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Was aus Giglio wurde.
Der Gedanke, so ein altes Geschöpf wie die Schnauzibautz zu heiraten, jagte Prinz Giglio einen solchen Schrecken ein, daß er in sein Zimmer hinauflief, seine Koffer packte, ein paar Dienstmänner herbeiholte und nach dem Postbureau eilte – alles in einem Augenblick.
Es war gut, daß er sich bei seinem Unternehmen so beeilte, beim Packen keine Zeit vertändelte und mit der ersten Morgenpost abfuhr, denn sobald das Versehen mit Prinz Bulbo entdeckt wurde, schickte der grausame Murriano ein paar Polizeidiener in Prinz Giglios Zimmer hinauf mit dem Auftrag, ihn nach Moabit zu führen, wo er vor zwölf Uhr enthauptet werden sollte. Aber die Postkutsche war vor zwei Uhr über der paphlagonischen Grenze; und ich will wetten, daß der berittene Eilbote, der Prinz Giglio nachgeschickt wurde, sich nicht allzusehr beeilte, denn viele Leute in Paphlagonien hielten große Stücke auf Giglio, weil er der Sohn ihres früheren Landesherrn war, der trotz aller seiner Schwachen ein viel besserer Fürst gewesen war als sein Bruder, der gegenwärtige Monarch – der thronräuberische, faule, sorglose, hitzköpfige Tyrann.
Dieser Fürst beschäftigte sich jetzt mit den Bällen, Lustbarkeiten. Mummenschanzen, Landpartien usw., welche er bei Anlaß der Hochzeit seiner Tochter mit Prinz Bulbo zu veranstalten für schicklich fand; und im Grunde seines Herzens war es ihm nicht leid – so hoffen wir –, daß seines Bruders Sohn dem Schafott entgangen war.
Es war sehr kaltes Wetter, und die Erde war mit Schnee bedeckt, und Giglio, der sich auf der Reise einfach als ein Herr Lilienkron ausgab, war sehr froh, einen behaglichen Sitzplatz im Inneren des Postwagens zu bekommen, wo er mit dem Schaffner und einem anderen Herrn saß. Auf der ersten Station hinter Blombodinga, wo sie Halt machten, um die Pferde zu wechseln, kam eine Frau von recht gewöhnlichem Aussehen, mit einer Handtasche am Arm, auf die Postkutsche zu und verlangte einen Platz. Alle Plätze im Inneren des Wagens waren besetzt, und es wurde der Frau erklärt, daß sie mit dem Verdeck vorlieb nehmen müsse, wenn sie reisen wolle; und der Passagier drinnen bei Giglio (ein rechter Grobian, will mich bedünken) steckte den Kopf zum Fenster heraus und sagte: »Nettes Wetter das, um unter freiem Himmel zu reisen! Ich wünsche Euch eine angenehme Fahrt, Verehrteste l« Die arme Frau tat Giglio leid, denn sie hustete sehr stark. »Lieber will ich ihr meinen Platz abtreten,« sprach er, »als daß sie mit dem schrecklichen Husten in der kalten Luft draußen fahren muß!« Darauf sagte der ungebildete Passagier: »Bei dem Wetter könnte sie eher ein Halstuch brauchen als so'n Waschlappen!« Worauf Giglio ihm ein paar Nasenstüber, Ohrfeigen und Kopfnüsse versetzte und so dem gemeinen Menschen gründlich einbläute, ihn nie wieder Waschlappen zu schimpfen.
Dann schwang er sich fröhlich auf das Kutschendach hinauf und machte sich's im Stroh so recht bequem. Der grobe Passagier stieg schon auf der nächsten Station aus, Giglio nahm seinen Platz wieder ein und unterhielt sich mit der Unbekannten an seiner Seite. Sie schien eine höchst angenehme, wohlunterrichtete und unterhaltende Frau zu sein. Sie fuhren zusammen bis zum Abend, und die Frau gab Giglio alle möglichen Sachen aus der Handtasche, die sie bei sich trug, wahrlich, es schien darin eine ganz erstaunliche Sammlung von Gegenständen aller Art enthalten zu sein. Er war durstig – gleich kam eine Flasche Pilsener heraus und ein silberner Becher! Er war hungrig – da nahm sie ein kaltes Huhn heraus, einige Schnitten Schinken, Brot, Salz und ein Stück des leckersten kalten Rosinenpuddings – zu guter Letzt noch ein kleines Gläschen Kirschlikör!
