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Allgemeines

Haben die Tiere eine Seele, oder sind sie nur Maschinen?

Der Streit der Gelehrten, was die Wissenschaft unter »Seele« versteht, soll uns hier nicht beschäftigen. Wir fassen sie als das auf, was in uns und den Tieren »empfindet« und »will«.

Wie kommt es nun, daß berühmte Männer, beispielsweise der große Philosoph des Mittelalters Descartes, den Tieren die Seele absprach und sie lediglich als Maschinen betrachtete, während die Alten in den Tieren ihre Lehrmeister erblickten? So standen die Pferde bei den alten Germanen z. B. in hohem Ansehen; ihnen wurden sogar prophetische Gaben angedichtet. Ähnlich verhält es sich bei uns mit den Hunden. Unsere Jäger erzählen uns stundenlang von der Klugheit ihres Hundes! Diese Tatsache allein schon steht mit der Auffassung Descartes' in Widerspruch. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?

Wir wissen aus Erfahrung, daß ein kühner Bergsteiger und ein alter Seebär im Salon keine vorteilhafte Rolle spielen. Warum? Weil ihre Vorzüge hier nicht zur Geltung kommen. Genau so geht es den Tieren in der Stadt, namentlich in der Großstadt. Sie können das, was sie zu leisten vermögen, hier nicht zeigen.

Der Gelehrte, der in städtischen Verhältnissen lebt und in ihnen aufgewachsen ist, hat häufig die Tiere nur von ihrer unvorteilhaftesten Seite kennengelernt. Daher kommt sein absprechendes Urteil. Die Landbewohner, ganz besonders aber die Jäger, urteilen über die Tiere wesentlich anders, weil ihnen in natürlicher Umgebung die Vorzüge der Tiere täglich vor Augen treten.

Vergegenwärtigen wir uns einige Fälle, bei denen Tiere in ungünstigem Lichte erscheinen:

Eskimohunde werden zu fortwährenden großen Anstrengungen dadurch gezwungen, daß man an der Deichsel einen Fisch anbringt, und umgekehrt können Hunde dadurch zu Tode gehetzt werden, daß man ihnen eine leere Blechbüchse an den Schwanz bindet.

Hunde sind nicht dahinzubringen, daß sie sich ihre schmutzigen Pfoten reinigen. Auch kann man sie nicht belehren, daß sie uns nicht anspringen sollen, wenn wir gute Kleider angezogen haben. Ziehhunde sind nicht zu bewegen, auf Zuruf anzuhalten.

Hunde, wie viele andere Tiere, schauen sich nicht an, wenn sie sich treffen, sondern beriechen sich. Das erscheint in unsern Augen höchst unappetitlich und lächerlich.

Katzen greifen wie die Affen häufig hinter ihr Spiegelbild. Sie erkennen sich also selbst nicht.

Pferde scheuen oft vor den harmlosesten Dingen und rennen wie sinnlos gegen Häuser und Bäume.

Pferde und Schafe wollen oft den brennenden Stall nicht verlassen. Sind sie mit großer Mühe gerettet, so laufen sie oft wieder in die Gefahr zurück.

Der Esel geht aufs Eis und tanzt, wenn es ihm zu gut geht. Wenigstens wird das allgemein behauptet.

Die meisten Esel sind nicht zu bewegen, selbst durch ein flaches Bächlein zu waten.

Das Rind sieht schon äußerlich sehr phlegmatisch und dumm aus. Bestärkt wird man in diesem Eindruck dadurch, daß der Stier ohne jeden Anlaß sich auf rot gefärbte Stoffe, beispielsweise rote Fahnen, stürzt.

Der wasserscheue Esel: Alles umsonst!
Nach einer Originalzeichnung von Franz Heinrich.

Schweine wälzen sich in ihrem Unrat. Die Sau frißt häufig ihre eigenen Jungen auf.

Die Schafe sehen furchtbar dumm aus. Dazu paßt, daß sie ihrem Leithammel folgen, selbst wenn dieser ins Verderben rennt.

Hühnern kann man Porzellaneier und Kanarienvögeln Elfenbeineier unterlegen, ohne daß sie merken, daß es falsche Eier sind.

