Auguste Supper
Der Mönch von Hirsau
Auguste Supper

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An desselben Tages Abend
Steigen seit so vielen Wochen
Erste Wolken auf im Westen.
Kühl und labend zieht ein Lufthauch
Durch die ausgeglühten Thäler,
Und zur Vespertina fängt es
Leise, langsam an zu regnen.
Im gewölbten, wohlgezierten
Abtsgemach geht ruhlos Marquard
Auf und nieder. Seine Linke
Hält ein Pergament, und mit der
Rechten fährt er oft, als müsse
Schweiß er von der Stirne trocknen,
Oder die Gedanken scheuchen,
Die ihn quälen, nach dem Kopf.
Halblaut murmelt er: »Ich werde
Ihm die volle Wahrheit sagen.
Ja, wie heißt es doch? Die Wahrheit
Macht euch frei! Wohlan so soll sie
Ihn von ungeliebtem Kleide,
Mich von einer Schuld befreien,
Denn von nun an wird Abt Marquard
Ohne Falsch und ohne Lüge
Seinen Stab zu Hirsau tragen.«
Aus der Kutte ziehet er jetzt
Eine kleine Silberpfeife,
Und ihr heller Klang ruft eilig 209
Einen Bruder her, den heißt er
Den Novizen Sponheim holen.

Krafto tritt mit tiefem Neigen
Seine Hände in den Aermeln,
Vor den Abt und wartet schweigend.
Marquard atmet tief, sein Antlitz
Färbt sich dunkler, und fast stechend
Wird der Blick der grauen Augen.
»Krafto, Graf von Sponheim,« fängt er
An jetzt, mit erregter Stimme:
»Wichtiges will ich Euch heute
Hier erzählen, merkt auf alles!«
Krafto blicket auf; es trifft ihn
Seltsam, daß der Abt nicht Du sagt,
Wie er that, seitdem die Kutte
Er gereicht dem jungen Grafen.
Marquard fährt mit weggewandtem
Antlitz fort: »Es währte lange,
Bis ich endlich mich dahingab
In die Zucht des ew'gen Gottes.
Doch ich weiß, es ist auch heute
Nicht zu spät; noch ist es heller
Tag für mich, noch kann ich wirken,
Kann noch sühnen, kann noch büßen.«
Laut, fast heftig hat geklungen,
Was er sprach, als woll' beschwörend
Er es in die Zukunft rufen.
Ahnet er, und will er bannen,
Was kein kurzes Jahr mehr wartet?
Seinen Gang durchs Zimmer nimmt er
Wieder auf, fährt leiser fort jetzt:
»Keinen Tag will ich verlieren;
Hört denn, Herr, die reine Wahrheit:
Seit der Stunde, da Ihr einspracht
Hier zu Hirsau, war mein Vorsatz, 210
Euch hier sicher festzuhalten.
Doch nicht um das Heil der Seele
War es mir zu thun: der Name
Sponheim war von hellem Klange,
Und von hellem Klang die Gulden,
Die die Sponheim vielen Klöstern
Schon geschenkt in frommer Milde.
Euer Gold und Euer Name
War der Mühe wert für Marquard.«
Krafto fähret auf, doch Marquard
Spricht nur lauter jetzt und schneller:
»Wißt Ihr noch den Brand an Weinacht?
Voller Arg hab' ich gedeutet,
Wie die schlimme Gier mir eingab.
Euer Vater starb. Graf Heinrich
Rief Euch ab und nahm die Hoffnung
Mir, die ich auf Euern Beutel,
Wie auf Euern Namen setzte.
Schnell zerstob da aller Eifer,
Euch zu halten, und so manches
Hab' ich Euch befohlen, hoffend,
Daß es Euch die Kutte gänzlich
Mög' entleiden, denn Ihr waret
Mir mit Euern klaren Augen
Unbequem, wie der, den heute
Wir hinabgesenkt, und welcher
Der Gerechteste und Frömmste
War zu Hirsau!« Marquard stöhnet
Und fährt fort: »Gott weiß zu wecken
Die auch, die im tiefsten Taumel
Liegen und sich selbst verloren.
Und er weckte mich; und heute
Steh' ich hier und thue Buße
Auch vor Euch, Graf Krafto Sponheim.«
Zuckend Lächeln irrt durch seine
Züge, und hoch aufgerichtet
Bleibt er stehen: »Einstmals hieß ich 211
Graf von Sonnenberg, der Kluge
Und der Stolze. Heute bin ich
Wieder klug: ich mach' die Rechnung
Ab mit Gott, den ich betrogen
Um sein Pfund, und stolz bin heute
Ich auf den, den wir begruben,
Denn er war ein Mönch zu Hirsau,
Und ich war sein Abt, für den er
Hat gesorgt, gebangt, gebetet.«
Marquard schweigt; auch Krafto stehet
Stumm und bleich; man hört nur leise
Drauß im Hof den Regen plätschern
Und das Klappern der Sandalen
Auf den Fliesen, denn der Abt geht
Wieder auf und ab und blicket
Vor sich hin, wie traumversunken.
Plötzlich tritt er her zu Krafto,
Und er reicht das Pergament ihm:
»Nehmt und lest, es ist von Bruno
Eurem Oheim, der von Würzburg
Es gesandt. Er ist befreit jetzt,
Denn der Staufer, der ihn festhielt,
Fiel durch meuchlerische Hände.
Wenig Wochen, und er sitzet
Wieder auf dem Stuhl von Köln, und,
So ich seine Liebe sehe,
Die für Euch er scheint zu hegen,
So will es mich fast bedünken,
Als sei Euer Platz bei Bruno.«
Dringlich fährt er fort: »O, denket,
Daß zu meiner Buße dieses
Auch gehört, daß ich Euch sage:
Unwert und nicht fähig war ich,
Euch mein Kloster zu der Heimstatt
Gottgeweihter Ruh' zu machen.
Gehet hin und sagt dem Oheim,
Wie er nicht in gute Obhut 212
Gab den Neffen, den geliebten.
Sagt ihm alles: Euer Grübeln,
Euer Zweifeln, Euer Bangen,
Das Abt Marquard nur erhöhte!
Sagt es ihm; doch dann am Ende
Sagt ihm auch, wie Marquard büße,
Büße mit zerknirschtem Herzen.
Und Euch, Krafto, Euch geleite
Gott der Herr und gebe gnädig,
Daß Ihr seinen Wink und Willen
Seht und thut, eh' Ihr die Rute
Fühlen müßt auf wundem Rücken,
Wie jetzt Marquard, der fünf Monde
Euer Abt war.« Hastig kehrt sich
Marquard nun zur Thür, und ehe
Der Novize noch entgegnet,
Ist er schon im Gang verschwunden.
Krafto stehet stumm, erschüttert.
Unwillkürlich streckt die Hände
Er zur Thür, und durch die Seele
Schleicht ihm heiß ein Strom des Mitleids,
Denn er ahnt, was diese Stunde
War für Marquard, Abt von Hirsau.

