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Dreizehntes Kapitel

Dori saß mit ihrer Arbeit am Fenster und lauschte, ob die Haustür aufgehen werde, denn es war die Stunde, da Doktor Strahl täglich von seinen Morgengängen zurückkehrte und nachher Dori auf seiner Stube erwartete. Sie schaute dann und wann zum alten Pisoc hinüber, auf dem die Wolken bald lichter, bald dunkler sich lagerten. Wie wenig hatte sie noch das dunkle Felsenhaupt von einem völlig klaren Himmel sich abheben gesehen. Sie dachte an den sonnigen Motterone, dessen Höhen, ins dunkle Himmelblau sich erhebend, so golden schimmerten. Jetzt wurde die Haustür mit ungewohnter Gewalt aufgeschlagen und gleich nachher wurde mit dem Rücken der Hand an die Stubentür geklopft, Niki Sami trat herein. Er setzte sich eilig zu Dori hin, die sich eben erhoben hatte, um ihn zu begrüßen.

»Nein, nein«, wehrte Niki Sami, »bleib du nur still sitzen, du brauchst nicht schon wieder aufzustehen, so können wir doch nun einmal ruhig miteinander reden.«

Dori schaute ihn mit ihren großen, braunen Augen verwundert an, dann brach sie in Lachen aus: »Du fährst gerade fort, wo du gestern aufgehört hast, Niki Sami. Wenn wir so gut übereinstimmen wie gestern, so ist's nicht der Mühe wert, daß wir uns extra zum Reden zusammensetzen.«

Niki Sami fühlte selbst, daß er wieder in das Geleise von gestern hineinkomme, das durfte nicht sein, er wußte ja, was er sagen wollte. Aber Doris Gelächter hatte ihn nun wieder vom Weg abgebracht, das verdroß ihn. »Du brauchst aber auch nicht über alles zu lachen, wenn man ernsthaft mit dir reden will«, rief er plötzlich ergrimmt aus. Dori war eben aufgesprungen; die Haustür war wieder geöffnet worden, und nun ertönten auch Schritte im Zimmer über ihr. »Nun muß ich gehen«, sagte sie eilig, »aber weißt du was, Niki Sami, bleib du da sitzen, gleich kommt die Mutter herein, dann kannst du ja mit ihr ein wenig reden, davon wirst du viel mehr Freude haben, als vom Reden mit mir!«

Diese Worte zündeten ein helles Licht in Niki Samis Gedanken an. Richtig, mit der Base Dorothea konnte er reden, mit der ging es gewiß viel leichter und sie konnte die Sache mit der Tochter fertig machen. Er war sehr befriedigt, Dorothea eintreten zu sehen und rief ihr gleich entgegen: »Kommt Base Dorothea, setzt Euch zu mir her, ich möchte gern ein wenig mit Euch reden. Es ist Euch doch nicht ungelegen?«

»Nein, nein, es freut uns ja, wenn du kommst, Vetter«, entgegnete sie mit großer Freundlichkeit. Sie nahm Doris weggelegte Arbeit zur Hand und sehtze sich ruhig zu Niki Sami hin, so wie er es immer mit Dori hatte haben wollen und nie erreicht hatte. Das war der richtige Anfang, nun fand er sich zurecht. »Du mußt es Dori nicht übel nehmen, daß sie so weglief«, setzte Dorothea in ihrer begütigenden Weise hinzu. »Sie hält soviel auf das Lernen, und der Sommer ist so kurz, und nachher wird sich wohl keine Gelegenheit mehr für sie bieten, wie sie sie jetzt hat.«

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»Nein, nein, das nehm ich ihr nicht übel, im Gegenteil«, bezeugte Niki Sami fröhlich von seinem veränderten Standpunkt aus, er fühlte sich jetzt völlig seiner Lage gewachsen. »Base Dorothea«, sagte er in entschlossenem Ton, »ich will heiraten, ich will Eure Tochter zur Frau nehmen.«

Dorothea ließ vor Überraschung ihre Arbeit in den Schoß fallen. Sie konnte eine ganze Weile kein Wort sagen. Endlich brachte sie mit halber Stimme heraus: »Nimm's nicht übel, daß ich gar nichts sagen kann. Du hast mich so überrascht, Vetter, ein solcher Gedanke ist mir noch gar nie gekommen, mir ist so, als sei Dori eben noch ein Kind gewesen. Hast du schon mit ihr davon geredet?«

»Nein, das müßt ihr nun tun, Base. Aber ihr wißt ja wohl, was sie bei mir zu erwarten hat, Haus und Hof und Güter sind, denk ich, in Ordnung, man darf davon reden, und daß gute Briefe im Schrank liegen und nicht wenige, das kennt ihr schon von meinem Vater her. Ihr müßt der Tochter das recht sagen, und daß sie ein Herrenleben führen kann, wie keine einzige hier in Schuls, das kann ich Euch schon sagen.«

»Hast du schon mit dem Paten geredet?« fragte Dorothea wieder.