Diese Beispiele ließen sich leicht vervielfachen. Sie dürften aber genügen, um erklärlich zu machen, daß selbst große Geister nur Maschinen in den Tieren gesehen haben.

Und doch ist dieses Urteil höchst einseitig und ungerecht. Namentlich zwei wichtige Umstände werden dabei vollkommen übersehen.

Einmal wird außer acht gelassen, daß unsere Haustiere nur zu verstehen sind, wenn wir auf die Lebensweise ihrer wilden Verwandten zurückgehen. Sodann wird nicht berücksichtigt, daß die Tiere vielfach ganz andere Sinne haben als der Mensch.

Auch der Mensch ist von seinen Sinnen abhängig und kann nicht mehr leisten, als diese ihm sagen. Ein kurzsichtiger Knabe ist doch nicht dumm, weil er die Turmuhr nicht erkennt.

Unzählige Menschen haben in der Dunkelheit eine alte Weide für einen Räuber gehalten und sich auf einen Überfall gefaßt gemacht. Sie würden es für sehr ungerecht halten, wenn die Eule sie auslachte und für furchtbar dumm erklärte, weil sie einen Baum mit einem Menschen verwechselten und mit Recht erwidern: Wir haben eben keine »Eulenaugen«.

Wir müssen den Tieren aber auch Gerechtigkeit widerfahren lassen. Das Huhn, das wir verlachen, weil es nicht merkt, daß ihm an Stelle eines wirklichen Eies ein Porzellanei zum Brüten untergelegt worden ist, kann ebenfalls mit vollem Rechte erklären: »Mit welchem Sinne soll ich denn ein echtes Ei von einem Porzellanei unterscheiden? Etwa mit meinem hörnernen Schnabel oder mit meinen beschuppten Füßen?«

