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VI.
Kascheike

Es dämmerte noch, als Andreas den großen Torfbruch verließ, um durch den lichten Birkenwald auf die Felder zu treten. Über den schwarzen Wasserlöchern lag noch der Nebel, und der Schornstein der Maschine hob sich wie der Hals eines riesigen Sumpftieres aus dem weißlichen Dunst. Der Fichtenwald in der Runde schien wurzellos über den Schwaden zu schweben, und noch glitt der Kauz mit lautlosem Flügel über das schweigende Gebüsch.

Andreas blickte noch einmal nach der Maschine, von der man zwei Wochen vorher alle Kupferteile gestohlen hatte, und wandte sich dann seufzend dem Vorwerk zu, wo die Baracken standen und wo er für Jons und Grita ein verfallendes Insthaus erbeten hatte. Nach dem letzten Streik der Torfarbeiter hatte er an Jons geschrieben, und er war sofort gekommen. Es war ihm nun, als laste dieses neue Leben nicht mehr so hoffnungslos auf ihm; aber daß es so war, bedrückte ihn wiederum, weil er die beiden nicht nur um ihrer selbst willen gerufen hatte; und in den langen Stunden der Nächte, die er jetzt durch seine Seele schreiten ließ, fiel über das Antlitz des Lebens ein immer verwirrenderer Schein, weil das Leid wuchs von Tag zu Tage und die Last des Bösen unverrückt vor seinen Händen lag.

Über den weiten Feldern hing unsichtbar das Lied der Heidelerchen. Tau lag auf Gras und Wegen. Im gedämpften Licht der Julinacht standen ferne Baumgruppen in ungegliederter Schwere gleich gepanzerten Wächtern über dem Schlaf der Erde. Im Nordosten verblichen schon die Sterne, und ein leiser Wind trug den Harzduft der Wälder über das Land. Der Roggen war schon gemäht, und hinter dem Vorwerk standen, noch dunkelnd, die langen Reihen der Hocken, in der Nähe schon erkennbar und in der Ferne wie dunkle Tiere mit dem Boden verfließend.

Langsam ging Andreas über den Hof des Vorwerks, an den Baracken und Ställen vorbei, aus denen die dumpfen Laute des Schlafes klangen, Kettengeklirr und schwerer Atem. ›Wie es nach Leiden riecht,‹ dachte er seufzend, ›so anders als auf dem Felde.‹ Er kam an der Insthütte vorbei, deren Fenster weiß verhängt war, und kehrte in trüben Gedanken bei Jons und Grita ein, über deren Dach sich schon das Morgenrot hob, um sie zu neuem, schwerem Tagewerk zu wecken.

Als er den Roggenschlag betrat, an den Hocken entlanggehend, sah er im heller werdenden Schein der Frühe in der Mitte des Feldes einen Menschen auf ein paar niedergelegten Garben sitzen, den Kopf in die Hände gestützt, als schlafe er oder als habe er zu warten, bis man ihn rufe. Langsam ging er näher, zögernd in der Sorge, es könne ein Dieb sein und sein Wächteramt müsse nun zum erstenmal sich gegen einen Menschen wenden.

Aber als der Sitzende das Antlitz hob, blieb er stehen. »Jons,« sagte er erschreckt, »was tust du hier? Weshalb schläfst du nicht?«

Jons versuchte zu lächeln. »Es ist …« begann er leise. Aber dann fuhr er mit der Hand durch die Luft, als schiebe er eine Lüge fort. Seine Augen gingen wieder über das Feld nach dem roten Licht über dem Horizont. »Riechst du es?« flüsterte er. »Wie es nach Brot riecht und Erde? Seit sie den Roggen gehauen haben, sitze ich hier jeden Morgen ein Weilchen …« Er griff mit den Händen, ohne es zu wissen, in die Garben und ließ die Ähren durch seine Finger gleiten.

»Jons,« rief Andreas, »ach, Jons, wie traurig ist das alles … ich hätte euch nicht rufen sollen …«

»Ja, es ist nun Zeit,« murmelte er aufstehend. »Die Kiebitze rufen schon … in vierzehn Tagen werden sie wohl schon pflügen … nun geh man schlafen, Andreas, ich nehme nichts weg hier …« Und er ging, leise vor sich hinsprechend, dem Vorwerk zu, auf dem schon die Hähne krähten.

›Was kann ich? Was schaffe ich?‹ dachte Andreas, weitergehend, in erschüttertem Herzen. ›Ein Pflug und ein Beet voll schwarzer Erde … ist das soviel? Müßte es nicht jeder von ihnen haben? Und nun sitzt er, die Hände in den Garben, und riecht das Brot … o mein Gott, führe mich doch den Weg, daß ich sie erkennen lasse, alle, welche Sünde wir tun.‹

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als er die Treppe zu seinem Zimmer emporstieg. Der lange Gang lag noch im Dunkeln, und nur aus dem Flurfenster fiel ein mattes Licht herein. Er ging geräuschlos auf dem Läufer entlang, spürte wie jeden Morgen den leisen Zigarettendunst, der aus Kascheikes Zimmer drang, und stand jäh angehalten still, über einem unterdrückten Laut, der hinter der Türe ertönte, den das Schweigen wieder verschlang und das wilde Rauschen seines Blutes, bis er wieder vernehmbar war, ein Lachen, wie hinter geschlossenen Händen hervor, mühsam erstickt und dann für Augenblickes Länge ungezügelt herausbrechend, das Lachen einer dunklen Frauenstimme.

