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Regnerische Tage ziehen
Ueber Hirsaus Thal und Kloster;
Jene milde, monderhellte
Nacht am Schluß des Erntemondes
Liegt zurück um manche Woche.
Immer höher, immer trüber
Wälzen sich der Nagold Fluten
Durch ihr Bett, es übersteigend,
Und das dumpfe Rauschen dringet
Alle Nacht hinauf zum Lager,
Und der Junker Krafto Sponheim
Träumt dann wohl vom fernen Rhein.
Marquard hält, was er versprochen:
Beste Pflege ward dem Wunden,
Und des Klausners Simon Tränke,
Der von seiner Bruderhöhle
Oft herabstieg zu dem Landsmann,
Den er krank im Wald getroffen,
Thaten die erprobten Dienste.
Schwäche nur, nicht Schmerz fühlt Krafto,
Und in dieser Schwäche schafft es
Ihm ein köstliches Behagen,
Wenn Abt Marquard allzeit freundlich
Für ihn sorgt und seine Wünsche,
Kaum geäußert, schon befriedigt.
Wie der Ort des tiefsten Friedens,
So erscheint ihm Kloster Hirsau,
Und der Jüngling, dem der Sponheim
Hohe Frömmigkeit im Blut steckt,
Dankt es seinem alten Vater,
Daß auch er dereinst wie Marquard
Soll der heil'gen Kirche dienen.
Ganz besonders fest hat Krafto
Jenen bleichen Pater Ignaz,
Der vom Abt aus frommer Demut
Sich den Dienst des Pförtners ausbat,
In sein warmes Herz geschlossen.
Ignaz mit den dunkeln Augen,
Mit den schwermutsvollen Zügen
Und dem allzeit strengen Wandel,
Ignaz, der die alten, starren
Regeln Benedikts, die Marquard
Halb beseitigt hat, noch festhält,
Der so manche Nacht am Boden
In der Peterskirche zubringt,
Der trotz seines Abts Erlaubnis
Selten spricht, so er nicht betet,
Ignaz, dem ein schweres, strenges
Büßerleben seine Spuren
Aufgedrückt, er ist der Wärter,
Den der Jüngling immer wieder
Von dem Abte sich erbeten.
Manche Stunde hielt der Kranke
Still des hagern Mönches Rechte,
Wenn die Fieber, die im Anfang
Oefter kamen, ihn bedrückten.
Und auch jetzt, seit er genesen
Und im Kloster frei umhergeht,
Sucht er oft den stummen Pfleger
Auf in seinem stillen Thorhaus.
Unterdes hat sich der Reitknecht
Schnell, wie seine muntre Art ist,
Freunde da und dort erworben.
Allezeit sitzt ihm ein Liedchen
Locker auf den frischen Lippen,
Und dieweil der Abt dem Junker
Keinen Wunsch je abgeschlagen.
Darf der Knecht zusamt dem Hunde,
Dem getreuen Luchs, im Kloster
Aus- und eingehn nach Belieben.
Lieber würde Konrad sehen,
So die Fahrt nun weiterginge,
Denn nichts Bessres weiß der Frohe,
Als ein ritterliches Schweifen;
Klosterfrömmigkeit und Stille
Will dem fast den Sinn bedrücken,
Der zu Sponheim in der Schießschart'
Einst das Licht der Welt erblickte;
Doch seit er am Kellermeister
Einen lust'gen Freund gewonnen,
Fügt er eher sich ins Bleiben.
Nur von Zeit zu Zeit noch drängt sich
Ihm fast schreckhaft der Gedanke
Auf, sein vielgeliebter Junker,
Der von jeher für die Pfaffen
Eine fromme Schwäche hatte,
Möchte, was des alten Grafen
Vollen Segen sicher hätte,
Gar für ganz zu Hirsau bleiben!
Und er nimmt in Angst die Laute,
Leis beginnet er zu singen:
Du heil'ge Jungfrau hör mich an,
Ich habe schwere Sorgen!
Ich klag' sie dir, so gut ich kann,
Dir bleibe nichts verborgen!
Sieh, mit dem Junker zog ich aus,
Lang plagten wir den Alten,
Nun ist die kurze Freude aus, –
Man wird ihn hier behalten!
Leid' du es nicht und schick' ihn fort;
Du kannst dies leicht so lenken!
Mein Lebtag will ich auf mein Wort
Dir diesen Dienst gedenken!
Sieh, tausend Knechte dienen dir
Ringsum auf dieser Erden;
So laß den einz'gen Junker mir!