Bei uns ist es, Gott sei Dank, nicht üblich, Hunde durch Anbinden leerer Blechbüchsen zu Tode zu quälen, aber in Rumänien scheint diese Tierquälerei sehr im Schwange zu sein. Das ergibt sich aus folgender Schilderung aus Bukarest, die vor dem Weltkriege veröffentlicht wurde: Geschichten über kluge Hunde finden heutzutage nur wenig Anklang, dennoch sei hier dem Hunde Azor ein kleiner Nachruf gewidmet. Azor ist nicht mehr, zum aufrichtigen Bedauern aller Kunden der Heilmittelhandlung Zamfiresco. In diesem eleganten Geschäftsladen, dessen Inhaber der Besitzer Azors gewesen, spazierte der große, rotbraune Hund umher und – pumpte die Kunden an. In vollem Sinne des Wortes. Wenn jemand an der Kasse seinen Einkauf bezahlte, stand Azor schweifwedelnd und freundlich grinsend neben ihm, blickte ihn mit all seiner Hunde-Intelligenz an, fuhr auch wohl mit der länglich-schmalen Schnauze nach der Tasche des Betreffenden, der schließlich, wenn er ein Fremder war, den Kaufmannsgehilfen nach dem Grunde des auffälligen Gehabens befragte. Da erhielt er dann die Auskunft, Azor wünsche, ein paar Centimes geborgt zu haben. Gab man dem Tiere des Spaßes halber etwa ein Fünfcentimesstück, und zwar ins Maul, so wedelte er noch freundlicher, gleichsam dankend, und entsprang dann geradeswegs auf die gegenüberliegende Seite der Straße, wo verschiedene fliegende Händler standen, die größtenteils Süßigkeiten feilboten. Sie heißen hier Bragadschins. Bei solch einem Bragadschin suchte sich dann Azor irgendeine Leckerei aus, indem er mit der Schnauze darauf hinwies. Die Händler wußten schon, daß Azor bar zahle, gaben ihm die gewünschte Süßigkeit, und als Entgelt ließ ihnen dann der Hund die Münze in die Hand fallen. Oft hatte Azor zwei, drei, ja vier Stück Nickelmünzen im Maul, die er sich zusammengebettelt hatte; in solchen Fällen wies er nach mehreren Delikatessen. Azor vergaß sich aber auch oft so weit, zum Zechpreller zu werden, nämlich in Fällen, da er kein Geld, aber Lust auf Leckereien hatte. Da wies er dann mit der Schnauze nach dem Teuersten, was der Bragadschin auf seinem Tabulett hatte, und entfloh, sobald man es ihm gegeben hatte. Er mied dann den betrogenen Händler tagelang, bis er plötzlich, zu Geld gelangt, angetrabt kam, seine Münze dem betreffenden Bragadschin hinschnellte und dann stolz abging. Auch in die Wurstgeschäfte und Fleischerläden der Nachbarschaft machte Azor häufig Abstecher, und es ist keine Übertreibung, wenn ich sage: er kannte den Wert des Geldes. Er wußte genau, daß er mit ein bis zwei Fünfcentimesstücken höchstens beim Bragadschin etwas kaufen konnte, hingegen mit den großen Zwanzigcentimesmünzen sich schon in bessere Geschäfte wagen durfte. Azor war auch eines jener seltenen Tiere, die sich an den Alkohol gewöhnt hatten. Sein Herr ging täglich zum Frühschoppen in den »Kapitän«, und stets begleitete ihn Azor, der dort schon aus einem »Stammkrügel«, einem flachrunden, irdenen Teller, sein »Seidel« Bier »schlürfte«. Ein vorzeitiges, trauriges Ende fand der arme Azor leider durch die »Tarbaka«, eine hier gebräuchliche abscheuliche Art, Hunde zu Tode zu quälen. Mit einem Bindfaden befestigt man eine leere Sardinenschachtel oder sonst eine Blechdose an den Schweif des Hundes und läßt das Tier dann laufen. Das rasselnde Geräusch macht es wild, aber es kann der schrecklichen Dose nicht entrinnen, die, so rasch es auch läuft, stets an seinen Fersen rasselt. Der Hund rennt, rennt, bis ihm die Lunge versagt und er zusammenbricht. Besonders in den Vorstädten sieht man häufig verendete Hunde, mit der Sardinenbüchse am Schweif, die der »Tarbaka« zum Opfer gefallen sind. Auch der »Überhund« Azor vermochte, trotz seiner Intelligenz, die Ursache des Geräusches nicht zu begreifen, und er rannte sich angstgequält zu Tode, zur tiefen Betrübnis seines Herrn und aller seiner Bekannten. –

Im Stalle:
Der Hirtenjunge hat die Zeit verschlafen und wird von den hungrigen Tieren zum Austreiben ermahnt.
Nach einem Gemälde von O. Gebler.

Es soll hier nicht untersucht werden, ob die selbständigen Einkäufe des Hundes auf Wahrheit beruhen. Wiederholt habe ich von solchen Hunden gehört und gelesen, wie ja auch von Elefanten berichtet wird, daß sie sich für Geld Leckereien kaufen. Dagegen ist ein Rückschluß auf die Intelligenz des Hundes, der die Ursache des Geräusches nicht zu ergründen vermochte, nicht berechtigt. Auch der kluge Mensch benimmt sich in gefahrvoller Lage nicht immer einwandfrei.

Ein bedeutender Kriminalist, Professor Groß, gibt aus seiner Praxis sehr lehrreiche Beispiele: Ein Gefangenenaufseher wollte beschwören, daß ihn ein Gefangener mit einem Messer bedroht hätte. In Wirklichkeit war es nur ein – Hering gewesen, den der Gefangene in der Hand gehabt hatte. Und von einem Bierbrauer wird folgendes erzählt: Er war bei einem Eisenbahnunglück aus dem Wagen gesprungen und drei Viertelstunden über die Felder gelaufen, weil er die Lokomotive des entgleisten Zuges deutlich hinter sich hörte.

Wir Menschen haben die Schwäche, über das Benehmen anderer bei »eingebildeten« Gefahren sehr streng zu urteilen. Sind wir wirklich dazu berechtigt, wenn wir hören, was zurechnungsfähige Männer über ihre Erlebnisse berichtet haben? Das dürften doch eigentlich nur sehr kaltblütige Menschen tun, die häufig Proben ihrer unerschütterlichen Ruhe abgelegt haben.

