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Wieder wie im letzten Sommer
Wandeln in dem Thal von Calwa
Krafto und der Bruder Ignaz.
Sigbert und Medardus gehen
Stumm voraus mit großen Schritten.
Näher kommt man jetzt den Mauern.
Rechts steigt massig Calwas Burg auf,
Links vom Fluß sieht man die weißen
Kreuze in der Sonne leuchten,
Sieht die aufgeworfnen, neuen,
Unheilvollen Massengräber
Die Kapelle der Maria
Rings in dichtem Kreis umlagern.
Sigbert und Medardus hemmen
Ihren Schritt und werden bleicher,
Doch die beiden andern schreiten
Ruhig fort. Die Rosenkränze
Gleiten lautlos durch die Finger.
Weitaus steht das Thor. Kein Wächter
Ist im Turm. Die viere ziehen
Ungehindert ein, und niemand
Bietet ihnen fromm Willkommen.
Rechts am Berg hinauf, wie einstmals
Führt der Weg, und des Novizen
Blut drängt stürmisch sich zum Herzen.
So wie einstens von dort oben
Grüßt der breite, weiße Giebel,
Grüßt der Erker freundlich nieder.
Krafto presset beide Hände
In der Kutte weiten Aermeln
Brünstig im Gebet zusammen.
Tief gesenkten Hauptes schreitet
Neben Ignaz er vorüber.
Dieser biegt hinab zum Marktplatz,
Wo um Calwas neue Kirche
Dichter sich die Häuser lagern.
Da und dort sieht man jetzt jemand
Scheu aus offnen Thüren treten,
Siehet lautlos die Beguinen
Aus den schmalen Gassen kommen
Und zur Kirche schweigend eilen,
Denn es ist die Zeit, da droben
In dem frommen Haus zu Altburg
Die zurückgebliebnen Schwestern
Sich zur dritten Hore sammeln.
Ignaz kehrt sich zu den Brüdern,
Hart fast klinget seine Stimme:
»Laßt uns am Altar der Jungfrau
Thun, was uns der Abt gebietet!
Geht umher in diesen Häusern,
Ruft herbei, wen ihr mögt finden,
Daß des heil'gen Vaters Bulle
Ich vor allem Volk verlese,
Daß Gehorsam erst geschehe,
Ehe wir zum Werk der Liebe
Uns, so Gott will, mögen kehren!«
Alle gehen, und nur Ignaz
Schlüpfet lautlos in die Kirche,
Gehet zum Altar Mariä,
Knieet hin und betet still.
Endlich steht er auf, schaut um sich:
Sigbert und Medardus stehen
Dort im Chor. Sie haben eilig
Ausgeführt, was Ignaz wollte;
Aber wenige nur folgten
Diesem Ruf der beiden Mönche.
Krafto fehlet noch; doch Ignaz
Will nicht länger auf ihn warten.
Noch einmal streicht mit der Hand er
Ueber seine feuchte Stirne,
Dann beginnt er dumpf und leise
Innocenzens Bann zu lesen.
Sonderbar – die Männer Calwas
Heben nicht die Hand zum Kreuze.
Keiner neigt sich, und das düstre
Anathame sit verhallet
An den Wänden ohne Echo.
Hinten, nahe an der Thüre,
Tritt ein Greis jetzt aus dem Stuhle.
Festen Schrittes geht er vorwärts
Zum Altar, wo Ignaz stehet.
Simon ist's, der alte Klausner.
Seine Augen sprühen Blitze,
Als er grollend also anhebt:
»Ist es jetzt die Zeit des Fluchens?
Seid ihr drunten ohne Sünde?
Wer heißt euch mit Steinen werfen,
Wo des Höchsten Ruten schlagen?
Adelbert von Calwa hat nicht
Mehr gefehlt als Hirsaus Mönche:
Jener haßte alte Feinde,
Seinen Freunden thut er Gutes.
Und zu Hirsau haßt man Feinde
Und liebt sich allein! Ihr Heuchler!
Spricht nicht Gott: Ich bin der Richter,
Und ich will allein vergelten!