's soll nicht dein Schade werden!
Wenn solch seltsam brünstig Beten
Dann verklungen, geht der Reitknecht
Ganz getröstet nach dem Stalle,
Wo den beiden glatten Rößlein
Er die Hälse klopft und ihnen
Von der Weiterfahrt erzählt.
Endlich hat sich's ausgeregnet.
Was als graue Wolke schwebte
Ueber Hirsaus engem Thale
Zieht als Nagoldwelle meerwärts,
Hängt auch wohl als klarer Tropfen
Am Gesträuch, an Busch und Kräutern,
Und der erste helle Morgen
Steiget heute auf seit langem.
Sonntag ist es, und das Glöcklein
Rufet laut zur ersten Messe.
Außer Hirsaus Klosterleuten
Eilt das Volk vom nahen Calwa,
Von den Höfen und den Weilern
Durch der Peterskirche Westthor
Fromm herzu zum Gottesdienst.
Auch der junge Graf und Konrad
Stehen in der Laienvorhall',
Wo sich alles eifrig abmüht
In den Chor hinab zu sehen.
Krafto bietet eben freundlich
Einer stattlichen Matrone
Seinen bessern Platz, da läßt sich
Konrad schnell herbei, den seinen
Einer frischen Maid zu geben,
Die ihm nahe steht und deren
Stirn sich färbt in heller Röte
Bei des Reitknechts art'gem Thun.
Fromme Andacht liegt auf Kraftos
Offnen Zügen, während Konrad
Mehr sich mit dem blonden Mägdlein,
Das jetzt vor ihm steht, beschäftigt;
Ja, als längst die Messe aus ist,
Kreisen noch des Knechts Gedanken
Lustig um zwei blonde Zöpfe
Und ein zierlich Haubenband.
An desselben Tages Mittag
Schreitet Krafto mit dem Pförtner
Auf dem Fußpfad, der am Waldsaum
Führt gen Calwa, langsam aufwärts.
Krafto will dort seine Freunde
Heute endlich nun besuchen,
Dazu bat er sich vom Abte
Zur Begleitung Ignaz aus.
Helle, flücht'ge Sommerfäden
Gleiten durch die Luft und hängen
Neckisch sich an Wams und Kutte.
Zu der Linken rauscht die Nagold
Thalwärts; noch sind ihre Fluten
Hoch und trüb, doch ist sie wieder
In ihr Bett zurückgetreten,
Nur ein schmaler Sandstreif zeigt noch,
Bis wohin die Wasser gingen.
An dem Wegsaum blüht und duftet
Wilder Thymian in Fülle;
Bien' und Hummel hängen schwelgend
Dran, und bunte Käfer krabbeln
An Gestein und Moos und Wurzeln.
Krafto freut sich solchen Lebens,
Und der frohen Rheinfahrt denkt er,
Da mit Konrad er am Strom hin
Zog im hellen Sonnenschein.
Dann denkt er des fernen Sponheim,
Denkt des Vaters, des geliebten,
Der sich freu'n wird, wenn die Botschaft,
Die Abt Marquard durch zwei Brüder
Gleich zu Anfang heimwärts sandte,
Ihm verkündet, daß sein Krafto
Hat im vielgerühmten Kloster
Rast und Aufenthalt genommen.
Nur wenn Ignaz er betrachtet,
Dann erscheint ihm aller Frohsinn
Wie ein Unrecht an dem Mönch.
Er versucht, den stillen Pater
Jetzt in ein Gespräch zu ziehen:
»Bruder Ignaz, ist Euch unlieb,
Daß Ihr mich thalauf begleitet?
Seht den Sonnenschein, das Blühen,
Hört das Summen, Schwirren, Regen,
Das doch kündet, wie in tausend
Leben tausendfach des Höchsten
Odem ausströmt und sein Lieben!
Macht Euch solches denn nicht fröhlich?
Wird es Euch nicht warm ums Herze?«
»Wohl Euch, junger Freund,« der Mönch spricht,
»Daß Euch nur des Lebens Fülle
Anlacht, wo Ihr immer hinschaut!
Doch ich blicke, glaubt mir, tiefer:
Seh' den Wurm im Blütenkelche,
Seh', daß, was Euch freut und froh macht,
Wächst aus Moder und Verwesung,
Und beim ersten kalten Windhauch
Wieder stirbt, verwest, vermodert.
