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Von der Wollust der Dummheit

1

Bodenlose Dummheit. Weil bodenlos, auch so unbegreiflich. Wo wäre der ekstatische Patriotismus der Masse, das letzte Ergebnis von heute, ohne eine bodenlose Dummheit, die vom Faschismus ihre grenzenlose Entfaltung verlangt und auch erhält. Daß man nämlich die löbliche, nicht weiter aufregende Heimatliebe auswerten konnte in eine aggressive, exklusive; asiatisch fanatische Vaterlandsliebe, das setzt einen Grad von massiver Dummheit voraus, den man nur zum Teil künstlich zu erzeugen hatte. Jeder bleibe, wer er ist. Ein jeder sei stolz nur auf das Geborensein in einem Lande. – Dem einzelnen sagt es nichts, denn er möchte am liebsten stolz sein auf sich oder seine Kinder, aber der Masse klingt es herrlich in den Ohren.

2

Komische Eigenschaften der Dummen: nicht etwa ihresgleichen besonders zu fördern, sondern die Halbklugen, die Mittelmäßigen. Nach magischen, dem Verstände unbegreiflichen Gesetzen, eben denen der Dummheit, wählen sich Millionen den Führer, den kein einzelner gewählt hätte. Dadurch bekommt er Gewalt. Die Erscheinung Napoleons ist nicht typisch, denn er hatte schon vorher Genie. Aber auch die Wahl des Mittelmäßigen zum Tyrannen hat etwas für sich, denn die Mittelmäßigkeit besitzt, was dem Extremen fehlt – eine Art Ewigkeit. Die Mitte ist beständig. Sie überlebt alles.

3

Es gibt einen Grad von Dummheit, der jedes echte Gefühl ausschließt. Es gehört nämlich zum Wesen der Dummheit, daß sie sich bewußt, stur und fühllos weigert, sich der Welt, das heißt der Wahrheit, hinzugeben. Sie habe es nicht nötig, meint sie. Die Tatsachen passen sich ihr an, weil sie müssen. Die Dummheit wird mit jedem Säugling neu geboren, sie quillt mit Notwendigkeit aus der Erde, und deshalb gehört die Erde den Dummen.

4

Der phlegmatische Dummkopf ist dem melancholischen oder sanguinischen weit voraus. Dagegen ist fast jedem Dummchen etwas cholerisches Blut von Vorteil; viele gewaltige Dinge gelingen den Dummen im Zorn. Aber sonst: eiserne Ruhe. Das bedeutet kein Gehirn, keine Reue, kein Herz. Aber auch kein Zweifel, keine Qual des Gewissens – und alle Kraft für das Ziel. Die Dummen erreichen oft das Ziel der Klugen, ohne es zu wissen.

5

Die Dummheit etwa aus Versehen zu schädigen straft sich immer schwer. Man rühre nicht an sie. Die Diktatoren haben die Psychologie und Taktik der Dummen mit einer Art Genie in der Hand: Man drängt die Dummen so dicht aneinander, daß sie nichts mehr sehen können, sich selbst ausgenommen, und zwar noch meist von rückwärts. Wie könnte man sonst 10 000 zusammenbringen auf einen Platz? Dann braucht man keine Kritik zu verbieten. Es gibt eine Art ungeheuer stark zusammengepreßten Mülls, der härter und sicherer ist als Stein. Und unverbrennbar. Darauf bauen sie.

6

Eine Methode kann Schiffbruch leiden, ein feines, ausgeklügeltes System kann sich überleben. Die dumme Systemlosigkeit aber, das »den Dingen ihren natürlichen Lauf lassen«, kann, mit guter Polizei versehen, sehr lange leben.

Wenn einer den Diktator entlarvt, beim dummen Plebs wird er damit meist kein Glück haben. Denn hat die Masse in ihrer mißtrauischen Dummheit sich einmal überwunden und irgendeinem Menschen Vertrauen geschenkt, dann bleibt sie dabei so lange wie möglich: Denn Trägheit ist ihre Form der Treue. Die einzige Gefahr der Despoten ist, daß sie auch einmal sterben müssen. Und je näher man sie zu den Göttern versetzen wird, desto schwerer wird es einen Nachfolger haben. Lange Folgen von Diktatoren kennt daher die neuere Geschichte nicht, hier kann also die Systemlosigkeit nicht zum ewig währenden gültigen Gesetz werden.

