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XVII

Ein witziger Berichterstatter einer Zeitung der Provinzialhauptstadt gab seinem Aufsatz über den Verlauf der Hauptverhandlung den Titel: »Der Drang zum Meineid.« Und in Wahrheit fehlte es nicht an einer Reihe von Sensationen, die dicht am Strafgesetz vorbeiführten.

Auf der Erde lag schon Schnee, und vom frühen Morgen an läuteten die Schlittenglocken auf den Chausseen, die zur Kreisstadt führten. Der Markt war ein Feldlager, und in den Korridoren standen die Menschen geduldig vor den verschlossenen Türen. In den Ecken, in denen noch trübe Gaslampen brannten, wurde ein einträglicher Handel mit Eintrittskarten getrieben. Die Campleute gelangten in den Saal – lächerlich zu bedenken, daß in Riechenberg Schule war –, ein Teil der Fischerstraße mit Lina und Naujoks gelangte in den Saal, ein Teil der Honoratioren von Riechenberg eroberte seine Plätze, ironisch begrüßt von den beiden anderen Parteien. Die Presse richtete sich ein, die Justizwachtmeister richteten die Akten auf dem grünen Tuch des Tisches aus, das Gas wurde ausgedreht, die Kahlheit des Saales richtete sich unheilverkündend vor der kommenden Stunde auf. Dann begann die Verhandlung abzurollen, nüchtern, trocken, auf der geneigten Ebene der Prozeßpraxis. Die Geschworenen wurden vereidigt, hoben ihre dicken oder schlanken Finger in die Höhe und saßen dann feierlich und unbehaglich mit ihren Amtsgesichtern da. Die Angeklagten wurden in den Saal geführt, die Zeugen. Die Talare der Rechtsanwälte schimmerten feierlich. Der Vorsitzende sah mißvergnügt aus, der Staatsanwalt, groß, mager, mit einer unangenehmen Vergnügtheit in den Augenwinkeln, rieb sich die knochigen Hände, als friere ihn. Der Protokollführer hob die Feder gegen das Licht und kratzte ein paarmal mit ihr über das Papier. Es gab einen unangenehmen Ton, der dem leisen Flüstern im Saal ein Ende machte. Er klang wie das Schärfen eines stumpfen Messers.

Von allen Zeugen lächelte nur Frau Barbara. Sie saß neben dem Apotheker, sah in Wiltangels grau gewordenes Gesicht, nickte ihm zu und betrachtete dann alles andre wie einen matt beleuchteten Vorhang, der sich nun über ihrem Stück heben würde.

An den Aussagen der Angeklagten ändert sich nichts. Zu den Verteidigungsreden C. A. Runges lächelt Wiltangel. Aus seiner Liebe zu Frau Runge mache er kein Hehl. Alles andre sei durchsichtige Fabel.

Der Vorsitzende sieht ihn von der Seite an, streckt die magere Hand aus und hebt das gekrümmte Messer in die Höhe. »Und dies?«

Er habe nur eine Erklärung, entgegnet Wolf. Bei seinem ersten Besuch bei Frau Runge müsse er das Messer im Boot gelassen haben und Lurkschies, der spioniert habe, müsse es gesehen haben. Frau Runge werde bezeugen, daß Lurkschies spioniert habe.

Der Vorsitzende legt das Messer wieder zurück. Der Staatsanwalt lächelt und macht sich eine Notiz. Ob der Angeklagte Wiltangel sich heute herbeilassen wolle, eine Begründung für seinen Aufenthalt auf dem Brandplatz anzugeben?

Nein, das wollte er nicht.

Die Zeugen werden nacheinander in den Saal gerufen und sagen aus. Die Schülerin Kaltenborn, deren Zopf steif von den Schultern absteht. Die beiden Dienstmädchen, die nichts gesehen und gehört haben. Der Forstkassenrendant Hindersin, der über die fünftausend Mark die Aussage verweigert. Nein, es sei nicht wahr, daß Wiltangel ihn bedroht habe. Da müsse ein Irrtum seines Schwiegersohnes vorliegen. Die Eltern des Angeklagten Wiltangel, die nichts gesehen und gehört haben.