Während der Fahrt unterhielt sich diese unansehnliche und seltsame Frau über mancherlei Dinge mit Giglio, wobei der arme Prinz seine Unwissenheit ebensosehr an den Tag legte, wie sie überlegenen Geist und Kenntnisse. Er bekannte mit vielem Erröten, wie unwissend er sei, worauf die Dame sagte: »Mein lieber Gigl – mein guter Herr Lilienkron, Ihr seid ein junger Mann und habt reichlich Zeit vor Euch. Ihr habt nichts zu tun, als Euch auszubilden. Wer weiß, ob Ihr eines schönen Tages Euer Wissen nicht gut werdet brauchen können? Wenn – wenn man einst zu Hause eines gewissen jungen Herrn bedürfen sollte.«
»Donnerwetter, gnädige Frau,« rief Giglio aus, »wißt Ihr denn, wer ich bin?«
»Ich weiß eine ganze Menge merkwürdiger Dinge,« sagte die Dame; »ich bin bei gewissen Leuten zur Taufe gewesen, und bei anderen bin ich von der Türe weggewiesen worden. Ich habe es erlebt, wie gewisse Leute im Glück verdorben sind, und wie andere, wie ich hoffe, durch Ungemach besser geworden sind. Ich rate Euch, in der Stadt zu bleiben, wo die Postkutsche über Nacht haltmacht. Bleibt dort und studiert und gedenkt Eurer alten Freundin, gegen die Ihr Euch liebreich erwiesen habt.«
»Und wer ist meine alte Freundin?« fragte Giglio.
»Wenn du irgend etwas brauchst,« sagte die Dame, »so schau nur in dieser Tasche nach, welche ich dir als Geschenk überlasse, und sei dankbar –«
»Wem, gnädige Frau?« fragte er.
»Der Fee Schwarzstabel!« sagte die Frau und flog zum Fenster hinaus. Und als Giglio den Postillon fragte, ob er wisse, wer die Dame sei, fragte der Mann: »Welche Dame? Es ist keine Dame in dieser Kutsche gefahren, nur die alte Frau, die an der letzten Station ausgestiegen ist.«
Und Giglio glaubte, es hätte ihm das alles nur geträumt. Aber auf seinem Schoße lag die Handtasche, die ihm Schwarzstabel gegeben; und als er in die Stadt kam, nahm er sie in die Hand und ging ins Gasthaus.
Man gab ihm ein sehr schlechtes Zimmer, und als Giglio am nächsten Morgen erwachte, meinte er, er sei noch daheim im königlichen Schlosse, und rief: »Johann! August! Friedrich! Meine Schokolade – meinen Schlafrock – meine Pantoffeln!« Aber es kam niemand. Es war keine Klingel da, deshalb ging er hinaus und rief laut die Treppe hinunter nach dem Aufwärter.
Da kam die Wirtin herauf, die sah so aus:
»Was johlt und zetert Ihr hier, junger Mann?« fragte sie.
»Es ist kein warmes Wasser da – keine Bedienung – nicht einmal meine Schuhe sind geputzt!«
»Hi, hi! Putz' Er sie selber!« sagte die Wirtin. »Ihr jungen Studenten seid mir die rechten noblen Herrchen! So 'ne Unverschämtheit ist mir noch nicht vorgekommen!«
»Ich verlasse das Haus auf der Stelle!« erwiderte Giglio.