»Freilich hab' ich, der ist so dafür, daß es ihm lieber ist, wir machen morgen Hochzeit, als erst übermorgen.«

»Ach Gott!« rief Dorothea ganz erschrocken aus, »wir wollen doch nicht von der Hochzeit sprechen, da sind wir doch noch weit, weit davon!«

»Kommt schon«, sagte Niki Sami, indem er aufstand. Er war so befriedigt von seiner Lösung der Aufgabe, die ihm obgelegen hatte, daß er sogleich dem Paten Bericht erstatten und auch der Base gleich Raum geben wollte, daß sie an die ihrige gehen konnte, denn Dori mußte nun bald wieder erscheinen. »Sagt ihr alles recht, Base, und auch, daß ich im Ernst noch an keine andere gedacht habe, als an sie, das wird ihr wohl recht sein. Und sagt ihr, daß sie's haben kann, wie sie will, sie kann nur befehlen, und sagt ihr's recht, wie alles steht im Haus und überall. Morgen will ich wiederkommen, dann wird sie wohl die Antwort fertig haben.«

»Nein, nein, morgen noch nicht«, rief Dorothea mit neuem Schrecken. »Wer könnte so schnell entschlossen sein! Sie muß sich doch besinnen! Man muß doch Zeit haben, nachzudenken! Komm nicht, bis ich berichte, tu mir den Gefallen, Niki Sami, sieh, ich zittere an allen Gliedern vor Aufregung. Die Sache ist ja so wichtig! Siehst du, ich muß Zeit haben, und Dori muß auch nachdenken, ich schicke Bericht.«

Niki Sami mußte einwilligen, er sah wohl, wie ernst die Base die Sache nahm. »Ihr schickt sicher bald Bericht«, sagte er, sich noch einmal umwendend, »die weiß schon, was sie will, sie ist nicht so unentschlossen.« Dann ging er.

Unterdessen hatte im Zimmer über der Wohnstube Dori die Aufgabe zu lösen, Stücke aus der deutschen Poesie ins Italienische zu übertragen, denn Doktor Strahl blieb dabei, daß es ihm von großem Wert sei, zu sehen, wie Dori die Worte stelle, da ihr Ohr für die italienische Sprache wohl geübt war. Dori hatte ein feines Gefühl für diese Sprache, aber für die deutsche nicht weniger, ihr Vater hatte sie zuerst mit dieser vertraut gemacht. Sie hatte die Stelle übersetzt:

Schon erquickt uns wieder
Das Rauschen dieser Brunnen.
Schwankend wiegen die jungen Zweige sich im Morgenwinde.
Die Blumen von den Beeten schauen uns
Mit ihren Kinderaugen freundlich an.
Der Gärtner deckt getrost das Winterhaus
Schon der Zitronen und Orangen ab.
Der blaue Himmel ruhet über uns,
Und an dem Horizonte löst der Schnee
Der fernen Berge sich in leisen Duft.

Plötzlich sagte sie ganz wehmütig: »O, nun ist es gar nicht mehr dasselbe; diese schönen Worte wollen wir nicht mehr übersetzen, es ist so schade!«

Doktor Strahl lächelte: »Sie haben recht, solche Poesie als Übersetzungsstück zu gebrauchen, ist nicht richtig; wir nehmen was anderes.« Er stand auf und ging ins Nebenzimmer, wo er in seinem Schrank herumsuchte.

