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Wenn Winckelmann über die Plastik des Barock aburteilt, so ruft er höhnend: »Was für ein Kontur!« Er nimmt die in sich geschlossene, sprechende Konturlinie als ein wesentliches Moment aller Plastik und wendet sich ab, wenn ihm der Umriß nichts gibt. Allein neben einer Plastik mit betontem, sinnvollem Umriß ist doch auch eine Plastik mit entwertetem Umriß denkbar, wo der Ausdruck sich nicht in der Linie formt, und der Barock hat eine solche Kunst besessen.
Im wörtlichen Sinn kennt die Plastik als Kunst körperlicher Massen keine Linie, aber der Gegensatz einer linearen und einer malerischen Plastik ist 59 doch vorhanden und die Wirkung der beiden Stilarten kaum weniger verschieden als in der Malerei. Die klassische Plastik visiert auf die Grenzen: keine Form, die sich nicht innerhalb eines bestimmten Linienmotivs ausspräche, keine Figur, von der man nicht sagen könnte, auf welche Ansicht hin sie konzipiert ist. Der Barock negiert den Umriß; nicht in dem Sinn, daß Silhouettenwirkungen überhaupt ausgeschlossen wären, aber die Figur weicht der Fixierung innerhalb einer bestimmten Silhouette aus. Man kann sie nicht auf eine bestimmte Ansicht festlegen, sie entwindet sich gleichsam dem Beschauer, der sie fassen will. Natürlich kann man auch die klassische Plastik von verschiedenen Seiten her ansehen, aber die anderen Ansichten sind deutlich Nebenansichten neben der Hauptansicht. Es gibt einen Ruck, wenn man wieder in das Hauptmotiv zurückfällt, und es ist offenbar, daß hier die Silhouette mehr ist als das zufällige Aufhören des Sichtbarseins der Form: sie behauptet neben der Figur eine Art von Selbständigkeit, eben weil sie ein in sich Geschlossenes darstellt. Umgekehrt ist das Wesentliche der barocken Silhouette, daß sie diese Selbständigkeit nicht hat, es soll sich nirgends ein Linienmotiv zu etwas Eigenem verfestigen. In keiner Ansicht geht die Form ganz auf. Ja, man kann mehr sagen: erst der formentfremdete Umriß ist der malerische Umriß.
Und so sind die Flächen behandelt. Es ist nicht nur der objektive Unterschied vorhanden, daß die Klassik die ruhigen Flächen liebt und der Barock die bewegten: die Behandlung der Form ist eine andere. Dort lauter bestimmte tastbare Werte, hier alles Übergang und Wandlung; dort Gestaltung des Seienden, der bleibenden Form, hier der Schein stetiger Veränderung, die Darstellung rechnet mit Wirkungen, die nicht mehr für die Hand, sondern nur noch für das Auge existieren. Während in der klassischen Kunst Helligkeiten und Dunkelheiten der plastischen Form untergeordnet sind, scheinen die Lichter jetzt zu selbständigem Leben erwacht zu sein. In scheinbar freier Bewegung überspielen sie die Flächen und es kann jetzt wohl auch vorkommen, daß die Form einmal vollständig im Schattendunkel untergeht. Ja, ohne die Möglichkeiten zu besitzen, die der zweidimensionalen Malerei als der Kunst des grundsätzlichen Scheines offen stehen, greift die Plastik doch auch ihrerseits zu Formbezeichnungen, die mit der objektiven Form nichts mehr zu tun haben und nicht anders denn als impressionistisch bezeichnet werden können.
Indem damit die Plastik mit dem bloß optischen Scheine ein Bündnis schließt und aufhört, das Greifbar-Wirkliche als das Wesentliche hinzustellen, 60 werden ihr ganz neue Gebiete zugänglich. Sie wetteifert mit der Malerei in der Darstellung des Momentanen und der Stein wird der Illusion von jeder Art von Stofflichkeit dienstbar gemacht. Man weiß den Glanzblick des Auges wiederzugeben ebenso wie den Schimmer der Seide oder die Weichheit des Fleisches. So oft seither eine klassizistische Richtung wieder aufgekommen und für das Recht der Linie und des tastbaren Volumens eingetreten ist, hat sie auch gegen diese Stofflichkeit im Namen der Stilreinheit Einspruch erheben zu müssen geglaubt.