Auch durchs waldige Thal von Calwa
Streicht erlösend frischer Lufthauch.
Scheu in ihre dunkle Heimat
Flieht die Pest, nur einzeln streckt sie
Noch ein armes Opfer nieder.
Als der Letzte, den sie hinrafft
Stirbt des Trautwein Freund, der stille
Rust, der stark und stumm sein Grämen
Ueber all der Not vergessen
Und mit nimmermüden Händen
Allerorts geholfen hatte.
Trautwein stand am Sterbelager 213
Mit dem greisen Klausner Simon,
Und in diese treuen Herzen
Senkte der dem Tod Geweihte
Stöhnend noch sein Leid. Das Fieber
Riß das Siegel von den Lippen,
Und die herbe Qual er sprach sie
Ohne Rückhalt sich vom Herzen,
Ging dann ruhig und verzeihend
Still, wie er gelebt, hinüber.
Es verglimmt das letzte Feuer
In den Gassen, und die Frauen
Vom Beguinenhaus zu Altburg
Gehen lautlos heim und nehmen
Ihr einförmig stilles Leben
Wieder auf im niedern Steinhaus.
Auch die Größte unter ihnen
Nimmt die Nadel, die sie emsig
Führte all die langen Jahre,
Still zur Hand und näht wie bisher
An den dunkeln Kutten Hirsaus.
Stich reiht sich an Stich, und niemand
Weiß, was alles sie hineinnäht.
Niemand sagt ihr, daß ihr Knabe
Schläft vor dem Altar Sankt Josephs.
Doch, ob sie es wüßte, ruhig
Blieb' ihr Geist dorthin gerichtet,
Wo der Liebe Quell entspringt.