Fast schwankend ging er bis zu seinem Zimmer, betäubt in angstvoller Verstörtheit, die ruhigen Bilder der Nacht auseinanderstürzend vor dem grellen Licht einer neuen Erkenntnis, eines Bösen, das er hatte geschehen lassen, erblindet in tatenlosem Grübeln. Er hielt die Hand auf dem Drücker seiner Tür, gebeugt unter dem Wissen um die Sünde und in dunklem Verlangen, aus dem Hause zu gehen, schnell und ohne Besinnen, und in den aufziehenden Morgen zu schreiten, über die gemähten Roggenfelder, an Jons und Grita vorbei, bis in dunkle, taufeuchte Wälder, wo die Sonne nicht schien und keines Menschen Stimme erklang, nur hoher Vogelruf über rauschenden Wipfeln. Er lehnte die Stirn an die kühle Wand des Flures, das dunkle Grün der Fichten vor den geschlossenen Augen und die zarten Fiederblätter des Mooses, in denen das Haupt versinken würde, und eine dumpfe Angst schüttelte seinen ganzen Körper. Aber dann trat er schnell, blindlings fast, zu der gegenüberliegenden Schwelle und stieß die Türe zu Marthas Zimmer auf.

Es war leer.

Er ließ sich in den Lehnstuhl neben dem Ofen fallen, die Büchse noch immer in den Händen, die Stirn an den kühlen Lauf gelehnt. So wartete er, seinem Herzschlag lauschend, betäubt nach der Kühle der Nacht von dem schweren Blumenduft, der das Halbdunkel erfüllte.

Er blickte erst auf, als sie mitten im Zimmer war. Sie schrie nicht auf, nur das Lächeln erlosch jäh in ihren Zügen, und ihre Lippen wurden weiß. Unverwandt blickte er sie an, und Mitleid und leises Grauen standen ohne Hülle in seinem Antlitz.

»Werden Sie nicht gehen?« fragte sie endlich, mit träger Bewegung eine Decke um sich hüllend und in einem Sessel hinter dem Tische Platz nehmend.

»Wie konnten Sie das tun?« fragte er, ihr unbewegtes Gesicht durchforschend. »Ich spreche gar nicht davon, daß er mir aufgetragen hat, Ihre Schwelle zu bewachen und daß Sie mir Leid bereitet haben, weil ich meine Pflicht versäumt habe. Aber wie konnten Sie sich so erniedrigen? Wo er doch nur dazu hergekommen ist?«

»Von wem sprechen Sie?« fragte sie gleichgültig.

»Bitte, lügen Sie nicht,« bat er.

Sie lehnte den Kopf an den Sammet des Sessels und schloß die Augen, als schlafe sie und als lohne es sich nicht, daran zu denken, daß er da sei.

Erst als eine der Rosen auf dem Nachttisch plötzlich auseinanderbrach und ihre Blüte, überschwer von Reife und Duft, auf die Marmorplatte niederfallen ließ, schrak sie zusammen und blickte auf die verstreuten Blätter. »Sie können sich wohl nicht denken, Herr Nyland,« sagte sie mit leisem Hohn, »weshalb diese Rose ihre Last von sich wirft? Oder könnten Sie es doch? Und wer erniedrigt sich? Die Rose? Es ist der Rose sehr gleichgültig, Herr Nyland, ob es eine Marmorplatte ist oder die Hand eines Künstlers oder … ein Gesandter Gottes, den sie beglückt. Außerdem … sind Sie nicht hierhergekommen, um zu leiden? Sagten Sie es nicht selbst?«

»Ja, das wollte ich,« antwortete er verzagt.

»Nun? Und was haben Sie denn bisher gelitten? Und welches Leid haben Sie ausgelöscht? Sind Sie auch einer von denen, die sich in Phrasen betäuben?«

»Taten Sie es etwa, um mir zum Leiden zu verhelfen?« fragte er finster.

»Vielleicht, Herr Nyland …« Sie sah ihn unbeweglich an. »Vielleicht werden Sie mehr leiden, als Sie jetzt denken. Denn ich werde es meinem Vater erzählen, vielleicht auch ihm, dem anderen. Daß Sie hier in der Nacht bei mir gewesen sind. Aber deswegen tat ich es natürlich nicht.«

»Weshalb taten Sie es also?« beharrte er grübelnd.

Sie gähnte und begann mit trägen Fingern ihr Haar in Zöpfe zu flechten. »Es ist genug, Nyland,« sagte sie widerwillig. »Ich bin nicht Grita. Ich tue, was mir paßt. Ich langweile mich, das ist eine erbliche Belastung. Wenn es mich reizt, flüchtig und so nebenbei, dann kniet dieser Kascheike vor mir, und wenn es mich anders reizt, dann knien Sie vor mir. Schütteln Sie doch nicht den Kopf, das ist doch lächerlich. Was wissen Sie von der Sünde, Sie Knecht Gottes? Wie ein Taumel wird es einmal über Sie fallen, so, daß Sie selbst morden könnten. Nicht? Ich sage Ihnen, ja! Ja, sage ich Ihnen!«

Sie sprang unvermittelt auf, die Haare zurückschleudernd und stand bei ihm, seine Schulter mit hartem Griff umfassend. Er bäumte sich zurück vor dem Duft ihres Körpers, die Büchse gegen ihre Brust drängend und voller Grauen in ihre nahen Augen blickend, die über seinem Antlitz wie über einem Tiere lagen.

