie gekommen, ihre Hoffnung liegen sah,
Mit zugeschnürtem Hals, verschmachtet und verendet,
Das Antlitz von des Automaten Hohn geschändet,
Warf sie den Trotz empor, und saure Seelengalle
Brach giftig schäumend ihr vom Mund in stürmischem Schwalle:
«Ist einer», gellte sie, das Auge flammenlohend,
Und wies den Stock mit zorniger Faust, dem Weltall drohend,
«Ist einer, frag ich, nur ein einzger, den es kümmert,
Wenn über mich der Himmel fällt, die Erde trümmert?
Herzlose Menschheit, die nur eignes Unheil grämt!
Und du, dummdicke Welt, unendlich, unverschämt!
Weg mit dem blauen Frätzlein, Himmel, das du machst!
Was tust du, wenn ich tot bin, Sonnenschein? Du lachst.
Der Amsel dort, der schwarzen Heuchlerin, gelingt,
Wenn ich im Sterbenskrampf mich wälze, daß sie singt.
Zwei Namen ächzt nur mein Gedanke: 'Du' und 'Ich'.
Du kennst nicht Trost noch Mitgefühl. Ich hasse dich!»
Sieh: während ihres Spruches wand von ungefähr
Ein Schlänglein sich des Weges, schräg vom Wald daher.
Nachlässig, halb zum Spiele, mit dem Stock gezwickt
Und weiten Schwunges in die Dornenschlucht geschickt!
Ein Sieggedanke: «Ha, auch ich bin Automat!
Mit Energie geladen, kraftgespannt zur Tat!
So habts denn: ihr bleibt stumm und kalt bei meinen Leiden,
Hei nun, so will ich mich an euren Qualen weiden!
Es keimt in mir, ich spüre Mut, ich schaue Licht.
Den Trost, den alle Tränen, alle Schluchzer nicht
Der kranken Dulderin gewannen, aufrecht! munter!
Ich reiß ihn mit der Bosheit Tatzenschlag herunter.
Bosheit ist Liebkind in des Schöpfers Weltenplan.
Die Unschuld würgts, die Wahl heißt: Speise oder Zahn.
Wem zahlt Natur Gesundheit? Wer die andern frißt.
Und ich soll leiden, wenn mir Plagen möglich ist?
Der Zufall hat ein grimmig Possenspiel erdacht:
Man grüßt mich 'Fürstin', Willkür nenn ich mein und Macht.
Und Unheil darf ich schauen, das ich selber schuf.
Wohlan, so sei mir Frevel Zweck und Mord Beruf!
Ich will den Todesgang mir mit des Hasses Lastern
Versüßen und den Weg mit Graus und Schrecken pflastern!
Wohl ist er kurz, des Lebens flüchtiger Zwischensatz;
Doch andern wehzutun: dafür, dafür ist Platz.»
Hernach mit heftigem Schritt und kreischendem Gesang
Trieb sie zum heimischen Herd den kriegerischen Gang. |