Ist nicht Adelbert von Calwa
In des Höchsten Hand gefallen,
Jetzt, da ihn, der sich nicht feige
Fernhielt, wie die Mönche Hirsaus,
Schwer die Krankheit legt darnieder?
Thut es not, daß euer Bannstrahl
Noch das müde Haupt ihm treffe?«
Zornig spricht der Greis, sein Antlitz
Färbt sich hoch in heller Röte.
Calwas Männer blicken alle
Auf den Alten. In der Reihe
Der verschleierten Beguinen
Tritt die größte aus dem Stuhle
Und huscht lautlos aus der Kirche.
Ignaz aber steht verstummet,
Blaß, doch ungebeugten Hauptes
Am Altar. Sein brennend Auge
Saugt die Worte von den Lippen
Des beredten alten Mannes.
Doch je zorniger sie klingen,
Desto höher richtet Ignaz
Sich empor, und als der Alte
Sagt, daß in der Burg die Pest ist,
Leuchten seltsam seine Züge.
Simon tritt zurück, die Männer
Blicken fragend nach dem Mönche.
Ignaz aber hebt die Rechte
Nur zu stummem Kreuzeszeichen
Und geht, ohne zu entgegnen,
Vom Altar und aus der Kirche.
Durch die schmale Kronengasse,
Die vom Marktplatz führt hinunter
Zu der Nagold und den Hütten,
Drin die Juden Calwas wohnen,
Am Geschäftshof Berthold Trautweins
Hart vorbei, geht langsam Krafto.
Niemand sieht er, den er könnte,
Wie er soll, zur Kirche laden.
Alles liegt so öd, verlassen,
Wie erstorben in der Sonne.
Schnuppernd aus dem Hofe Trautweins
Kommt ein braungefleckter Jagdhund
Auf die menschenleere Gasse.
Krafto stehet still. Der treue
Luchs kennt rasch den alten Herrn.
Da mit Heulen, Bellen, Winseln
Springt wie toll er an der Kutte
In die Höhe, und wie einstmals
Legt er seine beide Pfoten
Auf die Brust des Langvermißten.
Krafto wehrt es nicht, das Herze
Thut ihm weh vor Schmerz und Freude
Und das langgedämmte Heimweh
Schüttelt ihn, und in des Hundes
Zottig Fell birgt er sein Antlitz.
Mit erstauntem Blicke tritt jetzt
In das Hofthor Reitknecht Konrad.
Ist der Luchs denn toll geworden,
Daß er eine Kutte anfällt?
Doch nicht lange starrt der Treue
Auf den Hund und auf die Kutte,
Da hat er den jungen Träger
Schon erkannt; mit heller Freude
Stürzt auch er sich auf den Herrn.
In die Augen des Novizen
Steigt es heiß. Er denkt nicht länger
An sein ernst Gewand; er drücket
Seinem Knecht die rauhen Hände,
Und inmitten der verlassnen
Straße stehn die drei jetzt wieder,
Die vor einem Jahr so fröhlich
Aus den Mauern Sponheims zogen.
Konrad fraget und erzählet
Jetzt im Uebermaß der Freude
Alles hastig durcheinander:
Er erkläret, daß man lange
Schon gen Flandern wollte ziehen,
Doch dann sei das große Wasser
Wie ein Dieb bei Nacht gekommen.
Jetzt – er flüstert leis – da alles
Schon gepackt und vorbereitet,
Sei die Pest der schlimme Hemmschuh.
Kaspar ziehe nicht mit Trautwein,
Und die Trude woll' ins Kloster;
König Philipp sei ermordet
Und die Margret wohl und munter.
Sprudelnd, eilig kommt dies alles
Aus dem Mund des Knechts; doch Krafto
Weiß nur dies: sie will ins Kloster!
Also nicht das Weib des Andern?
Gott gehören dieses süße,
Junge Leben? – Gott? – Nein, düstern
Mauern, die das Herz bedrücken,
Regeln, die die Seele foltern,
Schwüren, die Gewissen knechten,
Wahrheit beugen, Recht verkehren!
Wie ein Blitzstrahl des Erkennens
Zuckt es grell vor Krafto nieder:
Wo ist der geträumte Frieden,
Den er selbst gesucht im Kloster?
