Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
So jäh sich das Gewitter erhoben hat, so schroff bricht es nieder. Und wieder sticht die Hitze in alle Schattentiefen hinein, wieder tanzen die Mücken und saugen die Bremsen bei Tag und Nacht im Vieh. Der Lagerplatz ist keine Ruhestätte mehr für die Rinder, ist Schwärmplatz der Mücken. Drum sondert sich manches Stück ab von der Herdenstraße und bleibt, wenn der abendliche Treibklatsch mahnt, fern dem Ort der Pein, streift das lästige Geschmeiß in den Wacholderbüschen ab und grast sich weiter in zugigem Waldeswinkel in einen kühlenden Wassergraben hinein. Vieh sieht und lernt von Vieh, und bald stockt überall Wacholder- und Fichtenhain voll von peitschendem, irgendwo auf trockenem Sockel urgemütlich mahlendem Hornvieh. Nicht die Hälfte der Herde findet sich auf dem Angerplatz ein. Vergeblich sind Treibruf und Geißelklatsch.
Hirte und Bub haben Überblick und Macht über die Herde verloren.
Die beiden verkorxten Hunde, die vom Dung ihrer Gebieter karg in karg leben, werden davon nicht sehender und machtvoller als ihre Nahrungspender. Und die rostbrandige Bärenflinte hat ihren bescheidenen Namen nur von der bärenstarken Knallwirkung.
Frate Nicolae hat in drei Tagen mit Rabe und Geschmeiß den Stier aufgefressen. Was noch geblieben ist und in Made und Jauche schwimmt, wird von ihm jetzt verschmäht, wo auf jeden Busch ein Rind fällt. Nun erst beginnt das große Metzeln. Der Mond blüht und glüht – Sterne bewerfen einander – dumpf und düster stöhnt Todesklage unter den gespenstischen Mondflammen. Sieben Sommernächte, sieben Sterbeschreie – heute hier, morgen dort. Sieben Pirschen bleibt Frate Nicolae auf der Höhe. Jedesmal schlägt er eine Kuh. Warum soll er zu dem alten Fraß zurückkehren, wenn er auf dem Wege immer wieder frischen findet? Da hat auch den reichlich sorgenlosen Hirten die Angst um sein Seelenheil ergriffen, denn schließlich muß er ja doch, wenn die Zeit gekommen ist, für den Verlust Rede stehen. Die Beweise – wie soll er denn Beweise schaffen im unermeßlichen Wald? Alibi und Corpora delicti – ihnen gegenüber steht selbst seine sonst so gewandte Hirtenjurisprudenz sprachlos, ratlos da.
Und wieder war es der Förster aus den herrschaftlichen Bergen, der helfen sollte, helfen, die Risse zu finden, um sich im Hinterhalt anzusetzen. Ja, der Förster, der mochte nun wirklich gern sich die Lorbeeren an diesem Hauptbären verdienen.
Er rüstete sich mit Draht, Scheinwerfer und allem nötigen Zubehör zu Hochsitz und Lauer aus, suchte nach Spur und Richtung den letzten Riß, fand ihn neben einer kleinen Lichtung spät am Tag, zerrte ihn an den Rand, versicherte ihn mit Draht an einem Wurzelstock, zimmerte ein schwankes, lockeres Nest in zehn Mann Höhe auf dem nächsten Fichtenwipfel und harrte gespannt im steigenden Mondfluß der Wiederkehr des Viehräubers. So um Mitternacht konnte es sein, in allen Waldräumden geisterten die Mondfeuer auf, als langgezogen, schauervoll das Röhren geschlagenen Viehs weit vom drübigen Rücken sich ablöste. Wie gebannt hockte der Jäger im Nest und lauschte, nahm die Richtung ab und stieg herunter vom Baum. Vergessen blieb die tote Kuh zurück. Lange noch hallte der düstere Ruf durch die aufbangende Nacht, dann deckte das große Eulenschweigen seine Fittiche auch über dies grausige Geschehen.