Ja, noch weiter sieht mein innres
Auge, das mir Gott geöffnet, –
Aber wahrlich, nicht aus Gnade,
Nein – zur Strafe für die Sünden,
Die auf dem Unsel'gen lasten.
Und so muß ich denn zu Zeiten
In der Zukunft Nebel blicken,
Was ich schaue, es erschreckt mich,
Macht mich stumm, lähmt mir die Seele:
Durch das Thal, wie es jetzt daliegt,
Schimmernd in der Mittagssonne
Seh' ich mit gewalt'gen Schritten
Etwas Ungeheures gehen.
Weiß nicht, was es ist; die Blumen
Seh' ich welken nur am Wege,
Seh' den Sonnenschein erbleichen,
Seh' der Tannen Grün sich färben
In das bange Schwarz des Todes.
Es wird kommen, es wird kommen.
Niemand, niemand hält es auf!«
Krafto hört das Wort, ein Schauder
Faßt ihn kalt: »O, unglücksel'ger
Mann, mit Euren Nachtgedanken!
Bruder Ignaz, habt Ihr niemals
Es versucht, der heil'gen Jungfrau
Eures Herzens Not zu klagen?
Sie zu bitten, daß die Wolken
Sie von Eurer Seele nehme?«
Bitter lächelt jetzt der Bruder:
»Ist's das Los doch der Propheten,
Daß sie keinen Glauben finden.
Wohl sollt' ich die Jungfrau bitten,
Doch nicht, daß sie Wolken wegnehm',
Nein, daß sie mir Wolken sende,
Die der Zukunft schrecklich Bildnis
Mir verhüllen, wie euch allen.«
Noch einmal versucht es Krafto:
»Pater, wißt Ihr noch, vor kurzem,
Da ich nächtlich Euch vertraute,
Wie so wohl mir sei zu Hirsau,
Maltet Ihr da nicht das Kloster
Als den Ort gar schwerer Sünden,
Und nun seh' ich stet und ruhig
Hin die stillen Tage fließen.»
»Wären Mönche nicht die Brüder,«
Murmelt Ignaz, »möcht' am Ende
Man ihr Leben nicht verdammen;
Ob es gleich nicht immer friedlich
Zuging, wie die letzten Wochen;
Doch ein schärfer Maß gebühret
Einem Mönch, als anderm Manne.
Ein bequemes Dasein führen,
Wie in Hirsau jetzt der Brauch ist,
Ziemt nicht dem, der im Gelübde
Sich verschwur, Gemeinschaft Gottes
Nur zu suchen, die Genüsse
Dieser Erde zu verschmähen,
Und den Leib, des Geistes Diener,
Zu kasteien, abzutöten.
Nicht, daß ich, o Jüngling, wähne,
Dies alleine führ' zum Frieden;
Sicher giebt es viele Wege;
Aber Fluch ist es und Sünde,
Das Gelübde abzulegen
Und dann hinter Klostermauern
Leben, wie vordem und besser.
Das, Herr, ist ein frecher Meineid,
Lug und Trug, und Lüge öffnet
Für den bösen Feind die Thore.
Und ich sah es, wie er einschlich,
Wie er seine Körner streute,
Wie die Saat im guten Winde
Aufschoß, wie sie überwuchert,
Was von gutem Samen übrig.
Und dann seh' ich Garben reifen,
Seh' die Hand des grimmen Schnitters,
Seh' des Feuerofens Flammen,
Seh' die Garben flackernd brennen,
Seh' die trostlos leeren Stoppeln
Auf dem Felde, wo einst Gottes
Aehren still und freudig reiften.« – – –
Lang blickt Krafto vor sich nieder,
Dann beginnt er nochmals leise:
»Doch Abt Marquard thut Ihr unrecht:
Ist er nicht gar gut und milde,
Klug und allen gern gefällig?
Ist er nicht bescheiden, mäßig,
Allen Leidenschaften abhold,
Jedem Schuld'gen milder Richter?«
In des Mönches Stirne steiget
Hell das Blut: »Ihr habt's getroffen.
Doch, o wär' ich ein Verleumder,
Wenn ich sage: Furcht nur leitet,
Furcht und weltlich kalt Berechnen
Marquards Thun und sein Regieren.
Wessen Kopf ist in der Schlinge,
Darf zum Hängen nicht verdammen.
Daher kommt sein mildes Richten.
Frei ist er von Leidenschaften,
Saht Ihr? Ja, er hat nur eine,
Die hat längst ihm alle andern
Aufgefressen: um zu bauen,
Würd', wenn ihm die Mittel ausgehn,
Er der eignen Seele ew'ges
Heil dem Teufel selbst verpfänden.
