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6. Kapitel.

Wie Prinz Giglio sich aufführte.

 

Und nun laßt uns vom Prinzen Giglio reden, dem Neffen des regierenden Königs von Paphlagonien.

Es ist schon festgestellt worden, wes Geistes Kind er war: Wenn er nur immer einen schmucken Rock anziehen, ein gutes Pferd reiten und Geld in seine Tasche stecken, oder vielmehr aus seiner Tasche herausnehmen konnte, denn er war sehr gutherzig, so machte sich mein junger Prinz nichts aus dem Verluste von Krone und Zepter, da er ein gedankenloser Jüngling war, der Staatskunst oder irgend welcher Gelehrsamkeit wenig zugetan. Daher hatte sein Hofmeister immer Feiertag. Giglio wollte weder die klassischen Sprachen noch Mathematik lernen, und der Reichskanzler, Filistroso, machte ein sehr langes Gesicht, weil der Prinz nicht dazu gebracht werden konnte, Verfassung und Gesetze von Paphlagonien zu studieren; aber anderseits fanden des Königs Wildhüter und Jäger in dem Prinzen einen fähigen Zögling. Der Tanzlehrer erklärte, daß er ein höchst eleganter und fähiger Schuler sei; der erste Kammerherr des Billards erstattete die schmeichelhaftesten Berichte über des Prinzen Geschicklichkeit; ebenso der Intendant des Tennisspiels; und was den Gardehauptmann und Fechtmeister betrifft, den tapferen Veteranen Haudegenski Kopfabski, so gestand er, es sei ihm, seit er den General von Krimtataria, den fürchterlichen Grimbuskin, durchbohrt, keiner gegenüber gestanden, der eine so gewandte Klinge führe, wie Prinz Giglio.

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Ich hoffe, ihr haltet es nicht für unschicklich, daß der Prinz und die Prinzessin zusammen im Schloßgarten spazieren gingen und daß Giglio höflich Angelikas Hand küßte. Erstens sind sie ja Vetter und Cousine; dann lustwandelt auch die Königin im Garten – ihr könnt sie nicht sehen, denn sie ist gerade hinter diesem Raum –, und Ihre Majestät hat schon immer gewünscht, daß Angelika und Giglio einander heiraten sollten; das wünschte auch Giglio; auch Angelika zuweilen, denn sie hielt ihren Vetter für sehr hübsch, tapfer und gutherzig; aber, seht ihr, sie war eben gar so gescheit und wußte so viel, und der arme Giglio wußte nichts und verstand sich nicht auf die Unterhaltung. Wenn sie die Sterne betrachteten, was wußte Giglio von den Himmelskörpern? Einstmals, als sie in einer milden Nacht auf dem Balkon standen, sagte Angelika: »Da ist der Bär!« »Wo?« fragte Giglio. »Fürchte dich nicht, Angelika! und wenn ein Dutzend Bären kommen, ich will sie lieber alle totschlagen, als daß sie dir was zuleide tun sollen!« – »O Du einfältiger Tropf!« entgegnete sie, »du bist ein guter Kerl, aber das Pulver hast du nicht erfunden!« Wenn sie die Blumen besahen, war Giglio in der Botanik völlig unbewandert und hatte nie etwas von Linné gehört. Wenn die Schmetterlinge vorbeiflogen, wußte Giglio nichts von ihnen, denn er war in der Insektenkunde ebenso unbewandert, wie ich in der Algebra. Jetzt versteht ihr wohl, daß Angelika, wenn sie Giglio auch recht wohl leiden mochte, ihn doch wegen seiner Unwissenheit verachtete. Ich glaube, sie bildete sich auf ihr eigenes Wissen ein bißchen zu viel ein; aber es ist der Fehler von Leuten jedes Alters und Geschlechts, sich für besser zu halten, als sie sind. Schließlich, wenn sonst niemand da war, hatte Angelika ihren Vetter immerhin recht gern.

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König Valoroso hatte eine sehr zarte Gesundheit und zugleich eine solche Vorliebe für gutes Essen – das ihm sein französischer Koch Marmitonio bereitete –, daß man annahm, er könne nicht lange leben.

