Ludwig Tieck
Die verkehrte Welt
Ludwig Tieck

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Ein Bote tritt auf.

Skaramuz: Was gibt's?

Bote:
O mächtger Gott, der du mit deinem Witze
Von fernher triffst, der du die Leier schlägst,
Du, dem Homer noch manchen Namen gibt,
Die ich nicht all aus Eile nennen kann,
Ich komme dir zu sagen, daß dein Feind,
Den sonst die Sterblichen Apoll genannt,
(Weil sie in schnöder Unerfahrenheit
Die Tage ihres irdschen Daseins lebten),
Daß dieser, o Gebieter, fortgeflohn,
Und, wie man sagt, zu dieser Frist beim König
Admet der Schafe Hürden still bewahrt;
Dort übt er einsam leichte Hirtenlieder,
Und zähmt, wie uns Mythologie berichtet,
Die wilden Bären, Löwen, Panther, Tiger,
Und was ihm sonst noch vor die Fäuste kommt,
Mit himmlischer Gewalt der Harmonie,
Die er dem silbern Saitenspiel entlockt.

Skaramuz: Dort mag er bleiben, und sich also auf die Idylle applizieren; daß er sich aber nur nimmermehr innerhalb der Grenzen dieses Theaters betreffen läßt, sonst soll er mit seinem Kopfe diesen Frevel büßen; – zum Überfluß mag noch ein Steckbrief in die Zeitungen gerückt werden. Geht ab.

Bote: Dein Wille soll vollzogen werden.

Scävola: Ob es wohl eine Tragödie wird?

Pierrot: Nein, meine Herren, wir Schauspieler haben uns alle die Hand darauf gegeben, daß keiner von uns sterben will; folglich geht's nimmermehr durch, wenn es auch der Dichter im Sinn haben sollte.

Scävola: Es ist auch besser so, denn ich bin mit einem gar zu zärtlichen Gemüt behaftet.

Pierrot: Zum Henker, Herr, unsereins ist auch nicht von Stahl und Eisen. Ich habe die Ehre, Ihnen zu versichern, daß ich ungemein fein empfinde; hol doch der Teufel das ungebildete Wesen!

Scävola: Das sag ich auch immer, denn warum sind wir wohl sonst Menschen?

Pierrot: Und sogar Zuschauer?

Scävola: Ei freilich hat das Ding sehr viel auf sich; so ein Zuschauer ist gleichsam das Höchste, was man werden kann.

Pierrot: Freilich! Sind wir denn nicht mehr, als alle die Kaiser und Fürsten, die dort nur vorgestellt werden?

Scävola: Eben darum müssen wir uns auch ganz gewaltig in der Bildung erhalten.

Pierrot: Hochmut will Zwang haben.

Skaramuz: Aber tausend Element! wo bleibt denn, ins Henkers Namen, mein Parnaß?

Grünhelm: Es ist auch wahr, ich will ihn den Augenblick schicken. Ab.

Wagemann: Nun ist ja wohl alles in Ordnung. Adieu, Herr Skaramuz.

Skaramuz: Ergebenster, bitte der Frau Gemahlin meine gehorsamste Empfehlung zu machen. Der Directeur geht ab. Vier Statisten bringen den Parnaß herein. Nur da hingestellt – so – etwas hier weiter her, damit ich den Souffleur besser hören kann. Er steigt hinauf und setzt sich. Recht schön sitzt es sich hier. – Wieviel trägt mir aber der Berg ein? Wer weiß mir das zu sagen? – Der Schatzmeister soll kommen.

Schatzmeister tritt auf.

Skaramuz: Was trägt mir der Berg jährlich?

Schatzmeister: Unter Dero Vorweser war der Kastalische Quell die einzige Einnahme.

Skaramuz: Was war das für ein Quell? Ein Gesundbrunnen etwa? ein Sauer- oder Schwefelbrunnen? Wurde er viel verschickt? Wie teuer verkaufte man die Flasche?

Schatzmeister: Er wurde selten verschickt, und das wenige wurde verschenkt. Fast niemand wollte das Wasser gut finden; Ihr Vorweser, der ci-devant Apollon mochte es gern.