Dann der Untersekundaner Jürgen Bechler. Erste Sensation, daß der Zeuge vorläufig nicht vereidigt wird. Zweite Sensation: Jürgen Bechler, Moritzlocke über dem runden, blassen Gesicht, erklärt, daß er eine Aussage zu machen habe.

Ja, dazu sei er vermutlich da, bemerkt der Vorsitzende mißvergnügt.

Jürgen, lächelnd: Nicht ganz so, wie der Herr Vorsitzende meine. Er habe auszusagen, daß Herr Wiltangel bis zum Ausbruch des Brandes bei ihm gewesen sei. Sie hätten Portwein getrunken und seien erst durch die Sirene auf das Feuer aufmerksam gemacht worden.

»Jürgen, was redest du?« sagt Wolf.

»Ruhe!« schreit der Vorsitzende.

Jürgen bleibt dabei. Eine finstere Entschlossenheit liegt auf seinem runden Gesicht, und er vermeidet, nach dem Platz der Angeklagten zu blicken.

Der Zeuge irre sich, erklärt Wolf auf Befragen. Es handle sich um die Nacht vorher.

Er habe also mit Schülern Portwein zu trinken gepflegt, fragt der Vorsitzende. Ob ihm das moralisch einwandfrei erschienen sei? Der Angeklagte lächelt. Jürgen wird nicht übermäßig liebenswürdig auf seinen Platz zurückgeschickt. »Brav, min Jung!« sagt Lina und erhält eine scharfe Rüge.

Die dritte Sensation: Frau Barbara Runge. Bevor sie auf die Frage, ob sie aussagen wolle, die Lippen öffnet, sieht sie Wolf an. Vor aller Augen, die sich auf ihn richten, legt Wolf einen Finger auf die Lippen. Es hilft nichts, daß der Vorsitzende dazwischenfährt. Frau Barbara erklärt leise, daß sie nicht aussagen wolle, und geht mit gebeugten Schultern auf ihren Platz zurück.

In diesem Augenblick geschieht das Unerhörte, daß Fräulein Ilse Bierkandt, in dunklem Pelzmantel und Schlangenschuhen, von ihrem Platz im Zuschauerraum sich erhebt, sich langsam, furchtlos und aufrecht bis zu Wolfs Rechtsanwalt begibt und, ehe jemand eingreifen kann, ihm etwas zuflüstert, wobei ihre hübsche, ringgeschmückte Hand auf dem Ärmel seines Talars liegt.

»Bitte«, sagt der Rechtsanwalt mit etwas verblüfftem Gesicht in die drohende Periode des Vorsitzenden hinein, »hier liegt eine entscheidende Wendung vor. Fräulein … bitte … ja, Fräulein Bierkandt wünscht unter ihrem Eid auszusagen, daß mein Mandant in der fraglichen Nacht von der Dämmerung bis zum Sirenensignal bei ihr … also in ihrem Zimmer gewesen sei und es nicht für eine einzige Minute verlassen habe.«

Das kleine Postfräulein steht tapfer, wenn auch etwas blaß, neben dem Rechtsanwalt und sieht mit ihren blauen, kindlichen Augen dem Vorsitzenden ins Gesicht. »Jawohl«, sagt sie ruhig, »ich habe geschwiegen, weil es sich um meine Ehre handelt, und Herr Wiltangel als ein Gentleman hat aus demselben Grunde geschwiegen. Aber bevor ein Ehrenmann unschuldig verurteilt wird, muß ich es sagen. Ich bitte, vereidigt zu werden.«

Der Saal ist totenstill. Selbst der Protokollführer läßt die Feder auf dem Papier ruhen, ohne zu merken, daß das saubere Papier sich mit einem kleinen Tintenklecks bedeckt. Vom Marktplatz dringt die dumpfe, tonlose Bewegung einer Volksmenge durch die Fenster hinauf. Auf dem Korridor räuspert sich jemand, und eine ferne Tür schlägt ins Schloß.

»Kind«, sagt Wolf, »was redest du? Habt ihr soviel Angst um mich?«

»Schweigen Sie!« schreit der Vorsitzende.

