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III

Wolf stand schon eine Viertelstunde am Gartenzaun, die Arme auf das Staket gelegt, und sah ihm zu. Der Forstkassenrendant Hindersin, Schwiegervater von C. A. Runge, Schneide- und Mahlmühlenwerke, ging die Gänge seines Gartens entlang, band Rosen auf und sammelte Raupen von seinen Stachelbeerbüschen. Er trug ein schwarzes Käppchen wie ein Veteran aus dem deutsch-französischen Krieg und eine blaue Schürze vor seinem kleinen und kümmerlichen Körper. Aus seinem unbewegten Eulengesicht hing eine halblange Pfeife mit umflochtenem Meerschaumkopf, und um seine Hüften hatte er ein altes Koppel geschnallt, in dessen Seitengewehrschlaufe der Stiel einer Harke befestigt war. Auf dem eisernen Rechen war ein Ziegelstein festgeschnallt, und während er, an Blumen und Sträuchern beschäftigt, weiterging, zog er die Harke hinter sich her, so daß die Spuren seiner Füße gleich hinter ihm verschwanden und eine untadlige Sauberkeit hinter ihm herrauschte wie hinter der Gummiwalze einer Straßenkehrmaschine.

Er müßte noch eine Sprengvorrichtung im Rücken haben, dachte Wolf und sah ihm sorgenvoll nach. Einen Hebel auf dem Bauch … umschalten … Fontäne …

»Tag, Herr Hindersin«, sagte er, als die Maschine am Zaun entlang zurückgerauscht kam.

Ein schneller, geduckter Blick aus den Eulenaugen. Ein schnelles, zweckloses Tasten der Hände über die sechs Taschen der Schürze, aus denen Messer, Scheren, Bastfäden, Bohrer heraussahen. Eine leise, behutsame, sehr geordnete Stimme. »Kann mich … zu meinem aufrichtigen Bedauern … nicht erinnern, den Vorzug bereits einmal gehabt zu haben … Wenn der Herr die Liebenswürdigkeit besitzen wollte …«

»Ich bin der Indianer … Wiltangel … zehn Jahre her …«

»Der Indianer …«, wiederholte Hindersin. »Wolf … mein Gott … eine flüchtige Erscheinung ist die Zeit … der Mensch teilt sie in Tage, Wochen, Monate, Jahre, aber sie läßt sich nicht teilen. Ein Unteilbares liegt in ihr. Unüberwindlich ist sie, der Geduld spottend wie des Zornes … Ja, der Herr Wolf ist zurückgekehrt …« Er schnitt, zur Seite blickend, einen wuchernden Trieb des Eisbeerenstrauches ab, starrte auf die Schnittfläche und hob den Kopf wieder überraschend gegen den Besucher. »Es ist freundlich und der höflichen Sitte entsprechend, einen alten Mann zu besuchen … oder sollte es etwas Besonderes sein, das Sie zu mir führt?«

Wolf, mit einer Hand sich auf das Staket stützend, sprang über den Zaun. »Kann sein«, sagte er. »Vielleicht gehen wir ins Haus.«

Das Eulengesicht wurde blaß und starrte wieder auf die Eisbeerzweige. »Vielleicht haben Sie die Güte«, erwiderte er mit plötzlichem Entschluß, »vor mir herzugehen. Die Harke ist etwas schmal, und ich liebe keine Fußspuren. Es erweckt den nicht angenehmen Eindruck, als seien zur Nachtzeit Fremde um das Haus geschlichen.«

Sie gingen in das kleine Haus. Die Maschine rauschte leise hinter ihnen her. Auf der obersten Stufe der Veranda band Herr Hindersin Koppel und Schürze ab und hängte sein Gerät auf die Haken in der Holzwand. Er legte das Band der Schürze so über den Nagel, daß die beiden Schleifen rechts und links symmetrisch herunterhingen, fuhr mit der Hand ordnend und ausrichtend über die anderen Gegenstände, Harken, Spaten, Schnüre, und lud mit einer abgemessenen Bewegung ein, über die Schwelle zu treten.

Die betretbaren Flächen des Zimmers waren durch rechtwinklig gelegte Läufer bezeichnet. Jeder Besucher kam ohne Mühe des Wählens zu dem ihm bestimmten Platz, einem steiflehnigen Rohrstuhl am Fenster. Ihm gegenüber, hinter einem niedrigen Tisch mit eingelegtem Schachbrett, stand Hindersins Stuhl auf einer kleinen Erhöhung.

