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8. Kapitel.

Wie die Schnauzibautz den Zauberring auflas, und wie Prinz Bulbo zu Hofe kam.

 

Prinz Bulbos Ankunft hatte den ganzen Hof in Aufruhr versetzt; jedermann mußte seine besten Kleider anziehen: die Lakaien prangten in ihren Galalivreen, der Reichskanzler in seiner neuen Perücke, die Leibwachen in ihren allerneuesten Uniformen, und die Gräfin Schnauzibautz, das versteht sich, war froh, bei dieser Gelegenheit ihren alten Leib mit dem kostbarsten, was sie hatte, schmücken zu können. Sie war auf dem Wege zu Ihren Majestäten, um ihr Amt als Hofdame anzutreten, und ging eben durch den Schloßhof, da entdeckte sie auf dem Pflaster etwas Glitzerndes und befahl dem kleinen Hausdiener, der ihr die Schleppe trug, hinzugehen und das Ding aufzuheben, das dort so glänzte. Er war ein häßlicher kleiner Wicht und stak in den abgelegten Kleidern ihres Seligen, die für ihn zurechtgestutzt, aber ihm schon viel zu eng geworden waren; und dennoch, als er den Ring aufgehoben hatte – denn ein Ring war es – und ihn seiner Herrin brachte, da kam er ihr vor wie ein kleiner Amor. Er überreichte ihr den Ring: es war ein recht armseliges kleines Ding und zu klein für ihre alten Knöchel; deshalb steckte sie ihn in die Tasche.

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»O Frau Gräfin«, sagte der Junge und sah sie an, »wie – wie wun–der–schön sehen Dero Gnaden aus, heute, Frau Gräfin!«

Und du auch, Joggel, wollte sie eben sagen; aber, wie sie auf ihn herabsah – nein, er war gar nicht mehr hübsch, sondern eben nur der zerzauste kleine Rotkopf, der er heute morgen gewesen war. Indessen, Lob ist auch von dem häßlichsten Knaben oder Manne willkommen, und die Schnauzibautz hieß den Jungen ihre Schleppe wieder aufnehmen und schritt in der rosigsten Laune weiter. Im Vorzimmer sagte Hauptmann Kopfabski: »Meine gnädigste Gräfin, Ihr seht heute aus wie ein Engel!« Die Schnauzibautz aber verbeugte sich links und rechts mit geziertem Lächeln, ging hinein und nahm ihren Platz ein hinter dem königlichen Herrscherpaar, das im Thronsaal den Prinzen von Krimtataria erwartete. Prinzessin Angelika saß zu den Füßen ihrer königlichen Eltern, und hinter dem Thronsessel des Königs stand Prinz Giglio und schaute sehr grimmig drein.

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Seine Königliche Hoheit der Prinz von Krimtataria mit seinem Gefolge.

Der Prinz von Krimtataria trat auf, in Begleitung seines Kammerherrn, des Barons von Schlaomair, hinter ihnen beiden ein Negerpage, der eine Krone trug, wie ihr sie schöner nie gesehen habt! Der Prinz war in seinem Reiseanzug, und sein Haar war, wie ihr seht, ein wenig in Unordnung. »Ich bin seit dem Frühstück dreihundert Meilen weit geritten,« sprach er, »so begierig war ich, die Prin– den Hof und die erlauchte Familie von Paphlagonien zu erblicken, und ich konnte mein Erscheinen vor dem Angesicht Eurer Majestäten um keine Minute mehr verzögern.«

Giglio hinter dem Throne schlug ein lautes Hohngelächter auf; aber die ganze königliche Gesellschaft war in solcher Erregung, daß dieser kleine Gefühlsausbruch nicht bemerkt wurde. »Eure Königliche Hoheit ist willkommen in jedem Kleide,« sprach der König. »Murriano, einen Sessel für Seine Königliche Hoheit!«

»Jedes Kleid, das Eure Königliche Hoheit trägt, ist ein Hofkleid,« bemerkte Prinzessin Angelika mit huldvollem Lächeln.

