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Wirtsstube.
Der Wirt: Wenige Gäste kehren jetzt bei mir ein, und wenn das so fortwährt, so werde ich am Ende das Schild noch gar einziehen müssen. – Ja sonst waren noch gute Zeiten, da wurde kaum ein Stück gegeben, in welchem nicht ein Wirtshaus mit seinem Wirte vorkam. Ich weiß es noch, in wie vielen hundert Stücken bei mir in dieser Stube hier die schönste Entwickelung vorbereitet wurde. Bald war es ein verkleideter Fürst, der hier sein Geld verzehrte, bald ein Minister, oder wenigstens ein reicher Graf, die sich alle bei mir aufs Lauern legten. Ja sogar in allen Sachen, die aus dem Englischen übersetzt wurden, hatte ich meinen Taler Geld zu verdienen. Manchmal mußte man freilich auch in einen sauern Apfel beißen, und verstelltes Mitglied einer Spitzbubenbande sein, wofür man dann von den moralischen Personen rechtschaffen ausgehunzt wurde; indessen war man doch in Tätigkeit. – Aber jetzt! – Wenn auch jetzt ein fremder reicher Mann von der Reise kommt, so quartiert er sich originellerweise bei einem Verwandten ein, und gibt sich erst im fünften Akt zu erkennen; andere kriegt man nur auf der Straße zu sehn, als wenn sie in gar keinem honetten Hause wohnten; – dergleichen dient zwar, die Zuschauer in einer wunderbaren Neugier zu erhalten, aber es bringt doch unsereins um alle Nahrung.
Anne tritt auf.
Anne: Ihr seid so verdrüßlich, Vater.
Wirt: Ja, mein Kind, ich bin mit meinem Stande sehr unzufrieden.
Anne: Wünscht Ihr denn etwas Vornehmeres zu sein?
Wirt: Das gerade nicht; aber es ärgert mich unbeschreiblich, daß nach meinem Stande nicht die mindeste Nachfrage geschieht.
Anne: Ihr werdet gewiß mit der Zeit in die vorige Achtung kommen.
Wirt: Nein, liebe Tochter, denn die Zeiten lassen sich sehr schlecht dazu an. O daß ich nicht ein Hofrat geworden bin! Sieh fast alle jetzigen Komödienzettel nach, und immer steht unten: die Szene ist im Hause des Hofrats. – Wenn es länger so fortgeht, lasse ich mich zum Kerkermeister machen, denn die Gefängnisse kommen doch noch in vaterländischen und Ritterstücken vor. – Aber mein Sohn soll durchaus nichts anders als Hofrat werden.
Anne: Tröstet Euch lieber Vater, und hängt Eurer Melancholie nicht so nach. – Wie war es doch damals, als der Waltron erschien? Wißt Ihr noch, wie zu jener Zeit manche Schauspiele fast nur aus Gewehrpräsentieren, Salutieren, Trommelschlag, Reveille und Schießen bestanden? Einen andern Menschen als Soldaten wurde man gar nicht gewahr. Und wie ist dieser Stand jetzt auch vernachlässigt, so daß kaum noch hie und da ein einzelner Obrist sich in den gangbaren Stücken blicken läßt?
Wirt: Was gilt's, ich arbeite mich noch selber zum Poeten um, und erfinde eine neue Dichtart, die die Hofratsstücke verdrängen soll, und in denen die Szene immer im Wirtshause spielt.
Anne: Tut das, lieber Vater, ich will die Liebesszenen auf mich nehmen.
Wirt: Still! – Es fährt wahrhaftig ein Wagen vor. – Sogar eine Extrapost! lieber Himmel, wo muß der unwissende Mensch herkommen, daß er bei mir einkehrt?
Ein Fremder tritt herein.
Fremder: Guten Morgen, Herr Wirt.
Wirt: Diener, Diener von Ihnen, gnädiger Herr. – Wer in aller Welt sind Sie, daß Sie inkognito reisen und bei mir einkehren? Sie sind gewiß noch aus der alten Schule; gelt, so ein Mann vom alten Schlage, vielleicht aus dem Englischen übersetzt?
Fremder: Ich bin weder gnädiger Herr, noch reise ich inkognito. – Kann ich diesen Tag und die Nacht hier logieren?