»Man muß die Gänge übersehen können«, sagte der Rendant erklärend. »Die Schädlinge, die einbrechen, wenn sie sich unbeobachtet glauben: Kröten, Maulwürfe, Schüler …«

»Ja, aber darum handelt es sich nicht.«

Die Wolken aus dem Meerschaumkopf verdichteten sich, und wenn Hindersin auf seinem erhöhten Sitz den Kopf neigte, konnte der unten Sitzende nicht viel mehr von ihm sehen als den mit spärlichem Haar bedeckten Schädel – die Kappe hatte er abgenommen –, den ein sorgenvoller Scheitel in zwei ungleiche, aber gleich unzugängliche Hälften teilte. Stieg der Rauch, durch leises Ausstoßen des Atems verdichtet, vor der Wand der Stirn empor, so schien es, als vernebele sich die Wand einer Festung und hinter dem Nebel entgleite alles Greifbare in einen unangreifbaren Raum.

»Es handelt sich«, fuhr Wolf fort, das Papier seiner Zigarette mit den Lippen anfeuchtend, »um den Satz: ›Das Recht, von einem anderen ein Tun oder ein Unterlassen zu verlangen, unterliegt der Verjährung.‹ Paragraph 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches.«

»194«, erwiderte Hindersin nach einer kleinen Pause leise, aber bestimmt. »Paragraph 194, Herr Wolf.«

»Na schön. Dies ist unser Fall. Ich war bei Barbara. Sie hat es mir gesagt, weil sie weiß, daß man mir solche Dinge sagen kann. Es gibt andre Dinge als diese drüben, Herr Hindersin, ohne daß eine Silbe darüber verloren wird.«

»Auch hier nicht, Herr Wolf. Sie sind der erste, der etwas verloren hat.«

»Nein, die erste ist Ihre Tochter, die sechs Jahre ihres Lebens verloren hat und die Absicht hat, auch den Rest zu verlieren.«

»Sie ist unter dem vierten Gebot aufgewachsen, Herr Wolf.«

»Und Sie, wie ich hoffe, unter dem fünften. Das hieß zu meiner nicht besonders rühmlichen Schulzeit: ›Du sollst nicht töten!‹«

Die Pfeife ging aus, röchelte und erlosch. Es erschwerte die Lage für Herrn Hindersin.

»Bitte«, sagte Wolf und schob ihm die Tasche mit den Brasil-Zigarren hin. Es war eine umständliche Prozedur, während der eine Grasmücke im Garten überdeutlich sang.

»Und nun?« fragte Herr Hindersin, nachdem er sich ausreichend vernebelt hatte.

»Nun bin ich der Meinung, daß Sie im Laufe dieser Woche zu C. A. Runge gehen, Schneide- und Mahlmühlenwerke, und ihm erklären, daß Sie nichts dagegen hätten, wenn er sich getrieben fühle, von den Vorgängen vor sechs Jahren das ihm nötig Scheinende zu erzählen.«

»Und dann?«

Dann wird Ihre Tochter, wie ich annehme, die Scheidungsklage einreichen und nach Südamerika übersiedeln, Hazienda San Juan, Republica Argentina.«

»Junge Leute pflegen nicht alles zu bedenken«, erwiderte Herr Hindersin nach einer langen Pause. »Sie vergessen, daß es außer dem bürgerlichen Recht einen guten und unbescholtenen Namen gibt.«

»Alte Leute«, erwiderte Wolf ebenso, »pflegen manchmal zu vergessen, daß sie einmal aufhören könnten, nur an sich zu denken, und daß, wer auf Kosten von eines anderen Blut lebt, wie ein Vampir lebt.«

»Die Harke ist darüber hingegangen, Herr Wolf. Ich will nicht, daß wieder eine Fußspur über das Vergangene geht. Es ist alles in Ordnung jetzt, und sie hat es gut dort. Sie hat ein Auto, und ich hatte nie mehr als einen Bullerwagen.«

»Sie werden es bedenken.«

»Ich will nichts bedenken.«

»Sie könnten nach Argentinien herüberkommen, und kein Mensch wird dort davon wissen.«

»Ich will nicht nach Argentinien.«

Das alte Gesicht war nun so zugeschlossen, daß nur die Lippen sich bewegten, aber sie bewegten sich mit der toten Gleichmäßigkeit eines Blattes, an das ein gleichbleibender Wind rührt.

»Ihr letztes Wort?«

»Ich will nicht.«

Wolf hatte die Gartentür schon geöffnet, aber er kehrte noch einmal um und ging den geharkten Gang entlang bis zu der Stelle des Zaunes, an der er hereingekommen war. Bevor er über das Staket sprang, sah er sich noch einmal um. Die Spur seiner Schritte lief scharf und gerade durch die sauberen Furchen des Sandes.

Er hatte zwei Stunden zu rudern und kam langsam vorwärts, weil er vieles zu denken hatte. Eine Gewitterwand hing über dem rechten Ufer, schräg geneigt, und in den Wäldern zu ihren Füßen lachte der Schwarzspecht böse und gellend. Das Wasser war dunkel und unbewegt, nur weit voraus trieb etwas Blasses ihm langsam entgegen. Zuerst hielt er es für ein Stück Holz, bis er erkannte, daß es ein Mensch war, der ihm entgegenschwamm.