»Je eher, desto besser, junger Mann. Zahlt Eure Rechnung und schert Euch fort. Ich brauche all meine Zimmer für anständige Leute, nicht für solche, wie Er einer ist!«
»Ihr paßt sehr gut zur Bärenwirtin,« bemerkte Giglio. »Ihr solltet Euch selbst als Schild malen lassen.«
Die Wirtin zum Bären ging brummend weg. Giglio aber kehrte in sein Zimmer zurück, und das erste, was er dort sah, war seine Zaubertasche, die auf dem Tische lag und einen kleinen Hops zu machen schien, als er hereinkam. »Ich hoffe, es ist was zum Frühstücken darin,« sprach Giglio, »denn ich habe nur noch ganz wenig Geld übrig.« Aber als er die Tasche öffnete, was meint Ihr wohl, daß er darin fand? Eine Stiefelbürste und eine Büchse beste Glanzwichse, und auf der Büchse stand geschrieben:
»Mit dieser Fettglanzwichse hier
Wird Stiefelputzen zum Pläsier!«
Da lachte Giglio und wichste seine Stiefel und legte Bürste und Büchse wieder ordentlich in die Tasche zurück.
Als er sich darauf fertig angekleidet hatte, machte die Tasche abermals einen kleinen Hops, und er ging hin und nahm heraus:
1. u. 2. Ein Tischtuch und eine Serviette.
3. Eine Zuckerdose voll bestem Hutzucker.
4., 6., 8., 10. Zwei Gabeln, zwei Teelöffel, zwei Messer, eine Zuckerzange und ein Buttermesser, alle mit G gezeichnet.
11., 12., 13. Eine Teetasse, eine Untertasse und ein Teesieb.
14. Ein Töpfchen mit köstlichem Rahm.
15. Eine Büchse mit schwarzem und grünem Tee.
16. Einen großen Teekessel mit siedendem Wasser.
17. Eine Kasserolle mit drei schön weichgekochten Eiern.
18. Ein viertel Pfund beste Tafelbutter.
19. Ein Laib Schwarzbrot.
Und wenn ihm das jetzt nicht genügte für ein gutes Frühstück, so möcht' ich wissen, wer je ein besseres hatte?
Nachdem Giglio sein Frühstück verzehrt hatte, legte er alle Sachen in die Tasche zurück und ging aus, um sich nach einer andern Wohnung umzusehen. Was ich vergessen habe zu sagen: Diese berühmte Universitätsstadt wurde Bosforo genannt.
Er mietete ein bescheidenes Zimmer der Hochschule gegenüber, zahlte seine Rechnung im Gasthause und zog in seine neue Wohnung hinüber mit seinem Koffer und seiner Reisetasche, wobei er auch seine andere Tasche nicht vergaß, das versteht sich.
Als er seinen Koffer öffnete, den er Tags zuvor mit seinen besten Kleidern angefüllt hatte, da fand er, daß er nur Bücher enthielt. Und in dem ersten, das er öffnete, stand geschrieben:
Die Kleider für den Leib, die Bücher für den Geist!
Behalt' fein, was du liest, damit du auch was weißt.
Und als er in seine Reisetasche hineinschaute, fand er darin eine vollständige Studententracht, Mütze und Talar; ferner ein dickes neues Schreibheft, ein Tintenfaß, Federn und Dudens orthographisches Wörterbuch, das ihm sehr zustatten kam, da er seine Rechtschreibung bisher jämmerlich vernachlässigt hatte.
Da setzte er sich denn hin und arbeitete drauf los, daß ihm der Kopf rauchte, mit großem Fleiß ein ganzes Jahr lang. Während dieser Zeit wurde Herr Lilienkron ein wahres Vorbild für alle Studenten der Universität Bosforo. Die Professoren wußten alle nur Gutes über ihn zu sagen, und auch die Studenten mochten ihn gerne leiden und gönnten ihm seine Erfolge. Beim Examen trug er alle Preise davon, als da waren:
Der Preis für Rechtschreiben.
Der Preis für Schönschreiben. Der Preis für Geschichte. Der Preis für den Katechismus. |
Der Preis für Französisch.