Klug, – ja klug mögt Ihr ihn nennen,
Klug nennt Christus auch die Schlangen.
Was in Marquards Seele Gutes
Aufkeimt, o, ich hab' mit stiller
Angst und Sorg' und heißer Hoffnung
Es aufs neue stets begrüßt und
Stets sah ich's im Keime welken;
Ob die Dornen es erstickten,
Ob die Vögel es gefressen,
Ob's nicht Grund fand auf dem Felsen,
Nie sah ich's zur Frucht ausreifen.
Darum wird das Wort der Schrift auch
Wahr an ihm: Ausspeien will ich
Dich mit Abscheu aus dem Munde
Darum, daß nicht warm, nicht kalt du
Warst in ekler, schaler Lauheit.«
Stark erdröhnt des Mönches Stimme,
Drohend klingt sie und prophetisch.
Kraftos froher Mut entschwinde.
Ach, statt daß er seine sonn'gen,
Sabbathfröhlichen Gedanken
In des Finstern Seele leitet,
Füllt ihm dieser mit den dunkeln
Bildern Herz und Kopf und Sinne,
Schweigend schreitet er nun fürbaß,
Sieht nicht mehr der Blumen Blühen,
Nicht der Käfer emsig Krabbeln,
Nicht der Sommerfäden Gleiten;
Düster scheint ihm Weg und Thal.
Stumm gelangen so die beiden
An das untre Thor von Calwa,
Pater Ignaz bleibet stehen:
»Geht allein, Herr, laßt Euch bitten,
Zu den Freunden. Ich indessen,
Will die Non', die ich versäume,
Dort in der Kapelle halten.«
Ehe Krafto ihm entgegnet,
Schreitet er schon auf der Brücke,
Die zu der Kapelle führet
An der Nagold anderm Ufer.
Fast, als sei ein Alp gewichen
Ihm von banger Brust, so atmet
Jetzt der Junker auf, er ruft dem
Wächter, der aus seiner Luke
An dem Thorturm schläfrig blinzelt,
Einen Gruß zu, und dann fragt er
Nach des Berthold Trautwein Haus.
»Rechts hinauf, bis wo die Mauer
Stumpf sich biegt am obern Thore.
In der Ecke steht's, am Burgweg.«
Rüstig schreitet Krafto aufwärts.
Jetzt, – da ist er schon am Ziele,
Dies muß das gesuchte Haus sein.
Stattlich ragt es, und der Giebel
Springt hervor mit buntem Schnitzwerk,
Selbst der Erker fehlt nicht; zierlich
Tritt er aus der weißen Mauer,
Und das Gärtchen legt sich freundlich
Um das sonnbeglänzte Haus her.
Durch die Pforte an dem Holzzaun
Tritt der junge Graf bedächtig,
Langsam schreitet er zur Hausthür
Und hebt zögernd fast den Klopfer.
Leicht naht sich ein Schritt, und alsbald
Thut die Magd dem Fremdling auf.
Höflich fragt er, ob des Hauses
Herr, ob Berthold Trautwein heute
Sei daheim, ihm gelt sein Kommen.
»Wohl vor einer Stunde ging er
Fort mit Kaspar Rust, dem Freunde,
Doch muß bald er wiederkommen,
Denn er hat bis nach der Vesper
Klaus und Michel herbeschieden.
Will der Herr hinaufgehn? Oben
Sind die Muhme und die Trude.«
Ohne Antwort abzuwarten,
Geht die Dirne flink dem Grafen
Auf dem blanken Flur voraus.
Durch des Hauses ganze Tiefe
Führt der Weg, dann steigt die schmale,
Scharf gewundne, dunkle Treppe
Aufwärts. Dorthin weist die Dirne,
Bleibt zurück und läßt den Fremden
Seinen Weg allein nun suchen.
Krafto steigt empor, es knarren
Unter seinem Fuß die Stufen.
Sonst läßt sich im ganzen Hause
Nicht der kleinste Laut vernehmen.
Und der Junker macht die Schritte
Zu der nächsten Thür mit Absicht
Laut, sein Kommen anzukünden;
Da – er weiß nicht, wie es zugeht –
Fliegt die Thüre auf, zwei warme
Weiche Arme legen innig
Sich um seinen Hals, und jubelnd
Ruft es: »Berthold, denk dir, Berthold,
Meinen Maz, ich hab' ihn wieder!«
Starr steht Krafto; aber starr auch
Steht das Mägdlein, ihre Arme
Lösen sich in tiefem Schrecken.