Die Dummheit ist unsterblich, die Dummen nicht. Sonst kletterten wir alle noch auf Bäumen herum und würfen mit Nüssen und schnatterten einander zu, dies sei der natürliche Lauf der Dinge.

7

Hat wirklich jeder das Recht, so dumm zu sein wie er will? Viele Diktatoren schärfen, dieses Recht ohnehin allen zubilligend, ihren Sklaven ein, ja nicht über Gebühr klug zu werden, und beschwichtigen etwa rebellierende Geister damit, daß die Dummheit bei keinem ausschließe, daß er seinen persönlichen Vorteil rücksichtslos wahrnehme, ein Anteil an den Gütern des Lebens, der dem Dummen schon deshalb zustehe, weil dieser mit der Masse geht. Und die Dummheit lebt gerne und gut, sie ist meist schlauer und praktischer schon wegen der Enge ihres Horizontes. Gerade in diesem Punkt überschätzen sich die Klugen und sind sogar stolz darauf, gegen ihren eigenen Vorteil zu handeln. Daß sie sich aber untereinander tausendmal schlechter behandeln als die Dummen, ist ihr Verderben. Und darin, daß sie es nicht einsehn, erweisen sie sich ebenfalls als dumm genug.

8

Ein großer Vorteil sowohl der Dummen als auch der Lügner besteht darin, daß dieser Zustand des Lügners und des Dummen durch den bloßen Willen erheblich gebessert werden kann. Lügner und Dummköpfe haben als letzte Reserve immer noch die Möglichkeit, sich zu ändern und in die Schule zu gehen. Die Klugen haben sich aber ohnedies schon soweit als nur irgendwie möglich vorgewagt. Die rauhen Tatsachen stoßen sie zurück und hinab, während sie im schlimmsten Fall dem Dummen und dem Lügner wieder aufwärts helfen. In diesem Sinne haben es der Dumme und der Lügner besser. Sie haben noch viel vor sich: Mindestens sich.

 

9

In den Augen der Dummen ist Gott dumm. Das Volk will Gott dumm. Ein Gott, der Chemie und Relativitätsphysik verstände, wäre nicht nach ihrem Herzen. Luther sagte: Deus stultissimus. Das Wort könnte von Hitler sein, wenn dieser Latein könnte.

10

X ist so klug, daß man ihn nur mit aller Mühe versteht. X ist so dumm, daß man ihn auch bei aller Mühe nicht versteht.

11

Bedeutende Völker oder Menschen ohne Erfolg sind für alle Welt beschämend und schädlich. Außerdem treten sie stets mit einer gewissen Gutmachungsforderung auf, auch wenn sie diese mit gespielter Bescheidenheit etwas verbergen möchten. Vor allem aber beweisen sie durch ihren Mißerfolg gerade den wertvollen Nebenvölkern und Nebenmenschen, wie vergeblich ein höheres Streben ist, und schrecken also diejenigen ab, die kraft solcher Ideale vorwärtskommen wollten. Nun aber sagen sie beim Anblick der zerlumpten Ideale und abgetretenen Grundsätze: »Es wird schon alles seinen Grund haben, nach außen sieht es ja so superklug aus, aber im Grunde ...« Und so legen sie sich beiseite und geben der Dummheit nicht nur den Sieg, sondern auch recht.

12

Die Dummheit teilt eines mit der Schönheit: sie behagt sich, sie gefällt sich selbst. Dies ist die erste Voraussetzung des Genießens. Manchmal aber steigert sich dieser Genuß an sich selbst zur Wollust, freilich zu einer trägen, in sich selbst stupid eingesponnenen, zu einem wort- und gedankenlosen epischen Rausch. Bei Tage kommt man schwer dazu. Es existiert ein »Wille zur Nacht«, der viel verbreiteter ist als der nur wenigen zugängliche und zur Einsamkeit verurteilende »Wille zur Macht«. Fast keiner entgeht ganz diesem Willen zur Nacht, zum Tode, zum Lichtauslöschen, zum Flachhinlegen, zur Dummheit.

Wenn man bedenkt, was mit dem Tode eines wahrhaft großen Menschen verlorengeht, erkennt man die unbegreifliche Dummheit des Todes.


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