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Frate Nicolae und die Kühe

Als sich zum drittenmal das Jahr mit Verfall, Schneedecke und Wildabwanderung für Nicolae schloß, da bezog er zum drittenmal seine ererbte Winterhöhle; und als sich dann wieder alle Tore und Türen aufriegelten, die Klüfte, Gänge und Spalten sich für die Freiheit öffneten, da hatte er gerade seit seiner Werbung vier Winter hinter sich gebracht.

Was hat sich doch seither alles in seinem engen Heimatstal abgelagert. Wandlungen sind vorgegangen, die manch bedenklichen Zustand geschaffen haben. Zwar hat die weiße Decke, die so manches Leben wie ja auch sein eigenes in stille Ruhe bettete, die Heiligkeit besinnlicher Lebensgröße geschützt, doch haben sich die Schicksalsrinnen auch in dieses Tal unausbleiblich verzeichnet; viele Schatten sind gewachsen, die jener am meisten, die zu höchst in die Sonne gestiegen, und die Narben jener seltsamen Wunden sind geblieben, die sich mit Böllerschüssen und andern gottlosen Werkzeugen in Fels und Erdmulm gerissen hatten; auch hat sich die Klärung oben beim Windstart erweitert. An und für sich ist gegen diese Zeichen unerhörter Enteignung nichts einzuwenden, solange sie die Ruhe dieser Berge nicht stören und nicht als Vorboten kommender Nichtsnutzereien erscheinen oder gar als Raubburgen zu verbrecherischen Lebensbedrohungen dienen. Solange an ihnen und um sie kein lebender Geruch haftet, hat man vor Ausfällen nichts zu fürchten; denn die Menschen fallen ja nicht aus den Bäumen. Nicolae hat sich an den toten Zustand der Neuerungen gewöhnt; sie deuten keine Gefahr, wenn er sich auch von den geraden Linien, scharfen Gassen und insbesondere jenen Neubauten oben immer noch mißtrauisch fernhält; bis eines schmelzheißen Wonnetags, lange vor dem gewöhnlichen Schafaufmarsch, Pferdehufe stampfen, Treibrufe schneiden, Kuhglocken singen.

Ah, das ist beachtenswert! Nicolae wird vorne hoch in seinem Lager und lauscht. Seine Gehöre spielen angeregt, seine Seher glimmen belebt, seine Nüstern zucken.

Immer höher hinauf bohrt sich der Zug in den Tann. Jucher, knarrendes Pochen bei den weißschimmernden Höhenbauten zeigen an, daß das Ziel erreicht ist. Ein langgezogener Brüller wie vom Hirsch des Vorjahrs drüben jenseits der Berge macht Nicolae aufhorchen.

Von jetzt an schenkt er dem geklärten Platze besondere Aufmerksamkeit.

Tage gehen, Wochen schwinden, der Mond wächst und schrumpft, Schnepfen puitzen an verleuchtenden Abenden, Hirtenfeuer flackern zerstreut durch erkaltende Nächte, Hundegebell tropft einsilbig in schwerem Fall, und eine Viehglocke träumt bisweilen aus tiefem Schlafe bei dem Schutzhaus auf.

Nicolae weiß, was das heißt. Er hat, seit er bei der Quelle ganz nahe dem Bau in keifender Windnacht den Esel überraschte, riß und zur Hälfte im nächsten Unterbusch auffraß, den Platz nach allen Schwächen und Stärken ausgeforscht. In dem einen Bau haust ein Mensch, ein alter Mensch, der nichts macht, als daß er bei Tage an Holz klopft, zum Wasser geht, Gestank verbreitet und in der Nacht schläft. Im anderen Bau läßt sich die Rottung der Horden nieder, die tagsüber mit viel Lärm, Müh und Schweiß den Weg hinauf und hinunter gehen, jetzt häufiger als früher. Im letzten Bau aber, wohl einige gute Bärengänge tiefer, halten sich die drei Kühe über Nacht auf, nachdem sie am Tage das Gras um den Bau gefressen und mit ihrem Dünger den Boden bekleckert haben. Er hatte es ja bald abgewindet, daß das Gebrüll nicht das eines Hirsches war. Dann ist neben den Bauten noch ein Kasten, aus dem es höchst widerlich nach großer Anhäufung von Menschenspuren riecht.

