Auguste Supper
Der Mönch von Hirsau
Auguste Supper

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Düstre, graue, kalte Nebel
Lagen auf der weiten Ebene,
Lagen auf den niedern Dächern,
Brauten um den Turm des Domes
An dem trüben Tag im Spätherbst,
Da der Abgesandte Hirsaus,
Ignaz, durch das Rheinthor eintrat
In das alte, fromme Speier.
Auf den Straßen herrschte Leben,
Seit die päpstlichen Legaten
Eingekehrt vor wenig Monden.
Boten kamen, Boten gingen.
Ottos Abgesandte trafen
Mit des Gegenkönigs Philipp
Leuten im Palast zusammen.
Heute ist das große Hochamt,
Das die Kardinäle halten,
Und der tapfre Hohenstaufe
Soll vom Bann gelöset werden.
Scheu drängt sich der blasse Mönch dort
Durch das festliche Gewühle.
Endlich, viel gedrückt, gestoßen,
Nähert er sich dem Palaste,
Stehet an der breiten Treppe,
Die in abgetretnen Stufen
Nach dem dunkeln Holzthor führet,
Das mit Schnitzwerk reich bedeckt ist. 81
Ignaz stehet still, es wird ihm
Plötzlich, da er nah am Ziel ist,
Matt und schwach wie nie, und dunkel
Legt es sich um seine Augen.
Mühsam nur hebt er die Füße,
Um die letzten, niedern Stufen
Aufzusteigen; doch da sinkt er
Todesmüd in sich zusammen.
Voller Mitleid strecken viele
Hände sich dem Mönch entgegen,
Da in diesem Augenblicke
Drängen sich zwei ritterliche,
Hohe Männer durch die Menge.
Ihr Gewand, die goldnen Sporen
Künden Rang und Stand und Reichtum.
In der Menge hört man einen
Sagen: »Seht die beiden Vettern:
Vaihingen und Gottfried Calwa!«
Jetzt neigt sich der Größre, Blonde
Zu dem Mönch, dann führen beide
Den Ermatteten zur Thür.