Er ruderte schneller, weil die Ufer weit zurückgetreten waren. Vielleicht ist es Barbara, dachte er noch. Aber es war einer seiner Kampfgefährten, Jürgen Bechler, Untersekundaner des Riechenberger Gymnasiums, Sohn von G. F. Bechler, Kolonial- und Eisenwaren. »Hallo!« rief er von weitem und hob einen negerbraunen Arm grüßend aus dem Wasser.

»Bist du verrückt, du Waldaffe?« schrie Wolf. »Willst du hier einsam absacken und in Riechenberger Muränen auf die Tafel der Edelbürger kommen?«

»Ferne sei das von mir!« lachte Jürgen. »Aber ich sah dich abfahren und wollte dir zeigen, daß ich dein Blutsbruder bin.«

»Danke, das kann man woanders besser als auf dem Grunde dieses Sees. Komm rein!«

Er zog sich an der Bootswand hoch, schüttelte sich wie ein Hund und streckte sich behaglich im Kiel aus. Er hatte ein Gesicht wie ein Kreis, und aus seiner Peripherie bäumte sich eine widerspenstige weißblonde Haarlocke in die Höhe. »Der Schüler Bechler«, sagte die Boa meckernd, »könnte auch im Busch-Album stehen, aber selbst Busch brauchte – wohlgemerkt – ein Körnchen attischen Salzes in seinen Moritzgesichtern. Weswegen der Schüler Bechler, dieses Mangels zufolge, nicht im Busch-Album steht, sondern mit siebzehn Jahren in der Untersekunda sitzt. ›Dieses Mangels zufolge …‹ der Schüler Krauthenne: im Lateinischen?«

»Hast du etwas zu tun für mich?« fragte Jürgen, die Hände unter dem nassen Haar verschlungen. »Eine Aufgabe? Soll ich Kiepel ermorden oder ein Lasso um den Hals der Boa schleudern?«

Wolf sah nach der Wolkenwand, in der es rötlich leuchtete, und ließ das Wasser vom Ruder herabtropfen. »Kennst du den Wächter von der Schneidemühle?«

»Lurkschies? Dieser Sohn einer Hündin ist uns bekannt. Vor zwei Jahren wollten wir Bretter zu einem Boot klauen. Er pennte hinter einem Stapel, und Niebergall, der ›kotzende Mustang‹, trat ihm natürlich auf die Latschen. Wir mußten türmen, ohne Bretter, und er warf mit harten Gegenständen hinter uns her. Sollen wir einen Hufnagel in seinen Hintern treiben?«

»Nein. Aber sein Gesicht gefällt mir nicht. Es könnte sein, daß er eine dunkle Vergangenheit hat. Kümmert euch ein wenig um ihn. Was er in der Nacht alles treibt, wo er umherschleicht und so weiter.«

»Mein brauner Bruder wird zufrieden sein.«

»Aber … halt den Mund!«

»Das Camp versteht zu schweigen!«

»Schön … dreh dir eine Papyros.«

Mehr wurde nicht gesprochen. Das Wetter zog auf, und Jürgen nahm das zweite Ruder. Als sie anlegten, stürzte der Regen schon grau über den See.

»In drei Tagen Campfeuer. Am Schwarzen Fluß. So long.«

»So long, mein brauner Bruder.«

Zwanzig solcher Burschen, dachte Wolf, und wir stellen die Stadt auf den Kopf … der Raub der Sabinerin … Flugzeug … Lissabon … leb wohl, Riechenberg und C. A. Runge … Aber nun lernen sie. »Dieses Mangels zufolge«, und Barbara gibt Gesellschaften … drei im Jahr …

Er telefonierte am nächsten Vormittag. Ja, Runge sei verreist. Zu ihr? Nein, ins Haus möchte er nicht kommen. Ob sie den Wagen steuern könne? Dann im Walde, nachmittags, am Hünengrab, ja.

Er hörte den Motor von weitem und riß die Grashalme aus, um die seine Hand gelegen hatte. Wie ein Pennäler, dachte er zornig, aber das Herz war ihm bitter von Hoffnungslosigkeit: Natürlich trug sie ein weißes Kleid. Es war Sommer, und weshalb sollte eine junge Frau nicht weiße Kleider tragen? Korbsessel auf der Veranda der Hazienda … ein weißes Kleid … der Gesang der Peone … ein glühendes Abendrot über dem Pampahorizont … die Gitarren … verdammtes Leben …

Sie lächelte ohne Schmerzen und legte den Kopf an seine Schulter. Birken standen hinter ihnen auf dem Grabhügel. Der Wald baute hundert Wände um ihre Füße.

»Es hilft ja nichts, Wolf«, sagte sie leise. »Traurig soll man nur in seiner dunklen Kammer sein. Wenn der Wind ums Haus geht, und niemand unser Gesicht sieht.«

»Hast du es bedacht?«

»Ich denke zehn Jahre lang, Wolf. Alle Dinge stehen wie Bäume um uns. Du kannst sie nicht anfassen und von dort nach hier stellen.«

»Man kann sie abhauen, roden, ausrotten, neue Bäume pflanzen.«

»Man kann das vielleicht, aber ich kann das nicht. Sieh meine Hände an.« Sie breitete sie vor ihm aus, und obwohl sie die Finger spreizte, blieben es die Hände eines Mädchens, durchscheinend zwischen den Gelenken.