Malerische Figuren sind nie isolierte Figuren. Die Bewegung muß weiterklingen und darf nicht in unbewegter Atmosphäre erstarren. Schon der Nischenschatten ist jetzt für eine Figur von anderer Bedeutung als früher, ist nicht mehr bloße Folie, sondern springt in das Bewegungsspiel ein: das Dunkel der Tiefe bindet sich mit dem Schatten der Figur. Meist muß die Architektur bewegungsvorbereitend oder -fortleitend mit der Plastik zusammenarbeiten. Kommt dann die große objektive Bewegung dazu, so entstehen jene wunderbaren Gesamtwirkungen, wie wir sie namentlich in nordischen Barockaltären finden, wo die Figuren mit dem Gerüste so zusammengehen, daß sie wie der Schaumkamm im heftigen Wogenschlag der Architektur erscheinen. Herausgerissen aus dem Zusammenhang verlieren sie alle Bedeutung, wofür einige unglückliche Aufstellungen in modernen Museen zum Zeugnis anzurufen sind.
Für die Terminologie bietet die Geschichte der Plastik dieselben Schwierigkeiten wie die Geschichte der Malerei. Wo hört das Lineare auf und wo fängt das Malerische an? Schon innerhalb der Klassik wird man zwischen einem Mehr oder Weniger von Malerisch zu unterscheiden haben, und wenn dann die Bedeutung von hell und dunkel wächst und die begrenzte Form mehr und mehr hinter der unbegrenzten zurücktritt, so kann man den Prozeß wohl im allgemeinen als eine Entwicklung zum Malerischen bezeichnen, es ist aber schlechterdings unmöglich, den Finger auf den Punkt zu legen, wo die Bewegung in Licht und Form jene Freiheit erreicht hat, daß der Begriff malerisch im eigentlichen Sinne in Geltung treten muß.
Nicht unnötig aber ist es, auch hier festzustellen, daß der Charakter ausgesprochener Linearität und plastischer Begrenzung erst der Gewinn einer längeren Entwicklung ist. Erst im Verlauf des 15. Jahrhunderts entwickelt die italienische Plastik eine klarere Linienempfindlichkeit und ohne daß gewisse malerische Bewegungsreize ganz ausgeschaltet wurden, fangen die Formgrenzen an, sich zu verselbständigen. Freilich, es gehört zu den 61 heikelsten Aufgaben der Stilgeschichte, den Grad der Silhouettenwirkung richtig einzuschätzen oder, nach der anderen Seite hin, die flimmernde Erscheinung etwa eines Reliefs von Antonio Rossellino nach ihrem originalen malerischen Gehalt zu beurteilen. Dem Dilettantismus ist hier noch Tür und Tor geöffnet. Jeder meint, wie er die Dinge sieht, so sei es gut und um so besser, je mehr man im modernen Sinne malerische Wirkungen herausblinzeln könne. Statt aller Einzelkritik sei auf das üble Kapitel der Abbildungen in Büchern unserer Zeit hingewiesen, wo nach Auffassung und Ansicht der wesentliche Charakter oft so völlig verfehlt ist.
Das sind Bemerkungen zur italienischen Kunstgeschichte. Für die deutsche stellt sich die Sache etwas anders. Es hat lange gedauert, bis sich hier ein plastisches Liniengefühl aus der spätgotisch-malerischen Tradition hat herauswickeln können. Bezeichnend ist die deutsche Vorliebe für Altarschreine mit enggereihten und ornamental verbundenen Figuren, wo der Hauptreiz eben in der – malerischen – Verflechtung liegt. Hier ist aber die Warnung doppelt am Platz, diese Dinge nicht malerischer zu sehen als sie gesehen werden wollen. Der Maßstab liegt immer in der zeitgenössischen Malerei. Andere malerische Wirkungen, als wie sie von den Malern der Natur abgewonnen worden sind, hat das Publikum vor der spätgotischen Plastik natürlich nicht erlebt und mag uns diese noch so sehr locken, sie in ganz aufgelösten Bildern zu sehen.
