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Lenzausfahrt

Der Lenz ist allgemach im Lande. Der Föhn stürzt sich in das Gefels, rüttelt vernehmlich an den alt gewordenen Schließen der Höhlenpforte. Der Frost taut, und das erste Jahresbekennen stiehlt sich zitternden Atems durch den eben leicht geöffneten Türspalt in die aufschnappende Lunge der Bärin. Astdürr erhöht die Bärin sich im Lager. Die Zeit ist erfüllt, da auch ihrem Körper Vergeltung, Anerkennung und Befriedigung werden sollen. Doch nach so viel winterlicher Höhlenfinsternis darf sie nicht den Segen der Lichtzeit in blendender Fülle erheischen. Allmählich nur darf sie das Glück trinken, das da angepocht hat. In Geduld zu warten, hat sie gelernt.

Erst als die Nacht herabsinkt, als das dunkle Waldmeer den Mond verschlingt, die wogende Fichtenkraft in tiefen Felsschlüften widerrauscht und die Büschel der aufgetauten Legföhren sich zischend gegen die Mißhandlung neckender Lenzliebe sträuben, drückt die Bärin mit weichen Branten die wimmernd herumtappende Brut in die Streu und stürzt mit entschlossenem Anruck der Vorderhand die knarrende Pforte frei hinaus in das lenzende Jahr. Schon steht sie selbst draußen, dem Licht der Nacht sich bietend, ein Bild rätselnder Frage. Tiefschwarz schlottert der schwere Samtpelz um Dünnung und Keulen. Wie ein Höcker wächst über dem Widerrist dick der wehende Kamm. Plump und ungestalt wölbt sich die Hinterhand hervor, zu gleicher Höhe wie der Kamm, zwischen ihm und sich einen tiefen Sattel lassend.

Erschöpfende Müde spricht aus dem eingesunkenen Bau, Hunger und Entbehrung aus den schlaff eingeknickten Säulen, denen die eigene Last schon zuviel ist, und Erdschwere zieht in den unhandlichen, siechen Schlappschuhen.

Der glatte kleine Fang trägt sich unbeholfen, unsicher schlunkert er aus. Nur die Kragenblässe unter dem Hals zeichnet auf scharfem Grunde Ruhe und Kraft der Beständigkeit.

Lange sichert die Bärin, windet in die brausende Stille und empfängt tief schöpfend den schnarchenden Atem der Nacht. Langsam faßt sie Vertrauen zur Verlassenheit und Sicherheit der schwarzen Abgründe. Zum Auswechsel wählt sie die Windseite, um nicht blind in das neue Jahr zu gehen. Sie braucht sich nicht der Ungewißheit der Ferne anzuvertrauen, muß ihre Jungen nicht weit in unbewachter Kate zurücklassen. So nahe, wie noch die Zeichen ihrer Haus- und Wochenwirtschaft reichen, kann sie die erste Befriedigung ihrer erwachten Bedürfnisse finden. Der würzige Aushauch des Nährbodens in den Felsrissen zwischen Legföhre und Gebirgserle schlägt anregend empor. Freigedeckt steht zwischen abgeschliffenen Schneeriffen hier ein Grashalm, da ein Vorjahrskraut, stockt dort ein ameisendurchstocherter morscher Strunk für ihren auflebenden Hunger. Es sind Geringfügigkeiten, die sie Herbstens triebmäßig verschmähte, nicht achtend ihres lächerlichen Angebots; Kleinigkeiten sind es, die nun, da der unverwöhnte Geschmack das ärmste Geschenk dankbar anerkennt, die Aufsparnis mit Nutzzinsen lohnen. Das alles hängt so gleichsam als schmückende Aufmachung um die aus dem Winterschlaf erwachte Burgfeste. Gegen den zwingendsten Durst reichen für den ersten Anfang die matschigen Schneebrocken, bis die Bärin mehr und mehr zu sich selbst und zur Würdigung des Besseren gelangt und, aus dem schmalen Gang hervorgeisternd, von dem Stande der windgestürzten Riesenfichte aus das feine Prickeln des Quells in der Grabenbucht vernimmt. Schwerfällig ist noch der Hub über die nasse Schneebrücke des zottigen Stammes, und der Gang zum Schneewasser ist auch noch unsicher, es sind ja die ersten Freitritte im erstandenen Jahr; doch als sie so offen und ungehindert bis zur Sättigung den Schmelzstrahl schöpft, da quillt, wie aus tiefem Kerker kommend, ein befreiender Stöhner aus dumpfer Brust, und sie wächst förmlich in Breite und Höhe aus sich hervor.

Der Föhn jagt befreiend, lösend und erneuernd von den erwachten düster überfinsterten Berghäuptern herab. In weißdunstenden Schlüften widerhallt der Donnerbaß abgehender Grundlawinen. Quakender Erzhall ziehender Wildgänse vertönt mit der jauchzenden Wärme gegen den Grenzwall schwarzer Mitternacht.