Fand er ihn in der Verbeugung,
Die er lange Stunden übte;
Fand er ihn in mühsam schwerer
Eingelernter Zeichensprache?
Fand er ihn in dem Gehorsam,
Der ihn an den Sarg Wolfsöldens
Niederzwang zu einer Buße,
Davon doch das Herz nichts wußte?
Fand er Frieden, wenn er hörte,
Wie der Abt durch feige Lüge
Hat sein Priesterkleid geschändet?
Quillt der Frieden, wenn im Kloster
Mitleidlose, träge Herzen
Vor der Not der Menschen ängstlich
Sich verschließen hinter Mauern?
Krafto ist's, als müsse laut er
In der Trude Ohr es schreien:
»Halt, du bist auf falschem Wege!
Laß die Klostermauern denen,
Deren Herzen ausgebrannt sind
Von den Gluten heißen Lebens!
Aber du mit deinem jungen,
Ungelebten, ungenossnen,
Frühlingsgleichen süßen Dasein,
Bleibe fern! O, laß dich halten!
Ob ich solchen Jammer trage,
Sollst doch du ihm nicht verfallen!«
Konrad schweigt jetzt, seines Herren
Züge sind so starr geworden,
Daß ihm bangt. Er fragt voll Sorge:
»Herr, ist Euch nicht wohl? Kommt mit mir;
Drin ist Trautwein, und er führet
Dieser Zeit stets Tränke mit sich,
Allem Uebel vorzubeugen.«
Krafto rafft sich auf, besinnt sich,
Und mit festgepreßten Lippen
Folgt er Konrad durch das Hofthor.
Auf dem Stumpf der blitzzerspellten
Linde sitzet Berthold Trautwein.
Seine dichten Brauen stoßen
Düster auf der Stirn zusammen,
Und sein sonst so klares Auge
Starrt jetzt trübe vor sich hin.
Krafto tritt herzu und murmelt
Sein: »Gelobt sei Jesus Christus!«
Trautwein blicket auf. Feindselig
Fast blitzt es in seinen Augen,
Als er Hirsaus dunkle Kutte
Vor sich sieht und ihren Träger.
»Endlich,« spricht er, »endlich einer!
Herr, ihr ließet lange warten,
Eh' von Hirsau kam die Hilfe,
Die in dieser Zeit des Elends
Man erwartete von dorther.
Ist es Klosterbrauch, zu zaudern,
Wenn die Not zum Himmel schreit?«
Krafto senkt den Kopf. Die Qualen
Herber Scham stehn ihm im stillen,
Blassen Angesicht geschrieben.
Doch er schweigt. Er will sich üben,
So wie Ignaz ohne Murren
Alles, was da kommt, zu tragen.
Leis spricht er: »Ich soll Euch laden
In die neue Kirche Calwas,
Daß Ihr unsres heil'gen Vaters
Bulle hört, die vom Altare
Der Maria wird verlesen.«
Trautwein schaut erstaunt und finster
Auf den gräflichen Novizen:
»Kommt ihr, um mit einer Bulle
Pest und Sterben zu vertreiben?
Will's dem alten Nathan sagen,
Der um Tränke und Arzneien
Und um Pfleger Marquard anging.
Der verrückte Jude wußte
Nicht, was not that. Marquard weiß es,
Wenn auch erst am vierten Tage.
Kräftig muß sie sein, die Bulle,
Wenn sie helfen soll, ich sag's Euch!«
Bittrer Hohn liegt in den Worten.
Kraftos Blut steigt in die Wangen,
Und er spricht: »Es ist der Bannstrahl
Ueber Adelbert von Calwa.
Doch auch Arzenei'n und Tränke
Und vier hilfsbereite Pfleger
Schickt das Kloster. Doch zuvor soll
Noch dem Recht genug geschehen.«
Trautwein lacht jetzt laut und grimmig:
»Welchem Recht? Herr, sagt mir's klarer;
Bin im Pfaffenrecht nicht kundig.