Der Preis für Rechnen. Der Preis für Lateinisch. Der Preis für gutes Betragen. |
Und alle seine Kameraden riefen: »Hurra! Lilienkron soll leben! Der Lilienkron ist unser Mann – Potztausend, was der alles kann! Vivat hoch Lilienkron!« Und er brachte eine ganze Menge Denkmünzen, Kränze, Bücher und andere ehrende Abzeichen mit heim in seine Wohnung.
Nach diesem Examen geschah es eines Tages, daß er sich mit zwei Freunden in einem Kaffeehause belustigte. (Habe ich Euch schon gesagt, daß er jeden Samstagabend in seiner Tasche gerade genug Geld fand, um damit seine Rechnung zu bezahlen, und überdies noch einen Dukaten als Taschengeld? Habe ich es Euch nicht gesagt? Nun, es war aber wirklich so, so wahr zweimal zwanzig fünfundvierzig macht.) Da schaute er zufällig in das Bosforer Tageblatt und las daraus ganz fließend – denn er konnte jetzt die längsten Worte buchstabieren, lesen und schreiben – folgendes vor:
»Romantische Begebenheit. – Ein Abenteuer, wie uns außerordentlicher noch keines je zu Ohren gekommen ist, hat unser Nachbarland Krimtataria in einen Zustand großer Erregung versetzt.
Man wird sich an die Umstände erinnern, von denen die Thronbesteigung des gegenwärtigen verehrten Landesherrn von Krimtataria, Seiner Majestät des Königs Padella, begleitet war. Als er nach der fürchterlichen Schlacht von Donnerbüchsin, in welcher er den ehemaligen König Cavolfiore besiegte, in den königlichen Palast einzog, konnte das einzige Kind dieses Fürsten, die Prinzessin Rosalba, im Schlosse nicht gefunden werden. Man sagte, sie habe sich in den Wald verlaufen, nachdem ihr sämtliches Gefolge sie verlassen hatte, und sei dort von jenen grimmigen Löwen zerrissen worden, von denen die zwei letzten erst kürzlich eingefangen und in den königlichen Zwinger gebracht worden sind, nachdem sie mehreren hundert Menschen das Leben gekostet haben.
Seine Majestät König Padella, der das weichste Herz von der Welt besitzt, bedauerte aufrichtig den Unfall, der der harmlosen kleinen Prinzessin zugestoßen war, welcher Seine Majestät in gewohnter Mildtätigkeit sicherlich eine standesgemäße Versorgung zuerkannt hätten. Allein ihr Tod schien außer Frage zu sein. Die verstümmelten Überbleibsel eines Mantels und ein kleines Schühchen wurden in dem Forst gefunden, anläßlich einer Jagd, auf der der unerschrockene Herrscher von Krimtataria zwei der jungen Löwen mit höchsteigenem Speer erlegte. Diese interessanten Überreste eines unschuldigen jungen Geschöpfes wurden mit nach Hause gebracht und aufbewahrt von ihrem Finder, dem Baron Spinachi, vormals hohem Würdenträger am Hofe Cavolfiores. Der Baron fiel bei Seiner Majestät dem König Padella in Ungnade, infolge seiner offenkundig zur Schau getragenen Anhänglichkeit an das alte Herrscherhaus, und hat seit geraumer Zeit in einem Walde an der Grenze des krimtatarischen Reiches die bescheidene Existenz eines Holzhackers geführt.
Letzten Dienstag vor acht Tagen nun erschienen Baron Spinachi und eine Anzahl Edelleute, Anhänger des früheren Herrscherhauses, bewaffnet und mit dem Rufe: »Gott erhalte Rosalba, die erste Königin von Krimtataria!« um eine Dame geschart, der das Gerücht unvergleichliche Schönheit zuschreibt. Ihre Geschichte mag glaubwürdig sein, ist aber zum mindesten höchst abenteuerlich.