Als ein orientalischer Fürst der Stadt Berlin einen Besuch abstattete, lehnte er es mit Entschiedenheit ab, in einen Fahrstuhl zu treten. Von unserm Standpunkt aus ist eine solche Furcht ganz unverständlich. Aber ist der asiatische Herrscher deshalb dumm? Hat er von seinem Standpunkte aus nicht ganz recht, wenn er sich innerlich sagt: »Aha, hier ist vielleicht eine Gelegenheit, dich in unauffälliger Form zu beseitigen!«

Ein anderer Fall: Ein junger Mann rühmte sich in Gesellschaft seines Mutes und erbot sich, aus dem in einem dunkeln Nebengemach stehenden Sarge, der erst kürzlich zugenagelt war, einen Gegenstand zu holen. Er wurde beim Wort genommen und begab sich in das Gemach, kam aber nicht wieder. Als man ihn aufsuchte, fand man ihn tot neben dem Sarge liegen. Folgender Vorfall hatte sich abgespielt: Der junge Mann hatte den Sarg geöffnet und den Gegenstand an sich genommen. Als er den Sarg wieder zugenagelt und sich entfernen wollte, fühlte er sich festgehalten, – weil er versehentlich einen Zipfel seines Rockes eingeklemmt hatte. Aus Aufregung darüber, daß der Tote ihn wegen des begangenen Frevels gepackt habe, war er augenblicklich leblos niedergesunken. –

In seiner Angst, dem polternden Gegenstande zu entfliehen, ist auch der Hund so lange gelaufen, bis er zusammenbrach. Seine Intelligenz konnte ihm hierbei nicht das geringste nützen, denn sie hat den schwerwiegenden Nachteil, daß sie Zeit verlangt, die auch der Mensch bei drohenden Gefahren nicht hat. Wenn der klügste Mensch zur Nachtzeit von einem Brande überrascht wird, so wird er wahrscheinlich bei der Flucht in der Eile nicht alle die Dinge mitnehmen, die er bei ruhiger Überlegung gerettet hätte. Deshalb gelingen wohl auch Scheinüberfälle so leicht. Der durch einen vorgehaltenen Revolver Überraschte hat nicht die Zeit, sich in Ruhe die Sachlage zu überlegen.

Man braucht übrigens nur daran zu erinnern, wie sich vernunftbegabte Menschen bei Theaterbränden benehmen. Stolz können wir wirklich nicht darauf sein! Daher rührt auch die baupolizeiliche Verfügung, daß die Türen aller Vergnügungs- und Versammlungslokale nach außen zu öffnen sein müssen. Denn früher verbrannten die Besucher, weil sie in ihrer wahnsinnigen Angst nach den Ausgängen drängten und die nach innen führenden Türen infolge des gewaltigen Ansturms der geängsteten Menschenmassen nicht mehr geöffnet werden konnten. –

Das Gegenstück zu dem Hunde mit der angebundenen Blechbüchse bildet der bereits erwähnte Fisch, den die Eskimos an der Deichselspitze des Schlittens befestigen, wodurch die Hunde veranlaßt werden sollen, ihre Kräfte aufs äußerste anzustrengen, um den ihnen vor der Nase schwebenden Leckerbissen zu erhaschen, was natürlich eitel Mühe ist. Soll aus dem Gebaren des Tieres nun etwa eine besonders große Dummheit gefolgert werden? Ich bin nicht damit einverstanden. Sind wir Menschen nicht oft ähnlich töricht? Ist das Lebensglück, dem wir während unseres Erdenwallens nachjagen, nicht auch so eine Art Fisch an der Deichsel, den wir unablässig erhaschen wollen, aber nie erreichen? So überaus töricht ist also das Gebaren der Hunde durchaus nicht.

Auf andere Handlungen unserer Haustiere, die den Anschein größter Dummheit erwecken, kommen wir später zurück. Wir werden sie vom Standpunkte des Tieres aus zu erklären suchen.