Weiß nur, daß uns unser Graf ist
Stets ein guter Herr gewesen,
Weiß nur, daß er König Philipp,
Dem Gemordeten, dem Edlen,
Allezeit die Treue wahrte;
Weiß nur, daß, als vor vier Tagen
Kaspar Rust und ich am Burgthor
Standen und um Hilfe baten
Für das todbedrohte Calwa,
Adelbert sich nicht besonnen;
Weiß nur, daß er tapfer eingriff.
Hütten ließ am Berg er bauen,
Neue Brunnen ließ er graben,
Seine Rosse spannte selbst er
An die Wagen unsrer Toten;
Aber eine Bulle schickt' er
Nicht; das ließ er Hirsaus Pfaffen.
Recht so, recht, – der beste Staufer
Tot, ermordet; seine Freunde
In dem Bann, und seines Volkes
Größter Teil der Pest zum Opfer!
Schöne Zeit für Strolch und Pfaffe!«
Berthold kommt in Wut: »Ich sag' Euch,
Herr, Ihr seid mir lieb geworden
Wie ein Bruder; doch die Kutte,
Die Ihr tragt, regt mir das Blut auf.
Herr, noch ist es Zeit, ich rat' Euch:
Reißt die Kutte ab, Ihr taugt nicht,
Seht, ich weiß es allzu sicher!«
Krafto schaut mit großen Augen
Auf den treuen Freund von ehdem.
Ist denn alles heut' verschworen,
Ihm sein Kleid zur Last zu machen?
Sind von außen und von innen
Alle Stimmen denn zu lautem
Warnen heute wach geworden?
Leis entgegnet er dem Freunde:
»Was der Abt gefehlt, Ihr müsset
Nicht uns alle dessen zeihen.
Sagt noch Eins mir: Wenn die Kutte
Ihr dem Freund nicht wollet lassen,
Warum duldet Ihr, daß Trude,
Euer Schwesterlein, sie nehme?«
Berthold seufzt: »Habt Ihr das Mägdlein
Angeschaut, seit sie an Weihnacht
Krank lag an dem schweren Fieber?
Hättet Ihr den Mut, ihr etwas,
Was so dringend sie begehret
Und so krankhaft, abzuschlagen?
Und dann: Trude ist kein Sponheim,
Und der Rochusberg kein Hirsau.
Trude ist ein kränklich Dirnlein,
Und in jenes Klosters Mauern
Wohnet Frömmigkeit und Frieden,
Also wundert Euch nicht länger!«
Ehe Krafto jetzt entgegnet,
Tritt durchs Hofthor Klausner Simon.
Schnell kennt er den Freund, den jungen,
Doch die Not der Zeit bannt alle
Freude aus des Alten Zügen.
Auf den andern tritt er eilig
Zu: »Sie haben ihn gebannet
Eben in der neuen Kirche,
Und er liegt in schwerer Krankheit.«
Nach der Burg hin winkt er flüchtig.
Bitter lächelt Berthold Trautwein:
»Laßt sie machen! Seht, ein Fluch ist's,
Den ein Menschenmund gesprochen,
Und da er in Menschenherzen
Keinen Wiederhall wird finden,
Ist er in der Luft verflogen.
Gott denkt nicht wie Pfaffen denken.«
Simon nickt und tritt zu Krafto:
»Junger Freund, seid Ihr gekommen,
Um zu fluchen mit den andern?
Oder wollet Ihr den Notschrei
Eurer Nebenmenschen hören
Und dem schweren Elend steuern?«
Wieder fühlet der Novize
Scham und Schmerz: »Wollt Ihr mir zeigen,
Wo ich helfen kann, so schickt mich
Hin und prüfet mich noch heute,
Ob Ihr Euch getäuscht in Sponheim.«
Ohne weiter zu verhandeln,
Faßt ihn Simon da am Arme
Und zieht rasch ihn aus dem Hofthor.
Trautwein aber geht zum Schuppen
Und trägt stumm und ernst zusammen,
Was die Not der Zeit erfordert.
Auf dem steilen, heißen Burgweg
Schreitet eilig eine große
Graue Frau empor zum Schloß.
Durch des Schleiers dicht Gewebe
Sieht man nichts von ihren Zügen,
Nur bisweilen, wenn sie stillsteht
Und die Rechte auf das Herz preßt,
Höret man ihr schweres Atmen.
