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Mutz im Treiben

Mutz spürt sich nach Verharschung des Schusses auf den Oberarm der Brante schon in ein paar Tagen ganz heil und kann wieder seinen Nahrungssorgen nachgehen. Seither ist auch sein Frieden nicht mehr gestört worden. Indessen haben die schmerzhaften und traurigen Folgen jenes plötzlichen Gewitters aus heiterem Himmel begreifliche Scheu vor der Gegend in ihm hinterlassen, und in weiter Wanderung hat er zwischen sich und den Ort der Gefahr eine zunehmende Zahl von Bergrücken und Tälern gereiht, so daß er sich nun wohl recht fern von Glück und Unglück traulichen Familienlebens fühlt.

Das Alleinsein mit sich selbst, seinen Schmerzen und Sorgen nährt in ihm die Kraft der Selbständigkeit, wenn er auch anfänglich noch oft genug in Zagen und Zweifel verfällt, welche Entscheidung er in gegebenen Fällen am besten treffen soll. Sein gesunder Trieb, die Erbrichtung ausgeprobter Elternlinie, läßt ihn sich durch die Klippen von Gut und Böse hindurchwinden. Am meisten schlägt unter der Nähe des so entscheidend gewesenen Eindrucks das Gefühl durch, daß über den Beerenfeldern der Almen das Unheil dräut und daß die höchsten Waldzonen, wo natürliche Verkümmerung die Alpenfichte in schütteren Stand gesetzt hat, der Deckungen und Verstecke entbehren. So tut er das, was nie rätlich ist – er verfällt in Gegensätzlichkeit, trottet tief und tiefer zu Tal und läßt sich nicht beirren durch die Stimmen des Landes, durch Fuhrgeschrei und Treibgebrüll, denn er hat bisher erfahren, daß viel Lärm wenig Gefahr bedeutet. Dazu kommt auch noch eine Lockung: der prickelnde Samenwurf der alten Eichen und hie und da auf einer herbstraschelnden Kleinlichtung das Versprechen eines schwer hangenden Baumes voll fallreifer Wildäpfel. Er ist ja stark abgekommen und schmachtet heißhungrig nach bekömmlicher Nahrung ... Solcherlei Schätze bieten sich natürlich bloß dem Magen; doch andere Güter sorgen hier für Schirm und Schutz der eigenen guten Haut: die mit Dorn und Ranke bis zur Undurchdringlichkeit durchstruppten Jungeichendickungen.

Mutz braucht es eigentlich nicht besser zu haben, und daß er die Gunst des Geschicks mit anderen seinesgleichen teilt, deren kräftige Witterung sich an den tief eingetappten Sohlenspuren im Fallaub reichlich spürt, ist ihm doppelt Beruhigung und Beweis für die Vorzüge seiner Wahl.

Spätherbstnacht, zartes Wehen, Samenfall, Tropfen in lauschender Stille ... Mutz opfert manche Flocke seines Pelzes in Schlehe, Weißdorn und Wildrose, bis er zum ersten Apfelbaum gelangt. Apfelkröpfe, von der Schwarzamsel zurückgelassen, liegen zerstreut unterm Baum. Mutz überlegt nicht lange, reckt sich in dehnendem Erheben hoch an dem Stamm empor, übt in erwachendem Mutwillen die Waffen der Pranke an der rissigen Borke, krallt sich in den untersten Ast und zieht sich schlank und geschmeidig in den Baum hinauf. Dort oben äugt er die reiche Last der Äste wohlgefällig ab, biegt einen fülligen Strauß zu sich heran und schmatzt das herbe Wildobst ein. Einen hohen Ast bricht er einfach ab und führt sich mit Brante und Fang die köstlichen Bissen zu Bärengemüte. So tut er, im Kreise immer weiter auslangend, bis der Baum bald leer ist. Befriedigt und seit langem zum erstenmal gesättigt, steigt er aus den Ästen, liest das gefallene Obst zu guter Letzt auch noch auf und schwankt davon, dem Tageslager zu.

Nächste Nacht erfreut er sich an der Überfülle der Eichelmast und vermehrt bis in den späten Nebelmorgen hinein sein Gewicht um ein bedeutendes. Aber die Gegend ist ihm fremd; er kennt ihre Gewohnheiten und Heimtücken nicht. Er weiß nicht, daß vor ihm der Eichenwald sich in welligem Abfluß mit Hoch- und Niederwald weit in das Land ausbuchtet, vielfältig kleine Wasseräderchen überschlagend; er weiß nur, daß hinter ihm ein einziges schmales Band die Verbindung mit dem Buchenwalde hält; dies hat er nicht bedacht und mit ihm auch nicht sein Nebengeselle, als sie sich in der Eichendickung ihren besten Tagesschlupf wählten.

So dämmert denn eines Tages, als er abermals übersatt in sein Lager sinkt, in ihm die Erkenntnis auf, daß hinter der Fülle wieder einmal der Neid lauert. Er vernimmt zuerst fernes Anschlagen eines Hundes, dem er nicht viel Bedeutung beimißt, dann hört er das dumpfe Gebell spitz werden, rasch näher kommen, vernimmt hinten deutliches Pochen, ein, zwei Rufe – ihm wird unheimlich. Gebannt sitzt er auf den Keulen und lauscht mit flimmernden Sehern in das hellhörige Herbstland hinein.