»Wie blaß du geworden bist, Andreas,« sagte sie lächelnd und trat zurück. »So blaß … nun geh, heute bin ich müde …«

Als sie die Decke abwarf und zu ihrem Bett trat, verließ er wortlos das Zimmer.

Er schlief erschöpft bis um die Mittagszeit, ging nicht zum Essen hinunter, sondern saß an seinem Fenster, mit abwesendem Blick den Gewitterwolken zusehend, die sich hinter den Parkwipfeln hoben und die Sonne verschütteten. Das Laub der Kastanien vor dem Giebel schwamm regungslos in der glühenden Luft, als müßte die ganze Blättermasse auflodern beim ersten Windstoß und zerfallen zu Zunder und Staub. Von Zeit zu Zeit erklang ein gedämpfter Pistolenschuß aus Marthas Zimmer, und jedesmal hörte er den Körper des Sperlings durch das Laub fallen und leise zur Erde schlagen. ›Nicht einmal das habe ich verhindern können,‹ dachte er müde, ›nicht einmal das … und gräme mich um das andre …‹

Das Wetterleuchten nahm zu, ganze Flammenbündel über den Horizont schleudernd. Er schloß die Augen, als fürchte er, den flackernden Schein in die Verstörtheit seiner Seele tasten zu sehen. Noch einmal griff die Sehnsucht der Morgenstunde nach seinem Herzen, fortzugehen, schnell, ganz schnell, die Augen geschlossen, die Hände vor den Ohren. Aber er regte sich nicht.

Es dämmerte schon unter dem schweren Gewölk, als Kascheike in sein Zimmer trat. »Sieh an,« sagte er gut gelaunt, »da sitzt er und treibt Naturstudien. Beleuchtungseffekte wohl, was? Ist auch nicht ganz uninteressant … Jehovas Stimme im Zorn … der zerschmetterte Wald, Bogen des Friedens, und so weiter … wie geht's dir, Knecht Gottes?«

»Was willst du?« fragte Andreas müde, ohne ihn anzusehen.

»Was ich will? Wie komisch er fragt. Habe ich denn schon gesagt: ›Bitte borge mir deine Bibel?‹ Gar nichts will ich. Sehen, wie es dir geht. Ob du leidest, du Gesandter, und ob man vielleicht aus deinem Gesicht lesen kann, woran du leidest … oder nach wem …« Er lachte laut aus und schlug Andreas vertraulich auf die Schulter.

»Bitte geh fort, Kascheike,« bat Andreas, sich zurückbeugend. »Ich kann dich jetzt nicht sehen.«

Kascheike nahm die unangezündete Zigarette wieder aus dem Munde. »Nerven, mein Lieber?« fragte er harmlos. »Das macht die Gewitterluft … deine Schutzbefohlene schießt nach Vögeln, und du willst mich nicht sehen … im Grunde ist es dasselbe, nicht wahr?« Und er rieb sorgfältig das Streichholz an.

Andreas schwieg. Es dunkelte so stark unter der Wolkenwand, daß er Kascheikes Gesicht nur wie einen blassen Fleck vor der Tapete sah. Nur wenn der Himmel aufflammte, weit und lange, sah er die toten Augen auf sich gerichtet und das schiefe, wissende Lächeln. ›Er weiß es schon,‹ dachte er voller Ekel, ›gewiß, er weiß es.‹

»Wann war es?« fragte Kascheike ruhig, wie am Schluß eines langen Gespräches.

Andreas fühlte, wie seine Hände zitterten, aber er antwortete nicht gleich. »Was war? Wonach fragst du?« sagte er schließlich abweisend.

»Sieh mal an … wie er auf der Hut ist! Sagte ich nicht schon in der Bahn, daß du ein gefährlicher Bursche bist? Was war? Die Versuchung des heiligen Antonius, oder nein, der heilige Antonius als Versucher.«

»Das ist nicht wahr. Du weißt von nichts.«

»Aber er hat es mir erzählt, mein Lieber, eben.«

»Wer?«

»Der Alte natürlich. Wer sonst?«

»Wozu sollte er es dir erzählen?«

»Wozu? Er schien sich zu freuen, es war wohl nicht sehr rühmlich für dich. Und er wollte mich eifersüchtig machen, uns aufeinanderhetzen, weißt du. Der Dummkopf, als ob mir etwas daran läge …«

»Viel liegt dir daran, Kascheike, sehr viel! Denn du willst nur wissen, wann es gewesen ist. Du dachtest mich zu überrumpeln. Nur das wolltest du wissen, denn du weißt sehr gut, daß ich nichts Böses im Sinne hatte. Aber die Zeit, die war dir sehr wichtig.«

Kascheike kaute an den Nägeln seiner linken Hand. »Du Heiliger,« murmelte er haßerfüllt.

