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Vierzehntes Kapitel.
Bestechungen

Zwei Wochen später stürmte eines schönen Morgens das lebhafte kleine Mitglied des »Fortschrittlichen Frauenvereins« in die Gemächer des Stadtoberhauptes und bat um ein Gespräch unter vier Augen. Von allen Frauen Romas war sie so ungefähr die letzte, von der man hätte vermuten können, daß sie ihre Hand in politische Angelegenheiten stecken wolle. Aber doch war sie da!

»Was, Bella, du bist's?« fragte Gertrud. »Was gibt's denn? Wird deine Straße nicht hinlänglich rein gehalten oder dein Müllkasten nicht oft genug geleert?«

»Na, ich denke genug zu wissen, Gertrud Van Deusen,« gab die aufgeregte Dame zurück, »um mich in einem solchen Fall nicht an dich, sondern an das Straßenreinigungsamt zu wenden. Nein, ich habe dir eine wirklich wichtige Mitteilung zu machen.«

»Wirklich? Dann, bitte, Minnie, machen Sie die Türe mal von außen zu,« sagte sie zu ihrer Stenographin. »Nun, was gibt's, Bella?« Es wäre ihr ums Leben nicht möglich gewesen, zu der zappeligen kleinen Frau in einem andern Ton zu sprechen als zu einem Kind, das sich bei ihr über seinen Lehrer hätte beklagen wollen.

»Also, Mary Flynn – das ist nämlich meine Wäscherin, mußt du wissen – hat sich kürzlich überanstrengt und – es tut mir leid, es sagen zu müssen – in dem Bestreben, sich für ihr Tagewerk zu stärken, etwas tiefer in die Schnapspulle geguckt, als gut war – übrigens, Gertie, wann wirst du eigentlich den Schankwirtschaften zu Leibe gehen?« Sie wartete die Antwort indessen nicht ab, sondern plapperte weiter. »Und in diesem Zustand pflegte sie dann gesprächig zu werden. Gestern war sie nun halb betrunken, und als ich in die Waschküche hinunterkam, um ihr zu sagen, wie sie meine neuen Leinenleibchen behandeln solle – na, da hättest du sie hören sollen!«

»Ohne Zweifel war es sehr unterhaltend,« sagte Gertrud, die sich wunderte, warum die kleine Frau ihr all die kostbare Zeit stahl, um sie über solche häusliche Angelegenheiten zu unterrichten.

»›Meiner Treu', sagte Mary Flynn, ›ein Frauenzimmer haben wir nun als Bürgermeister. Und in einer schönen Patsche wird sie nächstens stecken, wenn sie's so weitertreibt, jawohl, jawohl! Mc Alisters Vorarbeiter hat's uns gestern nacht erzählt, jawohl, das hat er. Er hat gesagt, sagt er, sie würden bald ihre Arbeit verlieren, denn, sagt er, das Frauenzimmer gönne keinem ehrlichen Mann sein Auskommen nicht. Na, da ist meiner leibeigenen Nichte ihr Mann, Tim Mathews, ist das vielleicht kein angesehener Stadtrat nicht, wo alles an ihm hinaufguckt? Hat er nicht ein nettes kleines Vermögen für Mary, was meine Nichte ist, angelegt für den Fall, daß er gestorben und gegangen sei – bloß durch die Stadtratsgeschichte da?

»›Wie kann denn dies sein, Mary?‹ frage ich. ›Als Stadtrat kriegt er doch nicht so viel Besoldung, daß er seine Frau und sechs Kinder erhalten und noch ein Vermögen ersparen kann?‹