»Hier darf nicht geschwiegen werden«, erwidert Wolf gleichmütig, ohne die Augen von Fräulein Bierkandts tapferem Gesicht zu wenden. »Unrecht muß verhindert werden. Auch diese junge Dame irrt sich. Im guten Glauben sicherlich, aber sie irrt sich.«

Der Staatsanwalt, der wieder seine Hände reibt, fragt den Vorsitzenden lächelnd, ob man nicht vielleicht die anderen Zeugen gleich aufrufen wolle, die das tiefgefühlte Bedürfnis verspüren könnten, das Alibi des Angeklagten mit einem Eide zu beweisen. Vielleicht sei noch jemand da.

»Ja«, erwidert eine helle Stimme. Und Frau Barbara tritt von der Zeugenbank neben Fräulein Bierkandt. Ihr Gesicht leuchtet, und selbst der Geschworene Balduhn, der ein von Zahnschmerzen verschwollenes Gesicht hat, fühlt, daß hier eine Quelle der Wahrheit aufzuspringen bereit ist, und nimmt die Hand von seinem schmerzenden Ohr.

»Na also«, erwidert der Staatsanwalt.

»Sie haben die Aussage verweigert?« fragt der Vorsitzende scharf.

Barbara lächelt. »Laß es sein, Wolf«, sagt sie zu Wiltangel, der aufgestanden ist. »Lassen Sie es sein, Fräulein Bierkandt. Sie sind ein tapferes Mädchen, aber wir wollen uns nicht um die Ehre unserer ›Unehre‹ streiten …«

»Hören Sie nicht, daß ich Sie etwas frage?« unterbricht der Vorsitzende sie noch schärfer. »Sie haben vielleicht die Güte, sich zu erinnern, daß Sie vor Gericht stehen?«

Der Vorsitzende hat in jedem Jahr einmal an ihrem Tisch gesessen, wenn C. A. Runge seine große Treibjagd gegeben hat. Er hat sie sogar einmal zu Tisch geführt, und sie muß schnell an alles dieses denken, während sie ihm ihr Gesicht zuwendet. »Ich weiß«, erwidert sie, und auch die unzulängliche Strenge des Gesetzes auf seinem Gesicht vermag das Leuchten in ihren Augen nicht zu verdunkeln. »Ich will aussagen unter meinem Eid, und ich will aussagen, so wahr mir Gott helfe, daß Herr Wiltangel in der Brandnacht in meinem Schlafzimmer gewesen ist. Er kam gegen neun Uhr, über das Spalier und das Verandadach, und klopfte an mein Fenster. Und ich ließ ihn ein. Es war das erste Mal, aber das ist ja gleichgültig. Ich hatte meinen Vater angefleht, daß er in die Scheidung willigt, aber er wollte nicht … Und als er fortging, nach Mitternacht, kam er nach einer Minute zurück, klopfte noch einmal an das Fenster und sagte: ›Zieh dich an, Barbara, es brennt. Der Wind steht auf das Haus. Schnell!‹ Dann war er fort. Die Luft war voll Rauch, und ich sah das Feuer an zwei Stellen.«

Sie steht sehr gerade. Die schmalen Schultern zittern ein wenig. Sie hat den Mantel ausgezogen, und in dem schwarzen Kleid sieht sie wie ein Kind aus, das man zu früh geweckt hat. Sie fühlt, daß sie alle Augen im Saal auf sich versammelt, die des Gerichtes und die der anderen, die auf ihrem Rücken brennen. Sie ist sehr blaß, aber sie lächelt immer noch, und inmitten des langen, lautlosen Schweigens nickt sie einmal dem Vorsitzenden zu, als wollte sie sagen: »Du weißt ja, daß es so gewesen ist.«

»Sie nehmen natürlich an«, sagt der Vorsitzende endlich, leiser als bisher, »daß das Gericht Ihnen Glauben schenken wird?«

Sie nickt wieder.

Der Apotheker Wiltangel steht auf und bittet, zu dieser Aussage gehört zu werden. Er sagt aus, daß Frau Barbara Runge ihm, was sie soeben vorgetragen habe, eine Stunde, nachdem sie von seines Sohnes Verhaftung erfahren habe, wörtlich anvertraut habe.

Der Angeklagte Wiltangel, befragt, bestätigt die Aussage von Frau Barbara Runge. Weshalb er geschwiegen habe? Wolf hebt verwundert den Kopf. Ein Gentleman dürfe eine geliebte Frau nicht bloßstellen.