»Ich weiß alles,« sagte Andreas traurig. »Denn ich kam zur Zeit, verstehst du?«

»Du hast gelauscht?« flüsterte Kascheike. »Du Sündenbehorcher, nicht wahr? Das muß schmerzlich sein, mein Lieber, das kann ich wohl verstehen. Und da gingst du hinein und dachtest, es kommt so von selbst. Oder hast du gepredigt? Du bist mir zu nervös, als daß es nur das hätte gewesen sein können.«

»Ich werde jetzt wachen, Kascheike,« sagte Andreas ernst. »Ich sollte ein Flurhüter sein und ging in die Irre. Nun aber werde ich wachen. Und geschieht es noch einmal, dann werde auch ich sprechen, und dann wird er nicht mehr lächeln, bei dir nicht.«

»Das war ein schöner Blitz, Nyland. Sahst du ihn?« fuhr Kascheike nach einer Pause ruhig fort. »Er schoß herunter wie ein blutgieriger Pfeil … übrigens, erinnerst du dich, was ich dir damals sagte? Daß du weggehen müßtest, wenn ich es haben wollte, damit ich dich nicht totschlage? Erinnere dich bitte daran, Nyland. Auch von den Objekten sprach ich. Ich bin jetzt auf dem Wege dazu, sowohl beim Alten als auch hier. Und wenn es sich um Objekte handelt, muß man etwas vorsichtig mit mir sein.«

»Ich habe es dir gesagt, und nun wirst du wohl gehen.«

»O, es ist noch Zeit. Es scheint viel später, als es in Wirklichkeit ist … Aber ich glaube, es hat dich sehr angegriffen, Nyland. Du siehst nicht gut aus. Die Situation war wohl nicht so ganz ungefährlich für dich, heute früh, was?« Er ließ das neue Streichholz eine Weile brennen und blickte lächelnd in das gequälte Gesicht am Fenster. »Ja, sie ist sehr schön,« fuhr er nachdenklich fort. »Sehr schön … und sie hat die Wildheit der Liebe, die die Tiere haben … du bist wohl darin noch sehr unschuldig, Nyland, was? Sieh mal, ihr Körper zum Beispiel … unter den Kleidern sieht ja alles anders aus, zahmer sozusagen, aber …«

Andreas öffnete die Türe. »Noch ein Wort und ich werfe dich hinaus!« flüsterte er heiser. »Und heute abend noch packst du deine Sachen, wenn …«

Kascheike verließ langsam das Zimmer. »Ich nicht, mein Lieber,« sagte er laut auf dem Gang. »Ich nicht! Es gibt Dinge, über die selbst Väter stolpern …«

Im Eßzimmer waren die Türen zum Garten weit geöffnet. Die Kerzen der Leuchter brannten matt, und das blaue Licht der fernen Blitze erstickte ihren gelben Glanz und tauchte Blumen, Gesichter und Wände in einen unwirklichen Schein. Nur Karsubke wischte mit dem roten Taschentuch über seine erhitzte Stirn, die andern saßen blaß, kaum sich bewegend, in einem gespannten Schweigen, das voll innerlicher Qual auf den ersten Donnerschlag wartete. Das Gespenst aß nicht, sondern hatte das grünliche Gesicht in die mageren Hände gestützt und starrte in das Kerzenlicht.

»Bringe Sekt, Martin,« sagte Bulck, den schweren Kopf hebend. »Damit wenigstens ein Pfropfen knallt.«

Dann sah er von seiner Tochter auf Andreas und von ihm auf Kascheike, immer hin und her, mit den schmalen Mundwinkeln lächelnd.

»Ich weiß es,« flüsterte Andreas endlich gequält. »Er hat es mir schon gesagt …«

»Was er für Eile hat!« lachte Bulck leise. »Ganz grün wurde er, als ich es ihm erzählte. Er beneidete dich, und er weiß ganz gut, daß ein Gesandter Gottes andere Rechte hat als ein Jüngling namens Kascheike.« Seine Augen glänzten böse, aber Kascheike lächelte nur höflich.

›Er weiß es nicht,‹ dachte Andreas erschüttert. ›Wozu hat sie ihm denn das von mir erzählt? Wozu?‹

»Du nimmst dein Amt wahr,« fuhr Bulck wieder lächelnd fort. »Sehr gründlich nimmst du es wahr, ich werde dir mehr Gehalt geben müssen … was hat sie denn für ein Gesicht gemacht, was? Davon hat sie nichts erzählt.«

»Bitte, lassen Sie das doch!« sagte Andreas verzweifelt.

»O, es braucht dir nicht peinlich zu sein, Andreas. Wirklich nicht. Du siehst doch, daß ich mich freue. Oder glaubst du, ich verstelle mich? Nein, ich bin doch nicht Kascheike. Sieh mal, ich freue mich, du schämst dich, und er möchte dich am liebsten erwürgen vor Wut. Ist das nicht eine großartige Konstellation?«

Er lachte laut auf und hob das Sektglas. »Auf dein Wohl, du stille Gemeinde!«

Das bläuliche Licht überflammte von neuem den Garten und das Zimmer. Kein Donner folgte. So lautlos war die Stille, daß man die Blasen im Sektkelch steigen hörte.