In scharfer Jagd hetzt es heran. Es mischen sich noch zwei, drei Hunde in die Hatz, und über ihm kracht das Gejaid vorbei; da flitzt es auch schon auf ihn zu, und mit giftigem Jaulen umtanzt ihn ein Hund, wie er ihn in dieser Art noch nie gesehen. Er bläst den Kerl mit all seiner ausdrucksfähigen Furchtbarkeit an – vergebens, der weicht nicht, kreist nur um so besessener herum. Nun wirft sich Mutz mit Fauch und wildem Haarstraub gegen ihn; der Hund springt behend zur Seite, sucht von rückwärts anzugreifen. Gedämpftes Sprechen, leises Klopfen werden hörbar. Mutz reißt sich herum und flüchtet bergein. Oben läutet es dem schmalen Wechsel zu. Plötzlich donnert ein Schuß auf und noch ein zweiter. Mutz schlägt schier um vor Schreck. Im Knall bricht er in der Begleitung des Hundes zurück und hetzt bergab. Ertönt da nicht gerade vor ihm ein Husten und wieder dieses rätselhafte Schlagen von Holz? Einen Gedankenblitz lang verhofft er. Er merkt, daß er getrieben wird, getrieben gerade auf jenen schmalen Wechsel zu. Dort ist jetzt brauende Stille. Verdacht steigt auf. Und er schwingt sich mit mächtigem Gebrüll in die Lücke der vernommenen Treibtöne hinein und saust in den Trieb zurück. In schiefem Wind trifft ihn der Menschenduft. Schreien, Lärmen – zu spät – er ist hindurch. Keuchend und wogend rast er weiter, ihm nach hetzt lauthals der Hund. Jetzt schlägt Mutz einen Bogen querhangs aufwärts, immer dem Wind entgegen. Seine Geschwindigkeit fällt ab, aus Sprung wird Troll, aus Troll Trab, aus Trab Trott, aus Trott Stand. Der Hund ist ihm auf der Sohle. Mutz ist erschöpft; seine Seher glühen vor Unwillen und Haß, aber das eklige Getier wird standlaut, ist nicht zu verblüffen, nicht zu verscheuchen. Er wirft Holz nach ihm, schmeißt Erde in die Luft vor Wut. Umsonst, der sucht ihm immer nur den Rücken abzugewinnen. Langsam setzt sich Mutz wieder in Gang, und nun stößt er auf die Spur der Jagd – richtig, der andre Bär ist hier mit den drei Hunden vorbei. Doch auch er selbst hat seine Hatz und seinen Hund. Er ahnt, er begreift, wo das hinaus will. Erregung packt ihn, Sterbensangst. Wenn dieser Hund durch sein gehörzerreißendes Gekläff nur nicht immer den Stand verriete! Mutz drückt sich in das verborgenste, stachligste Gestrüpp hinein, unfähig, zu vernehmen, was weiter vorgeht, denn dieser Fixköter hämmert ein zerrüttendes Getön, Schlag auf Schlag. Einmal setzt er kurz aus, und da stiehlt sich das Geräusch eines leicht knackenden Schliches heran. Wie getroffen bricht Mutz durch das verdornteste Zeug. Das Herz klopft in den Schlund, die Lunge fliegt, das Blut jagt durch die Pulse. So oft er sich versieht, hat er einen Zwicker vom Hund am Pürzel. Den letzten Gang schlägt er ein, den Gang zu jenem schmalen Wechsel. Ob er wohl dort doch nicht durchkommen kann? Dieser verfluchte Hund begleitet jeden Tritt. Der Wechsel steht unter querem Wind. Immer näher kommt Mutz mit Bollgeleite heran. Es ist schwer, Wind zu fangen, um Stand und Gefahr zu erkunden. Trott für Trott schiebt er sich am untern Saum der Verengung halb auf die freie Hude hinaus, und mit einmal prallt ihm Schweißgeruch, Ruch des Bären, Menschengestank, Hundeduft gegen den Nasenflügel. Der Hund faßt beißend zu. Mutz wirft sich dumpf zurück und stiebt wieder bergab in die Eichen hinein, der Hund hinter ihm, in der Flucht, im Troll, an ihm im Stand – und immer noch ist kein Ende.

Die Sonne fällt, Schatten spinnen, Laub blättert zu Boden, Samen tropfen – und immer noch kläfft der Hund, immer noch versucht Mutz einen Brantenschlag. Grau dämmert der Abend ein. Noch einmal fällt Mutz schwerer Schreck in alle Glieder, als sich plötzlich wieder naher Menschengeruch spürt. Zum letztenmal reißt er sich zusammen und flüchtet durch Gedorn und Geschling. Dann steht er und tanzt fauchend und grollend mit dem Hunde den Wehrreigen. Er ist müde, erschöpft bis zum Tode. Die Blätter schaufeln, das Herz springt, die Lunge pumpt. – Jählings nimmt ihm heißer Fluß das Äugen, Stauung wirft ihn zusammen – die Sinne schwinden. Er bricht in Erregung, Angst, Wut und Leidenschaft hohlröchelnd nieder. Immer noch bellt der Hund; jetzt wirft er sich auf den vom Schlagfluß Getroffenen, auf den Verendenden, gräbt den Fang giftig in das Fell, zaust die Wolle auf, und dann stimmt er ein Heulen an, das Heulen der Genugtuung, das Siegesgeheul, und kehrt zu seinem Herrn ein.

Nächsten Tages, als die Jagd fortgesetzt wird, sucht der Hund als erster wieder seine Beute, und wie er Standlaut gibt, finden die Jäger das Opfer des eigenen Herzblitzes, den die Ausdauer eines einzigen Hundes so erschütternd entzündet hat.


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