»So …«, sagt der Vorsitzende und sieht ihn grübelnd an.

Das Gericht verkündet den Beschluß, infolge der veränderten Situation eine Pause einzulegen. Der Staatsanwalt blättert noch ein wenig in seinen Papieren. Also Hypothese sechs, denkt er. Richtig kalkuliert. Er hat keinen Zweifel an der Wahrheit der Aussagen. Bevor er den Saal verläßt, richtet er seine Brillengläser auf Runge und Lurkschies. In seinen Augenwinkeln sitzt wieder das unangenehme Lächeln.

Es geht schneller zu Ende, als irgend jemand erwartet hat. Selbst als der Staatsanwalt erwartet hat. Die Entscheidung fällt nicht im Saal des Schwurgerichts, nicht unter den logischen Überfällen des Vorsitzenden, nicht unter der Analyse des Staatsanwalts. Sie fällt eine Treppe tiefer, in einem dämmrigen Raum, über dem geschrieben steht: »Aborte für Männer.« Es liegt eine Art von höherer Gerechtigkeit in dieser Tatsache, daß das Finstere und Übelriechende des Verbrechens an dem Orte menschlicher Notdurft endet.

Es entwickelt sich so, daß C. A. Runge und Lurkschies in der Pause ein menschliches Bedürfnis verspüren und daß in der Erregung, die hinter den Sensationen nachzittert, niemand Anstoß daran nimmt, daß sie zusammen eine Treppe tiefer geführt werden. Da die Fenster des Raumes vergittert sind, hat der Wachtmeister kein Bedenken, die beiden, die nachdenklich vor ihm hergehen, in zwei nebeneinanderliegende Kammern zu lassen und selbst vor der Tür eine Zigarette in der hohlen Hand zu rauchen. Er hört nichts von der durch eine Ritze in der Zwischenwand geführten geflüsterten Unterhaltung. Er merkt erst etwas, als aus dem Raum ein seltsam scharrendes, dumpfes, ungleichmäßiges Geräusch dringt.

»Zwanzigtausend?« brüllt es plötzlich hinter der Tür. »Schwein!«

Als er die Tür aufreißt, haben sie einander schon an der Kehle. C. A. Runges rundes Gesicht ist blaurot, und Lurkschies, mit zusammengekniffenen Augen, hat ein böses Grinsen um seine schmalen Lippen, obwohl die kurzen Finger Runges seinen Hals zusammenpressen.

Der Wachtmeister stürzt sich zwischen sie, aber er könnte sich ebensogut zwischen zwei verbissene Hunde stürzen. Die Trillerpfeife gellt durch die Korridore, und erst als zwei andere Beamte eingreifen, werden die beiden auseinandergebracht. C. A. Runge ist um seinen Kragen gekommen, und Lurkschies hält einen Ärmel seines eignen Rockes in der Hand. Es sieht nicht gut aus, als sie wieder in den Sitzungssaal geführt werden, und als das Geschehene bekannt wird, ist es für eine Weile im Zuschauerraum so still wie vor einem Begräbnis. C. A. Runge starrt finster vor sich hin, und Lurkschies, hocherhobenen Hauptes, läßt seine schmalen Augen von Gesicht zu Gesicht wandern, mit dem Hohn des Wissenden, der die Enthüllung eines Geheimnisses in der Tasche zwischen seinen Fingern hält.

Lurkschies sagt aus. Alles. Ja, er habe tausend Mark bekommen, und Runge habe ihm weitere zwanzigtausend nach Empfang der Versicherungssumme versprochen. Und heute, auf dem Abort, habe er von nichts wissen wollen. Sie hätten so treu zusammengehalten, bemerkt er grinsend, daß sie nun auch im Zuchthaus zusammenhalten wollten.

Wo die tausend Mark seien? Das habe er vergessen. Seit dem Brand sei sein Gedächtnis schwach.

Aber Frau Lurkschies, in die Enge getrieben und mit sofortiger Verhaftung bedroht, gibt Auskunft. Sie habe ihre Wohnung in der Abwesenheit ihres Mannes durchsucht. Unter einer Diele habe sie es gefunden. Und sie öffnet heulend, ohne dazu aufgefordert zu sein, ihr rotes zusammengeknotetes Taschentuch und legt den Schein auf das grüne Tuch des Tisches.