Skaramuz: Und weiter nichts? Hängt kein Vorwerk mit dem Berge zusammen, kein Wiesenwachs? Was hab ich an Vieh, an Gänsen, Hühnern und dergleichen einzunehmen?

Schatzmeister: Von allen diesem weiß ich nichts.

Skaramuz: O so muß ich notwendig meine Grundstücke verbessern; da mag der Henker Euer Apoll sein, wenn so ein magres Einkommen bei der Stelle ist. – Und auch keine Zehnden?

Schatzmeister: Nichts von dieser Art.

Skaramuz: Es sind doch etwa nicht noch gar Schulden auf dem Berg.

Schatzmeister: Nein, Ihro Majestät.

Skaramuz: Nun, das ist gut. So müßt Ihr, Schatzmeister, aber gleich Geld aufnehmen, der Kreditor hat die erste Hypothek. – Steht der Parnaß in der Feuerkasse?

Schatzmeister: O ja.

Skaramuz: So sind wir also vor Unglück gesichert. – Eine Brauerei und ein Backhaus soll da unten zu meinen Füßen angelegt werden.

Schatzmeister: Ganz wohl.

Skaramuz: Die Gemein-Weiden werden abgestellt; mit dem Pegasus und allem übrigen Vieh, das mir gehört, wird die Stallfütterung eingeführt.

Schatzmeister: Ganz wohl.

Skaramuz: Ihr werdet die Bücher darüber gelesen haben, es ist von ausgemachtem Nutzen. – Die Zuschauer haben doch die Komödie bezahlt?

Schatzmeister: Ja, Ihro Exzellenz.

Skaramuz: Ich erlasse ein strenges Verbot, daß alle Freibillets aufhören sollen.

Schatzmeister: Das sind aber alles ganz neue Einrichtungen, mein König, von denen Griechenland nichts wußte.

Skaramuz: Was Griechenland! Wir leben jetzt gottlob in bessern Zeiten. – Apropos, gut, daß ich daran denke. Du sagtest mir vorher vom Kastalischen Brunnen; aus dem Dinge muß ein Gesundbrunnen gemacht werden.

Schatzmeister: Wie ist das möglich?

Skaramuz: Die Möglichkeit ist meine Sorge; genug, daß ich viel Geld dafür einnehmen werde; denn ich will den Leuten weismachen lassen, daß sie sich alle Gebrechen der Seele und des Leibes mit diesem Wasser heilen können – aber – umsonst ist der Tod.

Schatzmeister: Ihr Vorgänger kannte keine einzige Münzsorte.

Skaramuz: Das war auch ein Narr, und ein Mensch, der, wenn man ihn beim Lichte besieht, in die fabelhaften Zeiten fällt. Jetzt aber hat die Aufklärung um sich gegriffen und ich regiere. – Laßt mir einmal die Musen kommen.

Schatzmeister ab.

Die neun Musen treten auf, und verneigen sich.

Skaramuz, mit leichtem Kopfnicken: Freut mich, die wertgeschätzten Mademoisells kennenzulernen. Hoffe, wir sollen uns immer gut vertragen. Sie wohnen nun bei mir auf dem Parnaß zur Miete; wenn Sie ausziehn wollen, müssen Sie mir ein Vierteljahr vorher aufkündigen. – Wie heißen Sie denn, mein schönes Kind.

Melpomene: Ich bin Melpomene.

Skaramuz: Sie sehn so bekümmert aus.

Melpomene: Ach, Herr Apollo! ich bin aus einem sehr guten Hause. Mein Vater war Hofrat, und der Edle ließ mir eine unvergleichliche Erziehung zukommen. Ach! wie war ich in meiner guten Eltern Hause glücklich, und wie bestrebte ich mich, eine gute zärtliche Tochter zu sein! Ich hatte auch einen Geliebten, aber dieser verließ mich aus Stolz, weil er sich hatte adeln lassen; meine Eltern starben nachher vor Kummer. Ein guter Mensch, unser Hausdoktor, nahm sich zwar meiner an, aber er war zu arm, als daß er mich hätte heiraten können, und so bin ich denn aus Desparation unter die Musen gegangen. Hab ich nun nicht ein Recht, traurig zu sein?

