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Onkel Heinrich fing am nächsten Morgen den ahnungslosen Cayrú ab und lockte ihn in den Galpon, der einige zwanzig Meter abseits vom Wohnhaus stand.
Und kaum hatte der Junge den halbdunklen Raum betreten, da lag er auch schon auf der Erde, und ein Unmensch schlug mit der schweren Peitsche so lange auf das zuckende Fleischbündel ein, bis er sich einbildete, daß jetzt an dem Körper keine heile Stelle mehr sei. Dann riß er den Jungen hoch und schleuderte ihn wie einen Brocken gerodeter Baumwurzeln in die Brennesseln, ging zum Brunnen, spülte umständlich den Mund und wusch sich die Hände. Und als er mit herausgedrückten Knien und steifem Genick, wie ein junger Leutnant bei einer Parade, dem Wohnhaus zuschritt, flatterte eine dicke, blaue Rauchwolke hinter ihm her.
Sie schmeckte ihm, die schwarze, von paraguayischen Indianerfrauen gedrehte frische Zigarre. Sie schmeckte ihm ausgezeichnet nach dieser Tat, die er als eine gerechte, richterliche Handlung ansah.
Eine Stunde lang lag Cayrú im Kraut, in einer Art von Bewußtlosigkeit, die mehr der Schrecken als die Schmerzen verursacht hatte.
Plötzlich sprang er hoch und lief davon, so schnell, als die zerschlagenen Beine sich noch bewegen konnten. Er setzte über den Drahtzaun, der rings um das Grundstück gespannt war, riß sich dabei das Gesicht auf und fiel in einen tiefen, zum Glück aber trockenen Graben hinein, wo er den Tag über und die Nacht lang liegenblieb.
Die India hatte, nachdem sie zuerst im Rancho nachgefragt und mit Schimpfwörtern, die sie nicht verstand, vom Hof gejagt wurde, bis zum Morgengrauen das Flußufer nach Cayrú abgesucht. Erst als es schon ganz hell war, fand sie den Jungen im Graben und zog ihn heraus.
Als die Mutter von ihm wissen wollte, was geschehen war, kam kein Wort als Antwort von seinen Lippen. Er verriet nicht, wer ihn so zugerichtet hatte und aus welchem Grunde. Woher sollte er auch um die Ursache der Bestrafung gewußt haben? Er wußte nur, wer dieser Mann war, der ihn so zugerichtet hatte. Er war von Anbeginn an sein Feind gewesen. Und einmal mußte dieser Feind sich beweisen, so, wie der Biß einer Schlange, die nicht bei jeder Bewegung hochschnellt, die abwartet, bis das Böse im Blut reif geworden ist.
Viele Tage und Nächte lag Cayrú in der Hängematte im Fieber. In den Delirien fragte er fort und fort nach seiner »Muñeca« und begehrte zu wissen, weshalb sie nicht da sei.
Es kam niemand, der ihm eine Antwort hätte geben können. Manchmal ließ sich eine große rote Spinne von der Decke herunter und kroch über sein Gesicht, und dann vermeinte er, das Haar von Mariechen zu spüren. Er griff nach der Spinne, berührte den fetten, haarigen Leib mit den Lippen und zerbiß ihn.
Wenn die Mutter von ihrem Handel nach Hause kam und ihm über das Gesicht hinfuhr mit ihren trockenen, von Staub und Schorf verkrusteten Lippen, dann murmelte er: »Morgen, Muñeca, werde ich uns die Hütte auf der Insel bauen, und viele Gürteltiere werden wir fangen; mit den kleinen kannst du spielen, die großen werde ich im Feuer braten. Immer werden nur wir in der Hütte sein und auf den Wegen im Wald. Immer nur wir allein, Muñeca!«
Die Mutter verstand immerhin so viel von dem wirren Gerede, daß er von dem Mädchen des Kolonisten sprach. Und ganz tief in ihrem Bewußtsein wurde die Frage laut, ob allein dieses Mädchen die Ursache aller dieser blutunterlaufenen Striemen am Körper des Knaben war. Sie nahm sich vor, ein paar Abende lang darüber nachzudenken und dann den Zauberkürbis zu befragen.
Nach drei Wochen, als Cayrú wieder flink auf den Beinen war und zum Rancho hinüberging, um sich dort in der altgewohnten Weise nützlich zu machen und mit Mariechen nach der Insel zu fahren, zeigte ihm der Kolonist die Peitsche und fragte ihn, ob er das Leder noch einmal schmecken wolle.
Cayrú ging langsam den Weg zurück, den er gekommen war. In seinen Kopf wollte es nicht hinein, daß man ihn wie einen schorfigen Hund davonjagte. Er litt darunter, lag tagelang untätig auf der Barranca oder in der Nähe des Grundstücks des Kolonisten. Er ging zum Ufer, und starrte auf den Fluß. Er sah, daß Mariechen am Sonntagvormittag allein mit dem Kanu nach der Insel hinüberfuhr. Und er bemerkte auch einmal, daß Mariechen ihn in dem Versteck entdeckt hatte, den Kopf aber schnell wieder abseits drehte. Er verspürte, daß seine Augen sich feuchteten. Es war das erstemal, daß er dieses salzige, heiße Wasser in seinem Gesicht verspürte. Sein Körper war mit einem Male von einem frostigen Krampf verknotet.
Der Wind auf dem Fluß nahm das blonde Haar des Mädchens in die Faust und löste es aus den Flechten. Wie eine feurige Wolke schwebte es über dem Wasser. Die grünen Rohrpfeifer zogen der Wolke nach, und die Paddel, rot und blau bemalt, schlugen den Takt zu dem singenden Gelärm der Vögel.
In sich versunken, gleichsam nur mit der Bewegung der Augen denkend, hockte der Knabe da in einem ihm nicht bewußten Sich-selbst-gegenüber-Sitzen. So, wie man oft in dem dichtesten Gefieder des Schachtelhalms ein krankes Tier findet, mit seinen Augen schon weit fort aus dem einst gewesenen Leben.