Bald steht sie am großen Burgthor.
Eh' sie klopft, thut ihr der Thorwart
Auf, ein Mann mit gramerfüllten
Zügen und ergrautem Haupthaar.
Tief neigt er vor der Beguine
Sich, und wie Erleichtrung geht es
Durch sein Antlitz, als sie eintritt.
Und die graue Frau, sie danket
Und gedenkt des Tags im Spätherbst.
Da mit ihrem Kind im Arme
Sie durch dieses gleiche Thor ging, –
Ehrlos, heimatlos, verachtet!
Und derselbe Mann am Thore
Lachte frech und spuckte seitwärts.
Durch den Hof geht die Beguine
O, sie kennet noch die Wege:
Dort am Brunnen war der Anfang,
Dort gab er ihr jenes Kettlein,
Und sie gab ihm ihre Liebe.
Fort, vorbei! Sie steigt die schmale
Treppe aufwärts nach der Kammer,
Wo der Graf in jenen Tagen
Gerne sah ins Thal hinunter.
Noch fehlt an der schweren Thüre
Jener Zahn am Löwenkopfe,
Den der kleine Gottfried wegschlug –
Alles, alles ist geblieben,
Wie es war, nur ist es stille
Heute, öd' und ausgestorben.
Wieder leget die Beguine
Ihre Hand aufs Herz und lehnt sich,
Als verließen sie die Kräfte,
An die Wand des schmalen Ganges.
Lautlos tritt sie jetzt zur Thüre,
Lautlos drückt sie auf die Klinke
Und mit jenem leisen Knarren
Wie dereinst dreht sich die Angel.
Und die graue Frau steht drinnen
Im verdunkelten Gemach.
Langsam schlägt sie ihren Schleier
Vom Gesicht. Sie kennt den dumpfen
Laut, der an ihr Ohr schlägt; kennet
Auch die Luft, die sie umwehet,
Weiß, daß sie den grausen Tod birgt.
Zu dem Laden tritt sie, stößt ihn
Auf, daß breit ein Strahl der Sonne
Einströmt ins Gemach, dann geht sie
An das Lager, drauf im Fieber
Einsam liegt der Graf von Calwa.
Wortlos blicket die Beguine
In das schmerzverzerrte Antlitz,
Wortlos beugt sie dann sich nieder,
Sinkt ins Knie und zieht des Kranken
Heißen Kopf in ihre Arme.
Und so liegt er. Viele Jahre
Rauschten hin, seit diese Arme
An des Grafen Hals gehangen.
Und von diesen Armen träumte
Oft der Mann in heißer Sehnsucht.
Heute ruht er drauf, bewußtlos,
Pestkrank, elend, bannbeladen.
Regungslos kniet die Beguine,
Ihre blassen, schönen Züge
Spiegeln wieder, was die Seele
Füllt an großer, treuer Liebe,
An verzweiflungsvollem Jammer
Um die Qual des Ausgestoß'nen.
Wohl weiß sie, daß der, der unten
In der Kirche las die Bulle
Ist ihr Sohn, ist jener Knabe,
Den sie Gott geweiht, daß er einst
Seiner Eltern Sünde tilge.
Mechthild kannte diese Züge,
Diese dunkeln Augen wieder,
Die sie oft mit heißen Küssen
Hat bedeckt vor vielen Jahren,
Und entbrannt war ihr das Herze
Nach dem hagern Mönch, dem bleichen
Doch da hörte sie die Worte
Bösen Fluchs aus seinem Munde.
Statt der Eltern Schuld zu sühnen,
Rief Verdammnis er herunter.
Und da war es der Beguine,
Als hab' sie den Sohn verloren,
Und sie eilte aus der Kirche
Zum Gebannten, zum Verfluchten.
Sanft legt sie den Kopf des Kranken
Jetzt zurück aufs weiche Lager,
Deutlich in dem heißen Antlitz
Zucken schon die ersten Krämpfe,
Die das nahe Ende künden.