»Alles Vieh muß aus jenem Wald heraus!« lautete der Befehl des Försters. Die Geißel schwang, der Ruf holte aus, ganz wie gewöhnlich in jenem Waldstück; wieder suchte und fand der Förster, und wieder versicherte er den Riß, baute den Sitz und schwang sich hinein. Rein war von Vieh die Gegend, aus der Frate Nicolae kommen mußte.
Frate Nicolae kam.
Er kam von nicht allzufern her, von wacholderverbollwerkter Fichtenjungschaft, von wo aus er den Viehtrieb mitangehört hatte. Er merkte, daß gegen Gewohnheit kein Stück hier zurückgeblieben war. Da stand ihm denn der Riß näher zu als der Viehplatz, und so wie es eben jeden Verbrecher im Banne zum Tatort zurückzieht, ließ es auch ihn im Bereich seines letzten Raubes nicht teilnahmslos. Er schwenkte ab vom Pfad, schlug den Bogen und näherte sich stolzerhaben den Überresten seines siebenten Opfers.
Eben übergoß der Mond die Wacholder- und Jungfichten mit tausend glitzernden Tröpfchen, eben schatteten die räumdigen Fichten, aus dem Struppzeug sich glänzend aufkegelnd, in der Anstiegrichtung gegen den Wind, als Frate Nicolae, heiß vom Sonnentag, in der Blänke des Moores ein Bad nahm, sich rüttelte und schüttelte und dann abgekühlt die Kranawetäste unter sich trat. In süßem Aaswinde fächelten Fichtenzweige und Blaurispen des Eisenhuts und nickten ihm entgegen. Schon summte das Geschmeiß, da stutzte Frate Nicolae auf. Ein dünner Strich nur war es, was fernen Windfang traf, aber es war ein fremder Ton in ihm, ein lebender Ton, der weit und breit sonst nicht zu wittern war: der Duft aus erkaltender Menschenspur, die anders roch als die des verholzten Hirten oder des bastgrünen Jungen. Außer diesen aber hat hier anderes nichts zu suchen! Er verhoffte lange, sehr lange. Hunger hatte er nicht, denn sieben Nächte hat er übersatten Tisch gehabt. Er verhoffte. Da schlug unversehens ein niederfallender Luftzug aus der Fichte, die den Ausblick zum Luder hinderte, und als er getroffen aufäugte, sah er unter scharfem Umriß im Wipfel ein dunkles Nest, das Menschenduft herunterwarf. Blasen – Ftsch – Rücksprung – er war nach den größten Taten der größten Gefahr in seinem Leben entkommen. Und er überschnitt hier und dort den Wechsel jenes Raubwesens, das er von allen am meisten fürchtete, das leicht schleicht und leise tritt, allein kommt und allein geht und plötzlich da ist und hoch auf einem Baum sitzt. Er ahnte, daß es ihm selbst galt.
Als der Förster mittags den Viehplatz besucht, um nach dem dort frühmorgens gefallenen Schuß zu fahnden, findet er Verstörung und Verzweiflung groß, das Vieh brüllend in Hauf und Bewegung umher.
»Herr, nun hört, wie es kam!« Und der Hirte findet kaum Fassung und Worte zur stotternden Wiedergabe des Geschehenen.
