Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Erster Teil

Der Strom

 

Das erste Kapitel

»Ich bin da! Ich bin da!«

Das eiskalte Wasser schoß ihm durch die Kiemen, als er den Kopf aus der Eihaut gebracht hatte und den ersten Atemzug tun mußte. Das kleine Maul stand ihm vor Schreck offen. Dann führte die Strömung die Eihaut hinweg, und er gewahrte sich als winziges Geschöpf, durchsichtig wie das Wasser, schmal und bläßlichbraun wie ein Weidenblatt im Herbst.

Das Wasser hätte ihn beinahe fortgerissen; denn eine heftige Bewegung mit den Flossen, als es mit eins licht ward und er das Geriesel über den Leib fühlte, trug ihn aufwärts, wo die Strömung stärker ging. Das erschreckte ihn so, daß er einen Schlag mit der winzigen Schwanzflosse tat; und da der Kopf unförmlich groß und schwer ist, sank er gerade noch am Rand der Nestmulde auf Grund und blieb dort, betäubt von dem gewaltigen Ereignis seiner Geburt, des Lichts, des Atems und Elements, reglos auf dem weißen Kies liegen.

Seine Eltern sind herrische stolze Lachse.

Fast zwanzigmal hat Mutter Lachs die weite Fahrt von der Rheinmündung bis in die hinterste Schlucht des Sankt Gotthard gemacht, aus der der Vorderrhein talwärts stürmt.

Viele Monate dauerte die Fahrt; viele Monate folgte 10 ihr der herrische und herrlich gewaffnete Mann, der seinen silbernen Harnisch mit dunklen Rückenschilden geziert hatte, und ein trotziges und unbeugsames Wesen annahm, je höher die Fahrt ging.

Gegen den Oktober erst befand das Paar sich am Ziel. Hier ist Mutter Lachs geboren, vor vielen Jahren, an die sie nur mehr eine dunkle Erinnerung hat. Hier hat sie, o wie oft, die Nestgrube in weißen, kiesigen Sand gehöhlt. Hier ruht sie eine Weile von der Bergfahrt aus, freut sich über die Kraft und den Stolz des Mannes, der jeden Nebenbuhler blutig abschlägt oder tötet, und besorgt dann das wichtige Geschäft des Eierlegens, zu dem sie sich gute Tage Zeit läßt. Dann ist sie müde; und weil das Wasser unermüdlich ist, läßt sie sich treiben. Den klugen und stolzen Kopf bergwärts gewendet, fließt sie unter der hohen Wölbung föhnigen Himmels, durch gilbende Bergwiesen, zwischen brennenden Ahornen, schwarzen Fichten und glühenden Buchen ins tiefere Land hinaus.

Den Mann hat sie nicht mehr gesehen. Vielleicht ist er noch droben bei der Nestgrube, denn es kamen jüngere Lachsfrauen in den letzten Tagen. Sie ist nie eifersüchtig gewesen; es ist so Brauch in ihrer Sippe. Vielleicht hat ihn der Mensch erschossen oder erdolcht. Sie kennt das alles, und es bewegt sie nicht. Sie ist nur müde und ein wenig traurig. Dieses Gefühl ist immer in ihr, wenn sie nach der großen Hochzeitslust meerwärts zieht. Sie sehnt sich aus den harten Gewässern nach der sanften Umwellung des Meeres.

Mit den stürzenden Herbstregen kommt sie in die Seen 11 der Hochtäler, durchschwimmt sie gemächlich, wandert zwischen breiteren Ufern, zieht um die Weihnachtszeit unter grüner Eisdecke, in dämmeriger Stille rheinabwärts und gelangt mit den Schmelzwassern und treibenden Schollen, unterm donnernden Eisstoß vorsichtig steuernd, im Februar ins Meer, das weich und schwer, geheimnisträchtig und allen Lebens voller, sie aufnimmt.

Um dieselbe Zeit beinahe ist ihr Sohn droben in der Nestgrube unter dem Eis des silbergebändigten Vorderrheins ins Leben geschlüpft.

»Ich bin da!« so hat er den frohen Schreck des Lebens gefühlt. Dann ist er einen halben Mond lang reglos gekauert auf dem kiesigen Grund der Mulde. Am Bauch hängt ihm ein gelbes Säckchen, davon er sich recht und schlecht über die ersten Wochen durchfüttert. Natürlich weiß er nichts davon, und daß er nie hungrig ist, kommt ihm nicht zu Bewußtsein, weil er immer satt ist. Er ist ganz Auge, und das ist fast buchstäblich so. Immer noch ist sein Kopf größer, als er ihn brauchen kann, und in dem Kopf stehen zwei große, weitsternige Augen. Bewegen kann er sie nicht, aber er sieht sehr gut und sehr scharf, und was er sieht, merkt er sich. Teils staunt er, teils erschrickt er. Aber er rührt sich nicht.

Bei Tag, wenn die Sonne durch das Eis scheint, fühlt er Wärme über den Rücken, und das gefällt ihm. Er betrachtet die Blitze und farbigen Lanzen, die aus den Wellen fahren und vom Eis zurück ins Wasser. Er hört sehr gut das immerwährende Gurgeln und Glucksen; er döst vor sich hin; wahrscheinlich schläft er stundenlang. Dann sieht er nichts, obwohl er die Augen immer offen hat, 12 und er hört auch nicht deutlich. Er fühlt nur die schaukelnde Bewegung des Elements um sich her, weiß sich getragen von ihm, läßt mit sich tun, wie es den kleinen Wellen gefällt, gibt ihnen gerne seine winzigen Flossen zum Spiel, atmet leicht und glücklich, und weiß sich im Leben gut aufgehoben.

 


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