Aus brauenden Talschauern wiehert brünstig der Waldkauz.

Hochnacht der Bärin.

Sie schlottert immer noch plump und schwer unter überhängenden Felswänden hin und her, streift mit der Flanke die Federn des Engelsüß, genehmigt sich, auf den Hinterbranten fußend, vom Moosüberzug in Reichhöhe die fleischigen Bänder der Marbel und hat zum Schluß das unbewußte Gefühl körperlicher Befriedigung. Es morgent, und langsam trottend kehrt sie auf dem engen Pfad unter lauem Geriesel schwerer Wolkenfahrt zur trockenen Hausung zurück.

 

Die Brut quietscht und schnurrt krabbelnd zum Empfang. Die Bärin wirft sich in wohliger Müde gemütlich brummend in das Lager, tatzelt mit eckig eingeknicktem Prankengelenk liebevoll in den wuselnden Knäuel der Zungen und bietet den reichlich absondernden Milchbronn, dabei gefällig einem nach dem andern der spinnenden Schnurrer den Pürzel abschleckend, bis sie über der sorglichen Reinigung selbst freundlich schnurrend geruhig einnickt.

Mehr ist ihrer stillgeschäftigen Tagesarbeit jetzt nicht. Deckung und Sicherung besorgen die Wände der Höhle, und eine besondere Wacht ist nicht nötig, denn jeden unberufenen Eindringling, der es wagen wollte, Heiligkeit, Ruhe und Friede dieser noch im Panzer starrenden Gebirgswelt zu stören, jetzt, da Waffenstillstand um alle Raubritterburgen herrscht, würden die Lahnen in den Abgrund schleudern.

So fließen also die Milchsträhne einstweilen gemächlich und sorglos zwischen dumpfem Lawinengewitter und schmelzendem Föhnsturm ab. Aber das Zeitgefühl ist nun einmal in der Bärin erwacht, Sinn für Unterscheidung von Tag und Nacht an dem vielfach gebrochenen Lichtstrahl ist geschärft, und als der Waldkauz belfert, schüttelt sie wieder das Gewürm ab und schiebt sich entgegen aller ungebärdigen Unzufriedenheit, ja gerade ihretwegen, in die Sicherheit auflärmender Lenznachtbereitschaft hinaus.

Das tut sie Abend für Abend, nachdem sie vor jeder Lichtkündung des aufdämmernden Tages unter dem Milchdruck ihres Gesäuges zur Traulichkeit des schützenden Burgfriedens zurückbegehrt hatte.

Es geht schon in die Wochen. Immer weiter und länger werden die Gänge, dehnen sich schon recht tief in den fahlen Morgen der Spätwintertage und beginnen auch schon an dumpf drückenden Tagesenden. Dabei wächst das ungeduldige Geschnurre mit jedem neuen Wiederfinden. Längst sind die blinden Kleinen sehend geworden, schon beginnen die munteren Saugwidersacher miteinander zu kabbeln und sich zu verwackeln, und da Langweile unter dumpfem Kellergewölbe ein junges Volk gar bald auf tolle Streiche bringt, vertreibt sich das Gekribbel, bis Bärinmutter kommt, mit gegenseitigem Schütteln und Knautschen die schleichende Zeit und findet, wenn die griesgrame Alte den Saugstrahl geboten, aus lockerem Verdauungsschlaf heraus immer noch eine versteckte Gelegenheit zu lustigem Spiel, einander mit bleckenden Mäulchen zu triezen und mit balligen Brantchen zu knietschen, bis Mutter mit murrender Drohgeste zum Respekt auffordert. Da mault dann eigensinnig das eine, kündigt den Gehorsam ausgelassen das andre, und mit einmal gibt's einen groben Mutzkopf, darauf ein zeterndes Plärren, und schon rächt sich das Getroffene durch giftige Backpfeifen an Geschwisterchen. Manchmal weiß die Alte nicht: soll sie gute oder böse Miene zum übermütigen Spiel machen. So wechseln Lust und Unlust auch in dieser engen Familie, aber das kommt einem rauhen Bärengemüt nicht zum Bewußtsein. Die Sorge gilt nur dem Augenblick; was kommt, wenn einmal die Bärchen die steile Stufe des Einschlupfs erklimmen können, um Mutter zu folgen, das kommt ganz von selbst aus dem innern Lebensgeschick heraus, ohne daß daran zu helfen oder zu hindern ist.

Der wetternde Wolkenfluß zerflutet, glutrot erdämmert der Morgenberg. Blaustäubende Sonnenstrahlen tanzen im Sprühdunst des Wasserfalls, und des Meerauges blauer Spiegel, zwischen den eisigen Lidern zu Seele und Licht erwacht, prägt das verkleinerte Bild des Felsenrunds und in sich verdichtet die verklärte Himmelskugel.

Und grundtief im Blau schwimmt langsam und stolz wie der Allschöpfung ewiger Lenzglücksstern der König der Alpenlüfte, der Bartgeier.


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