»Mistvieh!« brüllt Lurkschies, nun zum ersten Mal aus der Fassung geworfen.

C. A. Runge lächelt, ein verstecktes, gutmütiges, fast kindliches Lächeln. Lächelnd sieht er zu, wie der Vorsitzende den Schein in die Hand nimmt, stutzt, ihn dicht vor die Brillengläser hebt, ihn den beisitzenden Richtern zeigt. »Jawohl, Herr Vorsitzender«, sagt er.

»Wußten Sie«, wendet sich der Vorsitzende an Lurkschies, »daß dieser Schein wertlos ist? Aus dem Jahre 1922?«

Lurkschies antwortet nicht. Er spricht während des Restes der Verhandlung kein Wort mehr, aber seine Augen sind so, daß ein Wachtmeister zwischen ihn und Runge gesetzt wird. C. A. Runge aber ist heiter geworden, entlastet, sorgenlos. Er entwickelt die Geschichte seines Planes, klug, übersichtlich, gewandt. Er verschweigt nichts mehr. Er macht sogar Anspielungen auf die glückliche Vergangenheit, als der Herr Vorsitzende noch sein Jagdgast gewesen sei. Ob er sich an den Hasen an der Kiesgrube erinnere? An den Schnappschuß? Siebzig Schritt, was? Eine gute Flinte habe der Herr Vorsitzende geführt, außer Dienst so gut wie jetzt in der Verhandlung. »Tja«, schließt er fast träumerisch, »es waren doch schöne Zeiten …«

Es ist etwas Imponierendes in seinem Schwanengesang, und der Saal lauscht ihm wie einem Vortragskünstler. Ob er nicht an seine Frau gedacht habe? An seine Arbeiter, die er brotlos mache? Seine Frau? Er verbeugt sich ein wenig zu Frau Barbara hin. Ach, seine Frau, die habe ja doch mit dem Indianer mitwollen. Reisende soll man nicht aufhalten, und er wünsche den beiden von Herzen alles Gute. Und die Arbeiter? Na, die hätten bei der Pleite doch nichts gehabt, und so habe er doch wenigstens wie ein Vater für sie sorgen wollen.

Mißvergnügt ist nun der Staatsanwalt. Er liebt keine Angeklagten, die alles bekennen, die einfach den Deckel von ihrem Korb aufheben: »Bitte sehr, da liegt die Bescherung.« Er wiederholt zwar die Geschichte seiner sechs Hypothesen, er zündet zwar ein Licht über seinem eignen Schädel an, aber er fühlt, daß C. A. Runge es verdunkelt, und beeilt sich mit seinem Plädoyer.

Als es dämmert, ist alles zu Ende. Sieben Jahre und fünf Jahre. C. A. Runge steht ungebeugt hinter seiner Schranke und empfängt mit Erlaubnis des Vorsitzenden die »Abschiedsbesuche«. Er sieht wie ein Redner aus, der den Dank des Publikums empfängt. Er ist leutselig, heiter, unerschöpflich an Scherzen, erinnert Wiltangel an das Kitschua, wobei er listig ein Auge zukneift, und ermahnt seine Frau, die Scheidungsklage unverzüglich einzureichen. »Sieben Jahre, lächerlich! Riechenberg wird sich noch wundern. Leute wie ich kommen immer in die Höhe. Wie die Korkpfropfen. Lebt wohl, meine Lieben …«

Dann wird der Saal geräumt. Die Campleute tragen ihren braunen Bruder auf den Schultern die Treppe hinunter. Der Markt tobt vor Begeisterung. Fräulein Bierkandt weint ein wenig in ihr Spitzentaschentuch. Lina weint. Der Apotheker weint und tut, als schneie es ihm in die Augen. Wer nicht weint, ist erregt und schreit irgendwas. »Hurra!« oder »Hoch Wiltangel!« oder »Nieder Boas!«

Und dann fahren die Schlitten vor, einer nach dem anderen, und klingeln die helle Chaussee nach Riechenberg hinunter.


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