Dann schlägt sie die weißen Hände
Vors Gesicht mit leisem Aufschrei;
Und eh' Krafto Worte findet
Ist sie seinem Blick entschwunden.
Durch die offne Thüre tritt jetzt,
Nachzusehen, was es gebe,
Muhme Eva. Auch sie hätte
Fast vor Staunen aufgeschrieen,
Als den Junker sie erblicket,
Der ihr heute in der Kirche
Seinen Platz so freundlich anbot.
Doch sie weiß, was Brauch und Sitte,
Führt mit höflichem Verneigen
Ihren Gast erst in die Stube,
Eh' sie forscht, was er begehre.
Krafto, immer noch befangen,
Nennt nun Namen und des Kommens
Zweck und Absicht. Alsbald schlägt die
Alte ihre beiden Hände
Ueber ihrem Kopf zusammen:
»Ach, daß ich nicht schon am Morgen
Euch erkannte, nicht bedachte,
Daß Ihr müßt der Graf von Sponheim
Sein, von dem uns seit der Heimkehr
Berthold täglich vorgesprochen!
Nein, ich kann mir's nicht verzeihen.
Sagte aber doch zur Margret:
Nicht aus unsrer Gegend stammet
Dieser Junker! Ja, so sagt' ich.
Und nun seid Ihr gar Graf Sponheim,
Der so viel für uns gethan hat,
Für der Männer Gut und Leben.
Und der Fuß? Nein, halt, der Arm war's;
Ist der Arm geheilt jetzt wieder?
Setzt Euch, Herr, laßt's Euch gefallen,
Euch in Trautweins armem Hause
Auf ein Stündchen auszuruhn!«
In der Muhme lange Rede
Kommt nun eine kleine Stockung:
»Jetzt will ich die Trude holen,
Weiß nicht, wo sie steckt, sie hat sich
Wohl erschreckt, als sie den Fremdling
Vor sich sah, statt ihres Bruders,
Ist mir selbst auch so gegangen.«
Und die Alte geht sie suchen.
Krafto blickt sich um im Stübchen:
Durch des Erkers bleigefaßte
Kleine Scheiben malt die Sonne
Bunte Lichter auf den Boden,
Seitwärts durch den offnen Laden
Flutet leiser Duft vom Garten,
Und die wilden Rosen nicken
Bis herein, wo auf dem Simse
Goldlack blüht im grünen Topf.
Dort am blüt- und duftumwogten
Plätzchen stehet eine Kunkel.
Eine Truhe, fast dieselbe,
Wie sie ihm zum Sitzplatz dienet,
Steht im Erker, drauf ein kunstvoll
Zierlich ausgeschnitzter Käfig,
Und darin ein lust'ger Starmatz.
Links ein hoher Spind mit Schnitzwerk,
Und ein schwerer Tisch inmitten
Des Gemachs; Gebälk und Decke
Wohlgebeizt und da und dorten
Ausgemalt mit bunten Farben. –
Schon erscheint die Alte wieder.
An der Hand führt sie ein Mägdlein,
Das, die Augen scheu am Boden,
Vor den Grafen, der sich alsbald
Schnell erhebt, befangen hintritt.
Auf der Jungfrau Wangen jagt ein
Tiefes Rot die jähe Blässe,
Und dem Jüngling drängt das warme
Blut sich rascher nach dem Herzen.
Schüchtern, flehend fast erheben
Sich zwei große, braune Augen
Jetzt zu Krafto: »O verzeihet,
Was ich that, ich hielt, Herr Graf, Euch
Für den Bruder, den ich sehnlich
Lang erwartet, ihm zu sagen,
Daß mein Vogel wieder da sei.
Und ich glaubte gar so deutlich
Seinen Schritt im Flur zu hören,
Und – so kam es –« helle Thränen
Steigen in die klaren Augen.
»Ja,« fällt jetzt zum Glück die Muhme
Wieder ein: »Ihr könnt nicht denken,
Wie das Kind sich bitter grämte,
Als – es war am Freitag Abend –
Ihr der Star entflog, ihr Liebling,
Den ihr Kaspar Rust erst schenkte.
Wißt, sie hat mit vielem Mühen
Ihn gelehrt, des Freundes Namen
Deutlich wie ein Mensch zu sagen.«
So mit muntrer Rede scheuchet
Muhme Eva das Beklemmen,
Das die beiden Jungen stumm macht.