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Nun versetzte aber der Gedanke, daß dem König etwas zustoßen könnte, den hinterlistigen Minister und die ränkevolle alte Hofdame in Angst und Schrecken. Denn, dachten Murriano und die Gräfin, wenn Prinz Giglio seine Cousine heiratet und auf den Thron kommt, dann werden wir schön in der Klemme sitzen, wir, die er nicht leiden mag und die wir stets unfreundlich gegen ihn gewesen sind. Wir werden unsere Ämter im Handumdrehen verlieren; Schnauzibautz wird alle Juwelen, Spitzen, Tabaksdosen, Ringe und Uhren, die früher der Königin, Giglios Mutter, gehörten, herausgeben müssen; und Murriano wird genötigt sein, die Summe von zweihundertundsiebzehntausend Millionen neunhundertundsiebenundachtzigtausend vierhundertundneununddreißig Goldgulden, dreizehn Kronen und sechsundsechzig Hellern wiederzuerstatten, die dem Prinzen Giglio von seinem armen Vater hinterlassen worden sind. Also haßten die Hofdame und der Minister den Giglio, weil sie ihm unrecht getan hatten; und diese gewissenlosen Menschen erfanden tausenderlei häßliche Geschichten über den armen Giglio. um den König, die Königin und die Prinzessin gegen ihn einzunehmen: wie er so unwissend sei, daß er die gewöhnlichsten Wörter nicht richtig lesen könne und Valoroso wahrhaftig Valloroso und Angelika mit ck schreibe; wie er viel zu viel Wein trinke und immer mit den Pferdeknechten im Stall herumlungere; wie er beim Zuckerbäcker und beim Modewarenhändler wer weiß wieviel Geld schuldig sei; wie er in der Kirche immer einschlafe; wie gern er mit den Pagen Karten spiele!

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Ei, auch die Königin spielte gern Karten; auch der König schlief in der Kirche ein und aß und trank zu viel; und wenn auch Giglio eine Kleinigkeit für Kuchen schuldig war, wer war ihm denn zweihundertundsiebzehntausend Millionen neunhundertundsiebenundachtzigtausend vierhundertundneununddreißig Goldgulden, dreizehn Kronen und sechsundsechzig Heller schuldig, möcht' ich wissen? Verleumder und Ohrenbläser sollten nach meiner unmaßgeblichen Meinung lieber vor ihrer eigenen Tür kehren. All diese heimliche Verleumdung und üble Nachrede hatte ihre Wirkung auf die Prinzessin Angelika, so daß sie ihren Vetter kühler zu behandeln anfing, ihn auslachte und verhöhnte wegen seiner Dummheit, verächtlich die Nase rümpfte über seinen gemeinen Umgang und ihm endlich bei Hofbällen, Gastmählern und dgl. so unfreundlich begegnete, daß der arme Giglio ganz krank wurde, sich zu Bett legte und den Doktor holen ließ.

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Seine Majestät der König Valoroso hatte, wie wir gesehen haben, seine besonderen Gründe, seinem Neffen gram zu sein; und wenn unschuldige Leser etwa fragen sollten, warum, so erlaube ich mir – mit der Einwilligung ihrer lieben Eltern –, sie auf Shakespeares Werke zu verweisen, wo sie nachlesen können, warum König Johann den Prinzen Artur nicht leiden mochte. Der Königin, seiner fürstlichen aber schwachen Tante, ging es mit Giglio nach dem Sprichwort: Aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn sie nur ihr Whist und ihre Abendgesellschaften hatte; um anderes kümmerte sie sich wenig.

Vermutlich hätten zwei Bösewichter, die ungenannt bleiben sollen, es gern gesehen, daß Doktor Latwergio, der Hofarzt, Giglio ein für allemal ins Jenseits befördert hätte; der aber rückte ihm nur mit Aderlaß und Mixturen so unerbittlich auf den Leib, daß der Prinz mehrere Monate lang das Zimmer hüten mußte und so dünn wie ein Faden wurde.

Während er auf solche Weise krank lag, kam an den Hof von Paphlagonien ein berühmter Maler namens Tomaso Lorenzo, der Hofmaler im Nachbarlande Krimtataria war. Tomaso Lorenzo malte den ganzen Hof, der von seinen Werken entzückt war, denn auf seinen Bildern sah sogar die Gräfin Schnauzibautz jung und Murriano gutmütig aus. »Er schmeichelt stark,« sagten einige Leute. »Nicht doch,« sagte Prinzessin Angelika. »Ich bin erhaben über alle Schmeichelei, und ich finde, er hat mein Porträt nicht schön genug gemacht. Ich kann's nicht hören, wenn man einen genialen Mann unbilligerweise in Verruf bringt, und ich hoffe, mein lieber Papa wird Lorenzo zum Ritter seines Kukumerordens machen.«

