Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Die Erörterung, weshalb unser Hund apportiert, ist keineswegs eine müßige Spielerei, sondern sie steht in enger Verbindung mit den tiefsten Problemen, beispielsweise der Frage, ob sich erworbene Eigenschaften vererben.
Einer unserer bedeutendsten Zoologen, der diese Frage entschieden bejaht, berief sich kürzlich in einer der gelesensten Zeitschriften zum Beweise der Richtigkeit seiner Ansicht auf das Apportieren des Hundes. Er führte aus, daß das Apportieren dem Hunde erst durch den Menschen beigebracht worden sei, daß es sich also um eine erworbene Eigenschaft handele. Denn der Urhund könne niemals apportiert haben, da er sonst im Kampfe ums Dasein verhungert wäre.
Ist diese Beweisführung richtig?
Wäre das Apportieren lediglich ein Werk von Menschenhand, so wäre es ganz unverständlich, daß die Katze nur ausnahmsweise apportiert. Es ist allerdings bekannt, daß sich die Katze unendlich schwerer dressieren läßt als der Hund. Trotzdem ist die Verschiedenheit ihres Verhaltens geradezu in die Augen springend. Es gibt unzählige Hunde, die aus freien Stücken einen Gegenstand aufheben und ihn ihrem Herrn bringen. Daran denkt sicherlich keine Katze. Ich habe wenigstens niemals etwas davon gesehen oder gelesen. Ausnahmen könnten übrigens nur die Regel bestätigen.
Unter Apportieren verstehen wir hierbei das Bringen einer Beute für einen andern. Das kommt bei wilden Tieren durchaus vor, nämlich bei allen Raubtieren, die ihren Jungen Fraß zuschleppen. Das Apportieren muß ihnen um so leichter fallen, da sie bei Gefahr ihre Jungen forttragen. Auch die Urhündin hat also bereits das Apportieren gekannt. Pflanzenfresser lernen dagegen das Apportieren nur ausnahmsweise, wie z. B. das Pferd und das Schwein. Daß das Schwein apportieren lernt, beruht darauf, daß es ein halbes Raubtier ist. Gefallenes Wild, junge Tiere und ähnliche Fleischkost werden von wilden und zahmen Schweinen mit Vorliebe gefressen.
Daß das Pferd als Pflanzenfresser eine Ausnahme macht, muß ebenfalls auf irgendeiner Eigenart der Urpferde beruhen. Das ist auch in der Tat der Fall. Alle wilden Einhufer, also auch Zebras, Wildesel usw., kämpfen mit dem Gebiß, sind also gewohnt, ihren Feind mit den Zähnen zu packen. Rinder, Ziegen und Schafe kennen eine solche Kampfesweise nicht. Deshalb ist für Einhufer das Apportieren gewissermaßen etwas Natürliches, bei den Hornträgern aber nicht. Hierzu kommt, daß die wilden Einhufer kleine Feinde mit den Zähnen packen und forttragen. So ergeht es nach Kohl dem Wolfe, der sich unvorsichtigerweise einer Pferdeherde zu sehr genähert hat und entdeckt worden ist. Gewöhnlich sind es dann die Hengste, die auf ihn zugehen und ihn mit dem Gebiß packen.
Apportieren lernt also ein Geschöpf nur, das bereits in der Freiheit Lasten zu tragen gewöhnt ist. Bei Hornträgern, die so etwas nicht können, ist regelmäßig jeder Unterricht ergebnislos.
Wer irgendwie noch daran zweifelt, daß das Apportieren des Hundes auf einer im Urzustande geübten Tätigkeit beruht, der sei auf folgende Eigentümlichkeit hingewiesen.
