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Jack London

Ein Dichter, der sich internationaler Berühmtheit erfreut, in Deutschland aber bis jetzt kaum bekannt geworden ist, wird uns jetzt durch eine Anzahl von Übersetzungen nahegebracht, die im Verlage Gyldendal in Berlin erscheinen. Es ist Jack London, und die bis jetzt erschienenen Bände heißen: »In den Wäldern des Nordens«, »Abenteuer des Schienenstranges« und »Südseegeschichten«. Das erste Werk ist eine exotisch farbige Kette von Novellen, die im äußersten Norden Amerikas spielen, der zweite Band enthält Abenteuergeschichten eines jungen Vagabunden, der dritte bringt Legenden und kurze, außerordentliche Bilder aus dem Dunstkreis der Südsee – es sind echte Dichtungen von einer Kraft und Glut, die ihresgleichen nicht hat. Der erstgenannte Band würde zwar Jack London nur zum guten Erzähler stempeln. Das sachliche Interesse an den primitiven Menschen und ihrem Kampf gegen die innerlich ebenso primitive, aber technisch raffinierte Welt der Zivilisation überwiegt und entscheidet. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Eingeborene unterliegen muß. Ihm gehört Jack Londons Sympathie, man fühlt es in jeder Zeile. Es fließt viel Blut in diesem Buche, mit Grausamkeiten wird nicht gespart, in einer kleinen Zeile wird von einem Kinde, einem drei Monate alten Säugling erzählt, das man aus Aberglauben auf Dornen liegen läßt, bis es stirbt. Die Sachlichkeit ist ungeheuer, von keinem mir bekannten neueren Schriftsteller erreicht, dennoch bleibt man innerlich nur widerwillig gefesselt, im Augenblick der furchtbaren Erscheinung krampft sich wohl das Herz zusammen, aber es bleibt nichts von Dauer zurück. Daß die primitiven Kulturen, deren innere Gültigkeit wir in den letzten Jahrzehnten an zahllosen Werken ihrer bildenden Kunst, geschnitzten Statuen, bemalten Götzenbildern, an Tänzen und einfachen, lapidaren Gesängen immer wieder bewiesen finden – daß diese primitiven Kulturen dem Untergang geweiht sind, daß sie im Laufe von Jahrzehnten durch eine unsichere, kalte, stumpfsinnige, vom Christentum giftig gefirnißte Zivilisation vernichtet werden, das ist uns nichts Neues. Es ist wohl als Thema ebenbürtig dem Kampfe um Troja, aber wo ist hier auf der Freundesseite eine Helena und ein Priamus, auf der Feindesseite ein Achilles und Patroklus, unvergängliche Gestalten sie alle? Sind wir wirklich Freund und Feind? Die Helden der Jack Londonschen Kämpfe haben wohl Waffen, aber kein Gesicht, sie sprechen wohl eine dichterische Sprache, haben aber kein echtes Blut, deshalb lassen sie kalt, obwohl uns doch dieses äußerste Thule, die Landschaft dieser Kämpfe durch die zahlreichen arktischen Filme nahe gerückt worden ist.

Auch in dem zweiten Buche ist die Individuation (die deutsche Sprache hat keinen richtigen Ausdruck für diesen Begriff der Persönlichkeitsschöpfung) nicht sehr weit getrieben. Aber hier ist eine so tolle Bewegung in Szene gesetzt, der Schauplatz wechselt in so rasender Schnelle, der innere Grundzug, das Hungern und Haschen nach Freiheit ist etwas so Natürliches, etwas so bezaubernd Menschliches – ja dieser bezaubernde Mensch Jack London ist es in seiner eigensten Person, in einer fabelhaft lebensfreudigen Selbstaufnahme, der aus einem fahrenden Eisenbahnzug herausspringt, weil er als verlumpter Vagabund, als pennyloser Tramp von den Beamten der C.A.P.-Bahn herabgejagt wird, aber welche Listen, welche Schliche, wieder auf den fahrenden Zug hinaufzugelangen, welche genialen Überfälle auf die argwöhnischen Geister der besoldeten, bürgerlichen Beamten, welche Kraft, welche Lust, welche spitzbübische Freude, wenn der Vagabund seine an sich doch nutzlosen Reisen, kreuz und quer durch das Land der arbeitenden Menschen unternimmt, er allein ohne Arbeit, bald bettelnd, bald hungernd, bald ungerecht verurteilt, bald unter Lebensgefahr geduckt unter die rasenden Waggons, während ein tückischer Beamter einen Schlagbolzen losmacht und ihn an einer Kette unter die sausenden Waggons schwingt, so daß der unselige, unsichtbare Reisende um sein Leben zittern muß. Welche Freundschaften, welche herrliche Vertrautheit zwischen Mann und Mann. Frauen kommen in diesem Werk fast nicht vor, höchstens daß sie um Speisen angebettelt werden und mit Lügenmärchen reichlich bezahlt. Man kann es nicht anders sagen, das Herz geht dem Leser dieser herrlichen Freiheitskämpfe auf. Es ist das Bezauberndste, was seit Jahren geschrieben, worden ist. Auf einem beigelegten Prospekte ist der Held dieser Trampgeschichten, ist Jack London, fotografiert. Ein prachtvoller Junge, mit einem stillen, aber unzerstörbar freudigen Lächeln um den willensstarken Mund; die Augen scharf, etwas zusammengekniffen, nein, zusammengerissen, ein Beobachter von unerhörten Qualitäten. Der Mund groß, mit weiten, weichen Lippen, ein Erzähler von Natur, wie Homer und Tolstoi es waren.