Nicolae ist angenehm überrascht, als er bei seinem neuen Streifzug den leichten Hauch der Glocke vernimmt. Er hat sich nicht getäuscht. Nie noch hat er bisher das Vieh im Freien nächtigen gefunden. Dazu hat sich der zarte Klöppelschlag deutlich aus halber Hanghöhe zwischen Haus und Wildbachtal abgestohlen, ungefähr dort, wo der Weg zur Sennhütte abzweigt.

Nicolae schlägt einen großen Bogen durch Bruch, Staudengewächs und Brombeerschlingen des wurfgelichteten Waldes. Er stößt auf keine Spurwitterung von Mensch und Hund, spürt kein schleichendes Raubwild. Großvieh hat er noch nicht geschlagen. Aber dieses, das nicht bewacht ist von Herr und Hund, nicht gescheucht durch Bär oder Wolf, gehört ihm, das ist seine felsenfeste Überzeugung. Nun verhofft er auf dem Weg, und gerade mit dem Wege führt die breite ungeschlachte Fährte der Kuh. Die Kuh selbst ahnt nicht den Späher, den Feind; denn so ein blödes Haustier frißt sich stumpf und stier geradeswegs mit dem Wind in den Rachen der Gefahr hinein. Die Witterung schlägt ihm frei in den Windfang. Zum Staunen, zum Erschrecken leicht ist die Aufgabe. Nichts Fremdes spürt sich weit und breit, das Geruch hat. Dort im Gras, mitten auf dem Weg ruht in der milden Hochsommernacht die Kuh und wiederkäut mahlend und speichelnd. Soviel auf einmal an sattem Euterduft, an Fleisch und Saftfülle hat Nicolae noch nie empfunden, solch stumpfes Wesen, solch schwerfälliges Gewicht noch nie geäugt. Er ist jetzt schon ganz nahe, halbgedeckt durch niederen Fichtenbusch, und immer noch merkt sie nichts. Bis sie selbst kommt, kann er sich nun doch nicht die Seher aus dem Kopf schauen. Es gilt, er läßt sich fahren. Bevor sie noch im ersten Schreck die Gefahr erfaßt hat, saust ihr der Schmetterschlag aufs Kreuz, sitzt ihr fremde Last über dem Nacken. Jetzt erst stemmen sich die Hufe, Widerhall suchend, in den weichen Grund, heben Eigenfülle und gräßlichen Reiter empor. Der bleibt mit den Hinterbranten am Boden haften, wühlt und gräbt mit mächtig fleischenden Bissen im strotzenden Widerrist. Nun ein Wanken der Kuh, Aufbäumen, blindes Stürmen abwärts in das dichteste Bollwerk hinein. Lahm und haltlos schlagen die Hörner in brechendes Gezweig; aufgeregt klöppelt die Glocke. Die Pranken des Bären bohren sich über dem Rücken wie Zangen in die pumpenden Flämen, der struppige Kopf schachtet, der Fang meißelt in die Flechsen der Schulterblätter. Furchtbarer Schmerz zerreißt die Vorderhand. Und nun löst sich ein Röhren, langgestreckt, tief und gurgelnd, der Todesruf geschlagenen Rindes. Hell glockt die Schelle in die Nacht hinein. Die Sehnen der Schultern sind zerbissen; keinen Schritt mehr macht das Opfer, preisgegeben dem furchtbaren Räuber; und kein Herr und Retter naht. Nicolae trieft von dampfendem Blut, und er schlürft und trinkt aus den heißen Wunden die Kraft seiner Sippe mit vollen Zügen, unbändig im Rausch, und er schwelgt in der vollen Fleischfülle, trunken vor Machtbewußtsein. Der Todesschrei ist ihm Wollust, ist ihm der eigene Siegesschrei, je länger, desto lieber. Warum gleich die Seele aus dem lebenden Körper reißen und sich des höchsten und schönsten Genusses berauben? Die Arbeit an den Schultern ist bezahlt! Naschen nun in den tiefsten Kammern, die das Leben bergen!

