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I. Mythe, Märchen, Zauber.
Dies Lied, vor 3–400 Jahren niedergeschrieben, entstammt wahrscheinlich dem 12. Jahrh., doch dürfte das Motiv noch weit älter sein und der heidnischen Vorzeit angehören und sowohl Germanns Mutter als seine Braut als Walküren gedacht sein.
Der König und die junge Königin
Bereden es hin und her,
Eine Schiffahrt soll das geben
Hin über das salzige Meer.
– Und so fliegt er über den Rhein.
So segeln sie denn beide
Wohl über das Meer so weit,
Daß sie nicht daheim geblieben,
Ward ihnen zu großem Leid.
Ganz nah schon wieder dem Lande,
Das Schiff auf einmal stund,
Ein wilder Nachtrab' geflogen kam,
Wollt' es senken auf den Grund.
Im Schiff geht die Königin auf und ab
Und die weißen Hände sie ringt:
»Ist niemand denn in der weiten Welt,
Der uns guten Fahrwind bringt?
Hält einer, im Wasser verborgen,
Unser gutes Schifflein fest?
Ich geb' ihm beides, Silber und Gold,
Wenn er Fahrwind wehen läßt.
Hör' es, Nachtrabe, du wilder,
Senkst du uns nicht auf den Grund,
Dann geb' ich dir beides, Silber und Gold,
Wohl fünfzehn gewogene Pfund!«
– »Was acht' ich Silber, was acht' ich Gold?
Ich begehre andere Gaben:
Was unter deinem Gürtel du birgst,
Das will ich von dir haben.
Was soll mir Silber, was soll mir Gold?
Das mag mich wenig scheren:
Nur was du unter dem Gürtel birgst,
Stillt einzig mein Begehren.«
– »Was ich trage unter dem Gürtel mein,
Das will ich gern dir geben,
Wofern du nur mich ziehen läßt
Und gönnest mir das Leben.
Ich berge ja nichts unterm Gürtel,
Als nur die Schlüsselein hier,
Komm' ich nur lebend zu Lande,
Laß' ich andre schmieden mir.«
Sie zog heraus die Schlüsselein
Und warf sie über Bord,
Fort da der wilde Nachtrab' flog
Und nahm sie freudig beim Wort.
Gleich wehte der Wind, gleich glitt das Schiff,
Und sie segelten so ans Land –:
Da lagen, als aus dem Schiff sie trat,
Ihre Schlüsselein auf dem Sand.
Die Königin geht auf dem weißen Strand,
Da ward ihr großer Kummer:
Sie spürte ein Kindlein ruhen
Unterm Herzen in süßem Schlummer.
Drauf währt' es nicht so lange,
Nach der Monde fünfen geschah's,
Daß eines Kindleins die Königin,
Eines holden Knaben genaß.
Einst abends ward er geboren
Und getauft schon vor dem Morgen,
Sie nannten ihn Germann den fröhlichen Helden
Und hielten ihn wohl geborgen.
Sie pflegten sein getreulich,
Neun Winter mocht' es geschehn:
Er ward der herrlichste Bursche,
Den Menschenaugen gesehn.
Und wie er wuchs, so er gedieh,
Sein Roß, wie thät er's reiten!
Doch so oft seine liebe Mutter ihn sah,
War sie in Sorg' und Leiden.
Ja, sie, sein liebes Mütterlein,
Hatte froher Tage keinen,
So oft ihre Augen ihn sahen,
Mußte bittere Thränen sie weinen.
»Hört doch, mein liebes Mütterlein,
Vertraut mir euer Weh!
Was weint Ihr doch so bitterlich,
So oft ich vor euch steh'!«
– »Ich muß wohl um dich weinen,
Um dich wohl tragen Leid:
Du wurdest, noch so klein, so klein,
Dem Trollen schon geweiht.«
– »Hört das, mein liebes Mütterlein,
Mögt euer Leid nur linden,
Was Glücks der Herrgott mir geben will,
Das werd' ich wohl schon finden.