Wie selbst ein Großstädter weiß, hat das Pferd als Zugtier zwei große Vorzüge vor dem Hunde, nämlich es hält auf Zuruf an und kann sich im vollen Laufe erleichtern. Trotzdem der Hund in einzelnen Gegenden seit Generationen zu Ziehzwecken benutzt wird, hat er zur Verzweiflung seines Herrn beides nicht gelernt. Unsere Polarreisenden klagen lebhaft darüber, daß die Fahrt jedesmal eine Unterbrechung erfährt, sobald nur ein einziger der vorgespannten zahlreichen Hunde einen Drang zur Entleerung spürt. Dabei handelt es sich um Schlittenhunde, deren Vorfahren schon seit Jahrhunderten als Zugtiere gebraucht wurden. Es ist ja sehr schmeichelhaft für den Menschen, wenn er annimmt, daß das Pferd ihm zuliebe von dieser Unart gelassen habe und ferner auf Zuruf das Anhalten gelernt habe. Leider ist diese Annahme vollkommen irrig. Wie ich an anderer Stelle ausführlich nachgewiesen habe, entleeren sich alle fliehenden Pflanzenfresser nach Art des Pferdes, während die Raubtiere, zu denen der Hund gehört, anhalten müssen. Da der Hund nicht dümmer ist als das Pferd, so beruht das Anhalten auf Zuruf auf einer Eigentümlichkeit des Urpferdes. Es bedarf dieser Fähigkeit, plötzlich anzuhalten, bei gähnenden Klüften. Denn ein Sturz kann dem hochbeinigen Pferde das Leben kosten. Dagegen braucht der Hund diese Fähigkeit nicht zu besitzen, denn bei ihm hat das Hinfallen nichts zu sagen.
Da viele Hunde freiwillig apportieren, so kann nach dem Vorstehenden gar kein Zweifel darüber bestehen, daß der Urhund aus irgendeinem Grunde in der Wildnis etwas ähnliches tut.
Wer diese Vorfahren unserer Haushunde sind, haben wir allerdings noch nicht festgestellt. Aber daß die Wölfe, Füchse und die wilden Hundearten ihre Vettern sind, wird bei niemandem Widerspruch hervorrufen. Trotzdem nun die Lebensweise der Kaniden höchst lückenhaft bekannt ist, so ist doch so viel sicher, daß einzelne in der Freiheit sozusagen apportieren. Wie Thompson ausführlich schildert, tut das beispielsweise der kleine amerikanische Wolf, der Coyote. Er ergreift Gegenstände, die er auf dem Wege findet, und trägt sie lange Zeit im Gebiß. Und zwar handelt es sich um ungenießbare Dinge.
Höchst merkwürdig ist es, wie der einfache Mann sich mit solchen Tatsachen abfindet. Die Cowboys, die oft Zeugen einer solchen Tätigkeit beim Coyote sind, haben sich folgende Erklärung zurechtgemacht: der Wolf tut es, um seine Kinnbacken zu stärken. Diese Deutung ist echt menschlich, aber sie ist nach dem, was wir sonst von der Tierwelt wissen, falsch. Gorilla und Orang-Utan besitzen riesige Armmuskeln, aber durch Hanteln und Turnen sind sie sicherlich nicht entstanden.
Was Thompson erzählte, ist übrigens gar nicht neu. Denn fast schon vor 100 Jahren haben deutsche Reisende, nämlich Rengger und Tschudi, ähnliches von einem südamerikanischen Wildhund, dem Aguarachay ( canis Azarae), berichtet. Im neuesten Brehm steht er unter den Füchsen. Es ist mir, schreibt Rengger, eine sonderbare Gewohnheit des Aguarachay aufgefallen, von welcher mir schon mehrere Jäger gesprochen hatten. Wenn er nämlich ein Stück Leder oder einen Lappen von Tuch oder sonst einen ihm unbekannten Gegenstand auf seinem Wege antrifft, ergreift er denselben mit den Zähnen, trägt ihn eine Strecke weit und versteckt ihn dann in einem Gebüsche oder im hohen Grase, worauf er seinen Lauf fortsetzt, ohne später zu der Stelle zurückzukehren. Dieser Sitte wegen müssen die Reisenden, welche die Nächte unter freiem Himmel zubringen, ihre Zäume, Sättel und Gurte gut verwahren, sonst werden sie ihnen leicht von dem Aguarachay weggetragen, nicht aber, wie Azara behauptet, gefressen. Mir wurde auf meiner Reise ein Zaum, einem meiner Reisegefährten ein Schnupftuch entwendet: beides fanden wir am andern Morgen in einiger Entfernung von unserm Lager unversehrt im dichten Gestrüppe wieder. Tschudi fand in einer Höhle des Tieres ein Stück Steigbügel, einen Sporn und ein Messer, die ebenfalls von dem Aguarachay herbeigeschleppt worden waren.
An der Tatsache, daß wilde Hunde ungenießbare Gegenstände forttragen, kann also nach den Berichten dieser glaubwürdigen Zeugen nicht gezweifelt werden. Es handelt sich nur darum, den Grund festzustellen, warum der Wildhund so handelt.
