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Der Prager Dichter Max Brod hat die Geschichte des kurzen Lebens und langen Sterbens seines Freundes Franz Kafka geschrieben. Mit blendender Lichtfülle zeichnet sich das Bild eines großartig schöpferischen Menschen ab, der mit Recht von sich sagen konnte, es sei eine ungeheure Welt, die er im Kopfe habe. Es ist keine wohnliche, freundliche Welt. Dämonen und Lemuren hausen in ihr, und wenn sich bei dem strahlenden Poeten und Lieblingskind des Glückes Andersen das verkannte und gequälte und überlebensgroße Entlein am Schlusse zu unserer Freude als himmlischer, stolzer Schwan entpuppt, so verwandelt sich bei dem Andersen mit negativen Vorzeichen, Franz Kafka, der Durchschnittsmensch in ein überlebensgroßes Ungeziefer, in eine gigantische Wanze (»Die Verwandlung«), und endet scheußlich durch die Hand seines Vaters, der ein solches Stück Mist nur schnell von der Erde vertilgen will, ohne sich eine Schuld zuzuschreiben, daß es vielleicht erst durch ihn so geworden ist.
Aus den mit Dokumenten und Briefen bereicherten Schilderungen Max Brods geht hervor, daß Kafka in seinem Vater das erste Objekt seiner Liebe – einer unglücklichen Liebe, gesehen hat, und das geht auch aus einer anderen Novelle Kafkas, dem meisterlichen »Urteil«, hervor. Der Vater war brutal, etwas zu lebenssüchtig, skrupellos, Familientyrann, Diktator im Klubsessel und auf dem Geschäftsschemel, ohne Verständnis für den zart besaiteten Sohn – aber ohne Haß, wie oft brutale Menschen eine gewisse Gutmütigkeit zeigen. Ist er also die Ursache des unseligen Lebens seines Sohnes? Auch Schiller, Beethoven hatten brutale Väter, sie wurden trotzdem oder ebendeshalb zu wütenden Optimisten, rasanten Lebensbejahern! Bei Kafka liegt es tiefer, es ist der Dämon, ja der leibhaftige Böse in der eigenen Brust. Nicht über ihm saß der Richter, sondern in ihm, deshalb konnte kein Urteil Frieden und Versöhnung bringen.
Kafka ist groß geworden durch Einsamkeit. Er wollte groß werden, die Literatur war der einzige Zweck und Grund seines Lebens. Hier steht er ganz im Gegensatz zu Kleist, der sein Ideal außerhalb seiner selbst und seiner Kunst suchte, der seinem Ideal sich nicht gewachsen glaubte und daran heroisch zugrunde ging. Kafka hat kein Ideal außer dem Kunstwerk. Flaubert, Goethe sind seine Götter, hier allein stimmt er der Welt zu, dies allein läßt er gelten. So rät er auch dem viel weicheren Freund, sich völlig von der Welt abzuschließen, nicht einmal mit anderen zu reden. Und tatsächlich ist das Lebenswerk dieses jung gestorbenen Kafka sowohl durch den Umfang als auch durch die großartige »Dichtigkeit«, die philosophische Tiefe imposant. Man muß sich diesem großen Willen beugen, muß das Überwältigende der Leistung anerkennen.
Kafka war ein großer Mensch, viel größer als der Vater, er war ein Diktator, der sich aus seinem Lehnstuhl erhoben hatte, dessen Geschäft nicht das Zusammenraffen von Geld war. Er ist in die Hölle hinabgestiegen, und es sind Höllenbilder, die er von unten mitgebracht hat.
Aber war es die Hölle seiner Zeit? Er erlebte den Weltkrieg und seine stupiden, schauerlichen Folgen mit. Kein Wort davon in seinem Werk, keine geringste Andeutung in den Tagebüchern. Diese Hölle ließ ihn eiseskalt. Die Judenfrage? Gegen das Ende seines Lebens hin sind Gärtnerarbeit und Hebräisch sein Lebensinhalt (außer dem Schreiben). Aber er, der Jude, sagt: »Ich habe mit Juden nichts gemein.« Er hat mit niemandem etwas gemein. Er hat sich niemals jemandem ganz hingegeben, weder dem herrlichen Freunde noch einer schönen, guten und reinen Braut, der er das Leben zur Hölle gemacht hat. Ohne es zu wollen, aus Trieb? Er sagt darüber: »So wie ich es mir vorstelle, trägt sie wesentlich durch meine Schuld ein Äußerstes an Unglück. Ich selbst weiß mich nicht zu fassen, bin gänzlich gefühllos, denke an die Störung einiger meiner Bequemlichkeiten und spiele als einziges Zugeständnis etwas Komödie.« An anderer Stelle, mit klassischem Vergleich, mit packendem, unvergeßlichem Bild wie so oft: »Man dürfte kein Spielzeughämmerchen anstelle des Herzens haben.«
Er hat kein Gemeinschaftsgefühl, auch mit der Familie nicht. Aber er braucht die Welt, er muß warmes Herzblut haben, um seine Visionen zu tränken, denn woher sonst sollten sie Leben bekommen? So saugt er sich an die Dinge dieser Welt und an ihre bittersüßen Herrlichkeiten heran, er gibt sich »zu Ferienreisen« hin, aber kaum ist der andere warm geworden (man sieht es deutlich an dem so getreuen Eckehart Brod), so ist der Dämon satt und kalt wieder zurückgekehrt zu sich.
Aber ist er wenigstens gut zu sich? Nein, er erträgt sich selbst nicht, er »wünscht sich jeden Tag von der Erde weg«. Ist er zu schade für die Menschen oder die Menschen zu schade für ihn? »Auch ich würde mir gerne ausweichen«, sagt er. Er ist also der Kalte und Böse, und wenn die Menschen in ihrer Blödheit und Gemeinheit auch manchmal irren, so ist er doch in seinen eigenen Augen der Strafwürdigste, und so kommt das Motiv der ungeheuren, überlebensgroßen Strafe immer wieder in sein Werk und in sein Leben, bis zum letzten Augenblick. Unrein ist seine Beziehung zur Frau, in der er nichts Reines sieht. So verbringt er einmal eine Nacht mit einer armseligen, traurigen Dirne, kalt steht er auf: »Ich habe sie nicht getröstet, da sie mich nicht getröstet hat.«
Er suchte, unbarmherzig wie Ibsens Brand, aber nicht gottgläubig wie dieser, die Wahrheit. Er suchte sie nicht schwach und menschlich wie Hamlet. Er hat gesiegt, er hat gewaltige Werke hinterlassen. Er hat bezahlt. Er hat niemals die Versöhnung der Wahrheit mit der Liebe gekannt, den Pardon. Wer aber von uns schwachen Kreaturen wollte ohne Pardon leben?