Aber etwas von malerischem Wesen bleibt der deutschen Plastik auch später. Die Linearität der lateinischen Rasse ist der deutschen Empfindung leicht kalt vorgekommen und es ist bezeichnend, daß es ein Italiener gewesen ist, Canova, der am Ausgang des 18. Jahrhunderts die abendländische Plastik aufs neue unter der Fahne der Linie gesammelt hat.
Wir beschränken uns zur Illustrierung der Begriffe im wesentlichen auf italienische Beispiele. Der klassische Typ ist hier in unübertrefflicher Reinheit ausgebildet und innerhalb des malerischen Stils bedeutet Bernini die stärkste künstlerische Potenz des Abendlandes.
Analog der bisherigen Folge der Analysen sollen zwei Büsten den Vortritt haben. Benedetto da Majano ist nun freilich kein Cinquecentist, aber die Schärfe der plastisch geschnittenen Form läßt nichts zu wünschen übrig. Vielleicht, daß in der Photographie die Einzelheiten zu stark sprechen. Wesentlich ist, wie das Gesamtbild in eine feste Silhouette eingespannt ist und 62 wie jede Sonderform – Mund, Augen, die einzelnen Runzeln – ihre völlig sichere, unbewegte, auf den Eindruck des Bleibenden gebaute Erscheinung bekommen hat. Die folgende Generation würde die Formen zu größeren Einheiten zusammengenommen haben, aber der klassische Charakter des durchwegs tastbaren Volumens ist auch hier schon vollkommen ausgesprochen. Was etwa im Gewand als Flimmern gedeutet werden könnte, ist nur eine Wirkung der Abbildung. Ursprünglich waren die einzelnen Figuren des Stoffes mit Farbe zu gleichmäßiger Klarheit gebracht. Ebenso waren die Augensterne, deren seitliche Schiebung man leicht übersieht, durch Bemalung herausgeholt.
Bei Bernini ist die Arbeit so gehalten, daß man mit linearer Analyse nirgends zukommen kann und das heißt zugleich, daß das Kubische sich der unmittelbaren Faßbarkeit entzieht. Die Flächen und Falten des Rockes sind nicht nur von Hause aus bewegter Natur – was etwas Äußerliches ist –, sondern sind grundsätzlich auf das Plastisch-Unbegrenzte hin gesehen. Es zuckt über die Flächen und die Form verliert sich unter der tastenden Hand. 63 Blitzschnell wie Schlänglein huschen die Glanzlichter der Höhen dahin, ganz in der Art wie Rubens seine weißgehöhten Lichter in die Zeichnungen einträgt. Die Gesamtform ist nicht mehr auf Silhouette hin gesehen. Man vergleiche die Erscheinung der Achseln: bei Benedetto eine ruhig fließende Linie, hier ein Kontur, der, bewegt an sich, überall über den Rand hinüber weist. Dasselbe Spiel setzt sich fort im Kopf. Alles ist auf den Eindruck des Sich-Wandelnden angelegt. Nicht daß der Mund geöffnet ist, entscheidet über den barocken Charakter, aber daß der Schatten der Mundspalte als etwas Plastisch-Unverbindliches behandelt ist. Trotzdem wir es hier mit der vollrund modellierten Form zu tun haben, ist es im Grunde dieselbe Art von Zeichnung, die wir schon bei Frans Hals und Lievens gefunden haben. Für die Umsetzung der greifbaren Form in die ungreifbare, die nur eine optische Realität hat, sind dann immer Haar und Augen besonders charakteristisch. Hier ist der »Blick« mit je drei Bohrlöchern gewonnen worden. 64
Barocke Büsten scheinen immer nach reicher Draperie zu verlangen. Der Eindruck der Bewegung im Gesicht bedarf dieser Unterstützung von weit her. In der Malerei ist es ebenso und Greco wäre verloren, wenn er nicht die Figurenbewegung im eigentümlichen Zug der Wolken am Himmel weiterleiten könnte.