Auf dem Tisch, an dem Dori saß, lag eine Menge von Büchern aufeinander; dazwischen Briefe und Schriften. Auf diesen stand ein kleines Samtetui, eben fielen Doris Augen darauf; es war nur halb geschlossen, es mußte ein Bild sein. Hob man den Deckel nur noch ein wenig in die Höhe, so konnte man es sehen. Das durfte sie gewiß tun, war es doch gar nicht geschlossen, dachte sie, und hob ihn schnell auf. Unwillkürlich entfuhr ihr ein halblautes »O!« Eine blendend schöne Frau schaute sie aus dem Bilde an. Unter dem glänzend schwarzen Haar und den dunkeln Wimpern blickten zwei strahlende Augen so beherrschend, so siegend auf Dori herab, daß sie fast scheu zurückwich und doch wie festgebannt vor dem Bilde stand. »Wie eine Königin, o wie schön! Und doch – was war es denn, das zugleich so anziehen und so erschrecken konnte?« fragte sich Dori. Etwas wie Verachtung schaute aus den Augen und um den Mund war der verächtliche Zug noch deutlicher, ja Verachtung lag in diesem Blick. – »Ja, ich glaube es wohl von einer solchen Frau, und besonders, wenn sie jemand ansieht, wie ich bin«, sagte Dori bei sich. Sie legte schnell das Etui wieder hin.

Als Dori später mit ihrer Mutter am Mittagstisch zusammen saß, waren beide schweigsamer als gewöhnlich. Jede von ihnen mußte wohl ihren eigenen Gedanken nachhängen.

Plötzlich sagte Dori: »Mutter, ich habe ein Bild gesehen, ich glaube, es war die Frau unsers Herrn Doktors.«

»So, sieht sie gut aus?« fragte die Mutter.

»Gut? Nein, schön, aber zum Fürchten«, meinte Dori.

Beide schwiegen wieder.

»Dori«, fing nun die Mutter nach einiger Zeit an, »wenn wir abgeräumt haben, muß ich mit dir reden.«

Dori lachte: »Nun fängst du auch noch an wie Niki Sami. Der sagte gestern alle paar Schritte weit, nun müßten wir miteinander reden, und wenn wir einmal anfingen, so kam gar nichts Besonderes heraus. Hast du denn etwas Besonderes zu sagen, Mutter?«

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»Ja, etwas Besonderes, das kann ich wohl sagen«, meinte die Mutter.

Nun fing es Dori sehr zu wundern an, was sie hören sollte. Schnell räumte sie alles weg, nahm ihre Arbeit zur Hand und setzte sich der Mutter gegenüber auf ihren Platz am Fenster. »So, nun fang an, Mutter«, sagte sie erwartungsvoll.

Dorotheas Gedanken waren in großer Unruhe auf und nieder gegangen, seit Niki Sami mit ihr gesprochen hatte, und ihre innere Aufregung nahm zu, je näher der Augenblick kam, da sie diese Unruhe nun auch ins Herz ihres Kindes werfen mußte, denn daß es so kommen würde, dessen war sie gewiß. Aber es mußte nun sein. Sie legte ihre Arbeit weg, schaute in die offenen Augen ihres Kindes und sagte: »Dori, der Vetter Niki Sami begehrt dich zur Frau.«

Ein großes Erstaunen stieg in den glänzenden Augen auf, die immer noch erwartungsvoll auf die Mutter gerichtet waren, so als sollten weitere Mitteilungen kommen. Es kamen aber keine mehr. »Hast du ihm gleich gesagt, Mutter, daß er nicht solche Sachen aufbringen soll, wenn wir wieder zusammenkommen sollen?« fragte Dori in völlig ruhiger Weise.

»Nein, nein, das habe ich gewiß nicht getan«, entgegnete Dorothea ängstlich, von einer neuen Sorge befallen. »Wie kannst du auch so leichthin antworten auf eine so ernste Frage, die dein ganzes Lebensglück betrifft. Das mußt du nicht tun, Dori, das ist nicht recht. Erst mußt du alle Seiten der Sache erwägen, manchen Tag lang, und mußt dir alles vorsagen, wie dir dies und jenes vorkommt, wenn du so für das ganze Leben einen Entschluß fassen sollst, und dann mußt du beten darüber, daß du dich nicht täuschest und nicht irrest, und dann erst mußt du entscheiden.«

»Wenn es so zugeht, wenn man heiraten soll«, sagte Dori lebhaft, »daß man erst wochenlang nachsinnen muß, und dann erst nicht weiß, ob man sich täuscht und irrt, dann will ich erst recht nichts davon wissen. Hast du es so machen müssen, Mutter, wie der Vater dich gefragt hat?«