»Die Zigarre, Martha!«

Sie ging zum Nebentisch, schnitt die Spitze der Zigarre ab, brannte sie an der Kerzenflamme an und reichte sie ihrem Vater. Alles mit den trägen Bewegungen eines gesättigten Tieres und dem leisen, fast stumpfen Lächeln einer Trunkenen.

»Danke … also übermorgen ist mein Geburtstag, Herrschaften. Wußten Sie das schon, Kascheike?«

»Jawohl.«

»So … was er nicht alles weiß, dieser Jüngling! Woher wissen Sie das?«

»Ich fand es in den Papieren, Herr Bulck.«

»Sieh mal an, in den Papieren … der geborene Geheimsekretär! … Ja, und morgen abend ist dann die Krebsjagd. Karsubke wird nachher Vortrag halten über dieses Vorfest … Weißt du schon, was du mir schenken wirst, Andreas?«

»Nein, Herr Bulck.«

»Aber ich weiß es, ihr Lieben im Herrn. In solchen Vorgewitterstunden fallen einem immer die schönsten Dinge ein. Die Spannung der Atmosphäre ist sehr ideenreich … kannst du es dir denken, Kascheike? Auch nicht? So … also folgendes ist mir eingefallen. Ihr macht keine Spaziergänge heute nacht, gleichviel welcher Art, sondern ihr setzt euch ans offene Fenster und denkt nach. Die Blitze sind sehr notwendig dazu. Und zwar erfindet ihr eine großartige Geschichte, um mir für ein paar Stunden die Langeweile zu vertreiben. Aber nicht eine Geschichte zum Zuhören, sondern eine zum Zusehen, etwas, das man ausführen kann und wobei man schneller atmen muß. Das ist die Hauptsache, versteht ihr? Schneller atmen! Und nichts, was in fünf Minuten aus ist, sondern was nachwirkt, in den Beteiligten vor allen Dingen, was sie nicht schlafen läßt, was sie an ein Messer denken läßt oder an eine Pistole, was sie grün im Gesicht macht, so etwa wie Kascheike heute grün wurde, was das ganze Haus oder mein ganzes Gut mit Dynamit lädt, eine Weile vorher und noch eine Weile nachher. Versteht ihr?

»Und wer mir morgen früh die beste Geschichte zur Entscheidung vorlegt, den will ich belohnen. Und an meinem Geburtstag, da wollen wir die Sache als eine Extranummer steigen lassen. Nicht bloß daß der ganze Hof betrunken ist wie bisher. Jawohl, Andreas, an meinem Geburtstag gibt's ein großes Krebsessen und alle sind betrunken. Selbst meine Tochter. Auch das Gespenst darf sich betrinken, nicht wahr, Potor, mein Geliebter?«

Der Gelähmte sah ihn haßerfüllt an. »Wie er schwatzt,« flüsterte er verächtlich. »Wie ein altes Weib!«

»Ein schiefes Bild, mein Lieber,« antwortete Bulck freundlich. »Sieh in den Spiegel, du Urbild der Männlichkeit, und du wirst sehen, daß es schief ist … also morgen früh, meine Freunde, und du bete zu deinen Göttern, Andreas, daß das Gewitter nicht heraufkommt. Erstens braucht der Roggen nicht naß zu werden, und dann ist es besser für die Geschichte und ihre Ausführung … das Element der Spannung, nicht wahr? Auch als der Heiland gekreuzigt wurde, brach es erst los, als er das Haupt geneigt hatte. Stimmt es nicht, Andreas?«

»Böse seid ihr,« flüsterte dieser, die Augen mit den Händen bedeckend. »So böse … auch über euch ist Gottes Hand. Wo soll ich anfangen zu wachen, wenn ihr solche Gedanken habt?« Und er schob seinen Stuhl zurück und trat in den Garten hinaus, über dem die blauen Gluten loderten.

»Denke auch du nach, Andreas,« rief Bulck ihm nach. »Auch die Jünger erfanden ab und zu mal eine schöne Geschichte … der Judas zum Beispiel, nicht wahr, Kascheike?« Und er lachte dröhnend auf, daß die Kerzenflammen sich bewegten.

In dieser Nacht ging Andreas nicht zum Torfbruch. Die Türe seines Zimmers stand weit offen, und er saß am Fenster, durch dessen Raum die flammende Nacht bis ins Haus schlug. Und immer stand nach jedem Leuchten das Fensterkreuz wie ein ewiges Symbol nachglühend am dunklen Himmel.

›Wie sie jetzt liegen mit offenen Augen und nachdenken, um das Böse zu finden!‹ dachte er angstvoll. ›Was werden sie doch erfinden! … Und nichts werde ich hindern können, nichts … wie leicht war das Haus des Leidens, ein Paradies war es gegen dies … dies ist wie der Traum, aber ewig und unentrinnbar …‹

Die ganze Nacht rollte es in der Ferne, in dumpfem Murren ersterbend und träge sich näherschleppend, als würden in einem leise dröhnenden Hause abwechselnd die Tore geöffnet und geschlossen. Wenn es aufleuchtete, sah man die schweren Gebirge des Himmels sich türmen und versinken, nachflammende Abgründe und Widerschein hinter ragenden Wänden. Aber kein Regen fiel, kein Sturm zerriß die lautlosen Wipfel, alles war schwer und tot wie vor dem Schöpfungsmorgen.