»Ah! aber Ihr solltet erst meine anderen Kleider sehen,« sagte der Prinz. »Ich hätte sie schon an, aber der dumme Fuhrmann hat sie noch nicht gebracht. Wer lacht da?«

Giglio war es, der lachte. »Ich habe gelacht,« sagte er, »weil Ihr eben sagtet, Ihr hättet es so eilig gehabt, daß Ihr nicht hättet warten und Euch umziehen können; und jetzt sagt Ihr, Ihr kommt in diesen Kleidern, weil Ihr keine anderen habt.«

»Und wer seid denn Ihr?« fragte Prinz Bulbo herausfordernd.

»Mein Vater war König dieses Landes, und ich, Prinz, bin sein einziger Sohn!« erwiderte Giglio ebenso hochfahrend.

»Ha!« sagten der König und Murriano und kriegten rote Köpfe; aber der König faßte sich schnell und sprach: »Lieber Prinz Bulbo, ich habe vergessen, Eurer Königlichen Hoheit meinen teuren Neffen, Seine Königliche Hoheit den Prinzen Giglio, vorzustellen! Lernt einander kennen! Umarmt einander! Giglio, gib seiner Königlichen Hoheit die Hand!« Und Giglio drückte dem armen Bulbo die Hand so kräftig, daß ihm die Tränen in die Augen schossen. Nun brachte Murriano einen Sessel für den königlichen Gast und stellte ihn auf das erhöhte Podium, wo der König, die Königin und der Prinz saßen. Er stellte ihn aber hart an den Rand des Podiums, und als Bulbo sich setzte, fiel der Stuhl um mitsamt dem Prinzen, der sich mehreremale überkugelte und dabei wie ein Stier brüllte. Giglio brüllte bei diesem Unfall noch lauter, doch vor Lachen, und der ganze Hof mit ihm, als Prinz Bulbo sich aufrichtete; denn obwohl er nicht gar so lächerlich ausgesehen hatte, als er den Saal betrat, so erschien er jetzt, da er von seinem Falle aufgestanden war, über die Maßen unschön und albern, so daß alle über ihn lachen mußten. Bei seinem Eintritt in den Saal hatte man bemerkt, daß er eine Rose in der Rand trug; die aber war ihm entfallen, als er umpurzelte.

»Meine Rose! meine Rose!« schrie Bulbo, und sein Kammerherr stürzte darauf los und überreichte sie dem Prinzen, der sie in seine Weste steckte. Da wunderten sich die Leute, daß sie vorhin gelacht hatten; es war ja gar nichts besonders Lächerliches an ihm! Er war ein wenig klein, ein wenig dick, ein wenig rothaarig, ja, aber schließlich – für einen Prinzen gar nicht so übel.

So saßen sie denn und unterhielten sich: die königlichen Herrschaften miteinander, die krimtatarischen Offiziere mit den paphlagonischen, Giglio sehr behaglich hinter dem Throne mit der Schnauzibautz. Er schaute sie mit so zärtlichen Augen an, daß ihr ganz heiß ums Herz wurde. »Teurer Prinz,« sprach sie, »wie konntet Ihr nur so hochmütig reden in Gegenwart Ihrer Majestäten? Ich versichere Euch, ich glaubte in Ohnmacht fallen zu müssen!«

»Ich hätte Euch in meinen Armen aufgefangen!« sagte Giglio mit entzücktem Blick.

»Warum wart Ihr nur so grausam gegen den Prinzen Bulbo, lieber Prinz?« fragte die Schnauzibautz.

»Weil ich ihn nicht ausstehen kann!« sagte Giglio.

»Ihr seid eifersüchtig auf ihn und liebt immer noch die arme Angelika!« rief die Schnauzibautz aus und führte ihr Taschentuch an die Augen.