Aber er sah nicht das. Er sah den schmalen Silberring an ihrem kleinen Finger, schwärzlich angelaufen von der Wärme der Haut, mit einem roten Stein, den er vor zehn Jahren für einen Rubin gehalten hatte und der aus Glas war.

Sein Gesicht mußte sich wohl verändert haben, denn sie legte ihre Hand an seine Wange. »Weißt du, wie du ihn mir schenktest, Wolf? Ich konnte ihn nur zur Nacht tragen, wenn niemand ihn sah, und ich legte die Hand auf mein Herz, damit ich ihn fühlte. Mädchen können ja so rührend töricht sein.«

»Du warst nie grausam, Barbara?«

»Nein, das war ich wohl nicht.«

»Und heute? Und jetzt? Wozu diese Dinge? Ring und Kleid und alles andre?«

»Ich darf dich doch liebhaben, Wolf? Darf ich das nicht? Ich darf nicht nach dem Silberstrom gehen. Das ist mir nicht erlaubt. Aber dich zu lieben, ist mir doch erlaubt? Und Spanisch zu lernen und Reiten, alles das ist erlaubt.«

»Mehr nicht?«

»Auch noch etwas mehr.«

Sie sah geradeaus, auf die jungen Fichten des Abhangs, über denen grün und blau die Libellen standen. Sie sagte Gefährliches, aber ihr Gesicht war so ruhig und rein wie das eines Kindes, das unverstandene Worte spricht.

Er hatte zehn Jahre lang keinen andren als körperlichen Umgang mit Frauen gehabt. Mit Indianermädchen und Kreolinnen. Sie waren nicht wählerisch in ihrer Liebe. Sie waren brennend oder träge, habgierig oder stumpf. Er konnte Gefühle nicht teilen in »erlaubt« und »unerlaubt«. Er hatte ein primitives Leben geführt, zehn Jahre lang. Er sagte ja oder nein, und was darüber war, war ihm vom Übel.

»Ich war bei deinem Vater«, sagte er. »Er weigert sich zu bekennen oder ihm freie Hand zu lassen. Er will nicht.«

»Du hast ihn erschreckt?«

»Ich glaube, daß es nichts schadet, wenn man ihm eine deutliche Spur auf seine Harkenseligkeit setzt.«

»Aber wozu?«

»Damit du auf der Hazienda sitzen kannst statt auf seiner Veranda, C. A. Runge und Lurkschies hinter dir.«

»Ich kann meinen Mund nicht öffnen«, sagte sie. »Ich werde leugnen, alles. Man darf nicht Schmerz bereiten. Sein Haar ist schon weiß.«

»Und ich?«

»Du verlierst nicht, Wolf. Du entbehrst nur. Er aber würde verlieren.«

Sie wandte ihm das Gesicht zu und sah ihn an. Sie saß so nahe bei ihm, daß er die Poren ihrer Haut sah, den zarten Flaum auf ihrer Oberlippe, die Feuchte ihrer Augen, die keine Feuchte von Tränen war.

Ein Zittern lief so schnell über ihre Lippen wie Wind über ein Wasser. Aber es war schon zuviel für ihn. Sie widerstrebte nicht. Sie ließ sich nur zurücksinken, bis ihr Kopf im Grase lag, und empfing seine schmerzenden Küsse, die Augen zu ihm aufgeschlagen und durch ihn hindurch in einen fremden Raum blickend.

»Komm fort mit mir«, flüsterte er. »Komm in meine Sonne, wo Raum für dich ist, und Wärme … Tu die fremden Hände von dir ab … dort steht der Wagen … Barbara … zehn Jahre … gestohlen haben sie dich und verkauft.«

»Küsse mich«, sagte sie.

Er schob die geöffneten Hände in ihr Haar. Alles war wie ehemals, Duft, Farbe und Form. Das Rührende des zerbrechlichen Körpers, der Geruch ihrer Haut.

»Komm fort mit mir«, wiederholte er. »Ich will nicht stehlen …«

Und dann fühlte er an seinen Händen, daß sie leise den Kopf schüttelte, so leise, daß nur die Spitzen seiner Finger es vernahmen: ein-, zwei-, dreimal. Er richtete sich auf und sah sie an. Das Gesicht war blaß, und der weiße Stoff über ihrer Brust bebte bei jedem Atemzug, aber die Augen waren unverändert.

»Ich habe gelobt«, sagte sie, »auf das Evangelium …«

»Es ist nicht das einzige«, erwiderte er bitter, »was im Namen des Evangeliums geschehen ist.«

Er half ihr beim Aufstehen und führte sie an den Wagen. Die Tür schlug hart ins Schloß. Sie sah durch die Glasscheibe geradeaus.