Kühlen Trank mischt sie im Becher,
Knieet wieder an das Lager,
Flößt mit zarter Muttersorgfalt
Tropfen auf die heiße Zunge.
Und dann drückt sie den entstellten
Kopf an ihre Brust und murmelt:
»Schlafe, schlafe, Süßer, Lieber!
Mechthild wacht, Mechthild ist bei dir!
Mechthild segnet, wenn sie fluchen,
Mechthild läßt dich nicht allein!«
Leise pocht's jetzt an die Thüre.
Mechthild rührt sich nicht vom Boden.
Wieder klingt das leise Pochen;
Dann tritt jemand in die Kammer.
Die Beguine schaut nicht rückwärts,
All ihr Denken gilt dem Liebsten,
Da tönt's leise von der Thüre:
»Mutter!« und dann nochmals »Mutter!«
In des Weibes bleiches Antlitz
Steiget blutrot eine Welle.
Langsam, scheu dreht sie den Kopf jetzt.
An der Thüre stehet Ignaz.
Noch einmal legt da des Kranken
Kopf Mechthild aus ihren Armen,
Und mit vorgestreckten Händen
Steht sie auf, als woll' dem Mönche
Sie den Zutritt hier verwehren.
»Gehe!« spricht sie, schluchzend, heiser,
»Gehe, laß ihn ruhig sterben
Und behalte deinen Bannstrahl,
Hier ist niemand, der ihn höre.
Gehe Mönch, – er ist dein Vater!«
Ignaz gehet nicht; er blicket
Brennend in des Weibes Züge.
Ja, er hat, er hat sie wieder,
Die ihn erstes Beten lehrte.
»Mutter!« ruft der Mönch noch einmal,
Und der ganze Durst nach Frieden
Liegt in diesem kurzen Wort.
Mechthild höret, doch versteht nicht.
Wieder hebet ihre Hand sie:
»Heut' ist mir mein Sohn gestorben,
Als er seinem Vater fluchte,
Wär' es auch im Namen Roms.
O, ihr Heuchler in der Kutte,
Die ihr Gottes Knechte heißet,
Und den eignen Herrn nicht kennet!
Haß ist Euer Gott und Selbstsucht,
Und der meine ist die Liebe.
Nichts hab' ich mit dir zu schaffen,
Mönch von Hirsau, denn wir beide
Haben nicht den gleichen Gott mehr.«
Aechzend hebt der Graf den Kopf jetzt.
Ohne nach dem Mönch zu schauen
Beugt das Weib sich auf den Kranken.
Und sie flüstert: »Du und ich, wir
Haben Einen Gott und dürfen
Bald ihm in sein Antlitz schauen.«
Da tritt an des Bettes Fußend'
Ignaz, und er hält die Rolle,
Drauf der Bannfluch steht, in Händen.
Und er reißt sie auseinander,
Wirft die Stücke auf das Lager,
Kniet dann hin und flüstert: »Mutter,
Laß mir Teil an eurem Gotte!«
Wortlos bleibt das Weib, sie siehet
Nur auf das gequälte Antlitz
Des Geliebten. Doch da glätten
Sich die krampfverzerrten Züge:
Groß und klar schlägt er die Augen
Auf zum hellen Licht der Sonne
Und geht lächelnd nun hinüber.
An dem Totenlager stehen
Lang der Mönch und die Beguine.
Langsam quillen jetzt die Thränen
Dieser aus den heißen Augen,
Rollen schwer am grauen Schleier
Nieder auf die Hand des Toten.
Weit zurück geht beider Denken:
Ignaz sieht als jungen Knaben
Sich in dieser Burg ein andres
Dumpfes Sterbgemach betreten,
Sieht ein Weib dort einsam liegen,
Sieht sich selbst den Epheu brechen
Von der Mauer, sie zu schmücken.
Mechthild aber sieht die Linde
Blühn in einem fernen Maien,
Hört der Liebe süßes Flüstern,
Fühlt das kühle Silberkettlein
Wieder auf dem bloßen Nacken.
Hastig drückt sie ihren Schleier
Auf die Augen, wischt die Thränen
Von der Hand des Langgeliebten,
Und das blasse, schmerzverzogne
Antlitz auf den Mönch gerichtet
Spricht sie: »Laß uns ihn begraben!