»Herr, als wir mit dem Trieb des Viehes in dem Niederholz ankamen, wo Ihr über das Vieh nicht hinwegsehen könnt und das Vieh nicht über die Wacholder sieht, Herr, wo Ihr jeden Tritt auf grünen Ästen machen müßt – da ist es geschehen. Herr, wir hatten die Herde beisammen, und kein Stück war abgetrennt. Ihr glaubt es nicht, ich habe es auch nicht geglaubt, als ich es sah. Was sah ich, Herr? Ich sah den Bären, den Frate Nicolae, so wie ich Euch sehe, deutlich und wahr. Er war auf einmal mitten unter der Herde, er saß auf der Kuh, er saß oben wie ein schwarzer Stier, breit und groß und mächtig, wie ich noch nie einen gesehen habe. Wie ich das sah, Herr, hinauf auf den schiefen Baum und der Bub auch. Wir starrten vor Schreck. Die Kühe brüllten, und sie alle senkten die Hörner, und sie wollten den Bären spießen. Die Kuh aber, Herr, stürmte in die Menge, und sie stürzte; und Frate Nicolae rutschte nach vorne über. Da war der Platz um die beiden frei. Als sich die Kuh aufwarf, mit niederen Hörnern gegen den Bären, Herr, da fiel ihr der Frate Nicolae in den Stoß; so wie er stand, auf den Hinterläufen, zerfleischte er ihr die Muffel, daß ihr Maul auf einmal rot überfloß und seines auch und ihre Zähne ohne Lippen waren. Das war, weil sie sich wehren wollte, und es war so rasch, als ich es Euch sage. Herr, die Kuh spreizte sich im Schmerz und riß einen Kreis um den Räuber. Das hättet Ihr sehen sollen, Herr, was nun geschah. Er fiel ihr in die Flanke, und er erhob sich über sie, doppelt so hoch wie sie, und er griff, so wie er dastand, über ihren Rücken hinüber, Herr, beinahe bis zum Brustkern hinunter und schlug mit den Krallen hinein. Es ist so, wie ich es sage, Herr, ich hab es gesehen. Er drückte sie an sich, gerade so wie ein Mensch es tut, wenn er etwas Schweres heben will, und er drehte sie über dem Knie herum, der Rücken war unten, und die Füße waren oben in der Luft, und er hielt sie vor sich kniehoch über dem Boden, die Kuh mit dem Kalb in der Tracht, die schwerste Kuh der Herde. Nun, Herr, warf er sie mit dem Rücken auf den Boden, daß es dröhnte, legte sich auf sie und metzelte ihr das Euter weg und schlang es hinunter. Ich habe es mitangesehen mit eigenen Augen. Was sollte ich machen, Herr? Mir zitterten die Knie, und der Bub neben mir weinte. Herr, da schoß ich mit der Flinte in die Luft. Da sah Frate Nicolae auf, sah noch einmal, stülpte entsetzlich die Nase und brummte, daß ich glaubte, jetzt sind wir verloren. Er richtete sich hoch auf wie ein Baum, und er ließ die Kuh, und da war er fort. So war es, Herr, nicht anders, und wir getrauten uns erst spät herunter, als das Vieh nach allen Seiten durchgebrochen war.«
Der Herr findet wirklich an der Kuh die Geschichte wiedererzählt. Deutlich zeigen sich an der linken Brustseite die Eingriffe des schweren Hubes.
Frate Nicolae nimmt furchtbaren Abschied ...
Der Hirtenbub knallt seinen Geißelklatsch zur Sammlung der Herde, rennt durch den aufpeitschenden Wacholder her und hin hinter irgendeiner ungehorsamen Kuh, um die Trägheit auf die Beine zu bringen. Da plötzlich hört er tief im Schatten des Bachwaldes ernst und schwer die Todesklage geschlagenen Rindes. Was die bleiernen Füße können, tragen sie den Knaben hin zum Ort, um den Räuber vom Opfer zu verjagen. Der Knabe fühlt sich mit einmal so allein, ohnmächtig, ausgeliefert der Gefahr des Waldes. Sein Scheuchruf verhallt wie machtlos in der Säulenreihe der Urfichten. Es wird dem Knaben unerträglich unheimlich; es erscheint ihm im sparrigen Dunkel schattenhaft das Bild des angreifenden Bären, und es wächst darinnen in geronnenem Mut geisterhaft der bleiche Tod des Hirten hervor. Er bildet sich ein, ein eigentümliches Geräusch aus der Richtung des nahen Schlachtopfers kommen zu hören. Mit einem Satz ist er im Baum und klimmt katzenhaft in den Wipfel. Da erstarrt er, denn vor der Fichte steht hochwindend der Bär, grollt wild auf und stürzt sich fletschend in den Baum. Rütteln, Prasseln trifft den Baum von Wurzel bis Wipfel, und in splitterndem Stieben harkt sich Frate Nicolae unter die Krone. Noch zwei Griffe nur zwischen Unhold und Unglücklichem. Da bricht aus gepreßter Kehle der Hilferuf – und mit einmal fassen kaltes Bedenken und Ernüchterung den schwarzen Koloß, er bricht rasselnd aus dem Baum und trabt erlösend, erlöst davon ...