»Nun gehst du zurück?« fragte sie.

»Nein«, erwiderte er. »Nun werde ich anfangen, dich aus dem Riechenberger Netz zu lösen.«

»Alle Knoten mußt du auflösen«, sagte sie vor sich hin. »Jeden einzelnen … denn wenn du sie durchschlägst, durchschlägst du mein Herz …«

Er griff noch einmal nach ihrer Hand, die sich schon nach dem Steuerrad ausstreckte. »Du bist … du verweigerst ihm kein Recht?«

Sie legte ihre Wange an seine Stirn. Noch immer sah sie geradeaus. »Das darf ich ja nicht, Wolf, verstehst du? Das darf ich ja nicht –«

Dann trat er zurück, und der Motor sprang an. Sie winkte noch einmal mit der Hand, aber er sah es nicht. Er starrte vor sich nieder in das Gras, wo ein Marienkäfer an einer Rispe emporkletterte.

»Idiot!« sagte er laut, als er wieder im Boot saß.

Das Feuer brannte und warf den roten Schein bis unter die hohen Fichtenwipfel. Die Stämme traten ins Licht und wichen ins Dunkel zurück, je nachdem die Flamme sank oder stieg. Ab und zu riefen die Reiher über den Fluß und ein Vogel klagte im Traum. Die Farnkräuter, von unten beleuchtet, standen wie ein Dschungel, und jeder leise Wind, der die Funken hob, war voll von Weite, Nacht und Wald.

Speere waren im Kreis um das Feuer gestellt. Bogen mit Pfeilen lagen an ihrem Schaft, und drei Lassos waren um die Schultern dreier junger »Adler« gelegt. Es war nichts zu bekämpfen oder zu fangen, kein Feind unter Mensch oder Tier. Kiepel schlief in seinem Schilderhaus, und der »Lehrkörper« tat dasselbe unter Federbetten und auf Roßhaarmatratzen. Aber die Nacht war da, der Wald, das Feuer, das Schweigen unter den Sternen. Und Jürgen Bechler mußte sich zu jedem Campfeuer von seiner Dachkammer mit dem Lasso auf das Dach des Stalles herunterlassen, und Krauthenne, der in Pension war, mußte am Spalier herunter und dann über eine zwei Meter hohe Mauer klettern.

Und ein Gerücht lebte in der Stadt, daß zur Nachtzeit Feuer im Wald brannten und daß der Schrei des Puma vielstimmig durch das Schweigen breche. Daß man Pfeifen rauche, daß gerungen, gebadet, geflucht und gelästert würde. »Weißt du etwas davon, mein Junge?«

»Ich? Lächerlich! So 'n Quatsch! Das haben wohl die Powels aufgebracht?«

Die Powels waren die Schüler der Unterstufe, verachtete, säuglingsähnliche Wesen in den Augen heranwachsender Männer. Die in den Pausen Kuchen holen mußten und nach einer halben Zigarre grün wurden. Natürlich hatten die Powels das aufgebracht. Und von ihnen war es in das Ohr des Lehrkörpers gesickert wie das Gift in das Hamletsche Vaterohr.

»Und noch eines – wohlgemerkt – habe ich anzusagen«, krähte Niebergall und sah von unten her wie über den Rand einer Brille auf Wolf und seine Lagergenossen. »Es kommt mir zu Ohren, daß ein fremder, ja ein aufsässiger Geist sich der Schüler dieses Gymnasiums, zumal in den oberen Klassen, zu bemächtigen beginne. Daß Mangel an Ehrerbietung vor der Obrigkeit, daß nächtliche Ruhestörungen und grobe Unfuge sich in einem Maß zu mehren beginnen, das mit dem Geist einer höheren Schule schlechterdings nicht zu vereinigen ist. Es kommt mir weiterhin – wohlgemerkt – zu Ohren, daß gewisse primitive Ideale statt der geistigen der Antike wie ein teuflisches Unkraut zu wuchern beginnen und sich in nächtlichen Eidgenossenschaften sozusagen entladen sollen. Es liegt mir die Pflicht ob, demgegenüber auf den Paragraphen 17 der Schulordnung hinzuweisen, nach dem der Besuch von Theatern, Konzerten, Vergnügungsstätten und Lustbarkeiten aller Art nur in Begleitung der jedesweiligen Eltern beziehungsweise Pensionseltern gestattet ist. Dieser Paragraph findet sinngemäß Anwendung auf nächtliche Ausflüge. Ich nehme an, daß dieser Hinweis genügen wird. Das Schulgeld ist am Montag kommender Woche zu zahlen. Die Schüler sind entlassen.«

»Der Knabe lief zum Birkenwald«, murmelte eine dumpfe Stimme.

»Denn Leopillen wirken bald«, ergänzte die zweite.

