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Daß die Tiere eine ganze Reihe von Vorzügen vor den Menschen haben, ist oft hervorgehoben worden. Das junge Hühnlein steht sofort auf den Beinen und trinkt und frißt, ohne daß es eines langwierigen Unterrichtes bedarf. Eine junge Gemse ist nach vierundzwanzig Stunden bereits so schnellfüßig, daß sie ein Mensch nicht mehr einholen kann. Im Vergleich hierzu ist die Entwicklung des Menschen außerordentlich langsam. Anderthalb Jahrzehnte müssen ungefähr verfließen, bis er sich selbst durch das Leben schlagen kann. Wir müssen das Schwimmen mühsam erlernen, während fast alle Tiere ohne Ausnahme sofort schwimmen können, sobald sie ins Wasser geraten. Selbst Tiere, denen man es gar nicht zutraut, wie Katzen, Hasen, Kaninchen, Vögel, können ohne weiteres schwimmen. Tiere haben ein vorzügliches Gedächtnis für Wege und verirren sich kaum jemals. Wie die Biene sich nach dem Stock zurückfindet, so der Bär nach seinem Lager. Weder endlose Wälder noch gleichförmige Steppen hindern das Tier daran, den richtigen Weg zu finden.
Goethe hat diese Gaben der Tiere ebenfalls mit Staunen betrachtet, wie wir aus seinen Gesprächen mit Eckermann ersehen. Den zahllosen Verehrern dieses großen Geistes dürfte es erwünscht sein, seine Gedanken hierüber zu hören.
Wir stecken in lauter Wundern, sagt er, und das Letzte und Beste der Dinge ist uns verschlossen. Nehmen wir nur die Bienen. Wir sehen sie nach Honig fliegen, stundenweit, und zwar immer einmal in einer andern Richtung. Jetzt fliegen sie wochenlang westlich nach einem Feld von blühendem Rübsamen. Dann ebenso lang nördlich nach einer blühenden Heide. Dann wieder in einer andern Richtung nach der Blüte des Buchweizens. Dann irgendwohin auf ein blühendes Kleefeld. Und endlich wieder in einer andern Richtung nach blühenden Linden. Wer hat ihnen aber gesagt: Jetzt fliegt dorthin, da gibt es etwas für euch! Und dann wieder dort, da gibt es etwas Neues! Und wer führt sie zurück nach ihrem Dorf und ihrer Zelle? Sie gehen wie an einem unsichtbaren Gängelband hierhin und dorthin; was es aber eigentlich sei, wissen wir nicht. Ebenso die Lerche. Sie steigt singend auf über einem Halmenfeld, sie schwebt über einem Meere von Halmen, das der Wind hin und her wiegt, und wo die eine Welle aussieht wie die andere; sie fährt wieder hinab zu ihren Jungen und trifft, ohne zu fehlen, den kleinen Fleck, wo sie ihr Nest hat. Alle diese äußeren Dinge liegen klar vor uns wie der Tag, aber ihr inneres geistiges Band ist uns verschlossen.
Nur nebenbei möchte ich bemerken, daß ich den Ortssinn der Tiere ebenfalls wunderbar finde, dagegen glaube, daß sich das von Goethe so bewunderte Auffinden der passenden Nahrung höchst einfach erklären läßt. Bienen haben, wovon ich mich durch zahllose Versuche überzeugt habe, ein fabelhaft feines Geruchsvermögen. So fanden Bienen im heißen Sommer Tropfen Wasser, die sich innerhalb der Röhre der neu gelegten Wasserleitung befanden, und kamen direkt darauf zugeflogen. Reines Wasser ist für uns geruchlos, für witternde Tiere muß es einen ausgeprägten Geruch haben, denn Pferde, Rinder. Kamele usw. riechen es in der Wüste stundenweit, wie soll ich mich da wundern, daß die Bienen den Geruch gewisser Blüten, die bereits für menschliche Nasen stark duften, auf stundenweite Entfernung wahrnehmen, zumal wenn der Wind günstig steht?