Früher Abend senkt sich nieder
Auf die Stadt, die still jetzt daliegt,
Da das festliche Gewühle
Mit dem kurzen Tag verflogen.
Im Palast, im kleinen Remter,
Das vor einer schwachen Stunde
Noch die auserlesnen Gäste
Samt dem König Philipp selbst sah,
Steht der ältre der Legaten,
Hugolin, des Papstes Vetter,
Schweigend am Kamin und horchet,
Seine wohlgepflegte, schmale
Hand dabei genau betrachtend,
Auf die Worte, die mit leiser 82
Stimme Leo von St. Croce,
Der Genosse seiner Sendung,
Voller Eifer eben vorbringt.
»Wieder,« spricht er, »liegt ein Fall vor,
Dessen glückliche Entscheidung
Uns bringt schlimmes Kopfzerbrechen.
Wahrlich, diese Deutschen machen
Warm uns, und der heil'ge Vater
Sandte uns in schöne Wirrnis.
Wenn die Söhne Benedikti
Ueber diesen Grafen Calwa
Klagen, ist mir das begreiflich,
Doch daß wir, die wir gesandt sind,
Innocenz und Staufer endlich
Zu versöhnen, diese Klagen
Gegen Philipps Freund und Helfer
Sollen hören und des Klosters
Widersacher dann bestrafen, –
Solches ist mir unbegreiflich,
Und der blasse Bruder Ignaz,
Der ein tadellos Latein spricht
Mit der Würde deutscher Mönche,
Die in besten Exemplaren
Man von weit und breit uns zuschickt, –
Dieser Ignaz scheint der Mann mir,
Der sich nicht mit schönen Worten
Läßt vertrösten, sondern klares,
Knappes Urteil von uns fordert.«
Hugolin verzieht die Miene,
Als hab' er ein Schlückchen Essig
Eben in den Mund bekommen;
Denn auch ihm steht es vor Augen,
Wie der hagre Mönch von Hirsau
Heute Mittag nach dem Hochamt
Dringend um Gehör ließ bitten;
Wie er dann sein schöngeschriebnes
Pergament zog aus der Kutte 83
Und es auf Geheiß von Leo
Langsam selbst begann zu lesen.
Viel stand da von schlimmer Unthat,
Die der Calwa frech begangen,
Und der Mönch las es mit leiser,
Monotoner Stimme beiden
Kardinälen vor, dann that er
Einen tiefen Atemzug noch,
Rollte stumm sein Blatt zusammen
Und sah fragend auf die Herren.
Hugolin, der sich entsinnet,
Daß die Calwa Philipps Freunde,
Wendet sich zum Mönch mit Salbung:
»Schlimme Zeit liegt hinter Deutschland,
Hirsaus Abt muß sich getrösten,
Daß, wohin er auch mag blicken,
Gleiche Greuel, gleiche Lasten
Auf die frommen Stätten drücken.
Seine Heiligkeit und mit ihm
Alle gutgesinnten Christen
Hoffen, daß jetzt Friede werde.
Sagt dem Abte, daß am Elend,
Das der schlimme Krieg gebracht hat,
Jeder mußte seinen Anteil
Tragen, auch ein Abt von Hirsau.«
Wie ein schattenhaftes Lächeln
Gleitet es bei diesen Worten
Hugolins um Ignaz' Lippen.
Leo von St. Croce sieht es
Und streicht langsam mit der Rechten
Auf des Tisches Marmorplatte
Unsichtbaren Staub zusammen,
Und er wendet sich zum Mönche:
»Glaubt mir, frommer Bruder: was Euch
Eben Eminenz gesagt hat,
Ist der Rat, der frommem Christen
Ebenso wie klugem Manne 84
Ansteht in des Klosters Sache.
Wahrlich, in der Zeit der Zwietracht,
Wie die ist, darin wir leben,
Muß gar oft das Recht zurückstehn
Und Gewaltthat hat den Sieg.
Nicht umsonst steht es geschrieben:
›Schickt euch in die Zeit, denn es ist
Böse Zeit!‹ Harrt aus geduldig.
Besser ist es, Unrecht leiden,
Als ein Unrecht thun. Dies müssen
Sonderlich die Klosterleute
Denken, da sie doch das Leben
Nicht mehr diesem Erdendasein,
Sondern ihrem Gotte weihn.
Darum stellet Eure Drangsal
Gott anheim, er wird sie wenden,
Wenn die rechte Zeit gekommen.«
Ignaz hebt die dunkeln Augen
Und blickt auf die Kardinäle:
»So es mir gestattet wäre,
Möchte ich etwas erzählen,
Das die Seele mir bedrücket.«
Hugolin und Leo nicken.
Ignaz streicht die bleiche Stirne
Und beginnt als wie im Traume:
»Einst war eine fromme Mutter,
Die den einz'gen Sohn, den jungen,
Jeden Morgen, jeden Abend
Auf das Knie hieß niedersinken
Und mit Inbrunst also beten:
»Ewiger, du Gott der Liebe,
Der du um der Liebe willen
Magdalenen einst verziehen,
Als sie dir zu Füßen weinte,
Ew'ger Gott verzeih die Schulden!
Segne meinen lieben Vater,
Herr, aus deiner Segensfülle.« 85
Dies Gebet sprach jener Knabe,
Als er kaum das erste Lallen
Frühster Kindheit überwunden.
Und er sprach durch viele Jahre
Jeden Morgen, jeden Abend
Die ihm dunkeln, gleichen Worte.
Sonnig zog ein Maienmorgen
Auf, da führte still und langsam
An ein Klosterthor die Mutter
Jenen Knaben, dessen junge
Glieder eine Kutte deckte,
Von der Treuen selbst verfertigt.
Auf that sich das Thor. Die Mutter
Durfte als ein Weib die Schwelle
Nicht betreten, und der Pförtner
Holte rasch den Abt, den alten.
Lang sprach sie mit ihm; der Knabe
Lief indessen einem Falter
Nach, der sich der Sonne freute.
Endlich rief das Weib dem Buben
Und sie nahm ihn in die guten,
Starken, treuen Mutterarme,
Und sie drückte heiß ihn an sich.
Mit dem Kind im Arme sank sie
Schluchzend in den Staub der Straße,
Um zum letztenmal zu beten:
»Segne Gott des Kindes Leben,
Daß der Eltern schwere Sünde
Es aus deinem Buche streiche!«
Dann schloß sich des Klosters Pforte
Hinter jenem kleinen Knaben.
Draußen stand das Weib jetzt einsam,
Und der Falter flog im Sonnschein
Hin und freute sich der Freiheit.
Oft und lange weint der Knabe
Noch um die verlorne Mutter;
Doch das Chorhemd, das der Abt ihm 86
Mild versprach, das helle Glöckchen,