Unerwünscht fast kommt die Störung,
Als dann Trautwein endlich heimkehrt.
Trude, auf des Bruders Weisung,
Bringet aus dem Spind die Becher,
Mischt mit flinken, leisen Händen
In der großen Kanne dann den
Trank aus Wein und goldnem Honig,
Füllt die Becher bis zum Rande
Und kredenzt, nachdem sie selber
Nippte mit erglühten Wangen,
Krafto jetzt die süße Mischung.
Dankend aus den weißen Händen
Nimmt den Becher er, und seltsam
Geht ein Strom ihm nach dem Herzen,
Als des Mägdleins kühle Finger
Er berührt mit seinen eignen.
Trude und die Muhme sitzen
Jetzt abseits. Wenn Männer reden,
Sind gewohnt sie, still zu bleiben.
Krafto hört zerstreut auf Trautwein;
Ach, er denkt ja so ganz andres.
Doch, bald kommt das Wort auf etwas,
Was ihn lauschen macht mit Eifer.
Trautwein, dem so manches kund wird,
Sei's durch fahrend Volk, durch Boten,
Durch Kaufleute, Handelsfreunde,
Weiß gar viel, was drauß' sich zuträgt.
Krafto hört denn, wie es heiße,
Daß zu Mainz Erzbischof Siegfried
Sei verjagt, vom Stuhl getrieben;
Daß die Mainzer sich den Luitpold
Hergeholt, den Freund des Staufers
Und die Männer lächeln leise
Vor sich hin, und beide denken
An Walpod, mit dem sie zogen.
Beide sehen seine Augen
Blitzen, seine Haare fliegen,
Wie er in der Bürger Mitte
Kämpft und zornesmutig dreinschlägt,
Den Gehaßten zu vertreiben.
Ernster werden jetzt die Mienen
Bertholds; noch hat er erfahren,
Wie der Kampf am Niederrheine
Blutig tobt, und in den Mauern
Kölns der Erzbischof und Otto,
König von des Papstes Gnaden,
Sich des Staufers mächtig wehren.
Wie von mancher Burg und Zinne,
Die sie kürzlich noch im Sonnschein
Ragen sahen, schwarzer Rauch steigt,
Wie die Felder sind verwüstet,
Wie die Klöster sind verödet.
Auch in Welschland gärt es böse:
Innozenz mit seinem Aufruf
Hat auch dort den Brand geschleudert
Und die Deutschen sehen schlimme,
Blut'ge Tage für sich kommen.
Krafto lauscht verhaltnen Atems.
Wie ein Vorwurf drückt der Stube
Stiller Friede plötzlich auf ihn.
Ziemt es sich für ihn, den Sponheim,
Hier zu sitzen und zu lauschen
Wie die Kinder bösen Mären,
Die die Amme mag erzählen?
Weiß er doch den greisen Vater
Einsam unter seinen Knechten,
Weiß den Oheim, der so kurz erst
Sich der Würde freut, gefährdet,
Weiß den Bruder fern in Welschland,
Auf Bolognas hoher Schule,
Wo am schlimmsten es sich rege!
Ist nicht lang genug gerastet,
Lang genug geträumt, gefeiert?
Berthold fährt jetzt fort: »Ihr wisset,
Daß ich keiner bin von denen,
Die bald da, bald dorthin schwanken,
Wie heut Brauch in deutschen Landen.
Seit ich denke und ein Mann bin,
Seit ich prüfe, wäge, seit ich
Selbst die Welt, das Leben kenne,
Weiß ich, ob ich gleich ein guter
Christ bin, selbst, auf wessen Seite
Ich als deutscher Mann muß halten.
Brauch' nicht Papst und brauch' nicht Bischof,
Daß sie mir, was recht sei, sagen.
Und viel besser stünd's, viel wen'ger
Blut würd' fließen, wenn vom Klerus
All die Herren, hoch und nieder,
Glaubten, daß der Laie ohne
Ihren Rat und ihre Hilfe
Von sich selbst das Rechte treffe.
Besser stünde es, sie wären,
Was sie gern sich nennen hören:
Treue Hirten, die die Schafe
Mit dem Stab des Friedens weiden.
Besser stünde es, sie lenkten
Ihren Blick auf jene Ziele,
Die nicht von der sünd'gen Welt sind,
Statt daß sie mit ihrer Linken
Andre nach dem Himmel weisen
Und indes die eigne Rechte
Auf der Erde Güter decken.