»Ich habe sie geliebt, aber ich liebe sie nicht mehr!« rief Giglio. »Ich verachte sie! Wäre sie die Erbin von zwanzigtausend Thronen, ich würde sie dennoch verachten und verschmähen. Aber warum von Thronen reden? Ich habe den meinigen verloren. Ich bin zu schwach, ihn wieder zu erlangen – ich bin allein und habe keine Freunde.«

»O saget das nicht, lieber Prinz!« flötete die Schnauzibautz.

»Überdies,« fuhr er fort, »bin ich hier hinter dem Throne so glücklich, daß ich meinen Platz nicht tauschen wollte – nein, nicht um den Thron der Welt!«

»Was habt ihr zwei denn da hinten zu schwatzen?« fragte die Königin, die recht gutmütig war, wenn sie schon an ihrer Weisheit nicht schwer zu tragen hatte. »Es ist Zeit, Toilette für die Mittagstafel zu machen. Giglio, führe Prinz Bulbo auf sein Zimmer! Mein Prinz, wenn Eure Kleider noch nicht gekommen sind, so werden wir uns glücklich schätzen, Euch zu sehen, so wie Ihr seid.«

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Aber als Prinz Bulbo in sein Schlafgemach kam, war sein Koffer schon da und ausgepackt; und der Haarkünstler kam und schnitt und kräuselte ihm das Haar zu seiner höchsten Befriedigung; und als es zur Mittagstafel läutete, mußten die königlichen Herrschaften nicht weniger als fünfundzwanzig Minuten warten, bis Bulbo zum Vorschein kam, und der König, der das Warten nicht vertragen konnte, geriet in die übelste Laune. Giglio aber ließ Madam Schnauzibautz während all dieser Zeit nie allein, sondern stand mit ihr in einer Fensternische und sagte ihr Artigkeiten. Endlich meldete der Kämmerer: Seine Königliche Hoheit der Prinz von Krimtataria! Die hohen Herrschaften begaben sich in den königlichen Speisesaal. Es war eine ganz kleine Gesellschaft: nur der König und die Königin, die Prinzessin, die von Bulbo zu Tische geführt wurde, die beiden Prinzen, Gräfin Schnauzibautz, Murriano, der Minister, und Prinz Bulbos Kammerherr. Sie hatten ein sehr gutes Mittagessen, das kann ich euch versichern: – es soll sich nur jedes Kind das auf dem Tische vorstellen, was es selber am liebsten ißt.

Die Prinzessin redete während des ganzen Essens unaufhörlich auf den Prinzen von Krimtataria ein, der sich ganz erschrecklich überaß und seine Augen überhaupt nie von seinem Teller erhob, ausgenommen, als Giglio, der eine Gans zerlegte, ihn mit einer Menge Füllung und Zwiebelsauce bespritzte. Giglio lachte nur, als der krimtatarische Prinz sich Vorhemd und Gesicht mit seinem duftenden Taschentuch abwischte. Er bat Prinz Bulbo nicht um Entschuldigung. Wenn ihn der Prinz ansah, schaute Giglio stets auf die andere Seite. Wenn Prinz Bulbo sagte: »Prinz Giglio, darf ich die Ehre haben, ein Glas Wein mit Euch zu trinken?« so gab Giglio einfach keine Antwort. Seine Beredsamkeit und seine Blicke galten einzig und allein der Gräfin Schnauzibautz, die, das könnt ihr glauben, an Giglios Aufmerksamkeiten nicht wenig Gefallen fand, das eitle alte Geschöpf! Wenn er ihr gerade keine Artigkeiten sagte, so machte er sich über Prinz Bulbo lustig, so laut, daß die Schnauzibautz ihn immer mit ihrem Fächer antupfte und sagte: »O wie boshaft, Prinz! O pfui, der Prinz hört es ja!«

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»Soll er doch, ich mache mir nichts draus!« sagte Giglio noch lauter.