Skaramuz: Ja wohl, mein Kind, aber ich will als ein Vater für Sie sorgen.

Scävola Zu einem andern: Nun seht doch um Gottes willen, wie mir da schon die Tränen aus den Augen laufen.

Der Andere: Ei Gevatter, so schont Euch doch zum fünften Akt.

Skaramuz: Und wer sind Sie, schönes Kind?

Thalia: Danke der gütigen Nachfrage, mein Herr; mit meinem Taufnamen heiße ich Thalia, ich habe lange bei den wertgeschätzten Eltern dieser guten Person gedient, und da will ich auch jetzt nicht von ihr lassen, sondern bin ihr sogar bis unter die Musen gefolgt.

Skaramuz: Warte den letzten Akt ab, so kann deine Treue unmöglich unbelohnt bleiben. – Wo ist mein Stallmeister?

Der Stallmeister kömmt.

Skaramuz: Den Pegasus, ich will spazierenreiten. – Stallmeister ab, und kömmt sogleich mit einem aufgezäumten Esel zurück. Hilf mir. Er steigt hinauf.

Stallmeister: In welchem Silbenmaße wollen sich Ihre Gnaden heut erlustigen?

Skaramuz: O Narr, ich will eine schlichte vernünftige Prosa reiten. Denkst du, daß ich mich vom alcäischen Vers will zerstoßen lassen, oder gar in den verfluchten Proceleusmatikern den Hals brechen? Nein, ich liebe Vernunft und Ordnung.

Stallmeister: Ihr Vorfahr flog immer in der Luft.

Skaramuz: Redet mir von dem Kerl nicht mehr; das muß ja ein rechter Hans Narr, ein rechter exzentrischer Esel gewesen sein. In der Luft zu fliegen! Nein, die Luft hat keine Balken, ich lobe mir die Erde. – Adieu, meine Freunde! ich will nur eine kleine Abhandlung über den Nutzen der Familiengemälde reiten, und bin gleich wieder da. Er reitet langsam fort.

Der Vorhang fällt

Scävola: Das war nun nämlich die Einleitung.

Pierrot: So ein erster Akt ist immer zum Verständnis notwendig.

Der Andere zu Scävola: In dem Stück liegt viel Moral.

Scävola: Gewiß, ich fange schon an, besser zu werden.

Pierrot: Die Musik!

Orchester

Adagio. As Moll

Wie alles forteilt! Wie in dieser Sterblichkeit so gar nichts standhält! Womit willst du das Leben des Menschen vergleichen? Mit dem Schatten? Mit der Wolke? Ach! beide sind immer noch zuverlässiger, als dieser Hauch, der uns jetzt beseelt, und im nächsten Augenblicke verschwunden ist.

So erfüllt jetzt der schmeichelnde Ton der Musik die Luft, und jede Luftwelle erzittert vor Freude, und doch darf nur der Finger innehalten, so verstummen alle diese beredten Geister, so fällt das glänzende Gebäude zusammen, und keine Spur aller der Kristalle und funkelnden Regenbogen bleibt zurück, die sich jetzt so majestätisch auf und nieder bewegen. Wenn nicht alles vergänglich wäre, o was fänden wir dann noch zu klagen Ursach?

Das Lachen schweigt, die Begebenheiten des Stücks laufen zu Ende, der Vorhang fällt endlich zum letztenmal, die Zuschauer gehn nach Hause. Einmal kommen sie dann nicht wieder, sie sind fortgegangen, niemand kann sagen, wohin; niemand kann sie erfragen, keiner betritt die schreckliche, grauenvolle Wüste, der jemals wiederkäme. Ach du schwaches, leichtzerbrechliches Menschenleben! Ich will dich immer als ein Kunstwerk betrachten, das mich ergötzt und das einen Schluß haben muß, damit es ein Kunstwerk sein und mich ergötzen könne. Dann bin ich stets zufrieden, dann bin ich von gemeiner Freude und von dem lastenden Trübsinne gleich weit entfernt. O daß nur alle Freunde mit mir bleiben, bis ich selber nicht mehr bin, daß sie kein Seufzer und keine Träne vergebens suchen darf.


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