»Mein brauner Bruder«, rief Jürgen, »sollen wir sie stürzen?«

»Sie verrotten von selbst.«

»Sie martern uns.«

»Wenn ich durchgekommen bin, könnt ihr auch durchkommen. Beichtet! Niebergall!«

Der »kotzende Mustang«, erster Langstreckenläufer von Riechenberg – dreitausend Meter und aufwärts –, der sich jedesmal nach dem Genuß von Schlagsahne übergeben mußte, zog seine langen Beine an, bis er wie ein brauner Weberknecht am Feuer hockte. »Gestern nacht den See zwischen Halbinsel und Ablage durchschwommen. Hin und zurück, ohne Pause. Drei Stunden siebzehn Minuten sechsundvierzig Sekunden. Leistung um vier siebzehn verbessert. Puls zweiundachtzig. Atmung normal.«

»Wenn du absackst, erschlägt dein Vater mich mit einem Einmachtopf. Schule?«

»Deutsch, Chemie, Religion, Mathematik in Ordnung. Bei der Boa geschliddert. Abgewürgt.«

»Beim nächsten Feuer Meldung, daß du in Latein geglänzt hast!«

»Es sei, mein brauner Bruder.«

»Krauthenne?«

Krauthenne, der »fliegende Affe«, Großagrariersohn, Jockey mit krummen Beinen und Baskenmütze, zweiter Jahrgang Untersekunda, schob die Pfeife mit Navy cut in den linken Mundwinkel, wo ihm ein Zahn vom letzten Hürdensturz fehlte.

»Sonntag nacht Remonte Overall von der Domänenkoppel geklaut. Tanz in Buchwalde. Hatte jemand zu treffen. Vor Morgengrauen zurück. Overall trockengerieben. Nicht überanstrengt.«

»Schule?«

»Keine Ahnung. Gepennt. Nicht herangekommen.«

»Geklaut dürfen nur tote Dinge werden. Verstanden? Fahrrad macht es auch.«

»Fahrräder sind das Auto der Lehrkörper. Aber wie mein brauner Bruder befiehlt.«

»Elvenspoek?«

Elvenspoek schämte sich. Auf seinem schweren Bauerngesicht war so viel Platz, daß es sich für zwei schämen konnte. »Deutscher Aufsatz, mein brauner Bruder. Hausaufsatz: ›Arbeit ist des Bürgers Zierde.‹«

»Auch Verzierungen müssen sein. Kalnein?«

Der junge Graf kehrte die Spitze des Pfeiles, mit dem er spielte, auf den Boden. »Vier Stunden Kabuff.«

»Grund?«

»Deutscher Hausaufsatz. Dasselbe Thema. Darunter geschrieben: ›Arbeit macht Spaß, aber ich spaße nicht gern.‹«

»Ach, Kalnein, du Himmelhund, ich habe schon einen Grafen, den sie im Krieg etwas verschüttet haben. Willst du durchaus der zweite sein?«

»Sofort, mein brauner Bruder.«

»Nun, Bechler?«

Die Moritzlocke bäumte sich. »Bechler, Wiedeking und Unverzagt haben den Ruf des braunen Bruders gehört. Sie sind der Spur des Sohnes einer Hündin gefolgt. ›Lurkschies‹, schrie es stinkend aus dieser Spur. Der nämliche Lurkschies: Vorname Jons. Größe etwa 1,80. Verheiratet mit Eva Lurkschies, geborene Deyda. Kinder: keine. Grauer Arbeitsanzug, schwarze Schirmmütze. Blauer Sonntagsanzug. Wachdienst 20 bis 6 Uhr. Ohne Hund. Krückstock und Taschenlampe. Pennt von Mitternacht bis fünf Südwestecke des Lagers am See. Leere Flaschen mit Kümmelgeruch. Übrige Zeit Runden ohne bestimmten Plan. Bei Abwesenheit des Besitzers Standpunkt am Gartenzaun. Belauert das Haus. Besonderer Umgang nicht festgestellt.«

»Gut, meine Brüder. Laßt ihn nun in Ruhe. Das Feuer wird gelöscht, das Camp bricht auf und besteigt die Kanus. Krebsreusen an der Halbinsel, zehn Meter vor dem Schilfrand. Die Hälfte der Krebse aus jeder Reuse werden enteignet. Bechler verwahrt sie unter seinem Bootshaus. Morgen, eine Stunde nach Sonnenuntergang, Krebsessen an der Ablage. Niebergall den Kochtopf, Krauthenne den Dill, Kalnein zwei Flaschen Rheinwein, Wiltangel die Brasils … Feuer aus …«

Die Funken zersprühen unter dem geworfenen Sand. Eine letzte Rauchsäule hebt sich auf, verläßt den Boden und steigt in das Dunkel wie eine Nebelgestalt. Die Schwärze der Wälder stürzt sich über die Lichtung. Die hohen Sterne enthüllen sich langsam, das Band der Milchstraße, der Silberne Wagen. Die Stämme treten allmählich wieder ins Sichtbare, der Schimmer der Birken, das graue Gesicht eines Steines. Die Farnkräuter rauschen, ein Speer streift an einen Ast, ein Zweig knickt, und leise rauscht die Schar zum Fluß hinunter.