Berthold Trautwein steht im Erker
Und blickt träumend in den Garten.
Was an Kaspars Sterbelager
Er gehört, es geht ihm seitdem
Immer wieder durch den Sinn.
Dieses also war die lange,
Schwere Last, die still die Schwester
Mit sich schleppte? – Arme Trude! 214
Doch mit aller seiner Sorgfalt
Kann der Bruder hier nicht helfen.
Fast im Unmut schüttelt Trautwein
Jetzt den Kopf, denn zum Ertragen
Und zum thatenlosen Zusehn
Fühlet er sich nicht geschaffen.
Er sinnt nach, geht dann entschlossen
Nach der Thür und rufet Trude,
Und bald schreiten die Geschwister
Durch den Garten und hinunter
In den Hof, wo noch die Wagen
Vollgepackt zur Reise stehen.
Auf den Stumpf der Linde heißt er
Trude jetzt sich niedersetzen;
Alsdann holt er ihr die Tafel,
Geht geschäftig nach dem Schuppen,
Um die Ballen nachzuzählen,
Die verstaubt hier innen lagern.
Trude muß jetzt mit dem Stifte
In das weiche Wachs der Tafel
Viele tiefe Striche machen.
Stumm gehorcht die Maid, doch langsam
Fallen ihr die schweren Thränen
In den Schoß: sie weiß, daß kürzlich
Rust noch half dem Freunde zählen.
Berthold mühet sich, dies bittre,
Stille Weinen nicht zu sehen.
Doch nicht lange währt's, da kommt ihm
Die Erkenntnis, daß nicht jedes
Leid durch Arbeit ist zu bannen.
Seufzend wischt er von der Stirne
Sich den Schweiß und läßt für heute
Es genug sein. Müßig setzt er
Sich zur Schwester auf den Baumstumpf.
Lange schweigen sie, dann fänget
Trautwein an, von der verschobnen
Reise an den Rhein zu sprechen, 215
Die zum Rochusberg soll Trude
Und nach Sponheim Margret bringen.
Rot und Blässe jagt da jählings
Sich auf Trudes Stirn; sie strecket
Wie zur Abwehr vor die Hände.
Plötzlich nimmt des Bruders Rechte
Sie in ihre beiden Hände,
Und erstickt fast klingt's: »O Berthold,
Laß dir alles, alles sagen!«
Auf den Boden sinkt sie nieder,
Birgt den Kopf an seinen Knieen,
Und sie wälzt der jungen Seele
Langes Leid in Trautweins Brust.
»Berthold, sieh, nach langem Prüfen
Weiß ich, daß ich auch im Kloster
Niemals ihn vergessen könnte,
Und ich will doch neue Sünde
Nimmermehr zur alten fügen.«
Trautwein nimmt den Kopf der Schwester
Wortlos in die treuen Hände,
Und er schaut in bittrem Schmerze
Lange in ihr blaß Gesicht.
Durch das Thor, das nach der Gasse
Offen steht, tritt jetzt der Klausner.
Hustend bückt er sich zu Boden.
Trude springet auf die Füße,
Und voll Ehrfurcht gehet Trautwein
Seinem alten Freund entgegen.
Simon merkt, daß einen Wegwart
Er für selten Kraut gehalten,
Und er richtet sich mit leisem
Lächeln auf, den Freund zu grüßen.
Als säh' er die Thränenspuren
Nicht auf Trudes blassem Antlitz,
Spricht er unbefangen, freundlich
Mit den beiden: Wie nun endlich
Lange Not beginn' zu weichen, 216
Wie die Menschen wieder sollten
Sich des Tages freu'n und ihre
Sorgen auf den Höchsten werfen.
Der Komet, der Unheilbringer,
Sei am Himmel nun verschwunden,
Und nur Friedenssterne zögen
Ihre glanzvoll stille Bahn.
Trautwein schüttelt trüb den Kopf jetzt.
»Blut'ger Weg war's, der dem Reiche
Den ersehnten Frieden brachte.
Blut'ge Saat, aus der wohl schwerlich
Gute Früchte dürften wachsen.«
Simon strecket seine Rechte
Wiederholt dem Freund entgegen,
Schaut ihm schweigend in die Augen,
Und der eine las die Trauer
In des andern feuchten Blicken,
Und der leise Druck der Hände
War die stumme Totenklage.
Simon setzt sich auf den Baumstumpf,
Legt sein volles Kräutersäcklein
Vor sich hin, indem er fortfährt:
»Diesen Morgen hat Abt Marquard
Mir erzählt, daß der Novize
Krafto Sponheim seine Kutte
Niederlege auf des Abtes
Eignen Rat, und daß in kurzem
Er zur Heimat wieder ziehe.«
Trautwein fasset rasch des Alten
Welke Hand; er kann nach allem,
Was die Schwester ihm gebeichtet,
Die Erregung nicht bemeistern.
Simon bückt sich, um sein Säcklein
Aufzunehmen. Er vermeidet,
Trude ins Gesicht zu sehen.
Trautwein reichet er die Hand jetzt,
Und er spricht: »Führt doch die Schwester 217
Viel hinaus ins Grüne, Freie!
Diese lange Zeit des Schreckens
Hat sie bleich und krank gemacht.«
Trautwein reckt sich in die Höhe,
Als besinn' er sich gewaltsam,
Und dann sagt er ruhig: »Bruder,
Ihr habt recht, wir werden folgen.
Morgen schon will ich das Mägdlein
Nach der Klause Simons führen
Dort, wo jedem Leid sein Tränklein
Wächst, wird für mein blasses Dirnlein
Auch das rechte Kraut wohl sprießen.«
Beide Männer lächeln diesmal.
Simon nickt, streicht sanft liebkosend
Ueber Trudes dunkeln Scheitel
Und geht langsam aus dem Thor.