Mit neun Jahren war dieser Mann, der Sohn eines verarmten Landwirtes in den Weststaaten, ein Zeitungsverkäufer, mit zwölf Jahren ein Fabrikarbeiter mit zwölfstündiger Arbeitszeit und zehn Cents Stundenlohn, nachher ein Plünderer von Austernbänken, selbständiger Unternehmer, »König der Austernräuber«, mit achtzehn Jahren als anonymes Glied eines Arbeiterheeres vorwärts nach San Franzisko. Schnell freigeworden, zu einem Gemeinschaftsleben unfähig, beginnt er das tollste Wanderleben in dem freiesten Staat der Welt. Elend, dauernde Gefahr, wilde Abenteuer, kein Abenteuer der Seele, nur solche des Körpers, der immer auf der Suche ist nach Nahrung, Wärme, Lagerstatt und der, auch darin dem Tiere gleich, immer frei schweifen will und muß. Erntearbeiter, Landstreicher und Goldsucher in Klondyke, bei den Schatzgräbern. Jetzt beginnt seine dichterische Laufbahn, immer vom Autobiographischen, getränkt, aber sich nicht im Autobiographischen erschöpfend. Menschen, die Interessantes, nie Wiederkehrendes erlebt haben, deren gibt es unzählige. Solche, die es gut wiedererzählen können, schmucklos phrasenlos, einfach, bezaubernd, deren gibt es wenige. Solche, die aus dem einzelnen Gebilde eine Welt schaffen können, solche, die Gesicht bekommen, weil sie das Geheimnis der Persönlichkeit haben und dazu die Kraft, die Gewalt der schöpferischen Phantasie des Glaubens – solche Männer sind selten, wie Jack London selten ist. Nach der Idee darf man nicht suchen, sie ist ganz in den Mantel der Erscheinung eingehüllt. Aber die Erscheinung muß nur leben, sich regend bewegen, dann tritt auch die Idee vor die Sache, und das, was Jack London bewußt vielleicht nie angestrebt hat, die Dichtung, steht in blühendem Leben vor uns. Denn Dichtung sind die Erzählungen aus dem Dunstkreis der Südsee, Dunstkreis in dem echtesten Sinn dieses Wortes verstanden: Tierwelt und Seelenwelt, Meer und Götter, Menschenseelen, Teufelsdämonen, europäische und polynesische, Taifune und stilles, friedliches Meer, Freundschaften zwischen Männern, Liebe, Altern, Sterben und Geborenwerden, alles wird man in dem wundervollen Buche finden. Man kann die zauberkräftige Gewalt dieser schmucklosen Erzählungen nicht beschreiben, man müßte die Erzählungen wie sie sind hierhersetzen.

Der Dichter lebt nicht mehr. Er hat den Widersinn des Weltkrieges nicht überdauert. Er starb, nicht in ihm, sondern wie der ganz anders geartete, aber ebenso echte, bezaubernde Georg Trakl an ihm.

Man muß dem Verlage Dank wissen für diese Bände. Das Übersetzte soll nur ein Teil des Lebenswerkes sein. Die Übersetzung von Erwin Magnus ist genau, ist gut gemeint und stört nicht. Einige Stellen leiden freilich an Plumpheit und Undeutlichkeit, die dem Original kaum eigen sind. Einerlei – diese Bücher werden nicht wieder verschwinden.


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