Besser wäre es, sie lernten
Von dem Staufer, dem sie fluchen,
Sanftmut, Milde, edle Sitte!«
Ganz ins Feuer kommt jetzt Berthold,
So sah Krafto nie ihn vordem.
Und es reißt die hast'ge Rede
Ihn mit fort. Der tiefen Wahrheit
Klang in seines Freundes Worten
Weckt den Widerhall im Herzen.
Voll Begierde und voll Eifer
Fragt er: »Kennet Ihr den Staufer,
Dessen hohes Lob Ihr singt?«
Wie ein Sonnenschein geht da es
Ueber Berthold Trautweins Züge:
»Beinah' dritthalb Jahre sind es,
Daß zu Aachen ich im Dom stand
Und es sah, wie an der Seite
Einer wunderholden Fraue
Philipp durch die Flügelthür schritt.
Bis zu meinem fernen Winkel
Sahe ich sein Auge leuchten,
Blau und klar, der Staufer Erbteil
Schon seit langen, langen Zeiten.
Niemals werde ich vergessen,
Wie das edle Haupt er neigte,
Aus des Kölner Adolfs Händen
Jene Krone zu empfangen,
Deren größter Stein inmitten
Flammte auf, den Herrn zu grüßen.
Und das Weib zu seiner Linken,
Ganz erblaßt sah ich sie lehnen
An den Mann, an dessen Seite
Sie ein süßes Liebesleben
Führt nach manchem Sturm der Kindheit.
Eine Rose ohne Dornen,
Eine Taube sonder Galle,
Hört' ich rühmen sie, und wahrlich,
Also ist sie mir erschienen,
Hold und minnig wie ein Lenztag.
Seit dem Tag hängt auch mein Herze
An dem Staufer, zu dem vordem
Mich mein Rechtsgefühl getrieben,
Und die beiden Bande ziehen
Stärker als die Scheu und Ehrfurcht,
Die vor Rom uns wird gepredigt.
Jenen beiden Banden folgen,
Schaffet Stetigkeit und Freiheit,
Schaffet uns ein gut Gewissen;
Bessres kann kein Pfaffe geben,
Bessres kann kein Gott uns schenken,
Dieses sag' ich, Berthold Trautwein!«
»Berthold, Berthold!« mahnt die Muhme,
Schlägt ein Kreuz, als sei der Böse
Eben selbst vorbeigegangen.
Hochauf richtet sich der Junker,
Denn ihm ist's wie Blitz und Flamme
Ins erregte Blut gefahren.
Er streckt seine beiden Hände
Berthold hin, doch Worte findet
Sein erblaßter Mund jetzt nicht.
Durch die Thüre tritt die Magd nun,
Meldet, daß die Knechte warten.
Krafto auch denkt plötzlich wieder
An den Mönch, der auf ihn harret.
Ungern geht er: ihm, der niemals
Weilte in dem Kreis von Frauen,
Dem die Mutter früh gestorben,
Dessen einz'ge Schwester lange
Als Aebtissin weilt im Kloster,
Ihm, der deshalb nie ein rechtes
Trautes Heim gekannt seit Kindheit,
War es wohl in dieser niedern,
Sonnenhellen, kleinen Stube.
Zu der Trude tritt er zögernd,
Und sie sagt gar leis und schüchtern:
»B'hüt Euch Gott und kehret wieder!«
Röte steigt in ihre Wangen,
Wie so oft schon heut; sie weiß nicht,
Wie es kommt, ist doch der Brauch so,
Daß zu bald'gem Wiederkommen
Man den Gast lädt. Krafto drücket
Fest die Hand ihr: »Lebet wohl jetzt!
Kann ich's machen, komm' ich wieder.
Weiß nicht, wo der Sturm mich hintreibt,
Weiß nur, daß ich Euer denke.
Denkt auch meiner nur im besten!
Wollt Ihr?« Wortlos nickt die Jungfrau.
»Kaspar Rust!« ruft aus dem Erker
Da der Star. Der beiden Hände
Fahren jählings auseinander.
Beide sind sie tief erschrocken,
Wissen nicht, wie es geschehen;
Blicken sich in hast'gem Fragen
Unbewußt bang in die Augen, –
Seltsam traf sie dieser Ruf.
Trautwein giebt zur Gartenthüre
Seinem Gaste das Geleite:
»Kehret wieder, eh' von Hirsau
Ihr hinauszieht, auch ich bitt' Euch!«
»Lebet wohl!« Krafto kehrt eilig
Jetzt sich ab. Der steile Burgpfad,
Der ihn hergeführt, liegt vor ihm.