»›Ach, Madame, es ist nicht die Besoldung nicht, wo das macht! Um die könnte er doch seinen Kramladen und seine kleine Schnapsbude nicht verlassen,‹ entgegnete die Waschfrau. ›Nein, nein, das machen die Rosinen, ja, wären die Rosinen nicht, dann könnt' er's ja nicht machen. ›Aber,‹ sagt er, ›wegen der Rosinen verlohnt sich's,‹ sagt er. ›Was verstehen Sie unter Rosinen, Mary?‹ frage ich weiter. ›Vielleicht die Sporteln?‹ – ›Ach, Herrje, Madame, Rosinen, das ist, wenn einer eine Eisenbahn will oder eine Wirtschaft oder sonst so was, so muß er doch die Stadträte dafür bezahlen! Jawohl,‹ fuhr sie fort, ›das können Sie mir glauben, Madame, oder auch nicht, aber an dem Tag, wo Tim für die neue Eisenbahn gestimmt hat, da hat er können tausend Dollars auf den Namen meiner Nichte auf der Bank anlegen oder ist's auch – Schon gut, Madame, wie ist's nun mit den Leibchen? Sollen sie geblaut werden oder nicht?‹ Und weiter konnte ich kein Wort aus ihr herauskriegen, obgleich ich sie sorgfältig auszuquetschen suchte, soweit als ich es konnte, ohne sie mißtrauisch zu machen. Gestern abend erzählte ich es Rudolf und der machte: ›Aha!‹ und pfiff vor sich hin. Dann schärfte er mir ein, ich solle dies keinem Menschen außer dir erzählen. Deswegen bin ich gekommen. Rudolf wird stets zu dir halten, was ich ja schon immer gesagt habe. Er scheint zu denken – wenigstens sagte er: ›Dies wird wahrscheinlich Fräulein Van Deusen vor eine sehr wichtige Frage stellen!‹«

»Das tut es auch,« erwiderte Gertrud nachdenklich. »Tim Mathews heißt der Mann – sagtest du nicht so?«

»Ja,« erwiderte die aufgeregte Dame, »aber Rudolf sagt, wenn es mit der Geschichte seine Richtigkeit habe, dann stecken auch noch andre hinter der Tür.«

»Ohne Zweifel,« erwiderte Gertrud. »Ich danke dir herzlich, liebe Bella, daß du zu mir gekommen bist. Und du versprichst also, daß du niemand sonst ein Sterbenswörtchen davon erzählst?«

»O, gewiß nicht; und Rudolf meint, es sei besser, wenn man meinen Namen in die Sache gar nicht hineinbringe. Du mußt mir also versprechen, Gertie, daß du niemand sagst, daß ich es dir erzählt habe – ich könnte dadurch auch um eine ausgezeichnete Waschfrau kommen.«

Gertrud lachte herzlich. »Was für ein echt weiblicher Gesichtspunkt dies ist,« sagte sie. »Aber du hast höchstwahrscheinlich der Stadt einen großen Dienst erwiesen, und ich danke dir herzlich dafür.«

Als ihre Besucherin sich wieder entfernt hatte, blieb Gertrud eine Zeitlang allein und ruhig sitzen. Sie hatte nur einen Strohhalm in die Hand bekommen – aber vielleicht konnte er ihr doch die Richtung anzeigen, aus welcher dieser kräftige Wind geblasen hatte oder wahrscheinlich noch blies. War am Ende darin der Grund zu suchen, daß sich die Stadträte so energisch gegen den Zusatz zum Ortsstatut gewehrt hatten? Die Lage der Dinge erforderte unzweifelhaft eine geheime und gründliche Untersuchung. Die Bestechlichkeit lag in der Luft – das wußte sie schon längst, aber dies war auch der erste greifbare Beweis, der ihr in die Hände fiel. Und doch – die Geschichte konnte auch nichts als die müßige Prahlerei eines halbbetrunkenen Waschweibes sein. Was sollte sie tun? Sollte sie Herrn Richter Bateman oder Bailey oder Allingham zu sich rufen lassen? Nein, noch nicht! Erst wollte sie sich selbst einen tieferen Einblick verschaffen.

Sie ließ den Vorstand der Stadtkasse kommen, der etwas befangen antrat, denn er konnte sich gar nicht denken, was dies »Frauenzimmer« von ihm wollte. Er sollte jedoch darüber nicht lange im Ungewissen bleiben, denn nach einer oberflächlichen Begrüßung kam sie sofort zur Sache. »Herr Hanaford, ich möchte mich über unsre Ausgaben in den letzten zwei Jahren genau unterrichten.«

»Gewiß, ich werde Ihnen sofort eine Zusammenstellung machen,« erwiderte er etwas überrascht.

»Nein – das finde ich ja in allen Jahresberichten,« sagte sie; »ich ziehe es vor, die Bücher selbst durchzusehen. Ich habe dann Zeit, mir die Verhältnisse klar zu machen und die Zahlen zu vergleichen.«

»Aber wirklich, Fräulein Van Deusen – Euer Ehren – hoffentlich wollen Sie damit nicht andeuten, daß Sie mir mißtrauen?« Der Mann sprach in gekränktem, beinahe widerspenstigem Ton.