Merkwürdigerweise hat ein furchtsamer Nager in Südamerika, der Viscacha, eine ähnliche Gewohnheit, nämlich vor seiner Höhle liegende Gegenstände hineinzuschleppen. In meinem Buche: Ist das Tier unvernünftig? habe ich vor Jahren die herrschende Ansicht bekämpft, wonach der Nager deshalb so handelt, um diese Dinge als Spielsachen zu benützen. Denn Kuhfladen können doch kaum dazu dienen. Es ist vielmehr die Angst, die ihn hierzu treibt. Das Motiv, das den furchtsamen Nager zu seiner Handlungsweise veranlaßt, kann natürlich bei einem Raubtier nicht zutreffen. Hier ist der Beweggrund vielmehr ganz anderer Art.
Unsere Hunde besitzen bekanntlich die höchst unangenehme Eigenschaft, sich an hervorspringenden Gegenständen zu verewigen. Genau ebenso handeln Wölfe, Füchse und Wildhunde. Wie ich in meinem Buche in dem Kapitel: Die Post der Tiere, näher dargetan habe, ist das eine höchst weise Eigentümlichkeit, indem sich die Tiere als Nasentiere dadurch in leichter Weise verständigen. Hat also ein Reisender in einer menschenleeren Gegend ein Schnupftuch verloren, so läuft der erste Coyote oder Aguarachay, der in die Nähe kommt, darauf zu und beriecht es. Da er merkt, daß es mit Kameraden nichts zu tun hat, so hat er ein Interesse daran, es fortzubringen. Wie ein Postbote, der Briefkasten zu leeren hat, sich gewiß nicht darüber freut, daß plötzlich noch ein neuer Kasten in seinem Revier aufgestellt wird, so kann es dem Wildhunde gewiß keine Freude machen, daß durch die Tätigkeit des Menschen ein neuer auffallender Gegenstand im Revier liegt, den er jedesmal aufsuchen und beriechen müßte. Deshalb schleppt er den gefundenen Gegenstand ins Gebüsch oder in seine Höhle. Denn dann sind sie keine auffallenden Dinge mehr. Die bloße Anwesenheit des Menschen hat also störend in die Gewohnheiten des Wildhundes eingegriffen. Deshalb werden seine Spuren beseitigt. Aus ähnlichen Gründen suchen Elefanten die in ihrem Gebiete aufgestellten Telegraphenstangen umzustürzen.
Unser Haushund apportiert also gern, weil 1. jedes Raubtier seinen Jungen Beute zuträgt, also an Apportieren gewöhnt ist, 2. im besonderen Wölfe und Wildhunde ungenießbare Gegenstände fortzutragen pflegen.
Hiermit steht auch im Zusammenhange, daß gerade der Windhund am schlechtesten apportiert. Denn die Störung der Post hat nur einen Sinn für die Nasentiere. Der Windhund war zwar ursprünglich ebenfalls Nasentier und gebraucht die Nase auch heute noch häufig. Aber er kann keine Fährte mit ihr halten wie die andern Hunde. Auch spielt bei ihm, dem schnellfüßigsten aller Geschöpfe, ein kleiner Umweg keine Rolle.
Da die meisten Vögel ihren Jungen Futter bringen, so lernen sie gewöhnlich das Apportieren leicht. Besonders Papageien leisten auf diesem Gebiete Hervorragendes. Daß der Jagdhund selbst seine Beute freudig apportiert und nicht »anschneidet«, beruht darauf, daß er keinen Hunger zu leiden braucht und mit rohem Wild nicht gefüttert wird. Auch der zahme Fischotter, der niemals Fische erhält, apportiert gern. Der Durchschnittsdeutsche rührt ja ebenfalls die frühere Lieblingsspeise der Germanen, das Pferdefleisch, nicht mehr an, seitdem ihm durch die Erziehung der Geschmack daran verekelt ist. Wenigstens war das vor dem Kriege der Fall.
Beim Apportieren handelt es sich also keineswegs um eine vom Menschen anerzogene Eigenschaft, ebensowenig beim Hüten der Schafe durch Schäferhunde, worauf man sich so häufig beruft. Das Umkreisen der Pflanzenfresser ist nämlich eine uralte Gewohnheit der Wölfe, denen die Schäferhunde auffallend gleichen. Wie Franklin schildert, sucht ein Wolfsrudel durch teilweises Umkreisen Hirsche und Renntiere über Abhänge zu drängen, um die abgestürzten Tiere zu verspeisen. Daß also das Apportieren der Hunde keine erworbene Eigenschaft ist, dürfte überzeugend nachgewiesen sein. Das gleiche gilt vom Hüten der Schafe.