Im übrigen muß ich Goethe vollständig recht geben, daß wir bei Beobachtung der Tierwelt zu dem Ergebnis gelangen, daß wir in lauter Wundern stecken, Auf eil: solches Wunder möchte ich in nachstehendem aufmerksam machen, nämlich auf die fabelhafte Sicherheit, mit der die meisten Tiere den Ort, von wo aus ein Geräusch ertönt, also die Schallquelle, ausfindig machen.
Während nämlich die soeben erwähnten Vorzüge der Tiere vor den Menschen teilweise bereits von den Alten erörtert worden sind, kann ich mich nicht recht entsinnen, daß ich jemals etwas von dem Erkennen der Schallquelle durch die Tiere gelesen habe. Selbst In Jägerzeitungen, die doch tausenderlei Beobachtungen aus der Tierwelt bringen, habe ich noch niemals etwas darüber gefunden. Das ist um so wunderbarer, als sich fast jeder Jäger gewisser Locktöne bedient, um Tiere in Schußnähe zu bekommen. Erste Voraussetzung eines Erfolgs ist hierbei natürlich, daß das Tier die Stelle findet, von wo aus die Töne erschallen.
Im voraus weiß ich schon, daß mancher Leser einwenden wird, daß das selbstverständlich sei. Das ist aber bei den Menschen doch ganz und gar nicht der Hall.
Ich habe mich, obwohl ich persönlich ausgezeichnet höre, unzählige Male davon überzeugt, wie schwer es für uns ist, die Schallquelle stets genau anzugeben. Andern Leuten geht es nicht besser. Ich will hierfür einige Beispiele anführen.
An einem herrlichen Frühlingstag ging ich mit den halberwachsenen Kindern eines Försters, bei dem ich wohnte, in den Wald, um Morcheln zu suchen. Ein zwölfjähriges Töchterchen war zurückgeblieben, da es zu der Zeit, als wir fortgingen, nicht zu Hause anwesend war. Wir mochten wohl eine Stunde gesucht haben, als es uns allen so vorkam, als riefe die zurückgelassene Schwester nach uns. Es war ja naheliegend, daß sie bei ihrer Rückkehr von unserm Vorhaben gehört und sich aufgemacht hatte, uns zu suchen, wir wollten also dem Mädchen entgegengehen, konnten uns aber über die Schallquelle nicht einigen. Ich will von meiner eigenen Ansicht ganz absehen, aber auch die drei Kinder des Försters waren verschiedener Ansicht, wie wir zu gehen hätten. Dabei haben doch Knaben, die fortwährend im Walde leben, gewiß eine besonders ausgeprägte Beobachtungsgabe für die Herkunft der Töne.
Auch mit erfahrenen Jägern, hie fast stets im Freien lebten, ist es mir genau so ergangen. Plötzlich hört man im Revier einen Schuß, und natürlich liegt die Vermutung nahe, daß Wilderer ihr Unwesen treiben. Wenn man nun glaubt, der Grünrock wäre stets imstande, genau zu sagen, wohin man gehen müsse, weil dort der Schuß ertönte, so wäre man im großen Irrtum.
Es steht also wohl fest, daß für den Menschen die Angabe der Schallquelle nicht immer leicht ist. Um so erstaunlicher ist es, daß sich Tiere niemals irren, wie man bei dem Gebrauch der vorhin erwähnten Lockmittel erfährt. Beispielsweise ist es ein alter Brauch, durch Benützung der Hasenquäke, die das Klagen eines in Not befindlichen Hasen nachahmt, allerlei Raubzeug, z. B. Füchse, Krähen, Elstern usw., heranzulocken. Diese Strauchdiebe kommen herbeigeeilt, weil sie glauben, der arme Lampe liege in den letzten Zügen und gebe ein leckeres Mahl für sie ab. Selbstverständlich muß der Jäger beim Nachahmen dieser Laute sich nach Möglichkeit verstecken, sonst würden so scharfäugende Räuber wie die Raubvögel und die Krähenarten blitzschnell verschwinden. Auch den liebestollen Rehbock lockt man heran durch Nachahmen der Fieplaute der Ricke, was man »Blatten« nennt, weil es ursprünglich mit einem Buchenblatt hervorgebracht wurde.