Nebel stehen über der rieselnden Schwärze, ein Frosch fällt wie ein Stein zwischen das Schilf, ein Reiher stürzt sich von der Schirmkiefer. Er schreit wie ein Mensch, heiser, erschreckt. Verstohlen mahlt das Wasser unter dem Holz der Boote.

Dann biegt sich das Rohr. Jedes Blatt reibt am Bord der Kähne wie heimlich geschnittenes Papier. Dann schlägt die Schilfwand zurück, die Wirbel ersterben zwischen den Halmen, und die Flotte ertrinkt im Nebel, dunkle Tiere, eins hinter dem anderen, lautlos, mit der Nacht vertraut, dem Wald, dem großen Schweigen.

Im letzten Boot sitzt Wolf. Das Spiel versinkt, und vor seinen Augen steht das einsame Licht, das über dem See brennt … »Ich darf nicht nach dem Silberstrom gehen … das ist mir nicht erlaubt … aber dich zu lieben ist mir erlaubt …«

Der Wald tritt zurück, der Nebel verschwimmt, der warme Atem des Sees nimmt sie auf.

»Nordost!« ruft es leise von vorn.

»Nordost … Nordost …«, wiederholt es sich von Boot zu Boot.

 

Wolf hätte schon lange klopfen müssen, aber er klopfte nicht. Er saß auf dem niedrigen Geländer, das das Treppenhaus abschloß, und freute sich. Durch ein Dachfenster fiel das Abendlicht als ein roter Balken bis auf die Fußmatte vor der Tür, eine dunkelgrüne, sehr herrschaftliche Fußmatte, in die mit roten Buchstaben nicht SALVE, sondern APAGE TE eingewebt war. So stand es da, unmißverständlich und auf keine Weise anders zu lesen. Es war ein sehr beglückendes Erlebnis für den Exoten.

Auch war es nicht das einzige dieses Bodenraumes, in dessen Höhe die Dachbalken zum First emporstrebten, wo es nach Naphthalin und Spinnweben roch, wo die kleinen Fenster in allen Regenbogenfarben schillerten, wo die Töne des Hauses wie aus einem Grab heraufschollen und wo in Wände und Balken eine schwarze Tür hineingebaut war, jenseits der Fußmatte, eine Tür mit einem grauen Eisenschild »Hugo Schreyvogel« und einem Pergamentblatt neben dem Schloß, echtes, gelbliches Pergament, auf dem in herrlicher gotischer Schrift, Majuskeln in Rot, untereinander eine Reihe von Vorschriften zur Kenntnisnahme einluden:

Säubere deine Füße (besser als zu Hause)!

Benutze keine Brechstange, wenn nicht geöffnet wird!

Spucke zu Hause!

Es war so schön, bevor du kamst!

Ein brennendroter Pfeil in Ölfarbe lief schräg über die halbe Wand herunter und wies mit seiner Spitze eindringlich auf diese Warnungstafel.

Wolf saß noch immer auf dem Geländer und lachte in sich hinein. »Hujo, der Hühnerhabicht …« Dreimal durchs Examen gefallen … Justizsupernumerar … Aktuar … Sekretär … Misanthrop, Vegetarier, Dissident, Spartakist, Pessimist … der Teufel von Riechenberg. Ein schwieriger, aber unbedingter Kamerad aus der Pennälerzeit. Ein Charakter, ein Original, ein Heros in Abdera.

Er begann zu pfeifen. Ganz leise. Die Marseillaise. Ein Stuhl flog ins Zimmer, eine Tür knallte, das schwarze Tor flog auf. Hugo stand da, klein, stämmig, ohne Bügelfalte. Ein Geierkopf mit schwarzem Schopf. Eine nervöse, sehr zarte Hand, die einen schwarz gerandeten Kneifer auf die Geiernase schleuderte. Ein schwelender Zigarrenstummel im heruntergezogenen Mundwinkel. Er war bartlos und hatte Falten wie Risse in gesprungener Erde.

Der Stummel bewegte sich. »Strolch!« sagte es scharf hinter geschlossenen Lippen.

»Na also«, erwiderte Wolf lachend. »Zurück vom Urlaub?«

»Würde sonst kaum hier sein. Gesetze der Logik unverändert geblieben. Rein mit dir!«

Zwei Zimmer waren ins Dach eingebaut. Die Decke war schräg. Der See und das Abendrot erfüllten den ganzen Raum vor den Fenstern. Dunkler Hausrat stand an den Wänden, sehr streng, ohne Rundung. Ein großer Tisch mit einem Riesenradioapparat. Kein Staub, keine Blume, kein Bild.