»O nein, Dori, o nein, das war ja so anders!« rief Dorothea mit strahlenden Augen aus, denen aber plötzlich große Tränen entfielen. »O Dori, das war so ganz anders! Ich wußte im Augenblick, daß ich mit diesem Manne in eine Wüste zöge, wenn er es wünschte, von allem weg, das mir sonst lieb war, so lieb war er mir. O, er hatte ja kaum die Frage getan, so fühlte ich, daß ich so glücklich war, wie ich es gar nicht aussprechen konnte, so war's. Nur ein Wunsch war noch in meinem Herzen, ein einziger: daß ich ihn nur so glücklich machen könnte, wie er mich machte. Es gab nichts, gar nichts, das ich nicht gern darum gegeben hätte.«

Dori schaute nachdenklich die Mutter an. »Ich dachte, so müßte es sein«, sagte sie dann ruhig. »Siehst du, Mutter, so sicher, wie du wußtest, was du tun wolltest, so sicher weiß ich auch, was ich nie und nimmer tun werde; es braucht kein langes Besinnen für mich. Mit Niki Sami zusammenleben vom Morgen bis am Abend und immerzu, das ist kein Lebensglück, in einer Stunde habe ich schon mehr als genug davon. Nicht an einem einzigen Ding haben wir dieselbe Freude; was mir lieb und wert ist, das ist ihm gleichgültig, er kennt es nicht und will nichts davon wissen, und was er gern mag, das mag ich nicht. Ich hab ihn nicht einmal so gern, daß ich die kleinste Freude hätte, wenn er die Tür auftut und da steht; die meisten Male denk ich: Jetzt kommt er schon wieder, und ich wollte, er wäre nicht am Eintreten, sondern am Fortgehen. Und ich weiß doch wohl, wie es ist, wenn jemand die Tür aufmacht, auf dessen Kommen man sich freut. Glaub mir's nur, Mutter, wenn ich ganze Wochen lang am Besinnen bleibe, so sage ich dir nachher dasselbe. Mit Niki Sami mein Leben zubringen und seine Frau sein, das werde ich nie tun, niemals.«

Dorothea sah, daß Dori nicht leichtfertig sprach, noch nie hatte sie ihr Kind so ernsthaft und so entschieden sprechen hören, es kam ihr vor, als sei Dori plötzlich um mehrere Jahre älter geworden. Aber die Furcht stieg immer höher in ihrem Herzen, daß Dori doch noch zu jung sei, um im ersten Augenblick alles vor Augen zu haben, was doch in Betracht gezogen werden sollte, und die Verantwortung dafür lag auf ihr selbst, das fühlte sie schwer. Aber wie sie dem entschlossenen Kinde beikommen sollte, wußte sie nicht, sie wußte nicht einmal deutlich, was zuerst und vornehmlich in Betracht gezogen werden sollte. Endlich sagte sie ängstlich: »Tu mir doch nur den Gefallen, Dori, und trage die Sache bei dir und überlege sie in der Stille. Mach nur nicht sogleich so mit allem fertig in dir. Dann wollen wir darüber mit der Nonna reden, du bist ihr Urenkelkind, sie hat ein Wort dazu zu sagen und wird uns mit gutem Rat beistehen.«

»Wie du meinst, Mutter«, sagte Dori willig, nahm ihre Arbeit wieder zur Hand und blieb schweigend daran.

Auch Dorothea schwieg, aber wie aufgeregt die Gedanken in ihr hin und her wogten, konnte man an den Blicken sehen, die sie alle Augenblicke über ihre Arbeit weg auf die Tochter warf, die ruhig an ihrem Tuch fortnähte. Dori merkte wohl, daß die Mutter auch den Abend durch mit ihren Gedanken anderswo war, als bei ihrer Umgebung, denn als Dori noch einmal von dem Bilde zu sprechen begann, das sie heute gesehen und das ihr einen so starken Eindruck gemacht hatte, schaute die Mutter sie ganz zerstreut an und zeigte gar kein Interesse, während doch sonst alles, was den Herrn Doktor betraf, ihre lebhafte Teilnahme erregte. Daß die Mutter auch die ganze Nacht durch von ihren unruhigen Gedanken verfolgt wurde, davon hatte Dori freilich keine Ahnung. Sobald am andern Tag das kurze Mittagsmahl eingenommen war, machte Dorothea sich auf den Weg, die Nonna zu besuchen.