Das er wie die andern Knaben
Bald bekam, um bei der heil'gen
Messe frommen Dienst zu leisten, –
Strenges Lernen, Fasten, Beten,
Und der Tage rastlos Gehen
Rückten endlich doch der Mutter
Bild in graue, trübe Ferne.
Aus dem Knaben ward ein Jüngling,
Der voll frommer, heil'ger Inbrunst
Sich dem Kloster wollte weihen.
Und der Eifer um dies Kloster
Fraß an ihm, so daß, als er einst
Hörte, wie ein Feind von außen
Hart und gierig es bedrohte,
Er in jeglichem Gebete
Jenes Feindes grimmig dachte
Und zu Gott rief, daß er jenen
Strafen möge als gerechter
Richter aller Schuld auf Erden.
Dies Gebet, er sprach es lange
Jeden Morgen, jeden Abend
Und zu jeder frommen Hore,
Und es quoll aus einem Herzen,
Das nicht schlimmer Rachsucht voll war,
Nur nach gutem Recht verlangte.
Jahre gingen. Jener Jüngling
Stand in einer heil'gen Christnacht
Am Altar und schwur dem alten
Abt, der bleich und müde dastand,
Das Gelübde ew'gen Mönchtums.
Andern Tags, am Christfestmorgen
Ward er früh zum Abt gerufen.
Der lag sterbend in dem Dorment,
Und schon ruhten auf dem guten
Angesicht die rätselvollen
Schatten andrer, fremder Welten. 87
Nahe zu dem Mund des Treuen
Mußte sich der Mönch dann neigen,
Und da flüsterte der Alte
Jenes Klosterfeindes Namen
In des Mönches Ohr, ihm sagend,
Daß der Langgehaßte, Schlimme
Sei sein Vater, und das große
Weib, das ihn an jenem Maitag
Diesem Kloster zugeführet,
Sei des Klosterfeindes Buhle,
Und er selbst, der junge Mönch, sei
Beider Sohn, ein Kind der Sünde.
Wieder gingen still die Jahre.
Jener Mönch war seit der Weihnacht
Dazumal gar alt geworden;
Nicht an Jahren, doch im Innern.
Was die Mutter, deren fernes
Bild wie einer reinen Heil'gen
Hoch einst stand, gefehlt, gesündigt,
Lag wie Alpdruck auf dem Sohne.
Schwerer aber drückte nieder
Noch das grauenvoll Erkennen:
Was an seiner Mutter Seite
Knieend einst das Kind erfleht hat,
Dieses Flehen hält die Wage
All den feurigen Gebeten,
Die der Knabe und der Jüngling
Vor des Höchsten Thron gesendet.
Saget an, ihr Herrn, wie mußte
Ferner der Unsel'ge beten,
Dessen Flehen all die Jahre
War vor Gottes Thron ein eitles,
Blödes Narrenspiel gewesen?
Hundertmal, als ob vom Baume
Der Erkenntnis er gegessen,
Sah der Mönch von jener Zeit an,
Was als heilig er geachtet 88
Und als Recht, im Wind zerstieben.
Ja, im Kloster, das er seitdem
Als den Ort des Friedens liebte,
Sah er plötzlich vieles anders,
Als er vordem es erblickt.«
Dunkel steigt in Ignaz' Wange
Jetzt das Blut: »Es ziemt dem Jünger
Benedikti nicht, zu murren.
Doch, o sagt, ziemt nicht dem Manne,
Der nach Recht und Wahrheit dürstet,
Daß er seinem Fuß den Boden
Suche, drauf er sicher stehe?
Wißt, ich bin der Sohn der Sünde,
Bin der Sohn des Calwer Grafen,
Bin der Sohn des blassen Weibes,
Die mich erstes Beten lehrte.
Und ich kam, um von den Männern,
Die der Christenheit erhabnen,
Höchsten Priester hier vertreten,
Recht und Urteil zu vernehmen.
Zürnt nicht, daß des Klosters Sache
Also ich zur eignen mache;
Denn Ihr kennt nicht meine Qualen,
Wisset nicht, wie schwer ich trage.«
Also zu den Kardinälen
Sprach der Mönch, die beiden lehnten
Bleich in ihren weiten Stühlen.
Seltsam hat es sie ergriffen,
Dieses hagern, blassen Mannes
Leis und traumverloren Sprechen. –
Jetzt trat durch die Thür der Kammer
Einer von des Staufers Knechten
Und ein Domherr vom Kapitel.
Und die beiden Kardinäle
Sandten, froh der Unterbrechung,
Hirsaus Mönch mit dem Versprechen
Bald'ger Antwort aus der Kammer. 89
Bei dem Mahl, das König Philipp
Nachher gab, klang oft den beiden
Ignaz' Stimme in den Ohren.
Mehr als einmal suchten ihre
Blicke jenen blonden Ritter,
Den sie Gottfried Calwa nannten,
Und der von dem Staufer sichtlich
Ward mit hoher Gunst behandelt.
Dann gedachten beide Priester
Seines blassen, hagern Bruders,
Der in abgerissner Kutte
Unfern unerkannt und schweigend,
Schuldlos trug die Schuld der Eltern.
Nach dem Mahl trieb es die beiden,
Noch einmal den Fall zu prüfen,
Da die Sache schwer und heikel:
»Allzuklar,« sprach Leo eben,
»Hat uns dieser Mönch am Mittag
Dargethan, wie jenes Grafen
Feindschaft gegen Kloster Hirsau
Nicht erst seit der Kriegszeit währe.
Also steht auch jetzt vom Frieden
Nicht viel Bessres zu erwarten,
Und Abt Marquard wird sich schwerlich
Damit nun vertrösten lassen.
Auch daß dieser Ignaz alles,
Was zu wissen uns nicht not that,
Unserm Urteil unterbreitet,
Macht den Fall nun doppelt schwierig.«
Hugolin besieht noch immer
Seine Hand, dann spricht er sinnend:
»Weniger der Abt als dieser
Bastard jenes Grafen Calwa
Will von uns ein andres hören,
Als vertröstend schöne Worte.
Glaubt, ich kenne diese blassen,
Hagern, knochigen Gesichter, 90
Diese Augen, deren seltsam
Feuer frißt ins eigne Innre.
Diese Art von deutschen Mönchen
Ruht und rastet nicht, und darum
Wollen wir den Klosterboten
An den heil'gen Vater weisen.
Kann ihm irgend jemand helfen,
Kann es Innocenz der Weise.«
Leo steht vom Stuhl auf, neigt sich
Lächelnd vor dem Kardinale:
»Hugolin, Ihr seid des Vetters
Würdig!« spricht er, und die beiden
Treten jetzt mit heitrer Miene
Aus dem dumpfen, düstern Remter.