Die Person, die sich Rosalba nennt, behauptet nämlich, daß sie vor fünfzehn Jahren aus dem Walde gebracht worden sei von einer Dame in einem von Drachen gezogenen Wagen (diese Darstellung ist jedenfalls mit größter Vorsicht aufzunehmen!), die sie im Schloßgarten von Blombodinga zurückließ, wo Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Angelika, jetzt vermählt mit Seiner Königlichen Hoheit Bulbo, dem Kronprinzen von Krimtataria, das Kind fand und mit jener bezaubernden Herablassung, welche die Erbin des paphlagonischen Thrones stets ausgezeichnet hat, der kleinen Ausgestoßenen Schutz und Obdach gewährte. Da ihre Herkunft unbekannt und ihre Kleidung mehr als bescheiden war, so wurde das Findelkind im Palaste in der Eigenschaft einer Zofe auferzogen unter dem Namen Betsinda.
Sie erwarb sich nicht die Zufriedenheit ihrer hohen Wohltäter und wurde entlassen. Sie nahm – darüber besteht kein Zweifel – ein Stück eines alten Mantels und einen Schuh mit sich – eben jene Kleidungsstücke, die sie bei ihrer Auffindung angehabt hatte. Ihrer Aussage zufolge verließ sie Blombodinga vor etwa einem Jahre und hat sich seitdem in der Familie Spinachi aufgehalten. Genau an demselben Morgen verließ damals auch Prinz Giglio, Neffe des Königs von Paphlagonien, ein junger Prinz, dessen Ruf in bezug auf geistige Anlagen und feine Sitte, um die Wahrheit zu sagen, keineswegs der beste war, ebenfalls Blombodinga und hat seither nichts mehr von sich hören lassen.«
»Was für eine merkwürdige Geschichte!« sagten die jungen Studenten Schmid und Weber, Giglios Busenfreunde.
»Ha! was seh ich?« rief Giglio und las weiter:
»Zweite Ausgabe, Privatdepesche. – Wir hören, daß die Truppen unter Baron Spinachi umzingelt und gänzlich aufgerieben worden sind durch den General Grafen Panzersau, und daß die angebliche Prinzessin als Gefangene nach der Hauptstadt geführt worden ist.«
»Universitäts-Nachrichten. – Gestern hat auf der Hochschule der hervorragende junge Student, Herr Lilienkron, eine lateinische Rede gehalten, worauf ihm der Rektor der Universität Bosforo, Professor Dr. Prugnaro, die höchste akademische Auszeichnung, den hölzernen Löffel, überreichte.«
»Ach was kümmert mich das Zeug da!« sagte Lilienkron in größter Unruhe. »Kommt mit mir nach Hause, Freunde! Wackrer Schmid! Unerschrockner Weber! Studienfreunde! Gefährten meines akademischen Strebens! Ich habe Dinge zu eröffnen, darob euer redliches Gemüt staunen wird!«
»Raus damit, altes Haus!« rief der ungestüme Schmid.
»Nur immer zu, mein Junge!« rief Weber, ein lebhafter Bursche.
Mit unbeschreiblicher Würde in Mienen und Gebärde hemmte Giglio ihre natürliche, aber jetzt nicht mehr geziemende Vertraulichkeit. »Weber, Schmid, meine guten Freunde,« sagte der Prinz. »Verstellung ist hinfort zwecklos; ich bin nicht mehr der bescheidene Student Lilienkron, ich bin der Sprößling eines königlichen Stammes!«
» Atavis edite regibus, So redet der römische Dichter Horaz seinen Gönner Maecenas in der ersten Ode an: »Du Sproß von Königsahnen.« ich weiß schon, alter Kump–,« rief Weber. Er war eben im Begriff, »alter Kumpan« zu sagen, aber ein Blitz aus dem königlichen Auge ließ ihn in Ehrfurcht verstummen.