Als sie am Fenster der Marie Lene vorüberging, kam diese in Aufregung herausgerannt: »Wart, Dorothea, lauf doch nicht so«, rief sie ihr zu. »Dir kann man einmal Glück wünschen, du hast's lang gut!« fuhr sie zu der Eingeholten fort, »dein Kind ist in einem guten Zeichen auf die Welt gekommen! Nur anlangen hier und gleich das große Los ziehen und das Beste erwischen, das weit und breit zu haben ist. Sag' doch ein Wort, Dorothea, bist du nicht halb verdreht im Kopf vor Freude? Tu doch nicht so versteckt, ich weiß ja alles, Niki Sami war heut schon früh da und hat mir's gesagt, daß er sie nimmt.«

»Ich muß zur Nonna hinauf«, sagte Dorothea ängstlich, »weiß sie es auch schon?«

»Ja natürlich, der Nonna hat er's zuerst berichtet. Du tust aber sonderbar zu deinem Glück! Ich will mit dir hinauf, mich nimmt wunder, was dir die Nonna sagen wird.«

Als Dorothea die Tür öffnete, schaute ihr die Nonna sehr freundlich entgegen: »Willkommen, Dorothea, ich habe gedacht, du kommest heute«, sagte sie zuvorkommend. »Setz dich hier zu mir nieder, ich denke, wir haben allerlei zu besprechen heut.«

Dorothea setzte sich, konnte aber immer noch nichts sagen, das Herz war ihr zu voll und zu schwer.

»Ja, ja, ich begreife es schon«, fuhr die Nonna fort, »daß du fast nicht sprechen kannst vor Überraschung und vor all den Gedanken, die dir mit dieser großen Veränderung kommen. Mir macht die Sache Freude, schon um Daniels willen, daß seine Enkelin in ein gutes und ehrenhaftes Haus kommt, wo sie ein schönes Leben erwartet. Und zu Niki Sami konnte ich sagen: Du hast gut gewählt, sie ist von guter Abkunft und steht deinem Hause wohl an. Und was die übrigen Güter betrifft, so hast du deren mehr als genug, auf Reichtum brauchst du nicht zu sehen.«

Unterdessen war auch Frau Kathrine eingetreten, auch sie hatte bemerkt, daß Dorothea gekommen war; sie wollte ihre Glückwünsche auch aussprechen, denn auch ihr hatte Niki Sami seinen Entschluß verkündet.

»Nonna«, sagte Dorothea jetzt schüchtern, »es ist doch noch nicht so sicher mit der Sache, Dori will nicht ja sagen.«

»Was? Was?« schrie Marie Lene auf, »glaubst du denn so etwas? Sei doch nicht so dumm, Dorothea! Wenn sie auch nicht auf der Stelle laut ja sagt, so sagt sie im Herzen doch schon lange ja. Wie kannst du so etwas glauben?«

»Das sieht ihr ganz gleich, daß sie das Näschen stellt, als wäre keiner hoch genug für sie«, sagte Frau Kathrine scharf. »Es wär ihr vielleicht leid genug, wenn man ihr glaubte. Der Vetter wird wohl erst ein wenig anhalten und ihr sagen müssen, sie sei zu gut für jeden, aber sie soll ihm doch die Gnade erweisen.«

Die Nonna hatte bis jetzt geschwiegen.

»Dorothea«, sagte sie nun bedächtig, »was du sagst, ist mir nur verständlich, wenn ich denke, wie jung deine Tochter noch ist, und daß ein übereiltes Wort bald ausgesprochen ist. Es ist natürlich das erstemal, daß diese Frage an sie getan wird, und wie die Jungen sind, sie denkt vielleicht, das kommt nun alle paar Tage so und jeder hat ihr zu bieten, was der Vetter bietet. Es ist nun an dir, Dorothea, der Tochter zu erklären, daß so etwas im Leben nicht so leicht wieder kommt, für die meisten kommt es ja gar nie in der Weise.«

»Aber«, wandte Dorothea noch schüchterner als zuvor ein, »ich weiß ja gar nicht, ob es für Dori ein Glück wäre, sie hat soviel von ihrem Vater, und der junge Vetter in Ardez ist so ganz anders.«