»Mir scheint«, sagte Wolf, am Rande des Teppichs stehenbleibend, »du bist der einzige Kopf in Riechenberg, Hugo.«

»Misthaufen mit Kopf schon mal gesehen? Hier … einzig anständiger Stuhl … Schon bemerkt, daß kein Mensch Stühle zu bauen versteht? Skeletthalter … Büstenhalter … Strumpfhalter … Federhalter … Statthalter … damit Gattung Mensch nicht zusammenbricht … Schwer oder leicht?«

»Hier, gute Sorte. Schwer. Abgefunden mit deinem Leben?«

»Habe nichts abzufinden. Tod findet ab … Und du?«

»Na ja … du konntest mitkommen, Habicht. Du bist zu schade für diesen Laden.«

»Brauche Sumpf, um Steine reinzuwerfen. Sumpf nur, wo zwei oder drei versammelt sind in ihrer Notdurft Namen … Außerdem Rechnungen abzuschließen. Boas, die Pille, Ewerling, vermählt mit geborener Pfeffer, Bürgermeister und so … Saldo zu ihren Lasten.«

»Hast du die Penne noch nicht vergessen? Lohnt sich doch nicht.«

»Lohnt sich! Wohlfahrtseinrichtung für Schwachsinnige, die sie nach neun Jahren stempeln. Frei von Trichinen, außer in der Hirnschale. Die andren werden abgewürgt. Gefährliche Subjekte, weil sie auf der Schule schon zu denken anfangen. Denken ist gefährlich. Marquis Posa.«

»Wieder einmal …«

»Ja … die Boas von Riechenberg … Austreiben das Gezücht … ›Raum für alle hat die Erde …‹ Weißt du, wie Keiserling die Arme öffnete, mit den ausgefransten Manschetten, als wollte er die ganze Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt an seinen speckigen Busen drücken? Da hast du. Raum für alle … für verdammt wenige Raum. Und Boas gehört nicht zu den wenigen.«

»Du wirst sie nicht ausrotten, Hugo.«

»Wirst nicht … wirst … Über Futurum läßt sich nichts aussagen …«

»Du solltest doch kommen, Hugo, und den Urwald roden. Wenn du atmest, verdorren die Bäume.«

»Keine Zeit. Sechs Prozesse. Beleidigung und üble Nachrede. Aus der letzten Wahlschlacht. Einheizen, daß sie Brandblasen auf den Südpol bekommen.«

»Gib mir was zu trinken, Habicht. Man bekommt eine trockene Kehle bei dir.«

Er lächelte, mit einem leisen Schimmer der Güte. »Kein Mensch in diesem Nest, mit dem du reden kannst. Lauter Maden. Wie ein Kuhfladen.«

»Kannst du dich nicht versetzen lassen? In die Großstadt?«

»Einzelfladen mit Herdenfladen vertauschen? Außerdem: Pfahl im Fleisch ist eine Berufung. Sinn des Lebens. Baalspriester stürzen … aber genug. Erzähle ein bißchen.«

Der Abend verblaßte langsam. Die Ecken des Raumes wurden dunkel. Nur die Zigarren glühten. Aber unter jeder Vorstellung, die Wolf aussprach, lief leise eine zweite Vorstellung mit: das weiße Haus … das kleine Muttermal zwischen Hals und Schulter … der blasse Mund …

»Kennst du Runge?« fragte er unvermittelt. »C. A. Runge?«

»Einigermaßen«, nickte Schreyvogel. »Nachsehen.«

Er stand auf und schaltete das Licht ein. Er schob die untere Wand eines breiten Bücherschrankes in die Höhe, bis sie in ein unsichtbares Schloß schnappte, und machte eine nachlässige Handbewegung über fünf Reihen dunkler Fächer, die Buchstaben auf weißem Papierschild enthielten. »Kartothek«, sagte er erklärend, schleuderte den Kneifer auf die Nase und beugte sich herunter. »M – P – R … gleich haben.« Er zog ein Fach heraus und stellte es auf den Tisch in die Mitte. Braune Karten, hintereinander gelagert. »Rasmus … fauler Bruder … Steuerhinterziehung … Riebensahm … Alimente … wahrscheinlich Meineid … Runge … C … A … haben ihn schon …«

Er schob den Kasten zurück, setzte sich auf den Tischrand, sog an der halb ausgegangenen Zigarre und vertiefte sich in das braune Blatt. Seine Mundwinkel und die schmalen Flügel seiner Nase waren in ständiger Bewegung, als wittere er Spuren und Beute.

»Interesse an C. A. Runge?« fragte er plötzlich, hob schnell den Kopf und schleuderte dabei den Kneifer zur Seite, so daß er an der schwarzen Schnur auf und ab durch den Raum schwang. Seine dunklen Augen funkelten vor Fröhlichkeit.

»Ein wenig.«

»›Ein wenig‹ heißt ›brennend‹. Bin für klare Ausdrucksformen.«

»Also brennend.«

»Schön … einiges zu vermelden … aufgemerkt … wieder einmal … der Schüler Wiltangel!«


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