Nicht in ungeweihter Erde
Soll er ruhen trotz dem Bannstrahl.
Komm, ich weiß ein gutes Plätzchen,
Komm und sprich du einen Segen,
Damit niemand möge sagen,
Daß ein Adelbert, Graf Calwa
Ohne Priester sei gestorben,
Ohne Priester auch begraben.«
In das Mauergärtlein gehen
Still die zwei. Schon steht die Sonne
Nah am Berg im fernen Westen.
Mechthild greifet einen Spaten
Der am Turme lehnt, und alsbald
Fängt sie an, ein Grab zu graben.
»Geh an's Thor und hole Knechte!«
Ignaz geht, da bückt das Weib sich
Rasch und scheu auf etwas nieder,
Und nimmt zitternd aus der Erde
Jenes kleine Silberkettlein,
Das sie damals, eh' sie fortging,
An der Linde eingegraben.
Weg stellt sie jetzt ihren Spaten,
Birgt das Kettlein an dem Busen
Und sie flüstert: »Wohlgeweihet
Ist die Erde deines Grabes,
Liebster, kannst hier ruhig schlafen.«
Jener Thorwart kommt mit Ignaz
Und noch zwei erschreckte Knechte,
Denen man das Grauen ansieht.
Diese dreie graben eilig
An dem Grab, wie Mönch und Nonne
Sie geheißen, und die Grube
Ist bald tief genug geworden.
Ignaz tritt herzu und weihet
Die so schmale, dunkle Kammer.
Schweigend gehen alle fünf dann
Wieder in das Sterbezimmer,
Mechthild reißt von ihrem Schleier
Rasch ein Stück und deckt des Toten
Angesicht, dann hüllt sie sorglich
In das Linnen, drauf sie ruhen,
Die gar schnell erstarrten Glieder.
Mit den Kissen und den Decken
Tragen ungesäumt die Knechte
Ihren Herrn zum letzten Lager.
Schmucklos, klanglos, ohne Ehren
Sinkt er ein, wie es der Krankheit
Graus und Schrecken eben mitbringt.
Eilig zu den Schaufeln greifen
Dann die Knechte, daß die Erde
Bald den Pestgestorbnen decke;
Aber Mechthild wehrt es ihnen
Und schickt weg die Angsterfüllten.
Stumm reißt sie mit beiden Händen
Epheuranken von der Mauer,
Lindenzweige, bunte Malven
Rafft sie mitleidslos zusammen,
Streut es auf den lieben Toten,
Bis er ganz in Grün geborgen.
Alsdann nimmt sie selbst die Schaufel,
Giebt dem Sohne eine zweite,
Und den Mann, dem Romas Bannstrahl
Nicht geweihte Erde gönnte,
Decken langsam jetzt die Schollen,
Deren jede einen heißen
Gruß der Liebe nimmt hinunter.
Aufgefüllt ist nun der Hügel.
Mechthild lehnt sich an die Linde,
Faltet betend ihre Hände
Und nimmt stillen, letzten Abschied.
Dann tritt sie zum Sohn und faßt ihn
An der Hand, der schmalen, kühlen:
»Noch bist du mein Kind, mein Knabe;
Lebe wohl! Ich muß nun wieder
Dahin, wo mein Kleid mich hinweist.
Für die Welt sind wir geschieden;
Aber geh den Weg, mein Knabe,
Den dir deine Mutter zeiget,
Dann am gleichen, guten Ziele
Treffen wir dereinst zusammen:
Ob ihr drunten auch im Kloster
Redetet mit Engelszungen
Und der Liebe drob vergäßet,
Wäret ihr ein tönend Erz nur,
Eine Schelle, die erklinget.
Ob ihr weissagt, prophezeiet,
Die Erkenntnis dieser Erde
Und geheime Dinge wisset,
Ob ihr eines Glaubens voll seid,
Der die Berge mag versetzen
Und der Liebe doch entbehret,
Seid ihr nichts in Gottes Augen.