»Freunde,« fuhr der Prinz fort, »ich bin dieser Giglio – ich bin Paphlagonien in Person! Erheb' dich, Schmid, knie' nicht auf offener Straße! Weber, du treues Herz! Mein falscher Oheim, als ich noch ein Kind, stahl meiner Väter königliche Krone; jung wie ich war, und meines Rechts nicht achtend, zog er mich auf wie Hamlet, Prinz von Dän'mark; und fühlt' ich je die Unbill, hielt er mit Versprechen hin mich baldiger Vergütung. Des Oheims Tochter sollt' ich frei'n, Angelika; vereinigt sollten wir mein Land beherrschen. Falsch war sein Wort – falsch wie Angelikas Herz – falsch wie Angelika mit Haut und Haar! Sie warf ihr schielend Aug' auf Junker Bulbo, den Vorzug gab sie Krimtatarias Erben! Da wandt' ich meine Blicke auf Betsinden, die göttliche, die nun Rosalba ist. In ihr, der hold errötenden, der reinen, erblickt' ich aller Tugend Inbegriff, die Krone jungfräulicher Sittsamkeit, den Engel, den mein zärtlich minnend Herz seit jeher schon in Träumen sich ersehnt,« usw. usw.
Ich gebe diese Rede, die sehr schwungvoll, aber auch sehr lang war, nicht wieder; und wenn schon Schmid und Weber nichts von den Umständen wußten, so sind doch meine lieben Leser hinreichend davon unterrichtet; also fahre ich fort:
Der Prinz und seine jungen Freunde eilten heim in seine Wohnung, höchst erregt durch die eben gehörten Neuigkeiten, sowie ohne Zweifel auch durch des königlichen Erzählers wundervolle Art, sie mitzuteilen; und sie liefen in sein Zimmer hinauf, wo er bisher so angestrengt über seinen Büchern gearbeitet hatte.
Auf seinem Schreibtisch lag seine Handtasche, die so in die Länge gegangen war, daß es ihm gleich auffallen mußte. Er ging hin und öffnete sie, und was glaubt ihr, daß er darin fand? Ein prachtvolles langes, doppelschneidiges Schwert mit goldenem Griff und rotsamtener Scheide, auf welcher die Worte gestickt waren: Rosalba für und für!
Er zog das Schwert, das mit seinem Gefunkel das ganze Zimmer erhellte, aus der Scheide und rief: »Rosalba für und für!« Schmid und Weber folgten ihm, aber diesmal voll Ehrerbietung, sich in Schritt und Tritt genau nach Seiner Königlichen Hoheit richtend. Und jetzt sprang sein Koffer mit einem plötzlichen Bums auf, und heraus kamen drei Straußenfedern in einer goldenen Krone, die einen prächtigen, funkelnden Stahlhelm einfaßte, und dann ein Brustharnisch, ein paar Sporen, endlich eine vollständige Rüstung.
Die Bücher auf Giglios Bücherbrett waren alle verschwunden. Wo einige dicke Wörterbücher gestanden hatten, fanden Giglios Freunde zwei paar Stulpenstiefel mit der Aufschrift: »Leutnant Schmid«, »H. Weber, Wohlgeboren.« Sie paßten ihnen wie angegossen. Außerdem gab es da noch Helme, Harnische, Schwerter – und an jenem Abend ritten drei Reiter zum Tore hinaus, in denen die Torwächter, Büttel usw. von Bosforo nicht im entferntesten den jungen Prinzen und seine Freunde vermuteten.
Sie verschafften sich Pferde aus einem Mietstall und ritten mit verhängtem Zügel, bis sie die letzte Stadt vor der krimtatarischen Grenze erreichten. Hier machten sie, da ihre Tiere müde und die Reiter hungrig waren, Halt und erfrischten sich in einem Gasthaus bei Bier und Brot mit Käse, als plötzlich Trommeln und Trompeten in der Ferne ertönten. Näher und immer näher kam die kriegerische Musik, der Marktplatz füllte sich mit Soldaten, und da Seine Königliche Hoheit hinschaute, erkannte er die paphlagonischen Standarten, und was die Regimentsmusik aufspielte, war die paphlagonische Nationalhymne!
Die Truppen marschierten sogleich auf das Wirtshaus los, und als sie näher kamen, rief Giglio beim Anblick ihres Führers aus: »Ha! Wen erblick' ich? Ja! Nein doch! Er ist's! Ach nein, nicht möglich! Ja doch, ja, es ist mein Freund, mein tapfrer treuer Veterane Hauptmann Kopfabski! He! Kopfabski, kennst du deinen Prinzen, deinen Giglio nicht? – Mich deucht, Sergeant, wir waren Freunde einst! – Entsinn' ich recht mich, wackrer Korporal, so haben manchen Strauß wir miteinander mit Stock und scharfer Klinge ausgefochten!«
»Mein' Seel, das haben wir, mein guter Herr!« sagte der Korporal.