Nur vom tanzenden Esel auf dem Eise sei schon jetzt bemerkt, daß er lediglich in der Phantasie besteht. Bisher habe ich noch keinen Menschen ermitteln können, der einen solchen Tanz mit eigenen Augen gesehen hat.

Wenn man ein sachgemäßes Urteil fällen will, so soll man beide Teile hören. Wenden wir uns daher jetzt von dem Philosophen, der den Tieren die Seele abspricht, zu dem Jäger, der von ihrer Klugheit schwärmt.

Warum schwärmt der Jäger von der Klugheit seines Hundes?

Ist die Schwärmerei des Jägers von der Klugheit seines Hundes wirklich nichts anderes, als Aufschneiderei? Keineswegs, wie wir sehen werden.

Sein bestes Können, die Leistungen der feinen Nase, kann der Hund um so weniger zeigen, je belebter eine Stadt ist. Das Gewimmel der zahllosen Menschen in einer Großstadt macht das Halten einer bestimmten Fährte wegen der Masse der durcheinanderwirbelnden Gerüche zur Unmöglichkeit.

Ganz anders liegt die Sache auf dem Lande oder in menschenleeren Gegenden. Hier feiert der Geruchssinn des Hundes wahre Triumphe. Während der Großstädter diesen Sinn regelmäßig als »niederen« bezeichnet, ist der Jäger vom Gegenteil überzeugt. Täglich erlebt er, was für unersetzliche Dienste ihm der Hund durch diesen Sinn erweist.

Der deutsche Gelehrte Hensel berichtet, daß er auf seinen Reisen in Brasilien stets Hunde um sich gehabt habe; sie waren ihm auf der Jagd und zur Bewachung unentbehrlich. Unter seinen Hunden war einer, der, obwohl entsetzlich feige, durch seine Schlauheit auffiel, weshalb er »der Schlaue« genannt wurde. Von ihm erzählt Hensel folgende Geschichte:

Ich hatte längere Zeit in einem Wirtshause des Urwaldes gewohnt. Rings um das Gehöft auf der abgeholzten kleinen Hochebene waren viele Hecken, in denen das zahlreiche Vieh der Ansiedler weidete. Eines Tages saß ich in der Gaststube des Hauses mit meinen Hunden und einer ganzen Anzahl Menschen. Da öffnete sich die Hintertür des Zimmers, und leise schob sich Vagabond, der schlechteste unter meinen Hunden, herein. Mit dem gleichgültigsten und dümmsten Gesicht von der Welt spähte er nach einem guten Platze, aber heimlich fuhr er noch einmal mit der Zungenspitze über die Oberlippe. Dies war nur von zwei Anwesenden bemerkt worden: von mir und dem »Schlauen«. Langsam erhob sich dieser und ging auf den eben hereinkommenden Hund zu, obgleich beide sonst nicht in Freundschaft lebten. Vagabond merkte sogleich die Absicht. Wie ein ertappter Verbrecher setzte er sich und ließ Kopf und Ohren herabhängen. Der Schlaue trat an ihn heran, beroch ihm das Maul von einem Winkel zum anderen, senkte sogleich die Nase zur Erde und verließ vorsichtig, aber eilig das Zimmer durch die Hintertür. Ich ging ihm nach, voll Neugierde, wie sich die Begebenheit weiterentwickeln werde, und sah nur noch, wie der Hund, die Nase auf der Erde, in den Hecken verschwand. Als ich ihm folgte und kaum dreihundert Schritte zurückgelegt hatte, hörte ich schon das Krachen der Knochen in den Hecken: der Schlaue labte sich an dem Fleisch eines eben verendeten Kalbes.

Abgelegt.
Der Hund ist durch Dressur erzogen, dem Jäger nicht zu folgen, sondern auf seinem Platze zu bleiben.
Nach einer Zeichnung von C. Sterry.