Wer nach den Übergängen fragt, sei auf einen Namen wie Vittoria verwiesen. Seine Büsten basieren, ohne im letzten Sinne malerisch zu sein, durchaus auf der volltönenden Wirkung von Hell und Dunkel. Die Entwicklung der Plastik deckt sich auch hier mit der Malerei, insofern eben der reinmalerische Stil durch eine Behandlung, wo ein reicheres Spiel von Licht und Schatten die plastische Grundform überspielt, eingeleitet wird. Sie ist noch immer da, die Plastizität, aber das Licht bekommt eine starke Sonderbedeutung. An solchen dekorativ-malerischen Wirkungen scheint sich das Auge zu einem malerischen Sehen im imitativen Sinne erzogen zu haben.
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Für die plastische Vollfigur bringen wir die Parallele von Jacopo Sansovino und Puget. Die Abbildung ist zu klein, als daß man von der Behandlung der Einzelform einen deutlicheren Eindruck bekäme, trotzdem macht sich der Stilgegensatz mit größter Entschiedenheit fühlbar. Zunächst ist der Jacobus des Sansovino ein Beispiel klassischer Silhouettenwirkung. Leider ist – wie so oft – die Aufnahme nicht rein auf die typische Frontansicht eingestellt und dadurch kommt der Rhythmus etwas verwischt heraus. Man sieht an der Fußplatte, wo der Fehler liegt: daß der Photograph zu weit nach links ausgewichen ist. Die Folgen dieses Fehlers machen sich überall fühlbar, am meisten vielleicht bei der Hand, die das Buch hält: das Buch 65 verkürzt sich so stark, daß man nur noch den Schnitt und nicht mehr seinen Körper sieht und der Zusammenhang von Hand und Unterarm ist so unklar geworden, daß ein gebildetes Auge Einspruch erheben muß. Nimmt man den richtigen Standpunkt ein, so wird mit einem Male alles klar und die Ansicht der höchsten Klarheit ist auch die Ansicht der vollendeten rhythmischen Geschlossenheit.
Die Figur des Puget zeigt dagegen die charakteristische Negation des Umrisses. Auch hier silhouettiert sich natürlich die Form irgendwie gegen den Hintergrund, aber man soll der Silhouette nicht entlang gehen. Sie bedeutet nichts in bezug auf den Inhalt, den sie umschließt, sie wirkt als ein Zufälliges, das sich für jeden Standpunkt ändert, ohne dadurch besser oder schlechter zu werden. Das Spezifisch-Malerische liegt nicht darin, daß die Linie stark bewegt ist, sondern darin, daß sie die Form nicht faßt und festlegt. Das gilt vom Ganzen wie vom Einzelnen.
Und was den Lichtgang anbetrifft, so ist er allerdings von vornherein viel bewegter als bei Sansovino und man sieht auch, wie er sich stellenweise trennt von der Form, während Licht und Schatten dort ganz im Dienste der Sacherklärung stehen, der malerische Stil offenbart sich aber eigentlich erst darin, daß dem Licht jenes Leben für sich zugeleitet ist, das die plastische Form dem Bereich der unmittelbaren Tastbarkeit entrückt. Es wäre hier auf die Ausführungen bei Anlaß der Büste Berninis zurückzuverweisen. In einem anderen Sinne als in der klassischen Kunst ist die Gestalt als eine Erscheinung für das Auge gedacht. Die körperliche Form verliert nicht das Merkmal der Tastbarkeit, aber der Reiz, den sie auf die Tastorgane ausübt, ist nicht mehr das 66 Primäre. Das hindert nicht, daß der Stein in der Oberflächenbehandlung eine größere Stofflichkeit gewonnen hat als früher. Auch diese Stofflichkeit – die Unterscheidung von Härte und Weichheit usw. – ist ja eine Illusion, die wir nur dem Auge verdanken und die vor der prüfenden Hand sich sofort verflüchtigen würde.