In dieser Nacht ging Andreas, als der Schlaf mit heißen Decken sich über ihn warf, zum erstenmal seit der Nacht der Tiere wieder durch sein Traumland. Nur daß alles noch ferner war, mit halbblinden Augen gesehen, und daß die steile Wand des fensterlosen Hauses nur in der Weite aufleuchtete, von unsichtbaren Blitzen getroffen. Den Hund sah er nicht.

Das Blut schien böser geworden zu sein von den Flammen der Nacht. Schon in der Frühe hörte man Karsubkes brüllende Stimme auf dem Hof, und am Kaffeetisch saßen sie in finsterem Schweigen wie beim letzten Beisammensein und sahen aneinander vorüber. Nur Bulck hatte das Kinn auf den Griff seines Stockes gestützt und blickte schadenfroh von einem zum andern. »Kascheike wird den Preis gewinnen,« sagte er endlich lächelnd. »Er leuchtet förmlich vor Bosheit. Das Gespenst hat vielleicht noch etwas Böseres, aber es wird zu gemein sein, pervers wahrscheinlich. Karsubke, du hast dich sehr angestrengt, aber deine Stirn ist zu niedrig. Es wird alles zu kompakt bei dir … Andreas hat gebetet und gewacht, und Fräulein Susanne war beschäftigt in der Nacht, die will nur schlafen. Nicht wahr, meine Liebe?«

Fräulein Susanne errötete leicht, warf einen schnellen Blick auf Martha und lächelte etwas gezwungen. »Wozu etwas Böses erfinden?« sagte sie sanft. »Es ist doch so schön hier, gar nicht langweilig.« Und sie blickte satt und glücklich auf ihren tiefen Ausschnitt nieder.

»Du hättest in einen Harem gehen sollen, meine Liebe,« meinte Bulck ironisch. »Nun, Karsubke, dann fang mal an.«

Der Angeredete wischte sich schon einige Zeit mit dem roten Tuch über die Stirn und blickte wütend auf den Gelähmten, der ihn höhnisch betrachtete. »Er wird einen Ringkampf vorschlagen,« flüsterte das Gespenst. »Mit einer Kuhmagd wahrscheinlich, damit er Siegerfrüchte ernten kann. Er ist nicht sehr empfindlich gegen Gerüche.«

»Man muß ein Wettsaufen machen,« stieß Karsubke wütend heraus. »Männer, Weiber und Kinder. Und wer gewinnt, der kann am Geburtstagstisch sitzen. Dann prügeln sie sich auch feste, und da kann man hübsch zusehen.« Er trank hastig seine Tasse aus, verschluckte sich und ballte die riesigen Fäuste, als wollte er sich auf das Gespenst stürzen, das mit einem Lachkrampf kämpfte.

»Siehst du, Karsubke,« sagte Bulck gutmütig, »ich wußte es ja. Aber es taugt nichts, wirklich nicht … außerdem sind sie sowieso alle betrunken … weiter! Hör' mit deinem blöden Grinsen auf, Potor, und erzähle.«

Der Angeredete stützte das noch immer lächelnde Gesicht in die mageren Hände, den flimmernden Blick in Karsubkes Augen senkend. »Schneller atmen, darauf kommt es an,« begann er leise. »Und lange muß es dauern, sehr lange, so daß man im Stuhl sitzen und zusehen kann. Und Blut muß da sein, viel Blut, und Schreie, sonst atmet man nicht schneller. Und deshalb muß man die großen Kräfte zusammenbringen, Hunger, Verzweiflung, Tod und Grauen. Das ist eine ganz einfache logische Überlegung. Am besten wäre es mit Menschen, aber das wird sich nicht ausführen lassen. Die Humanität spricht dagegen, die berühmte Göttin der Degeneration. Deshalb muß man zu Tieren greifen. Am besten sind Ratten, wir haben ja genug davon. Man fängt sie, fünfzig Stück etwa und füttert sie in einem geräumigen Glaskäfig mit Fußboden aus Stein oder Eisenblech. Bis alle fünfzig da sind. Und dann läßt man sie hungern und sieht zu. Von einem bequemen Stuhl aus, während man eine Zigarre raucht. Das denke ich mir sehr schön.

»Und wenn sie sich bis zur Hälfte aufgefressen haben, dann bringt man eine Katze hinein. Es wird sehr interessant sein, wie die angeborene Todesangst mit der Raserei des Hungers kämpfen wird. Die Katze wird unterliegen, aber man kann Wetten abschließen und immer zusehen, auch in der Nacht, bei Beleuchtung. Ich denke mir das großartig. Und wenn die Katze tot ist, bringt man andre Tiere hinein. Man muß da noch scharf nachdenken, um das Gleichgewicht der Kräfte nie zu verfehlen … Schließlich könnte man vielleicht auch Karsubke hineinschicken oder den Wüstenprediger. Und alle müßten zusehen, auch die Weiber. Die Kinder schon ganz selbstverständlich … ach, wie sie atmen würden!«

Er ließ die Hände mit den gespreizten Fingern sinken und schloß sie langsam um ein Messer, seinen Blick noch immer in Karsubkes entsetzte Augen bohrend. »Ja, mein Freundchen,« flüsterte er, »wenn ich hier Herr wäre … was würde ich mit dir für Geschichten anstellen, ach, was für großartige Geschichten …«

Fräulein Susanne bat um ein Glas Wasser, und Kascheike beugte sich vor, um spöttisch auf Andreas zu blicken, der die Augen mit den Händen bedeckt hatte.

