Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Pirsch auf Rotwild

Der warme Jahrespuls stockt. In erlauchter Größe, umwundert von aller niedern Rottung, sieht der Bergstolze, der nebelgekrönte Hochgipfel, auf all die fahlgelben Spuren einer Jahreserfüllung herab.

Nicolae blickt in der leis atmenden Stille zurück auf ein eigenbewegtes Jahresleben, und er kann zufrieden sein mit dem Erfolg. In ihn ist mit dem Niederschlag reicher Beute das Glück der Kraft eingezogen, neben die Stärke seines Willens das Vermögen, mit Nachdruck zu siegen – das Können. Es ist nicht Zufall, es ist eigenes Verdienst; eigene Waffe hat gefochten, eigene Schwarte hat den Schild geboten, und alle hat der eigene gute Sinn geführt.

Im Krummholz glühen die roten Traubenkohlen der reifen Eberesche. Der schwalbenwurzartige Enzian rauscht unter den schweren Plattsohlen, als Nicolae durch die Beerenmatte unter der ausgelöschten, im Winde singenden und winselnden Sennhütte trottet. Leere und Kälte sind dort eingekehrt, kein warmer Ruch zeugt von Leben und Blut. Auch das liebe Grummet, durch frühen Reif verbrannt, versagt sich heuer dem Gaumen. Nun will er Abschied nehmen. Wie zur letzten guten Erinnerung greift er in den nächsten Vogelbeerbaum, bricht einige Äste ab und genehmigt sich die baumelnden Trauben der roten Früchte.

Fern von den Heimatgefilden hat ihn das Geschick verschlagen, das freiwillig gewählte Geschick. Seine Lehr- und Wanderzeit hat tiefe Furchen in diese Berge gezogen, hat harte Kerben auch in sein eigenes Leben geschnitten, nicht zu seinem Schaden. Die Welt ist hier doch ganz anders als drüben jenseits aller Berggipfel. Dort reißende Schroffen und Schründe, hier sanfte Bergwellen in mählichem Ablauf; dort schäumende Gießbäche in stäubendem Sturz, hier das abendmüde Plätschern einträumender Fluten; dort das Wild mit gehakelten Krickeln, hier die Recken mit ganzen Ästen auf dem Haupte. Er hat zwar von den einen ebensowenig wie von den andern, solange sie leben, aber am Fallwild weiß er doch die plumpe Gewalt der Hirsche mit ihrem Angebot gleich für mehrere Tage bei weitem vor der schmächtigen Aufwartung der Gemsen zu schätzen. Könnte er nur einmal solch einen Turm von Fleisch aus dem Leben niederbrechen! Der Genuß müßte jenem gleichen, den Mutter einst hatte, als sie den Haufen Kühe zusammenschlug, den abgesprengten Teil jener Herde, deren Gebrüll von unten öfter zu vernehmen war und ihm, Nicolae, unausrottbar im Gedächtnis sitzt. Seither haben sie ja auch keine Rinder mehr auf den Alpen getroffen.

Von heißem Begehren wird er erfaßt, als er im Tauschlag der blauen Mondheide über den hoch anfirstenden Grat wechselt und mit einmal auf die frische Fährte von Rotwild stößt. Kreuz und quer weisen die Tritte am Waldsaum entlang und in den Wald hinein. Nicolae ist ein schlechter Pirscher auf Edelwild, das hat er immer einsehen müssen, wenn auf große Entfernung schon die weißen Schilder davonhüpften. Doch reizt es ihn immer zu neuem Versuch, jetzt ganz besonders, da er ja durch nichts anderes von seinem Vorhaben abgelenkt wird. Aber gerade jetzt fällt ein riesiger Brüller mitten in seine Aufmerksamkeit hinein, ein Rindergebrüll gerade unter ihm jenseits des Waldstreifens auf der Brandkule, daß jede Faser in ihm erzittert. Er weiß noch nicht, wie man Rinder angeht und annimmt; auf gut Glück will er es so versuchen, wie es ihm geläufig ist. Die Stelle, wo der Ruf ertönte, liegt in der Gefällrichtung, und wenn er der eine Weile unter schiefer Luft im Walde folgt, kann er tiefer unten am jenseitigen Waldrande, wenn es not tut, immer noch den Wind abnehmen. Schier lautlos tragen ihn die federnden Sohlen über den moosigen Waldboden. Hier oben unter den räumdigen Almfichten liegt ja wenig Fallreisig. Immer näher kommt er der Lichtung. Da reißt ein neuer Brüller empor, und nun äugt auch schon Nicolae unter der Wacht der Randbäume über die Überriegelung ins Freie und äugt und äugt. Das ist ja kein Rind, das ist der Hirsch mit dem Gestrüpp auf dem Haupte, in der Nachhut, ganz nahe bei und vor ihm äsen sich vertraut einige kahle, schwächere Stücke ohne Besen am Kopf. Nicolae kauert sich reglos zusammen.

Ein wie verschlafener Groner des Hirsches, eine knautschige Stimme. Jetzt säbelt der Hirsch mit den Ästen in den Boden und wühlt die Erde auf. Nicolae ist versteinert. Der Hirsch taucht mächtig an, Schrei folgt auf Schrei. Sprengruf – Vorstürmen – die Tiere spritzen auseinander, eines von ihnen, ein alter Storren, geradewärts hangan, wo ungeahnt die Gefahr lauert. Nicolae kann sich nicht mehr halten. In wildem Schwung schießt er schwarz aus dem Waldbräm heraus. Das Tier wirft sich zurück – zu spät, die Brante fällt dumpfdröhnend nieder. Das Opfer stürzt gelähmt zusammen, im Aufbäumen reitet es der Reiter mit dem Fang am Halse zu Tode. Unten prasselt das Rudel in rasender Flucht davon.

Einmal ist Nicolae gelungen, was sonst nicht gelingt.


 << zurück weiter >>