Betend harrt auf seinen Knieen
In der dunkeln, kalten Kammer,
Die man ihm hat angewiesen,
Der erschöpfte Mönch des Spruchs.
Brennend blicken seine Augen
Durch die offne Fensterluke,
Die den Ausblick läßt zum trüben
Himmel, dran die Wolken jagen
In zerrissenen Gebilden.
Seine abgehetzte, müde
Seele liegt in diesen Augen.
Unglücksel'ger Mann, ist niemand,
Der dir sage, wie dort oben
Hinter jenen sturmzerrissnen,
Schwarzen Wolken lacht ein blauer,
Unvergänglich heitrer Himmel?
Sagt dir niemand, daß dein Herze
Ringt mit fluchdurchfressnen Schatten,
Während ihm das wahre Wesen
Seines Gottes bleibt verschlossen?
Dunkler wird es in der Kammer, 91
Dunkler in des Mönches Seele:
Ach, es ist so lange, lange,
Seit die Mutter ihren Knaben
Lehrte liebend, segnend beten.
Wie am wetterschwülen Mittag
Lichter Morgen fern zurückliegt,
Also hinter Ignaz' Seele
Liegen jene hellen Zeiten.
Wie ein bittres Heimweh faßt es
Ihn jetzt an, er greift mit hast'gem
Finger nach dem Rosenkranze,
Und der Perlen leises Klingen
Hört nicht auf, bis sich die Thüre
Oeffnet und ein Domherr eintritt,
Der dem Mönch der Kardinäle
Wohlerwognen Ausspruch mitteilt. –
Als der frühe Morgen aufsteigt
Ueber Speiers regennasse
Dächer, zieht ein Mann durchs Rheinthor;
Zieht mit sehnsuchtsvollem Herzen
Stumm hinaus zum fernen Rom. 92

 

 


 


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