»Laß ihn doch hinausbringen,« sagte Martha langsam, »es ist ja ekelhaft.«

Aber Bulck lächelte nur. »Erzählt hast du es ganz hübsch,« meinte er schließlich, im Kreise umherblickend, »aber ich wußte ja, daß es gemein ist. Besonders weil es so feige ist, bloß mit Tieren, und eingesperrt sind sie auch noch … nein, mein Freund, da war Karsubkes Plan noch besser … dich müßte man übrigens hineinbringen zu ihnen, wenn noch alle fünfzig am Leben sind, jawohl, mein Lieber! … Nun, Kascheike, jetzt verdiene dir den Preis.«

»Wie werden Sie mich belohnen, wenn ich gewinne?« fragte Kascheike nachdenklich. »Sie haben noch keine bestimmten Vorschläge gemacht.«

»Du bist wohl verrückt?« sagte Bulck verächtlich. »Sieh mal an, Geschäfte will er mit mir machen, der Hochstapler! Vorwärts, erzähle!«

Kascheike lächelte böse, aber er gehorchte. »Wir werden doch noch einmal Geschäfte machen,« erwiderte er mit schiefem Blick, »aber es ist wohl noch zu früh dazu … ja, also die Geschichte … eine Nacht war zu kurz dazu, Herr Bulck. Ich könnte noch bessere erfinden, aber für die kurze Zeit ist sie ganz hübsch.

»Die Zeiten sind bekanntlich schlecht, aber je schlechter die Zeiten, desto größer der Hunger. Das ist eine billige Weisheit, aber man muß sie zu benutzen verstehen. Sie haben ein sehr großes Gut, Herr Bulck, viel zu groß vom Standpunkt des sozialen Ausgleichs, würde Andreas Nyland sagen. Was machen Ihnen zwanzig, sagen wir dreißig Morgen aus? Selbst mit Inventar, totem und lebendem, Haus und Garten und so weiter? Aber für Ihre Leute ist es ein Königreich, ein veritables Königreich. Schön, stellen wir die Figuren auf, überblicken wir das Spiel, berechnen wir die wirkenden Kräfte. Es ergibt sich, daß wir den Zweck in der Hand haben, folglich haben wir auch die Mittel in der Hand. Das ist das Wichtigste.

»Nehmen wir nun an, wir veranstalten ein Wetttrinken um diesen Preis, wie Herr Karsubke wollte. Das wäre dumm, und darüber ist weiter gar nicht zu reden. Aber wenn wir die Möglichkeiten vergrößern, wenn der einzelne als solcher bedeutungslos wird, wenn wir Gruppen gestalten, Kraftzentren, Batterien sozusagen, wie dann? Dann beginnt der Kampf schon vor dem Kampf. Die Suche nach dem Stärksten beginnt, die Zerspaltung der Familie zum Beispiel, die Auflösung von Freundschaften, das Locken mit den stärksten Mitteln, das Suchen nach Fallstricken, nach Hinterlist, nach Übertölpelung: ein Chaos beginnt, jawohl, ein Chaos.

»Und die Geschichte selbst? Sehr einfach, verblüffend einfach. Befehl: wer sich bewerben will, besorgt sich vier Helfer, jede Gruppe zwei Weiber, das ist sehr wichtig, meinetwegen auch Kinder. Den Pflug und das Geschirr liefert das Gut. Ein Uhr dreißig, sagen wir, oder zu jeder beliebigen Zeit stehen alle Gruppen gespannfertig an der Roggenstoppel vor ihrem Pflug. Das Herrenhaus erscheint, das ganze Gut als Zuschauer. Nyland hält eine kurze Ansprache, segnet den Acker und den Pflug, ein Pistolenschuß: und aufwärts rauschen die Schollen. Sie pflügen, vier vor dem Pflug, einer als Lenker, hundert Meter, sagen wir, vielleicht auch mehr. Wer gewinnt, bekommt die dreißig Morgen.

»Mir scheint, Ihre Bedingungen, Herr Bulck, sind erfüllt in dieser Geschichte. Dynamit liefert sie genug, vorher und auch nachher. Denn die dreißig Morgen gehören allen fünf gleichmäßig. Stellen Sie sich das mal vor! Es braucht nur einer auf den Gedanken zu kommen, ein Kalb zu verkaufen oder sich zu betrinken. Wie darf er sich betrinken? Nur alle fünf gleichzeitig dürfen sich betrinken. Es ist eine großartige Perspektive. Übrigens können sich auch nur zwei vorspannen oder einer. Das ist uns egal. Aber die Idee scheint mir sehr nett. Denn der eigentliche Kern steckt tief verborgen. Es ist keine Tiergeschichte wie beim Gespenst, auch keine Menschengeschichte wie bei Herrn Karsubke. Es ist eine Menschen- und Tiergeschichte. Aus Hunger steigen sie ein wenig hinab und spielen ein bißchen Pferdchen. Das ist es.