»Ich deute nichts an, und ich mißtraue niemand,« erwiderte sie gelassen, »aber unser Ortsstatut gestattet dem Stadtvorstand, jederzeit Einsicht in die Bücher und Abrechnungen zu nehmen. Ich wünsche, mich mit der Tätigkeit der Stadtverwaltung auf allen Gebieten vertraut zu machen.«

»Sehr gut,« entgegnete Herr Hanaford, »aber das kommt, – ich bitte um Entschuldigung, daß ich es auszusprechen wage – sehr, sehr unerwartet.« Bei sich selbst aber dachte er: »Und was wird dabei herauskommen bei einem Frauenzimmer, das von Geschäftsführung keinen Schimmer hat!«

»Werden Sie in meine Kanzlei kommen?« fragte er respektvoll, denn der Gedanke, daß er es ja nur mit einer Frau zu tun hatte, die ihrer Aufgabe gar nicht gerecht zu werden vermochte, wenn sie nicht in jedem städtischen Amt ihre besondern Studien machte, gab ihm seine Sicherheit zurück.

»Es wird besser für Sie sein, sämtliche Bücher in mein Amtszimmer zu bringen,« entgegnete sie, »ich erwarte, sie morgen früh hier vorzufinden.«

Kaum war Hanaford außer Hörweite, als ein ihr ganz unbekannter Name gemeldet wurde mit der Bemerkung, der Herr müsse den Stadtvorstand durchaus allein sprechen.

»Ich habe ihn vergeblich zu veranlassen gesucht, mir zu sagen, was er will,« berichtete Mary Snow, »aber offenbar will er nichts als dich. Er ist ein Gentleman, das heißt, er ist wie ein solcher gekleidet und spricht auch so.«

»Laß ihn herein, aber halte dich in der Nähe des Telephons,« sagte Gertrud, und im nächsten Augenblick trat ein elegant gekleideter, durch einen feingewichsten Schnurrbart verschönter Fremder im Alter von etwa fünfundvierzig Jahren bei ihr ein.

»Ihre Ehren das Fräulein Stadtvorstand,« begann er, »ich bin stolz darauf, die erste Dame kennen zu lernen, die in Amerika einen Bürgermeisterstuhl einnimmt.« Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte, und zog dann für sich einen Stuhl dicht an ihren Schreibtisch heran.

»Danke. Hoffen wir, daß ich nicht auch die letzte bin,« erwiderte Gertrud.

»Jedenfalls wird nie eine zweite durch ihre Anmut in gleichem Maße wie Euer Ehren dem Amt zur Zierde gereichen,« gab der Fremde galant zurück. »Natürlich werden Sie jetzt sagen wollen, daß kein Stadtvorstand vom einen oder andern Geschlecht nur um der Anmut willen gewählt werden sollte.«

»Ich war allerdings im Begriff, dies zu bemerken,« sagte Gertrud, »aber ich freue mich, daß Sie selbst einsehen, welch andre, festere Eigenschaften dazu erforderlich sind, Herr –? Verzeihen Sie, haben Sie mir Ihren Namen schon genannt?«

»Möglicherweise nicht,« antwortete er sanft, »ich bin Orlando Vickory, der Vertreter der Ringbahnaktiengesellschaft.«

Mit Mühe gelang es Gertrud, jede Äußerung ihrer Verwunderung zu unterdrücken. Also diese elegante Persönlichkeit war der Mann, den man beschuldigte, seine Gerechtsame auf ungesetzliche Weise durchdrücken zu wollen.

»Ich habe mir erlaubt, hier vorzusprechen, um die Sache mit Ihnen zu überlegen,« sagte er. »Ich hoffe, es wird mir gelingen, Sie davon zu überzeugen, daß wir, angesichts dessen, was wir für die Bürgerschaft, für die Entwicklung der Stadt tun wollen, zu allem, was wir fordern, vollauf berechtigt sind, daß unsre Sache eine gerechte ist und wir höchst vorteilhafte Bedingungen für die Stadt stellen.«

»Es ist mir nicht ganz klar, was Sie eigentlich tun wollen,« warf Gertrud dazwischen, »möchten Sie mir das nicht erklären?«

Er tat dies sehr ausführlich und erstattete ihr gründlichen Bericht über die geplante Ringbahn, ihre mutmaßlichen Erträgnisse und schilderte dann, ins Einzelne gehend, die Vorteile, die Roma aus der Eröffnung dieser Linie ziehen würde.