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Obwohl die Höflinge sich hoch und teuer verschworen, daß Ihre Königliche Hoheit so vorzüglich zeichnen konnte, daß der Gedanke, ihr Stunden geben zu lassen, ganz abgeschmackt sei, beliebte es doch der Prinzessin Angelika, bei Lorenzo Unterricht zu nehmen; und es war ganz wunderbar, was für schöne Bilder sie machte, solange sie in seinem Atelier arbeitete! Einige ihrer Schöpfungen erschienen als Stiche in dem »Schönheitskalender«, andere wurden zu ungeheuren Preisen auf Wohltätigkeitsbasaren verkauft. Sie versah die Zeichnungen mit ihrer Unterschrift, daran ist kein Zweifel; aber ich glaube zu wissen, wer die Bilder machte: dieser verschmitzte Maler, der noch ganz andere Dinge im Schilde führte, als nur Angelika zeichnen zu lehren.

Eines Tages zeigte Lorenzo der Prinzessin das Bildnis eines geharnischten Jünglings mit blondem Haar und den entzückendsten blauen Augen und einem zugleich schwermütigen und anziehenden Ausdruck.

»Werter Signor Lorenzo, wer ist das?« fragte die Prinzessin.

»Ich habe noch nie einen so schönen Mann gesehen!« sagte die Gräfin Schnauzibautz – die alte Heuchlerin!

»Das,« sprach der Maler, »das, Prinzessin, ist das Bildnis meines erlauchten jungen Herrn, Seiner Königlichen Hoheit Bulbo, Kronprinzen von Krimtataria, Herzogs von Akrozeraunia, Grafen von Poluphloisbolo und Großkreuzritters des Kürbisordens. Hier auf seiner männlichen Brust glitzert er, der Kürbisorden, den Seine Königliche Hoheit von seinem erlauchten Vater empfing, als er mit eigener fürstlicher Hand den König von Ograria erschlug und dazu noch zweihundertundelf von den zweihundertundachtzehn Riesen, die des Königs Leibwache bildeten. Der Rest wurde von dem krimtatarischen Heere vernichtet nach hartnäckigem Kampfe, in welchem die Krimtataren große Verluste erlitten.

Welch ein Prinz! dachte Angelika; so tapfer – so milde blickend – so jung – welch ein Held!

»Er ist ebenso feingebildet wie tapfer,« fuhr der Hofmaler fort. »Er beherrscht alle Sprachen, singt himmlisch, spielt jedes Instrument, komponiert Opern, die an tausend Abenden hintereinander am Krimtatarischen Hoftheater aufgeführt worden sind, und hat darin in einem Ballet vor dem König und der Königin getanzt; dabei sah er so schön aus, daß seine Cousine, die liebliche Tochter des Königs von Tirkassien, aus Liebe zu ihm gestorben ist.«

»Warum hat er die arme Prinzessin nicht geheiratet?« fragte Angelika mit einem Seufzer.

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»Weil sie seine leibliche Cousine war, Prinzessin, und die Geistlichkeit solche Verbindungen untersagt,« sprach der Maler. »Und überdies hatte der junge Prinz sein königliches Herz schon anderweitig vergeben.«

»Und an wen?« fragte Ihre Königliche Hoheit.

»Ich habe nicht das Recht, den Namen der Prinzessin zu erwähnen,« antwortete der Maler.

»Aber Ihr könnt mir doch den Anfangsbuchstaben nennen,« stieß die Prinzessin hervor.

»Das Raten steht Ihrer Königlichen Hoheit frei.«

»Fängt er mit einem Z an?« fragte Angelika.

Der Maler sagte, es sei kein Z. Dann versuchte sie's mit dem Y, dann mit dem X, dann mit dem W, und so durchlief sie von rückwärts fast das ganze Abc.

Als sie zum D kam, und es war nicht D, da wurde sie sehr erregt; als sie zum C kam, und es war nicht C, da wurde sie noch unruhiger; als sie zum G kam, und es war nicht G – »O liebste Schnauzibautz,« sagte sie, »leiht mir Euer Riechfläschchen!« und ihren Kopf an der Gräfin Schulter bergend, hauchte sie: »Ach, Signor, kann es A sein?«

»Es ist A; und wenn ich schon nach dem Befehl meines Königlichen Herrn Eurer Königlichen Hoheit den Namen der Prinzessin nicht nennen darf, die er zärtlich, inniglich, schwärmerisch, bis zum Wahnsinn liebt, so darf ich Euch doch ihr Bildnis zeigen,« sprach dieser Schlauberger; und, die Prinzessin vor einen vergoldeten Rahmen führend, zog er den Vorhang beiseite, der davor hing.

O Himmel! In dem Nahmen war ein Spiegel, und Angelika sah ihr eigenes Antlitz!


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