Doch er bieget links, dort führt ein
Breiter Weg zum obern Thor.
Dort tritt er hinaus, der Weiler
Unter Calwas Burg liegt vor ihm.
Rechts zieht sich der steile Abhang,
Hier entholzt und grasbewachsen,
Bis hinab zur muntern Nagold;
Links läuft schmal die Hüttenreihe
Aufwärts bis zur Burg, die droben
Massig ragt, aus dunklen Quadern
Aufgebauet, mit drei Türmen,
Die wohl mehr zum Schutze dienen
Als zum Schmuck, denn ungestaltet,
Regellos, wie er am Rheine
Nie es sah, sieht Krafto diese
Türme in die Lüfte steigen.
Lang betrachtet er die Mauern,
Die so grau, so kalt und düster
In das Thal hinunterblicken,
Da naht sich im scharfem Trabe
Von der Burg ein Reitertrupp.
Krafto wendet sich zum Gehen.
Eh' er wieder an dem Garten
Steht, den eben er verlassen,
Sprengen schon auch jene Reiter
Durch das Thor, laut hallt der Bogen
Von dem Schall der Rosseshufe.
Vor dem Garten läßt der eine
Hoch und wild die Stute steigen,
Also, daß der große Rappe,
Der zur Seit' ihr geht, und der ein
Weib trägt, dem der lange Reitrock
Von der Hüfte wallt, sich tanzend
Auf die Seite drängt, wo Krafto
Steht, der auf die beiden hinschaut.
In des Weibes Augen flammt es,
Zornig zerrt sie an dem Zügel,
Daß der Rappe steigt, wie vorhin
Schon die Stute. »Ei, Wolfsölden,«
Ruft sie höhnend, »welche Treue!
Immer noch die alte Liebe?
Und so hoffnungslos, wie bisher?«
Dabei fährt die Gerte nieder,
Daß der Graf das Sausen höret,
Und er wundert sich des Weibes.
Ungebärdiger ob solchen
Unverdienten bösen Streiches
Wird der Rappe, Krafto sieht es,
Wie er auf die Zügel knirscht und
Toll sich hebt. Da springt er näher,
Greift den Zaum, es kostet Mühe,
Und mit aller Kraft der Arme,
Mit dem sichern, kalten Mute,
Der dem kühnen Reiter eigen,
Bringt zum Stehen er das Roß.
Zwei der Reiter sind voraus schon.
Der nur, der die Stute reitet,
Kommt herbei, er streift des Junkers
Schmutzbeflecktes Wams fast spöttisch.
»Teufel! Herr, Euch sollt' ich kennen,
Hatt' ich auch verfluchte Eile,
Damals, als ich Euch getroffen;
Doch, da ich kein Unmensch, Junker,
Hab' ich mich in Christenliebe
Insgeheim nach Euch erkundigt.«
Spottend fährt er fort: »Geht's gut Euch
Bei den feisten Pfaffen Hirsaus?
Habt Euch wohl schon eingewöhnet?
Läßt sich leben mit den Frommen?
Ja, ein Sponheim schlägt sein Kreuz schon
Tadellos im Mutterleibe.
Grüßt den Abt vom Veit Wolfsölden,
Bald soll mehr er von mir hören;
Grüßt den Prior, doch vergeßt's nicht,
Von der schönen Gräfin Agnes!«
Lachend wendet er die Stute,
Sprengt den andern nach. Die Gräfin
Neigt sich tief jetzt aus dem Sattel,
Ihre Augen blitzen nahe,
Und ihr Atem streift den Grafen:
»Laßt den Tollen, Wilden reden,
Denn der Wein spricht aus ihm, glaubt mir!
Nehmet meinen Dank, und ist es
Euch von Marquard nicht verboten,
Sprechet vor im Calwer Schloß!«
Auch sie sprengt davon, und Krafto
Bleibt zurück. Des Zornes Röte
Liegt auf seinem Angesicht.
Plötzlich fühlt er seines Hundes
Feuchte Nase an der Rechten.
Staunend ob des Treuen Spürsinn,
Klopft er lobend ihm den Rücken
Und geht schneller seiner Wege.
Unten an der Brücke trifft er
Ignaz, längst schon seiner wartend.
Beide schreiten stumm thalabwärts
Jetzt im Abendsonnenschein. |