Trude steigt an Bertholds Seite
Wie im Traum die Gasse aufwärts.
Ist's ein Wahn nur, der zerrinnet,
Oder ist es die Erlösung,
Was so leuchtend plötzlich auftaucht?
Des verehrten Klausners Worte
Ueberfluteten mit süßem
Ahnen ihr begierig Herze,
Und zum ersten Male fühlt sie:
Stärker als das längste Grämen,
Und befreiender als jede
Noch so strenge, ernste Buße
Ist die reine, tiefe Minne.
Eine Stunde nachdem Simon
Aus des Trautwein Hof getreten,
Kommt er aus dem Thor von Hirsau.
Etwas spricht aus seinen Augen,
Aus den runzelvollen Zügen,
Was fast schelmisch wär' zu nennen, 218
Wenn nicht ernste Rührung dämpfend
Sich darunter mischen würde.
Leise mit sich selber murmelnd
Steigt er aufwärts durch die Tannen
Seinen abendlichen Pfad.

In dem leergewordnen Calwa
Fängt nach schreckensvollen Wochen
Nun der unterbrochne Pulsschlag
Des gewohnten Treibens wieder
Leise, schüchtern an zu pochen.
Hundertfach nach warmem Regen
Sprossen windverwehte Samen
Drunten auf den frischen Hügeln.
Also muß in jedem Kampfe
Doch das Leben recht behalten.
An dem offnen Fensterladen,
Der den Strom von letztem Lichte
In die traute Stube leitet,
Sitzet einsam, müßig Trude.
Leuchtend schauen ihre feuchten,
Dunkeln Augen gegen Westen,
Wo die Sonne jetzt versinket,
Und die Tannenwipfel nochmals
Hell in goldnem Glanze strahlen.
Sinke nur dort drüben, Sonne!
Morgen kommst du leuchtend wieder!
Ja, die Trude hat vergessen,
Daß es eine Zeit gegeben,
Wo ihr war, als sei und bleibe
Alles nun in Nacht versunken,
Und am Himmel sei die Sonne
Tot, und in dem eignen Herzen
Tot das Glück für alle Zeiten.
Gestern, als am fernen Waldsaum
Letzte Strahlen still versanken, 219
Gestern wandelte wie träumend
Sie an Kraftos Seite heimwärts.
Seines Wamses Pelz, er streifte
Ihre Wange, und die Seide
Knisterte, wenn seine Linke,
Die er fest um ihren Nacken
Hatt' geschlungen, ihren Kopf oft
Stumm und zärtlich an sich drückte. –
Wie es kam? – Sie kann's nicht sagen;
Denn der Männer eifrig Reden
Klang, als vor der Felsenklause
Sie ihn stehen sah, vorüber
An dem Ohr wie Wassersrauschen.
Eins nur weiß sie, daß sie plötzlich
Mit dem Still- und Langgeliebten
War allein im grünen Dickicht.
Farrn- und Brombeerranken nickten
Um sie her, und in den Wipfeln
Rauschte es wie alte Mären.
Aus der feuchten, moosbedeckten
Erde stieg ein Duft, der schwindelnd
Ihre Sinne nahm gefangen,
Da, – wenn man der Hölle Strafen
Drauf gesetzt, – da mußte plötzlich
Schluchzend sie die Hände schlagen
Vors Gesicht, sie konnt's nicht hindern.
Und dann fühlte sie zwei Arme
Sich um ihren Nacken schlingen,
Und dann hörte sie ein heißes,
Sinnbethörend süßes Flüstern.
Und die dunkeln Tannen rauschten
Lauter über ihren Häuptern,
Und der wilden Taube Girren
Klang so zärtlich durch den Wald. – 220

 

 


 


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