Die drei Frauen sahen sich im höchsten Erstaunen an. Daß ihr Wort des Zweifels dieses Erstaunen hervorgerufen, konnte Dorothea deutlich auf den Gesichtern sehen. Marie Lene fand zuerst Worte für ihren Eindruck: »Wenn deine Tochter von ihrem Vater her im Kopf hat, was verkehrt ist, so wirst du sie nicht darin bestärken müssen. Wenn so ein Siebzehnjähriges vor Übermut und Unvernunft nicht weiß, was es will und sein Glück wegzuwerfen begehrt, so wirst du wohl dafür da sein, ihm den Kopf zurechtzusetzen und die Mücken, die drinnen sitzen, auszutreiben. Du hast die Verantwortung und glaub du nur, daß die Zeit kommen würde, wo deine Tochter dir es bitter vorwerfen könnte, daß du ihr nicht vernünftig den Weg gewiesen und ihr zu einem Glück verholfen hast, das sie damals noch nicht zu schätzen wußte, dann aber wohl, wenn die Vernunft da ist.«

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»Und wenn sie dann allein und verlassen in ihrem Hochmut da sitzt, und keiner mehr nach ihr fragt, wird sie dir's kaum danken«, setzte Frau Katharine hinzu. »Du wirst auch nicht ewig leben, um sie hätscheln zu können, solang' sie lebt.«

»Ich muß nun auch noch ein Wort sagen, Dorothea«, begann hier die Nonna bedächtig. »Ich weiß nicht, was du meinst mit der Ähnlichkeit deiner Tochter mit ihrem Vater, die für sie in dieser Sache hinderlich sein sollte. Auch mein Sohn Daniel, der Großvater deiner Tochter, hatte seine eigene Weise und war in vielem ein anderer Mann, als der junge Vetter in Ardez. Aber das hätte ihn nicht gehindert, diesem die Enkelin zur Frau zu geben, denn es ist kein Grund dazu da. Der junge Vetter ist durchaus brav und rechtschaffen, kein Mensch kann ihm etwas Unliebsames nachreden. Er lebt ehrbar und eingezogen; er verschwendet sein Gut nicht und hält den Frieden im Haus und mit jedermann. Das Besitztum, das er deiner Tochter anzubieten hat, ist nicht gering, du weißt es, und es ist kein kleines für eine junge Frau, so hinein zu sitzen, daß sie weiß, es sind alle Kisten voll und werden niemals leer, denn sie füllen sich vorweg wieder.«

»Dori hat nie ihr Herz an Besitz gehängt, sie kennt das gar nicht«, wagte Dorothea einzuschalten.

»Das ist es ja gerade, Dorothea«, fuhr die Nonna fort, »sie kennt es noch nicht, sie wird es bald genug kennen lernen, nun sie unter Frauen lebt, die ein geordnetes Leben führen, wie es sein muß. Dein Kind ist eben in der Wildnis aufgewachsen, und du wolltest es so, du wolltest mit deinem Mann gehen aus aller Verwandtschaft weg, wohin, wußte niemand, wir haben dich alle gewarnt.«

»Ich habe es nie bereut, Nonna, nicht einen Augenblick«, warf Dorothea so lebhaft ein, daß die Nonna ganz erstaunt sie anblickte, eine folche Lebhaftigkeit war sonst nicht Dorotheas Art.

»Nun wohl, wir wollen liegen lassen, was hinter uns liegt«, fuhr die Nonna fort, »aber das kann ich dir sagen, kaum ein paar Jahre werden dahingegangen sein, so wird deine Tochter gut genug kennen und zu schätzen wissen, was es ist, Haus und Hof zu besitzen und ein Leben führen zu können, wie das Herz nur wünscht, und das Wohlbehagen zu fühlen: Wir sind Herr und Meister auf unserm sichern Boden, komme, was wolle. Dann werden dir die Vorwürfe nicht erspart bleiben, denn die Tochter kann dir mit Recht sagen, du hättest es besser wissen können als sie, du hättest sie zu ihrem Glück zwingen müssen. Und was soll denn aus ihr werden? Glaub nur nicht, daß ein zweiter kommt, wie der Vetter ist, gar keiner wird mehr kommen, denn daß sie den Vetter nicht gewollt hat, wird gleich das ganze Tal wissen, und jeder muß denken, wenn sie das Köpfchen so hoch trägt, daß sie nicht einmal den will, so hab' ich schon genug davon.«

»Ja, was soll aus ihr werden? Das sag' ich auch«, fuhr hier Marie Lene unaufhaltsam dazwischen, denn schon lange hätte sie gern eingesetzt, »eine wie die ist, was kann aus der werden? Zum Arbeiten, wie unsereins es kann und tut, ist sie zu vornehm, und zum Vornehmleben langt's nicht mit dem Häuschen an der Halde und nichts weiter dazu. Ein verlassenes und von allen gemiedenes Geschöpf wird sie sein. Die Verwandten hat sie von sich gestoßen und fremde Leute werden ihr den Hochmut schon zurückgeben.«

»Was sie auch reichlich verdient«, setzte Frau Katharine hinzu.