»Sag' an, was soll die große Kriegsmacht hier?« fuhr Seine Königliche Hoheit vom Balkon aus fort, »wohin marschieren meine Paphlagonier?«
Kopfabski senkte das Haupt. »O mein Gebieter,« sprach er, »wir marschieren als die Verbündeten von Krimtataria, Padella, seinem großen Herrscher, folgend.«
»Dem Usurpator Krimtatarias, tapfrer Kopfabski! Krimtatarias finstrem Tyrannen, o mein biederer Kopfabski!« sagte der Prinz auf dem Balkone mit beißendem Spott.
»Gehorchen muß ein Krieger, o mein Prinz, seinen Befehlen, blindlings, unbedingt! Der meine ist, Padellas Majestät zu Hilf' zu kommen. Ferner auch (doch weh mir, weh! daß ich es sagen muß!) gefangen zu nehmen, wo ich ihn auch treffen mag –«
»Verkaufe deine Bärenhaut, Kopfabski, nicht ehe du den Bären hast, mein Alter!« rief der Prinz.
»Den Giglio, weiland Königliche Hoheit von Paphlagonien,« fuhr Kopfabski in unbeschreiblicher Gemütsbewegung fort. »Mein Prinz, ich fordre Euren Degen! Gebt heraus ihn ohne viel Geschrei, denn seht! gegen Euch Einen sind wir dreißigtausend!«
»Was, meinen Degen soll ich –? Giglios Degen wagst Du zu fordern?« rief der Prinz und, völlig an den Rand des Balkons hervortretend, hielt der königliche Jüngling aus dem Stegreif eine so großartige Rede, daß keine Wiedergabe ihr gerecht werden kann. Sie war ganz in fünffüßigen Jamben verfaßt, und von dieser Zeit an bediente er sich stets dieser Redeweise, da sie Seiner Majestät besser anstand. Die Rede währte drei Tage und drei Nächte lang, während deren kein einziger Mensch, der ihm zuhörte, müde wurde oder den Unterschied zwischen Tageslicht und Finsternis wahrnahm. Die feierliche Stille wurde nur unterbrochen, wenn die Soldaten aus Leibeskräften Bravo riefen. Das geschah hin und wieder – alle neun Stunden einmal –, wenn nämlich der Prinz innehielt, um eine Apfelsine auszusaugen, die Weber aus der Handtasche hervorholte. Er setzte in einer Sprache, die wir, wie schon gesagt, nicht wiederzugeben versuchen, alles auseinander, was sich bisher zugetragen, und verkündigte seinen festen Entschluß, nicht nur seinen Degen zu behalten, sondern auch von seiner rechtmäßigen Krone Besitz zu ergreifen; und am Ende dieser außerordentlichen, dieser wahrhaft gigantischen Leistung warf Hauptmann Kopfabski seinen Helm in die Luft und rief: »Hurra! Hurra! Hoch lebe König Giglio!«
Das waren die Folgen davon, daß er auf der Universität seine Zeit so gut ausgenützt hatte!
Als die Aufregung sich gelegt hatte, wurde Bier für die Soldaten herausgebracht, und ihr Herrscher selbst verschmähte es nicht, ein Schlückchen davon zu trinken. Und nun teilte ihm Hauptmann Kopfabski nicht ohne Besorgnis mit, daß seine Abteilung nur die Vorhut der dem König Padella zu Hilfe eilenden Truppen sei; die Hauptmacht komme in der Entfernung eines Tagemarsches hinterdrein unter Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Bulbo.
Allein der Prinz erwiderte: »Hier warten wir; er komme nur heran! Der Sieg ist unser, guter Freund! Und dann, Padella, zittre, blutiger Tyrann!«