»Es ist Ihnen natürlich nicht unbekannt, daß die Bewohner der Straßen und der Stadtteile, die Sie ›erschließen‹ wollen, durchaus nichts von Ihrer Bahn wissen wollen?« fragte das Stadtoberhaupt, als er endlich innehielt.

»Weil es beschränkte, blinde, kurzsichtige Menschen sind,« versicherte der Mann. »Nun hören Sie mal,« fuhr er mit gedämpfter Stimme fort, »wir wollen Sie für uns gewinnen, und ich bin bevollmächtigt, Ihnen an dem Tag, wo Sie unsre Lizenz unterzeichnen, eine Gratifikation von zehntausend Dollars zu überweisen.«

»Herr Vickory!« schrie Gertrud laut auf.

»Na, dann sagen wir fünfzehn-, zwanzigtausend,« drängte er, der den Ausdruck ihres Gesichtes ganz falsch deutete. »Und außerdem kann ich Sie auch mit Aktien beteiligen, und unsere Bahn wird Gewinne, große Gewinne abwerfen, wie ich Ihnen ja vorgerechnet habe.«

»Herr Vickory!« Das Fräulein Stadtvorstand erhob sich stolz von ihrem Stuhl. »Wir werden besser tun, dieser Unterhaltung ein Ende zu machen, denn es kann mir nicht im Traum einfallen, ein derartiges Anerbieten anzunehmen. Merken Sie sich ein für allemal, daß man mich nicht kaufen kann.«

»Pfui, pfui, verehrte Dame,« erwiderte Vickory in schmelzendem Ton, »wie können Sie so etwas sagen! Ich war natürlich nicht dumm genug, um der ersten besten Frau meine Vorschläge zu machen, aber Sie sind doch eine moderne, eine fortgeschrittene Dame, die die Welt und ihre Art und Weise versteht, also konnte ich auch annehmen, daß Ihnen die Politik und ihre Wege nicht fremd sind.«

»Herr Vickory,« bat sie mit sanfterer Stimme, weil ihr ein neuer Einfall gekommen war, »sagen Sie mir offen und ehrlich, ist es bei den Beamten, mit denen Sie in solchen Dingen zu tun hatten, üblich, sich durch Aktien an dem betreffenden Unternehmen beteiligen zu lassen? Und wären diese – diese kleinen Privatabmachungen – von denen Sie sprachen – würde ich etwas noch nie Dagewesenes tun, wenn – wenn ich darauf einginge?«

»So, jetzt reden Sie doch wie eine vernünftige Frau! Wie eine Frau, die es versteht, die Stadtverwaltung geschäftsmäßig zu führen,« erwiderte der Mann. »Natürlich will ich keinen Vertrauensbruch begehen, aber das kann ich Ihnen doch versichern, daß Euer Ehren weder der erste noch der zweite städtische Beamte sein werden, der mit dem Ringbahnplan in ähnlicher Weise in Verbindung steht.«

»Nun, Herr Vickory, ich muß mir die Sache denn doch noch ein wenig überlegen,« sagte Gertie, »ich kann mich heute noch nicht entscheiden.«

»Überlegen Sie, überlegen Sie, solange Sie wollen,« erwiderte heiter der »Gründer«, »nur ist es besser für uns alle, wenn wir die Sache so bald wie möglich durchbringen.«

»Das verstehe ich,« sagte der Stadtvorstand, »und nun für heute – guten Morgen, Herr Vickory.«

Als sie wieder allein war, ließ sie sich in ihren Stuhl zurücksinken und starrte gut fünf Minuten auf den Schreibtisch vor ihr.

»Nun fängt es an, licht zu werden,« sagte sie schließlich.

Mittlerweile war Orlando Vickory wieder in sein Auto gestiegen und sauste, innerlich kichernd, durch die Straßen.

»Die Allerweltsverbesserer sind kein Haar anders als die übrigen Leute. Man kann sie so leicht fangen wie jeden sonstigen Vogel – nur besteht das Salz, das man ihnen auf die Flügel streuen muß, aus guten, dividendentragenden Aktien oder einer hinlänglichen Anzahl guter, harter Goldstücke.«


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