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IV

»Also … C. A. Runge, Carl Albert Runge, Sohn des Gustav Adolph Runge, Briefträger, zuletzt Fleischbeschauer in Pogobien, und seiner Ehefrau Katharina, geborene Tomzig. Gustav Adolph, im vierunddreißigsten Dienstjahr, der Unterschlagung von Geld- und Einschreibebriefen hinreichend verdächtig. Verfahren wegen Mangels an Beweisen niedergeschlagen. Aktenzeichen 33.0.4383. Versetzung in den Ruhestand. Besteht die Prüfung als Fleischbeschauer und bescheinigt mit Hilfe eines amtlichen Stempels das Nichtvorhandensein von Trichinen. Private Geldgeschäfte mit erheblichen Zinsen.

Leumund problematisch.

Stirbt 1921 als Ehrenmann. Kauft vor seinem Tode Inflationssärge für sich und seine Ehefrau, um Sachwerte zu besitzen. Witwe lebt hochbetagt in Pogobien und führt fünfzehn Aufwertungsprozesse.«

»Tatsachen?«

»Kartothek enthält nur Tatsachen.

Carl Albert: Platzmeister bei Falkenberg & Söhne, Groß-Wirtellen. Nach fünfjähriger Tätigkeit entlassen, weil nach jedem Submissionskauf fünf Prozent des Bauholzes fehlen. Indizien zur Anstrengung einer Klage nicht ausreichend. Kauft eine Mühle im Konkurs, macht Lohnschnitt mit Preisunterbietung, kauft Bauernwälder, verarbeitet sie zu Gruben- und Papierholz. Kauft in Papiermark, verkauft in Goldmark. Kauft schweigend alle Wechsel auf Siegesmund, Schneide- und Mahlmühlenwerke, Riechenberg, präsentiert, erwirbt das Werk mit sechzig Prozent des Wertes. Heiratet 1925 Barbara Hindersin, Tochter des Forstkassenrendanten Hindersin. Gerüchte, die sich der Nachprüfung entziehen.

Derselbe Carl Albert: Im Krieg Holzverwertungsstelle Oberost. Vermutlich Vater eines unehelichen Kindes innerhalb der deutschen Reichsgrenzen. Stadtverordneter. Raiffeisenverein, Kegelklub. 1924 und 1927 Geschworener. Versteuert 6543 Mark Jahreseinkommen. Ist in längstens drei Jahren konkursreif, wobei er des betrügerischen Bankrottes zweifelsfrei hinreichend verdächtig sein wird.«

»Ein reizender Mensch«, sagte Wolf nach einer Weile, mit einem mißlungenen Versuch, unbefangen zu erscheinen.

»Klarheit schaffen?« fragte Schreyvogel scharf.

»Ja.«

»Bitte. Umstecken. Abteilung ›Spezialfälle. Dringend.‹« Er holte einen andren Kasten aus dem Bücherschrank, legte die C.-A.-Runge-Karte liebevoll hinein und lächelte zärtlich über die fünf dunklen Fachreihen hin. »Genügend Sprengstoff«, sagte er fröhlich, »um ganz Riechenberg hochgehen zu lassen. Kein übler Bursche, der Herkules im Stall des Augias. Nur vergessen, den König mit auszumisten. Folge klassischer Bildung.«

Ob er noch Umgang mit den andren Schulkameraden habe?

Nein, danke. Er sei nicht pervers. Da habe sich jeder in einem Tümpel angesiedelt und verfaule dort langsam. Mit Frau, Kind, Haus und Hof. Kenne doch Tümpel? Mit Konservenbüchsen am Rand? Öliges Wasser, ein paar Frösche und so. Nein, Umgang habe er mit seinen Büchern, der Kartothek und seinem Motorrad.

»Seit wann fährst du denn Motorrad?« fragte Wolf vergnügt.

»Drei Jahre. 31 287 km. Beinahe Äquatorumfang. Sechs Hühner, einen Hasen, zwei Kaninchen, eine Gans überfahren. Wider Willen. Ansonst: lüftet das Gehirn. Befreit vom Geschmeiß der Gesellschaft. Eisenbahn und so. Technik des Hupens ausgebildet. Dicht dahinter. Machen einen Satz wie Frosch unter elektrischem Strom. Besonders schön bei Nacht. Oder du klopfst an, bei einem Bauern. Alles finster. ›Wer ist da?‹

›Morgen Jüngstes Gericht! Bete, du Teufelssohn!‹

Sehr wirkungsvoll. Religiöse Erziehung der ländlichen Bevölkerung.«

»Schreibst du?«

»Natürlich. Chronik von Riechenberg. Parabellumstil. Für Giftblätter.«

»Nichts Größeres?«

»Mein Junge; jeder Satz kann Versuch zur Größe sein. Aber da … nebelhafter Plan … In zwanzig Jahren vielleicht. Geduld haben. Nur Oberlehrer werden fertig.«

»Also, laß dich sehen. Es war erfrischend bei dir.«

»Deine Mutter, weißt du … sie ist so verdammt rechtwinklig.«

»Wir sitzen unten.«

»Gut, gut … nicht zu lange hierbleiben …«

Es regnete leise, als sie vor der Haustür standen. Der Jasmin duftete. Katzen schrien auf dunklen Höfen.

»Wie ein Mistbeet«, sagte Schreyvogel. »Sublimiere, mein Junge! Gefährliches Klima.«

»Wenn schon. Leb wohl.«


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