Josef Wenter
Laikan
Josef Wenter

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Allerlei Ungefähr

Viele Tage und Nächte wandern die Lachse unter grauem Himmel und niedrigem Gewölk. Kalte Regen schauern über das flacher werdende Land, tagelang und nächtelang. Es ist stiller geworden in ihrer Straße, und sie haben sich daran gewöhnt, kein Ufer mehr zu suchen. Sie halten sich im Zuge des langsamer strömenden Flusses und geben sich aus ganzer Seele dem Ruf des Meeres hin, der, je näher sie zu ihm gelangen, an Ungestüm verliert, aber mit einer tiefen und sicheren Stetigkeit sie erfüllt. Breite Wanderwege münden in ihre große Heerstraße ein, und fremde Leute werden häufig.

Schon ist das Wasser nicht mehr sichtig genug, und sie halten ihre Ordnung strenger aufrecht. Nur wenige Längen mehr sehen sie vor sich hin und haben kein Wissen 136 davon, ob die obere Welt freundlich blau oder grau und trübe ist. Sonne, Mond und Sterne sind ihnen abhandengekommen. Sie ziehen durch eine einförmige, graue Wildnis und gewahren nur an der völligen Finsternis, wann es droben Nacht geworden ist. Wenn die Sonne einmal klar in der oberen Welt steht, tauchen die Wanderer zum Spiegel hinauf, denn sie lieben die Sonne und werden ihrer erst im schwereren und verhüllenderen Wasser des Meeres zuzeiten vergessen.

Dann und wann brechen Räuber in den gehorsamen Pilgerzug. Das geschieht so plötzlich, so aus dem Unsichtigen her, daß an Flucht oder Sicherung nicht zu denken ist. Ein plötzlicher Wirbel, eine sausende Furche an den Flanken oder unterwärts, ein grimmiges Gesicht, das unbestimmt und doppelt schrecklich aus dem fahlen Halbdunkel taucht, eine klaffende und krachende Säge, über der zwei eiskalte Augen funkeln: dann ist es wieder still und gurgelt eintönig hin. Die Reihe aber ist gestört und findet flußabwärts wieder zusammen. Kürzer wird sie, und es ist gut, daß aus den Seitenstraßen Verwandte kommen, die in tiefer gelegenen Nestmulden ins Leben geschlüpft und aus niedrigeren Gebirgen hergefahren sind; die aber gleich die Vetternschaft erkennen und sich anschließen.

Dann tanzen eines Tages die weißen Dinger aufs Wasser; aber die Lachse kennen sie gut, und sie würden, auch wenn es Schnacken wären, nicht nach ihnen springen. Sie haben keine Zeit. Bei den Menschen ist Weihnacht, und noch öfter müssen die Wanderer rasten, ehe sie in das Brackwasser der Rheinmündung gelangen. 137

Manchmal ziehen sie weite Strecken, die gar kein Leben zu haben scheinen. Wahrscheinlich hausen die Leute dieser Gegenden tiefer am Grund oder haben sich uferwärts verzogen. Hier und da ein Raubüberfall, der ihre Reihen lichtet; dann wieder tagelange gurgelnde Eintönigkeit.

Dann erfährt Laikan eines Tages ein schreckhaftes Staunen.

Es war an einem klaren Januarmorgen, und die Ränder des Stromes hatten scharfe und dunkle Eiswächten. Das Wasser war halb sichtig und führte Eisbrocken; um derenwegen blieben die Wanderer in halber Tiefe, weil es lästig war, den schwimmenden Schollen auszuweichen, die sie recht gut aus ihren Bächen kannten, und vor denen sie Furcht hatten. Denn daß ein solch scharfgerändertes Ding eine Kraft, eine Wut und eine Unentwegtheit hat, gleich der Säge von Hecht und Forelle, das haben die Lachse in zwei Wintern erfahren und manch blutenden Verwandten, halb zerquetscht und zersägt, in Tümpeln sich drehen gesehen. Nein, man bleibt halbweg unterwärts, denn noch reichen die Schollen nicht tief hinab.

Und da begab es sich. Etwa zwei Längen seitwärts von den Pilgern und tiefer im Strom, wo er nicht mehr gurgelt und keine Bewegung des Wassers mehr deutlich ist, zieht es vorbei. Gespenstisch, riesig, geharnischt in Grün und Silber und lautlos, und schwindet ins Dämmer hin.

Vielleicht daß die anderen es nicht sahen, denn ihre Reihe zieht stumm und gehorsam. Erst als Laikan in staunendem Schreck verhält, kommen die Wanderer ins Gedränge. Aber da ist die Erscheinung schon vorüber. 138

Oh, er hat sie gesehen, die Herrlichen, die gleich ihm zum Meere fahren nach stürmischer Hochzeit. Er hat die riesigen Leiber und ihre fahlen Harnische erkannt und erinnert sich, wie er vor dem weisen und stolzen Gesicht der Mutter Lachs verhielt. – »Vielleicht wirst du das Meer atmen, kleiner Bursch!«

Oh, er wird es atmen! Sein Herz ist voll sicherer Hoffnung, voll Stolz und uralten Wissens um sein erlauchtes Geschlecht.

Das Meer ruft! Er wird es atmen! –

Ist es nicht wunderbar und tröstlich, die schöne und gerade und zuversichtliche Reihe dieser allem Ungefähr ausgesetzten Geschöpfe Gottes ihre sehnsüchtige Reise unentwegt und vertrauensvoll tun zu sehen? Ja, das ist es!

 


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