Was wollen die Hinterfüße trampeln und schlegeln! Er spreizt sie auseinander, setzt sich auf sie und schneidet langsam, sich an jedem bebenden Sträuben, an jedem bäumenden Zucken labend, den Bauch auf, von dem Euter bis zum Korb. Das Gescheide dampft und erschauert. Er hebt es gemählich heraus, schmatzt am Ende, indes der Anfang, noch am Pansen haftend, in Krämpfen zerreißt. Nun quillt aufgetrieben der Pansen über die Wammen hinaus. Unter dem beutelnden Fange entleert er sich zur Hälfte vom schwarzgrünen Inhalt. Der Hungrige schlingt ihn mit dem schlabbrigen Brei gierig in einem hinunter. Weiter klagt die Glocke, das Herz pumpt weiter, die Lunge flügelt noch, brennend stöhnt das Röhren in die reifblinkende Sternennacht; matter wimmert die Glocke. Endlich langt die besudelte Pranke in die Brusthöhle an das Zwerchfell heran, stößt es durch, zieht das Leben ans kalte Mondlicht und erstickt den letzten Sterbenslaut. Die Glocke tönt nicht mehr.

Über dem blutigen Gedünst steigt freundlich und friedlich die ewige Himmelskugel, der alterfahrene, allsehende, anklagende und doch immer verzeihende Mond ...

 

Der Wächter der Hütte ist entsetzt, als er die verseuchten Reste der verlaufenen Kuh findet. Das Beileid der Hirten, Touristen und Hunde ändert am Bilde nur, daß es Nicolaes Ekel vor der Wiederkehr entfacht und seine Auskundung nach Ersatz heraufbeschwört.

Hingerissen von seiner eigenen Bedeutung und Größe, sucht er sieben Nächte hindurch die beiden andern, nun leider am Tage gut behüteten und über Nacht im Stalle wohlverwahrten Kühe. Jede nächste immer dunkler und gewitterharter werdende Nacht wagt er sich näher an die Besiedlung heran, bis er im Schutz des letzten Nachtgewitters, zu finsterem Tun entschlossen vor den grauen Bohlen des Viehstandes steht. Im Hauptbau ist die lächerliche Schar der Lärmer zur Ruhe gegangen. Im Schutz der Stallwände aber, vor denen Nicolae wacht, mahlen vernehmlich die beiden Kühe. Dicker, wohliger Ruch atmet durch die Ritzen des Balkenwerks. Nicolae umgeht langsam den Bau. Die Tür des einen leeren Stalles steht weit offen. Die andere ist verriegelt. Nicolae prüft die Türsperre. Da sie sich nicht öffnet, richtet er sich hoch auf und bricht im Rundgang da und dort eine Schindel vom Dachüberhang ab, um von oben einzusteigen. Doch so schafft er es nicht. Mürrisch schrammt er an der einen Wand die fünf Waffen seiner Pranke von oben bis unten über die behauenen Bohlen. Die Wand gibt nicht nach. Wieder sucht er den Einlaß. Er beißt raspelnd in die Türsäule, zernagt den Schließbolzen – da öffnet sich vor dem Zusammenfahrenden unversehens die trennende Türe. Die beiden Kühe stemmen sich erschreckt empor, mit dem Rücken beinahe an die Decke reichend, und glotzen stier und blöd, die Hörner stoßbereit, den Einbrecher an. Und nun, da der alles zum Zugreifen nahe vor sich sieht, steht er im offenen Türrahmen, in jeder Fiber Spannung, Drang zum Angriff, und findet weder Platz noch Entschluß zum Sprung auf den Rücken, zum Schlag ins Kreuz; er traut der Heimlichkeit des niedern Gelasses nicht, setzt sich mit den Keulen in den hochgewölbten Dunghaufen vor der Schwelle auf Reichnähe nieder, starrt gierend und spinnt lüsterne Geschmacksfäden. Oben beim Hauptbau ein Geräusch – im Kofen ein plinkender, fremder Ton. Die Glocken schlagen an. Nicolae wird mißtrauisch hoch, sein Kamm stellt sich auf. Der in sich abgeschlossene, niedrige Raum, die geraden Wände, das spitzgezinkte Ding, das merkwürdige Gefäß, die heimtückischen, falschen Menschen! Und er, der dem Hirten ans aufsprühende Feuer folgt, dem Rind draußen in die Hömer springt, erschrickt im Anblick des gefangenen Viehs vor dem kleinen Raum, verschmäht in selbstbeherrschender Zurückhaltung die Befriedigung des Augenblicks, wendet langsam und trottet dumpf und stumpf in die offene freie Nacht hinein, in seine liebe Nacht, die Bärennacht der Sicherheit.


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