Was an weiteren Momenten zur Steigerung des Bewegungseindrucks hinzukommt: die Sprengung des tektonischen Gerüstes, die Umsetzung der Flächenkomposition in eine Tiefenkomposition und dergleichen muß einstweilen außer Betracht bleiben, dagegen gehört hierher noch die Bemerkung, daß der Nischenschatten in der malerischen Plastik zum integrierenden Bestandteil der Wirkung geworden ist. Er greift mit ein in die Lichtbewegung der Figur. So findet man bei den Zeichnern des Barock, daß sie keine noch so flüchtige Porträtskizze auf das Papier setzen, ohne einen Hintergrundschatten dazuzugeben.
Es liegt in der Konsequenz einer Plastik, die bildmäßige Wirkungen verfolgt, daß ihr die Wand- und Reihenfigur sympathischer sein muß als die allseitig umgehbare Freifigur. Trotzdem gerade der Barock es ist – wir kommen darauf zurück –, der sich dem Bann der Fläche entwindet, so hat er ein grundsätzliches Interesse daran, die Ansichtsmöglichkeiten zu beschränken. Dafür sind gerade die Meisterschöpfungen Berninis sehr bezeichnend, vor allem diejenigen, die, in der Art der heiligen Therese, in ein halboffenes Gehäuse eingeschlossen sind. Überschnitten durch die Rahmenpfeiler und von oben her aus einer eigenen Lichtquelle beleuchtet, wirkt diese Gruppe durchaus bildmäßig, das heißt, als etwas, das der tastbaren Wirklichkeit in einem gewissen Sinne entrückt ist. Und nun ist durch eine malerische Behandlung der Form des weiteren dafür gesorgt, dem Stein das unmittelbar Tastbare zu nehmen. Die Linie als Grenze ist ausgeschaltet und die Flächen sind mit so viel Bewegung durchsetzt, daß der Charakter der Greifbarkeit im Eindruck des Ganzen mehr oder weniger zurücktritt.
Man denke als Gegensatz an die liegenden Gestalten Michelangelos in der Medicäerkapelle. Da sind es reine Silhouettenfiguren. Auch die verkürzte Form ist in die Fläche aufgenommen, das heißt, auf sprechende Silhouettenwirkung gebracht. Bei Bernini umgekehrt ist alles getan, daß die Form sich nicht zeichne im Umriß. Der Gesamtumriß seiner verzückten Heiligen ergibt eine völlig sinnlose Figur und das Gewand ist so modelliert, daß keine lineare Analyse ihm beikommen könnte. Die Linie blitzt auf da und dort, aber nur auf Augenblicke. Nichts Festes und Faßbares, alles Bewegung und ewiger 67 Wechsel. Der Eindruck wesentlich abgestellt auf das Spiel von Licht und Schatten.
Licht und Schatten – auch Michelangelo läßt sie sprechen und sogar in reichen Gegensätzen, aber sie bedeuten für ihn immer noch plastische Werte. Als begrenzte Massen bleiben sie der Form untergeordnet. Bei Bernini dagegen haben sie den Charakter des Unbegrenzten und als ob sie nicht mehr hafteten an bestimmten Formen jagen sie, ein entbundenes Element, in wildem Spiel über Flächen und Klüfte dahin.
Wie große Zugeständnisse an den bloß optischen Schein jetzt gemacht werden, zeigt die eminent stoffliche Wirkung des Fleisches und der Gewebe (das 68 Hemd des Engels!). Und aus demselben Geist sind die illusionär behandelten Wolken hervorgegangen, die scheinbar freischwebend der Heiligen als Unterlage dienen.
Was für Folgerungen für das Relief aus solchen Prämissen sich ergeben, ist leicht einzusehen und bedarf kaum mehr der Illustrierung. Es wäre töricht, zu glauben, daß ihm der rein plastische Charakter immer versagt bleiben müßte, weil es nicht mit einer vollrunden Körperlichkeit arbeitet. Auf diese grobmateriellen Unterschiede kommt es nicht an. Auch Freifiguren können ja reliefmäßig abgeplattet sein, ohne den Charakter des körperlich Vollen zu verlieren: die Wirkung ist das Entscheidende, nicht der sinnliche Tatbestand.