Hensels Erzählung ist durchaus glaubwürdig, da sie nichts enthält, was dem Jäger nicht längst bekannt wäre. Hiernach hat der schlaue Hund den Ankömmling berochen und durch Beriechen festgestellt, daß er eine vortreffliche Mahlzeit gehalten hatte. Wenn du so gut gespeist hast, hat er sich gesagt, dann ist es sehr wohl möglich, daß an deiner Futterstelle noch sehr schöne Happen für mich übriggeblieben sind. Gesagt, getan – der schlaue Geselle setzt sich in Bewegung und verfolgt die Fährte des Ankömmlings nach rückwärts. Seine Vermutung wird glänzend bestätigt, da der Schwelger beim besten Willen nicht das ganze Kalb verschlingen konnte.

Der Mensch kann dem Hunde eine solche Leistung nicht nachmachen, weil unsere Nase im Vergleich zu der des Hundes nur stumpf ist. Es ist eine weitverbreitete, aber durchaus irrige Ansicht, daß der Mensch an Schärfe der Sinne den Tieren überlegen sei. Der Jäger würde ja keines Hundes bedürfen, wenn er ihn an Feinheit des Geruchs überträfe. Richtig ist allerdings, daß alle Tiere mit scharfem Geruch, sog. Nasentiere, am Tage nicht so scharf sehen können wie der Mensch. Der Hund erkennt, wie man täglich beobachten kann, seinen Herrn unter ähnlich gekleideten Menschen nur mit Mühe, weil er die Einzelheiten des Gesichts mit dem Auge nicht unterscheiden kann. Deshalb pfeift auch der Herr seinem Hunde, um ihm das Finden zu erleichtern.

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei Nacht. Infolge seiner großen Pupillen fängt das Auge des Hundes jeden Lichtstrahl auf, so daß er in größter Finsternis durch den Wald laufen kann, was für einen Durchschnittsmenschen unmöglich ist. Ich entsinne mich eines Vorfalls, wo mir diese Überlegenheit des Hundes so recht zum Bewußtsein kam. Einer meiner Bekannten hatte abends einen Rehbock geschossen. Da er am andern Morgen in der Frühe abreisen mußte, so sollte der Versuch gemacht werden, den Bock, der gut getroffen war, aufzufinden. Der Schütze bat den Förster, ihn zu diesem Zwecke mit seinem Hunde zu unterstützen. Inzwischen war es stockdunkel geworden, so daß wir Laternen anzünden mußten, um den Weg zu finden. Den Hund hinderte die Finsternis in keiner Weise, uns voranzustürmen. Nachdem die Stelle, wo der Bock getroffen wurde, ausfindig gemacht war, setzten wir den Hund auf die Fährte. Es dauerte auch nicht lange, so verkündete sein Bellen, daß er den Bock gefunden hatte. Dort, wo wir nicht die Hand vor den Augen sehen konnten, hatte der Hund den Weg des todkrank geflüchteten Tieres ausfindig gemacht und dem Schützen zu einer prächtigen Beute verholfen. Selbstverständlich erhielt der Hund nach unserer Rückkehr die verdienten Belohnungen. Immer wieder erklang es aus dem Munde seines Herrn: »Du bist ja aber auch ein so kluges Tier!«

Alle Jäger schreiben diese staunenswerten Leistungen der Klugheit des Hundes zu. Man mag noch so oft dagegen protestieren, es nützt nichts. Der Hund findet in der Dunkelheit den Weg, weil er sehr große Pupillen hat. Ebenso findet er den Bock, weil seine Nase in der Dunkelheit genau so sicher arbeitet wie am Tage. Mit Klugheit hat doch diese Fähigkeit verhältnismäßig wenig zu tun. Er vollbringt seine Leistung hauptsächlich deswegen, weil seine Sinne zu der Auffindung des getroffenen Rehbocks zweckmäßiger gebaut und entwickelt sind als die unsrigen.

Der Gedankengang des Jägers ist sehr einleuchtend. Wenn ein Mensch etwas nicht leisten kann und ein anderer bringt es fertig, so sagen wir mit Recht, daß der zweite klüger ist als der erste. Da der Mensch einen erlegten Bock im finstern Walde nicht finden kann, wohl aber der Hund, so zieht der Jäger den Schluß, daß der Hund infolge seiner Klugheit diese Leistung vollbringt.