Wirt: Mein ganzes Haus steht Ihnen zu Befehl. – Aber, im Ernst, wollen Sie hier in der Gegend keine Familie unvermuteterweise glücklich machen? oder plötzlich heiraten? oder eine Schwester aufsuchen?
Fremder: Nein, mein Freund.
Wirt: Sie reisen also bloß so simpel, als ein ordinärer Reisender?
Fremder: Ja.
Wirt: Da werden Sie wenig Beifall finden.
Fremder: Ich glaube, der Kerl ist rasend.
Postillion kömmt.
Postillion: Hier ist Ihr Koffer, gnädiger Herr.
Fremder: Und hier ist dein Trinkgeld.
Postillion: O das ist wohl zu wenig. – Ich bin den Berg herunter so herrlich gefahren –
Fremder: Nun da!
Postillion: Großen Dank. Geht ab.
Fremder: Ob ich sie noch wiederfinde? – O wie sich alle meine Gedanken nach der geliebten Heimat wenden! Wie soll ich den Anblick ertragen, wenn sie mir wieder gegenübersteht? Wenn die Vergangenheit mit allen Freuden und Schmerzen an mir vorüberzieht? O du armer Mensch! was nennst du Vergangenheit? Gibt es denn eine Gegenwart für dich? Zwischen der verflossenen Zeit und der Zukunft hängst du an einem kleinen Augenblick mitteninne, und jede Freude geht nur schnell vorbei, und vermag gar nicht in dein Herz zu dringen.
Wirt: Wenn's zu fragen erlaubt ist, so vermute ich, Dieselben sind aus einem alten verlegenen Stück, das ein unbekannter Verfasser so etwas neu aufgestutzt hat?
Fremder: Was?
Wirt: Wenn Sie nur Beifall finden! – Geld müssen Sie doch wenigstens haben; oder dient es etwa in Ihrem Kram, daß Sie sich arm stellen?
Fremder: Sie sind sehr neugierig, Herr Wirt.
Wirt: Das muß ich sein, mein Herr, da können Sie jeden Sekundaner fragen. Das Alter muß alt sein, Telephus muß als Bettler erscheinen, der Sklave muß seinem Stande gemäß sprechen. Sie dürfen nur die ars poetica nachschlagen, und der bin ich als Wirt auch unterworfen.
Fremder: Ich danke Ihnen für die schöne Raserei; von dieser echten Rarität hab ich bis jetzt noch keine angetroffen. Haben Sie die neusten Zeitungen?
Wirt: Hier! ein merkwürdiger Steckbrief ist darin abgefaßt.
Fremder liest: "Es ist aus gefänglichem Gewahrsam ein Landstreicher gebrochen, der sich für den Apollo auszugeben pflegt. Er ist an einem silbernen Bogen kennbar und gelocktem Haar, jugendlichen Angesichts und pflegt viel zu singen, auch in der Luft zu fliegen. Es will verlauten, daß er sich als Schäfer soll verdungen haben. Jede Obrigkeit wird gebeten, ihn auszuliefern, da an diesem Verbrecher viel gelegen ist. Die etwanigen Unkosten sollen ersetzt werden."
Wirt: Man soll dem Spitzbuben schon auf der Spur sein.
Fremder: Ich habe ihn sonst recht gut gekannt, und es ihm oft vorhergesagt, daß es so weit mit ihm kommen würde, da er sich durchaus auf keine ernsthafte Studien legen wollte. Das kömmt von der Belletristerei, wenn man sie nicht zum Nutzen der Menschheit anwendet. – Weiß man nicht, was er verbrochen hat?
Wirt: Er soll sich unterstanden haben, die Phantasterei einzuführen, hat Tragödien geschrieben, und darin auf das Schicksal und die Götter geflucht, hat die moralische Tendenz durchaus vernachlässigt; in Summa, er hat der ganzen kultivierten Welt ein großes Ärgernis gegeben.
Fremder: Es sollte an ihm ein Exempel statuiert werden.
Wirt: Wenn sie seiner habhaft werden, wird es gewiß daran nicht ermangeln.
Fremder: Führen Sie mich auf mein Zimmer. Sie gehn ab.