Der König und die Königin merkten glücklicherweise nichts; denn Ihre Majestät war ein wenig taub, und der König war so sehr mit seinem eigenen Essen beschäftigt und machte überdies mit Schlürfen und Schmatzen einen so schrecklichen Lärm dabei, daß er nichts anderes hörte. Nach Tisch schliefen Seine Majestät und die Königin in ihren Lehnstühlen ein.

Nun war für Giglio die Zeit gekommen, seine Possen mit Prinz Bulbo zu treiben: er trank dem jungen Herrn zu mit Portwein, Sherry, Madeira, Champagner, Marsala, Kirschwasser und hellem Bier, und in allen tat unser Freund Bulbo ihm flott Bescheid. Aber dabei mußte Giglio selbst eben auch trinken und tat leider des Guten zu viel, so daß sich die jungen Herren sehr laut, unartig und albern aufführten, als sie sich nach Tisch den Damen zugesellten; und schwer mußten sie für ihren Leichtsinn büßen, wie ihr jetzt hören sollt, meine lieben Freunde.

Bulbo nämlich ging und setzte sich zum Klavier, an dem Angelika spielte und sang; er sang falsch und verschüttete den Kaffee, als der Lakai ihn brachte, er lachte am unrechten Ort und schwatzte lauter Unsinn und schlief ein und schnarchte abscheulich. Puh, das garstige Ferkel! Aber als er dort auf dem roten Atlassofa hingerekelt lag, bildete sich Angelika immer noch beharrlich ein, er sei das schönste aller menschlichen Wesen. Ohne Zweifel war die Zauberrose, welche Bulbo trug, die Ursache von Angelikas Verblendung; aber ist sie die erste junge Dame, der ein einfältiger Tropf bezaubernd vorkommt?

Giglio setzte sich natürlich zu der Schnauzibautz, deren altes Gesicht er mit jedem Augenblick lieblicher fand. Er sagte ihr die unerhörtesten Schmeicheleien: Einen solchen Engel gebe es nirgends mehr! Älter als er? – Unsinn! Er wolle sie heiraten – keine andere wolle er haben!

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Den Thronfolger heiraten! Das war mal eine Aussicht! Die verschlagene Person holte auch wirklich einen Bogen Papier und schrieb darauf: »Ich, Giglio, einziger Sohn des Königs Savio von Paphlagonien, tue kund und zu wissen, daß ich hiermit verspreche, die liebenswürdige und tugendhafte Barbara Griselda, Gräfin Schnauzibautz, Witwe des seligen Anton Schnauzibautz, Wohlgeboren, zu heiraten.«

»Was schreibst du denn da, du süße Schnauzi?« fragte Giglio, der sich auf dem Sofa am Schreibtisch streckte.

»Nur eine Anweisung auf Kohlen und Wolldecken, die man bei diesem kalten Wetter an die Armen verteilen soll, und Ihr müßt unterschreiben, lieber Prinz! Seht hin! Der König und die Königin schlafen beide, und die Unterschrift Eurer Königlichen Hoheit wird genügen.«

Giglio, der, wie die Schnauzibautz wohl wußte, sehr gutmütig war, unterschrieb die Anweisung auf der Stelle; und als sie nun den Wisch in der Tasche hatte, könnt ihr Euch denken, wie vornehm sie tat. Sie wäre bereit gewesen, selbst vor der Königin aus dem Zimmer zu rauschen, da sie nun die Gemahlin des rechtmäßigen Königs von Paphlagonien war! Sie gönnte Murriano kein Wort mehr, denn nun hielt sie ihn für einen Spitzbuben, der ihrem lieben Gemahl die Krone vorenthielt. Und als die Kerzen gebracht wurden und sie der Königin und der Prinzessin beim Auskleiden geholfen hatte, ging sie in ihr Zimmer und übte wahrhaftig auf einem Blatt Papier: »Griselda Paphlagonia« – »Barbara Regina« – »Griselda Barbara, Paphl. Reg.« und wer weiß was für Unterschriften sonst noch, auf den Tag hin, da sie Königin sein würde, denkt Euch nur!


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