»Man kann die Sache übrigens steigern, mit einer Unmasse von hübschen Kleinigkeiten. Herr Karsubke kann zum Beispiel zu jedem Gespann einen bestimmen, der mit der Peitsche daneben geht, nicht gerade den besten Freund natürlich, und so weiter. Ich kenne die Leute noch nicht so genau. Es wäre nicht auf jedem Gut möglich, aber ich denke, hier bekommen wir doch so drei, vier Gruppen zusammen. Im Notfall muß man eben sechzig Morgen aussetzen. Herr Bulck ist ja großzügig …«

Er schwieg und sah bescheiden lächelnd auf seinen Teller.

»Hm … was meinst du, Andreas?« fragte Bulck. »Ist er nicht ein schätzenswertes Subjekt? Der geborene Judas, nicht?«

»Ein Teufel ist er,« antwortete Andreas. »O mein Gott, was tut ihr bloß?«

»Still, Andreas. Die Geschichte ist gut, ausgezeichnet ist sie sogar. System liegt in ihr. Wenn er mehr Zeit hätte, er könnte noch ganz andre Sachen erfinden … was meinst du, Karsubke, wieviel Gespanne werden wir zusammenkriegen?«

Karsubke strahlte. »Werden schon kriegen, Herr Bulck, werden schon kriegen. Warten Sie mal … drei … vier … ja, soviel werden es sein. Werde mich gleich heranmachen, muß eine feine Sache werden. Hat doch einen klugen Kopf, der Herr Kascheike.«

»Herr Bulck,« sagte Andreas flehend, »nein, das kann nicht sein. Herr Bulck! Was wollen Sie tun? Der Pflug, der Acker, das Heiligste, was wir haben … entwürdigen wollen Sie es, den Menschen erniedrigen zu einem Schauspiel für böse, leere Herzen … viel schlechter ist das noch als was das Gespenst vorschlug. Das war eine Fiebergeburt, krank und entartet. Aber dies ist ein Gift, tückisch, grausam, entsetzlich ist dies. Das wird Ihnen nicht gelöscht im ewigen Buch, nie wird es Ihnen vergeben werden … Sehen Sie, Jons, er sitzt im Morgengrauen auf dem Roggenfeld, um das Brot zu riechen und die Erde. Den Pflug würde er küssen, wenn man ihm wieder einen gäbe. Aber so, so schamlos, als wenn man alle Armen zwänge, nackend zu gehen, es darf nicht sein …«

Er rang die Hände, außer sich vor zerreißender Qual. »Helft mir doch!« bat er, zu den andern sich wendend. »Fräulein Martha, geben Sie es nicht zu! Das Schicksal der Erde kann über Nacht die Menschenlose zerwürfeln. Wenn man Sie vor den Pflug spannte, Ihre Schultern, die nie eine Last trugen! Helfen Sie mir doch!«

Aber sie sah ihn nur forschend an. »Sie wollten leiden,« sagte sie endlich müde. »Was klagen Sie über das Leid?«

Er sprang auf und schlug die Hände vor die zerfurchte Stirn. »Ich will mich erniedrigen,« flüsterte er voller Verzweiflung. »Entwürdigen Sie mich, soweit Sie wollen. Quälen Sie mich, zerbrechen Sie mich! Ich will ja leiden. Aber tun Sie es nicht! Haß muß daraus wachsen, nie zu löschen, außer mit Blut …«

»Sei still, Andreas,« sagte Bulck, das Kinn auf den Stock stützend und mit traurigen Augen ins Leere blickend. »Recht hast du, wie du es siehst … aber wie soll man leben ohne dergleichen? Säst du einmal den Samen, dann wächst die Frucht. Und er hat gut gesät, dieser Judas … was willst du dagegen tun? Kannst du dich gegen den Rausch wehren, wenn du trinkst? Ja, es ist traurig, Andreas, aber doch ist es schön …«

»Und die Belohnung?« fragte Kascheike höflich.

Bulck sah ihn grübelnd an, die Stirne finster gefaltet, als sei er noch bei Nylands Klagen und habe die Frage gar nicht gehört.

»Ja, die Belohnung …« sagte er nach sehr langem Schweigen. »Richtig … die Belohnung … ich werde dir einunddreißig Silberlinge geben, Kascheike, und einen Strick … einunddreißig und einen Strick … du kannst es dir heute abend abholen.«

Dann stand er schwerfällig auf und verließ schweigend das Zimmer.

Als das Gespenst auflachte, zuerst hell und kreischend und dann lautlos mit zuckenden Schultern, hob Kascheike das Likörglas und schleuderte es nach dem blassen Haupt. Aber das Gespenst beugte sich, und das Glas zerklirrte an der Wand.

»So, Herr Bulck!« schrie Kascheike mit verzerrten Lippen. »Du wirst mich noch anders belohnen! Noch ganz anders! Nicht wahr, Fräulein Martha?« Und er beugte sich über sie und sah ihr höhnisch in die abgewendeten Augen.

Aber sie antwortete nicht.


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