Die von dem Großstädter so gering geschätzte Nase leistet bei der Jagd, wie wir eben sahen, unersetzliche Dienste. Durch seinen feinen Geruch kann der Hund sofort feststellen, ob Enten im Schilf des Teiches sind, ob ein Fuchsbau bewohnt ist, wo die Rebhühner im Kartoffelkraut stecken, oder wo eine Schnepfe oder ein anderes erdfarbenes Tier sich geduckt hat. Die Schutzfarbe täuscht das menschliche Auge in tausend Fällen, denn über einen Hasen, der mit seinem braunen Fell ganz mit der Umgebung verschwimmt, stolpern die meisten Menschen, ohne ihn zu sehen, aber selbst diese Schutzfarbe gewährt gegen die feine Nase des Hundes keinen Schutz.

Nachsuche.
Nach einem Gemälde von W. Simmler.

Ein schönes Beispiel, was eine Hundenase unter Umständen leisten kann, gibt der bekannte Jagdschriftsteller Oberländer von einem Elchhunde, den er in Norwegen arbeiten sah. Er schreibt:

»Ohne etwas Besonderes, außer einigen alten Elchfährten, anzutreffen, pirschten wir an der westlichen Talwand hin, als ›Jagd‹, der Elchhund, sich plötzlich mit hoher Nase mächtig in den Riemen legte. Da talwärts, woher der Wind stand, das blanke Fjeld (Hochebene) vor uns lag, so war ich zunächst überrascht über das Gebaren unseres vierfüßigen Jagdgefährten. Der Führer wies jedoch auf ein ausgedehntes Zwergbirkengehölz in der Talsohle und versicherte, daß dort entweder Elche oder aber warme Fährten sein müßten. Die Entfernung schätzte ich auf reichlich einen Kilometer und erlaubte mir, mit Rücksicht auf diese riesige Entfernung, zu fragen, ob er nicht ganz wohl sei. Er wiederholte aber auf das bestimmteste, daß ein guter, erfahrener Hund die Witterung eines brunftigen Schauflers noch weiter, sogar bis auf 1500 Schritt, markiere. – Um ›Jagd‹ zu kontrollieren, merkte ich mir die betreffende Ziffer auf dem Schrittmesser, den ich stets bei mir führe, und folgte neugierig dem voller Leidenschaft talwärts strebenden Hunde. Er leitete uns wahrhaftig, ganz nach der Art eines anziehenden Hühnerhundes fortarbeitend, zu dem bewußten Birkengehölze. Vorsichtig, Schritt für Schritt schlichen wir in demselben fort ... ›Hier!‹ sagte der Führer, indem er triumphierend auf eine in dem sumpfigen Boden deutlich sichtbare mittelstarke Elchfährte wies. Ich war wirklich von dem Ergebnis ganz verblüfft. Der Schrittzähler meldete eine Entfernung von über 1200 Gängen. Ich hatte deutlich beobachten können, daß der Hund nichts anderes in der Nase hatte als die Witterung dieser Fährte. Diese ganz ungewöhnliche Leistung einer Hundenase erkläre ich mir aus folgenden vier zusammenwirkenden Hauptgründen: 1. die überaus starke Witterung des Elchhirsches kurz vor und während der Brunft; 2. das Fehlen des die Ausbreitung der Witterung hemmenden Pflanzenwuchses in den Fjelden; 3. die Wildarmut der Fjelde, weshalb der Hund die leiseste Witterung aufnimmt; und 4. die zweifellos hervorragende Nase des Elchhundes, von deren Beschaffenheit ich sogleich eine weitere Probe erhalten sollte!«

Oberländer hätte ohne den Elchhund niemals von dem Vorhandensein eines Elches die geringste Ahnung gehabt. Kann man sich da wundern, daß der Jäger von seinem Hunde, ohne den er in unzähligen Fällen zu keiner Beute gelangen würde, in schwärmerischen Ausdrücken spricht? Unrichtig ist es nur, daß er die Leistungen auf die Klugheit des Tieres zurückführt, während sie, wie wir sahen, durch die andersgearteten Sinne bedingt sind.


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