Ob der Armen ihr gedenket
Und den Leib mit Feuer brennet,
Und dabei der Liebe mangelt,
Ist euch alles dies nichts nütze!«
Ignaz steht verstummt; er lauschet
Gierig diesem Wort der Mutter,
Fremd dem Ohr, das Litaneien,
Messen, Psalmen, Hymnen hörte.
Ist's ein neuer Gott, den dieses
Weib ihm zeigt, und ihrer Seele
Starke Ruhe quillt sie nieder
Aus des neuen Gottes Wesen?
Giebt's da keine Schuld zu büßen?
Keinen schweren Fluch zu tragen?
Kein Verhängnis, kein Verderben?
Auf die Knie sinkt er, bittet:
»Segne mich zu neuem Leben!«
Und als er die Mutterhände
Fühlt auf der geschornen Platte,
Wird ihm leichter, als zu Rom einst,
Da ihn Innocenz gesegnet.
Mechthild geht. Ihr starkes Herze,
Das so manchen Schmerz bezwungen,
Kämpft auch diesen Jammer nieder.
Ignaz aber, dem der Mutter
Wort und That die Seele weit macht,
Ruft die Knechte jetzt zusammen.
Alles, was noch an Gesinde
Auf der Burg – nicht viele sind es –
Läßt er kommen, um dem Toten
Amt und Seelenmess zu halten.
Wo dereinst so manches tolle
Trinkgelage ward gefeiert,
Stehen die verstörten Männer,
Und entfernt im Hintergrunde
Knieet zitternd Gräfin Agnes.
Nicht das Grauen vor der Krankheit
Hielt allein sie fern vom Oheim.
Lang saß sie an seinem Lager;
Als er aber immer wieder
Rief: »Geh weg, geh weg, Cuniza!
Sei verflucht, Fluch meines Lebens!«
Da war sie entsetzt geflohen,
Und, als erst die Herrin wegging,
Folgten voller Angst die Mägde,
Also, daß der Gras von Calwa
Einsam lag in seiner Kammer.
In der kleinen Kemenate
Stand die Gräfin an der Luke,
Als man ihren toten Oheim
Trug zu seiner letzten Ruhe.
Schmerzverloren, bebend blieb sie
Im Gemach, bis es vorbei war.
Erst, da sie der alte Thorwart
Zu der Messe kam zu laden,
Folgte sie mit müden Schritten.
Tot ist Adelbert von Calwa,
Eingescharrt in Hast und Schrecken,
Nur dem hagern, bleichen Priester
An der Tafel unterm Ende
Scheint es, daß der tote Vater
Doch ein selig End' gefunden
Und ein königlich Begräbnis.
Lächelnd fast legt er die Hände
Um sein Kruzifix zusammen:
Ohne Meßbuch, ohne Stola,
Ohne Sterbgesang der Brüder
Fängt er leise an zu beten.
Schüchtern fließen erst die milden,
Ungewohnten, weichen Worte
Von dem Mund des Mönchs, der seitdem
Düster, kalt Latein gelesen,
Von dem Mund, der noch am Morgen
Las des Papstes Anathema
Aber bald schon klingt es lauter,
Voller Zuversicht, voll Frieden,
Voll des Geists der tiefen Liebe,
Wie ihn die Beguine lehrte.
Mit befreiter Seele betet
Ignaz, als hab' er nach langer,
Wüster Irrfahrt endlich einen
Lichtstrahl von daheim gesehen.
Alle wundern sich des Mönches,
Der so bleich und düster aussieht
Und so warm und friedvoll betet.
Ignaz schweigt. Kein Weihrauch duftet,
Und kein Requiem erklinget,
Doch dem toten Grafen Calwa
Ward ein würdig Amt gehalten.
Langsam, wie im Traum versunken
Geht der Mönch hinab den Burgweg.
Leises Lächeln spielt um seine
Bleichen Züge: er gedenket,
Daß wie Bileam er wurde
Ausgesandt, dem Feind zu fluchen,
Und nun hat er heiß gesegnet,
Hat das Grab des Bannbeladnen
Fromm geweiht, hat Liebesworte
Nur gesprochen. Und der Engel,
Der ihm solches hat gewiesen,
War ein Weib, – war seine Mutter. |