Bei Anwendung dieser Lockmittel macht man zunächst die Beobachtung, daß alle Tiere ein ausgezeichnetes Gehör besitzen, da sie die Locktöne in unglaublicher Entfernung wahrnehmen. Sodann hat das Tier eine riesige Unterscheidungskraft im Gehör, ob die Töne echt sind oder nicht. Ein Stümper kann noch so viel blatten oder die Hasenquäke ertönen lassen, kein Tier wird darauf eingehen, weil es die Täuschung sofort herausmerkt. Dabei muß man berücksichtigen, daß bei den Tieren Hunger oder Liebe erregt wird, also Zustände, die doch selbst den Menschen zu unüberlegtem Handeln veranlassen.
Am erstaunlichsten ist aber die Beobachtung, daß, wenn ein erfahrener Grünrock die Locktöne richtig trifft, das Tier niemals in der Schallquelle irrt, sondern gerade auf das Versteck des Jägers zustürmt. Gesehen kann es ihn nicht haben, denn dann würde es sich wohl hüten, näher zu kommen. Aus dem bloßen Hören erkennt es auch sofort die Schallquelle – eine Gabe, die uns Menschen augenscheinlich versagt ist.
Wie dem Jäger, so ist auch dem Vogelsteller diese Fähigkeit der Tiere etwas ganz Bekanntes. Einige Vögel, wie Pirol, Kuckuck, der große Brachvogel usw., sind so scheu, daß sie der Durchschnittsmensch fast niemals zu sehen bekommt. Dagegen hört man sie häufig. Wer ihre Rufe richtig nachahmen kann, vermag sie leicht heranzulocken und demgemäß zu fangen oder zu schießen. Auch hier beobachtet man, daß die Vögel über die Schallquelle niemals im unklaren sind.
Sollte irgendein Leser diese Angabe bezweifeln, so verweise ich ihn auf unsern Altmeister Brehm, der bei der Besprechung des Kuckucks diese Eigenschaft der Tiere ganz gelegentlich erwähnt. Er schildert die Eifersucht der Kuckucksmännchen untereinander, weshalb man sie durch Nachahmen ihres Rufes heranlocken kann. Hier heißt es nun: Geradezu bewunderungswürdig ist die Sicherheit, mit der er Richtung und Entfernung zu bestimmen vermag. Wenn ich bei meinen Neckereien den Platz verändere, erscheint der Kuckuck, dessen Eifersucht ich erregte, mit aller Bestimmtheit auf derselben Stelle, von der ihm der erste Ruf entgegentönte, und dennoch kommt er fast niemals in gerader Richtung, sondern regelmäßig in einem weiten Bogen an, den er offenbar zu dem Zwecke unternimmt, um des vermeintlichen Nebenbuhlers ansichtig zu werden.
Im Anschluß hieran möchte ich noch bemerken, daß die Tiere auch ein fabelhaft feines Vermögen besitzen, Entfernungen richtig zu schätzen. Daß sich der Haubentaucher beispielsweise gewöhnlich so weit vom Ufer entfernt hält, wie ein Schrotschuß reicht, ist eine alte Beobachtung. Daß sich Wild außer Schußweite bewegt, erfährt der Jäger zu seinem Bedauern nur zu oft.
Diese richtige Schätzung der Entfernungen lernt man erst würdigen, wenn man nach einem Vogel wirft, der zu faul zum Auffliegen ist. Man staunt, daß er sitzen bleibt, aber er hat dem Steine angesehen, daß er ihn nicht trifft, selbst wenn er ganz in seine Nähe fällt. Fliegt er aber beim Wurfe auf, dann kann man annehmen, daß der Stein das Ziel erreicht hätte.
Daß die Tiere also weit besser die Schallquelle erkennen als der Mensch, dürfte nicht zu bezweifeln sein. Wie ich schon hervorhob, ist meines Wissens in der Literatur noch niemals darauf aufmerksam gemacht worden. Ebensowenig kann ich mich entsinnen, daß die Gabe der Tiere, Entfernungen richtig zu schätzen, irgendwo erörtert worden ist. Es schien mir daher zweckmäßig zu sein, auf diese Fähigkeiten der Tiere weitere Kreise aufmerksam zu machen.