Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Trügerische Heimkehr

Ostwärts schwimmt der Lachs. Herrische Unruhe ist in ihm und sagt ihm, daß er das Meer verlassen müsse. Ganz anders ist diese Unrast als jene, die ihn in der Gegend der Nestmulde überfiel und ihn das Meer suchen hieß. Das Meer hat ihn gerufen. Aber zum heimatlichen Strom will sein Wille. Das Meer hat ihn an sich gerissen. Er hätte vielleicht auch ohne das Meer leben können. Aber ohne den Strom kann er nicht leben, will er nicht leben. Vor dem Meere ist er beklommen und scheu wochenlang gekreuzt. Den Strom wird er leidenschaftlich suchen. Er braucht ihn, er ist seine Heimat. Ist er das? Oh, natürlich! Heimat ist dort, wo man geboren ist. Aber ist nicht das Meer die große, sehnsüchtige Heimat? Er weiß es nicht. Fort, nur fort! Er wird sterben, wenn er länger im Meer bleibt! Es wird ihm ergehen wie der sanften Frau im goldenen Gewand. Aber er will nicht sterben. Oh, keineswegs! Er hat doch erst angefangen zu leben, und es ist schön zu leben, und nichts Schöneres ist, als zu wissen, daß man lebt. Fort, nur fort!

Als nach Tagen und Nächten weißer Klippengrund unter ihm sich aufhebt; als er merkt, daß die Wellen und der Zug des Wassers stoßweise gegen ihn fahren, da verhält er, und eine Ahnung sagt ihm, daß er jetzt bald zu Hause sein wird.

Ho, Verwandte! Lange hat er keine mehr gesehen und hat vergessen, daß er Verwandte auf der Welt hat. Jetzt freut er sich. Da und dort tauchen ihrer auf. Junge mit den drei dunklen Querbinden; ältere, die ihm sehr ähnlich 216 schauen. So große wie Mutter Lachs findet er nicht. Wahrscheinlich sind die lange fort und auf Wanderschaft in die Gebirge.

Ein Trüpplein kreuzt vergnügt nahe der Einmündung eines Bergstroms, der in einem hohen Wasserfall vom Lofotenrand herabstürzt. Ab und zu kommt süßer Schwall daher. Oh, Heimat!

Vielleicht Heimat! Aber nicht seine Heimat! Das gewahrt Laikan, als er näher dem Rand des Meeres kommt.

Klippen, scharf und unfreundlich, stehen dort, bald schneeweiß, bald ergrünend von Algen und Tang. Schmale Streifen härtesten Kieses säumen kurze Strecken weit ein trotziges Ufer. Dann stürzt nacktes Gefels ins Ungründige senkrecht hinab. Dann endlich kam der Fluß selber. Oh, ist das der heimatliche Strom, in dem Laikan viele Monate gereist ist? Lange schon hat der Lachs die süße Luft gekostet, ist dann immer wieder umgekehrt und hat sich langsam gewöhnen müssen an diese Luft, die viel härter und ganz ohne den nahrhaften Geschmack des Meeres in die Säge hereinkommt. Grün, heller grün als das Meer hier ist, kommt der Fluß aus dem Gebirg und trägt seine Grüne weit hinaus. Geruch von Schnee und Eis geht mit ihm, bringt Erinnerung an Nestmulde, Föhnbruch und Eisstoß und verwirrt den kleinen Burschen. Ist es doch die Heimat?

Ach, warum sollte er grübeln, ob sie es ist? Er ist einmal da, seine Seele und sein Leib verlangen nach süßer Luft und Wanderschaft, und nach viel Größerem und Ernsthafterem noch, ist ihm. Was es ist, weiß der Wanderer nicht. Aber seine Seele wandelt sich mählich. Je 217 kälter und herrischer er das Hereinströmen des Bergflusses spürt und ihm von Tag zu Tag mehr sich nähert: um so mehr gewinnt er die stolze und trotzige Art seines Geschlechtes wieder; und die Herrischkeit seiner Seele, die im Meere draußen, angeweht von der großen Gleichgültigkeit und viel tiefer eingeordnet in ein noch ungeheuereres Gesetz, als es im Strom herrschte: die Herrischkeit nimmt jetzt von seiner Seele wieder Besitz und wird ihn tauglich machen, eine kühne Wanderschaft anzutreten. Er wird vergessen, daß es Hunger gibt; wochenlang wird er die Säge nicht benutzen. Den grünen Schimmer des Meeres, der um seine Flossen und Flanken wittert, wird er verlieren, und der Menschenring auf seinem Rücken wird im helleren Wasser wieder auffunkeln; seine grauen und festen Augen werden einen anderen Blick bekommen, weil sie nicht mehr durch unsichtiges Wasser und in schwarze Finsternis gehen. Hellgrünes, eisiges Wasser wird ihnen entgegenbrausen, viele Wochen lang, und davon werden sie blitzend und hochfahrend. Die schönen Flossen sind im stillen Gewässer des Meeres sanft geworden. Jetzt werden sie ihre Strahlen trotziger fächern und stark werden. Die letzten Züge des Nestgesichts werden auslöschen, und das Gesicht des jungen Lachses wird mählich die Besonnenheit, die Ruhe und den Stolz seines edlen Geschlechts tragen.

 


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