Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Irrweg und Neues

Durch Tage und Nächte geht die Reise rheinabwärts. Den Kopf gegen die Strömung gewendet, fließt Laikan im weißgrünen Rauschen ins Land hinaus. Kaum nimmt er sich Zeit, seinen Hunger zu stillen. Was ihm im Vorüberfahren vors Maul gerät, schluckt er und denkt nicht an Pirsch und Jagd. Viel Zeit hat er beim Menschen in fruchtlosen Kreisen verwandert; weit ist der Weg, und die schiefere Sonne des August sieht ihn noch nicht einmal an den Ufern des Bodensees.

Eines Abends läßt das Rauschen langsam nach, und 95 der Zug des Wassers ist nicht mehr herrisch. Mißtrauisch verhält Laikan. Sein Gefühl sagt ihm, daß er entweder einen falschen Weg eingeschlagen hat oder daß da etwas im Schwange ist und er auf der Hut sein müsse: denn natürlich würde dahinter der Mensch stecken. Alles Drohende kommt vom Menschen. Soviel weiß er jetzt ganz sicher. Natürliches Unglück durch Hecht und Barsch, Haarleute und große Vogelleute kann man sehen; man weicht ihm aus, oder man kämpft. Aber das Drohende, dem man nicht ausweichen kann, weil man gar nicht weiß, was es vorhat: das kommt immer vom Menschen.

Jetzt gewahrt er Verwandte, die etwas weiter vorne, wo die Oberfläche schon sehr ruhig ist, nach Fliegen jagen. Lange hat er Leute seiner Sippe nicht mehr gesehen, und es ist ihm recht, daß er nicht mehr allein in fremder Gegend sich befindet. Wann er näher kommt, mustern sie ihn neugierig und fast feindselig. Weil er aber nicht größer ist als die Vettern, kümmern die sich nicht weiter. Übrigens merkt Laikan, daß sie sich auch umeinander nicht kümmern; nur daß jeder satt werde, ist jedem wichtig. Im übrigen halten sie sich näher zusammen, weil sie unter dem nämlichen Befehl des Meeres stehen, der über ihre Seelen mächtig ist. Auch ist hier fremdartiges Gewässer, und das wahrhaft Ängstigende ihres aufgescheuchten Triebes, dem sie nicht ganz willig gehorchen, weil er sie vielen und großen Gefahren preisgibt, sie heimatlos macht und dem Hunger und Ungefähr ausliefert, vereinigt die sonst rücksichtslos Einsamen und Unverträglichen, die so ganz andere Seelen haben als die Gründlinge und Elritzen. Auch mag es so sein, daß der 96 Wille und die uralte Ahnung dieser Leute sie leichter das Meer finden läßt, wenn viele Strahlen gleichen Wollens und Ahnens vor ihnen her den Weg bereiten.

Natürlich steht hier das Wasser! Was mag es sein? Bitter schmeckt es nicht, aber aufrichtig gegen Fischleute ist es auch nicht. Ein grausames Ufer, ohne Mitleid für hungerige Wanderer. Stein, nichts als Stein; und so glatt, daß es unmöglich ist, einen Wurm zu entdecken. Kein Gras, kein Moos wellt über dem Grund; denn auch hier ist Stein, nichts als Stein.

Man ist müde, weil man von der Strömung nicht mehr getragen wird, und man merkt die Müdigkeit, weil Hindernisse da sind. Man verhält einige Stunden und wartet auf den Ungestüm des Wanderwillens.

Kurz bevor die Strömung sich staut, biegt seitlich eine breite Rinne aus, in die das Wasser hineinstürmt. Die Lachse haben die übersehen, denn es ist uraltes Gesetz, immer dem größeren Strom, dem herrischen Zuge zu folgen. Mißtrauisch verhält Laikan, und es wird ihm hart, solch unbändigem Ziehen zu widerstehen. Mit allen Rudern gelingt es ihm, und er kehrt in den großen Arm zurück.

Dort sieht er einen Verwandten vor einem schwarzen Uferloch stehen und kennt ihm an, daß er sehr zum Hunger gereizt ist. Laikan verhält, und auch ihm bleibt die Säge offen vor Appetit.