»Man muß sie noch nicht verurteilen, sie ist noch zu jung, um gleich den rechten Weg zu erkennen«, sagte die Nonna mäßigend. »Geh du jetzt mit ihr zu sprechen, Dorothea, und stell ihr alles recht vor, wie du es sehen mußt. Du weißt, daß mir nur daran gelegen ist, daß Daniels Enkelkind nicht Glück und Wohlstand verscherze, die ihm geboten sind, sonst würde ich nicht so manches Wort gesprochen haben, das viele Reden ist nicht meine Art.«

Dorothea dankte der Nonna für ihre Teilnahme und ging. Sie war so froh zu gehen; ihr war, als wäre sie am Ersticken vor Angst und Ungewißheit und Furcht vor allem, was da kommen werde.

Dori machte der Mutter die Türe auf und rief ihr fröhlich entgegen: »So, da bist du, gottlob, nun ist die Sache abgetan! Du bist gewiß auch froh darüber, Mutter?«

»Ach Dori, wenn du nur die Sache nicht so leicht nehmen wolltest, mich erdrücken die Last und Sorge und die schweren Gedanken darüber fast«, sagte Dorothea, indem sie sich hinsetzte und so kummervoll aussah, daß in Dori die Erinnerung an die lange schwere Zeit aufstieg, da nach des Vaters Tode die Mutter immer so ausgesehen hatte und nie mehr fröhlich sein konnte.

»Aber Mutter«, sagte Dori, die trüben Erinnerungen schnell verscheuchend, »jetzt hast du doch keinen Grund zu solchen Sorgen! Wir sind ja ganz froh und zufrieden zusammen, und kein Mensch muß darunter leiden, wenn wir so fortfahren; Niki Sami nimmt nur eine andere Frau.«

»Du nimmst alles viel zu leicht, Dori, da ist so vieles zu bedenken, die Nonna hat ganz recht. Hättest du nur ihre Worte gehört! O wenn du nur alles so sehen könntest, wie ich es jetzt sehe!« jammerte die Mutter. »Könnte ich dir's nur so recht sagen, aber es ist, als habest du kein Verständnis dafür. Sieh, was du ausschlägst, wird dir vielleicht nie wieder angeboten und dann kann eine Zeit der Reue für dich kommen. Du stehst vielleicht einmal allein und verlassen da, ich bin tot, die Verwandten wollen nichts mehr von dir, du hast niemand, du hast keine Kinder, die dich lieb haben –«

»Kinder! Ja, die mag ich gern, Mutter«, fiel Dori ein, »habe ich denn nicht schon ein ganzes Trüppchen gehabt, und hatten sie mich denn nicht lieb? Was hat dir denn die Nonna alles gesagt, daß du solche traurige Sachen für alle Zukunft ausdenkst? Du mußt nicht mehr mit ihr über diese Sache reden, ich will schon morgen selbst zu ihr gehen und ihr sagen, wie ich denke, dann ist's fertig.«

Der Gedanke erleichterte Dorothea. War sie doch selbst heute durch die Worte der Nonna auf soviel andere Gedanken gekommen und sah die Sache nun so anders an als vorher; wie natürlich war es, daß die überzeugenden Worte der Nonna auch einen Einfluß auf Doris Gedanken ausüben würden. Auch konnte die Nonna so gut sprechen, viel besser, als sie selbst es ja zu tun verstände, das fühlte Dorothea wohl, hatte sie doch gar nicht gewußt, wie sie der Tochter nur beibringen könnte, daß ein Wert gelegt werden sollte auf Dinge, die ihrem Kinde bis jetzt ganz gleichgültig geblieben waren. Dorotha bezeugte ihre ganze Zustimmung zu diesem Vorschlag, und Doris Zuversicht, daß sie sich mit der Nonna schon verständigen werde, richtete auch die Mutter wieder ein wenig auf von ihrer Verzagtheit.


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