Da, in der Erdhöhle begibt sich etwas Niegesehenes. Leute mit Rasselpanzern kennt man. Man weicht ihnen aus, denn sie sind tückisch, benehmen sich heimlich wie Wurzeln oder modernde Äste und haben dann plötzlich 97 eine schnelle und mörderische Art, der man nur mit allen Rudern entgeht.

Dieser Höhlenmann aber tut etwas, was zweijährige Lachse nie gesehen haben, was ihnen aber Witterung und Hoffnung gibt auf eine neue und rare Mahlzeit.

»Der schwarzgrüne Kerl ist dabei, seine Rüstung auszuziehen«

Der schwarzgrüne Kerl ist dabei, seine Rüstung auszuziehen. Gespannt schauen die beiden Lachse zu, wie er zuerst aus dem Brustharnisch schlüpft. Er ist damit fast wütend beschäftigt, dreht ihnen den Rücken, sieht und hört von nichts. Denn, wahrhaftig, er streift auch fast die Augen ab und die langen Fühlhörner; mit dem breiten Schwanz stemmt er sich, daß es knackt und rasselt, und er reißt mit einem Ungestüm, daß den Lachsen die Augen quellen vor Staunen. Aber die Zangen! Nur die fürchten sie sonst! Aber wie? Die sind ja mittlings 98 gespalten und klaffen offen, daß herrliches, rosarotes, weiches Fleisch sichtbar wird.

Die Lachse erstarren fast, denn die Witterung breitet sich stark im Wasser aus und ist unvergleichlich, süß und bitter, nach Gras und Wurm, Schnecke und Larve; nach allem zugleich, und noch viel strenger und würziger steigt das in ihre Gaumen.

Uff! Jetzt ist er draußen! Und da sind wahrhaftig auch die Zangen und die knöchernen Füße auf einmal sanft und weich, und die Rüstung liegt ganz still neben ihm, so daß die Lachse nicht genau wissen, wovor sie sich nun nicht mehr zu fürchten brauchen. Freilich, der Schwanz, mit dem der Geharnischte so ungute Schläge austeilen kann, der ist noch vorhanden. Wird er den behalten? Wahrscheinlich wird er ihn behalten, denn sonst kann er nicht schwimmen. Und die beiden Burschen hoffen sehr, daß er schwimmen wird. Dann werden sie ihm schon beikommen. – Aber nein! Keineswegs! Er wird den Schwanz nicht behalten und also vielleicht heute nicht mehr schwimmen wollen. Aber die Lachse haben so wenig Zeit!

Natürlich! Er rastet bloß eine Weile. Dann stemmt er sich nach vorne und schlüpft schwer atmend und stieren Blicks, aber ohne viel Wesens zu machen, aus dem vielgelenkigen rasselnden Panzer. Dann liegt er still und blaß, sieht und hört nichts, ist weich und hilflos, hat wahrscheinlich Schmerzen und Fröste und schämt sich überdem bestimmt. Denn er dreht sich bald um, langt sehr mühselig nach dem Brustharnisch, und, wahrhaftig – die Lachse staunen tief – der nackte Höhlenmann beginnt seinen Harnisch aufzufressen. Ganz will er ihn 99 wahrscheinlich nicht missen. Irgendwie, irgendwo braucht er ihn doch. Ob er die beiden Burschen gesehen hat, ist nicht sicher. Vielleicht nicht, denn sonst ließe er kaum eine nackte, herrlich duftende Zange aus dem Loch baumeln.

Es muß ihn sehr schmerzen, an den rosafarbenen Gliedern gepackt zu werden, die er sonst immer fest in der grünen Rüstung verwahrt. Aber es ist ganz unnütz, sich zu sträuben. Er ist so wehrlos, wie nur ein Geschöpf auf dieser Welt sein kann, und es ist auch gleich vorbei.

Laikan hat ihn aus dem Loch gezerrt und den Schwanz bis weit in die Brust hinauf abgebissen. Mit dem übrigen, an dem hilflos Zangen, Füße und Fühlhörner schwach sich wehren, schwimmt der Verwandte davon.

 


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