Hört das, mein liebes Mütterlein,
Um mich sollt Ihr nicht leiden,
Gebt aber lieber mir Sattel und Roß
Und laßt außer Landes mich reiten.«
Groß Freude herrscht am Königshof,
Groß Freude rings im Land,
War ja doch Germann der fröhliche Held
Geworden nun zum Mann.
Die Königin sitzt in der Kammer
Und säumt den weißen Lein,
Doch Germann sitzt im Saale
Und trinkt den klaren Wein.
Als fünfzehn Jahr er zählte,
Mocht's ihm zu freien gefallen
Des Königs Tochter von Engeland,
Die schönste Jungfrau von allen.
Er freit um die schöne Adelutz,
Sie war wie die Ros' im Garten;
So oft ein Tag im Osten stieg,
Thät sie ihn auch erwarten.
– So fliegt er über den Rhein.
Es war an einem Donnerstag,
Der Morgen war herbstlich still,
Die Thür stand offen zur Kemenat,
Da tönt' eine Stimme schrill.
Und es trat herein der wilde Nachtrab'
Nahm Platz zur Seiten der Frau:
»Wie ich euch diente, Geliebteste,
Denkt ihr noch dessen genau?
Denkt Ihr auch dessen, Geliebteste,
Was Ihr mir thätet zusagen?
Mein solle sein das kleine Ding,
Das Ihr unterm Gürtel getragen?
Denkt Ihr noch dessen, Geliebteste,
Wie aus Nöten ich frei euch gemacht?
Wo ist denn nun das holde Kind,
Das Ihr zur Welt gebracht?«
Sie schwur bei Gott, den Heil'gen, bei allem,
Was nur mit Namen man nenne,
Daß in der ganzen weiten Welt
Weder Sohn noch Tochter sie kenne.
Von hinnen flog da der wilde Rab',
Ließ gellenden Schrei erschallen:
»Wo ich Germann den fröhlichen Helden nun find',
Da ist er mir verfallen!«
– So fliegt er über den Rhein.
So stand es in fünfen der Winter –
Der eine ging, der andre kam –
Stolz Adelutz sitzt in England
Und harrt auf den Bräutigam.
– So fliegt er über den Rhein.
Doch ist er auch voll Sehnens
Nach seiner fernen Braut,
Er darf weder segeln noch rudern
Uebers Meer, das weithin blaut.
Herein trat Germann der fröhliche Held
Im scharlachroten Kleid:
»Lieb Mutter, leiht mir ein Federgewand.
Ich fliege zu meiner Maid.
Leiht mir nur euer Federgewand,
Geliebtes Mütterlein!
Denn fliegen will ich wohl über den Rhein,
Hin zur Geliebten mein.« –
– »Mein Federkleid hängt im Frauensaal,
Die Federn verschlissen gar sehr:
Ach, fliegst du fort erst über den Rhein,
Seh' ich dich nimmermehr.
Es sind so breit die Schwingen,
Sie tragen von Land zu Land:
Leb' ich bis an den Sommer,
Schaff' ich mir ein neues Gewand.«
– »Willst du mir nicht leihen dein Federkleid,
Mit ihm mich wohl zu kleiden,
Dann hiss' ich Segel in hoher Rah',
Die Wellen zu durchschneiden.«
– »So nimm denn hin mein Federgewand
Und flieg' hin über das Meer!
Begegnet dir aber der Nachtrab',
Ist's auf Nimmerwiederkehr.«
– »Begegnet mir auch der Nachtrab',
Zurück ich dennoch finde;
Bei den Heiligen, liebe Mutter,
Fort muß ich, und geschwinde!«
Er setzte sich dann in das Federgewand
Und breitete aus seine Schwingen,
Wieder saß seine liebe Mutter
Und ließ die Thränen rinnen.
Er setzte sich in das Federgewand,
An den Wolken entlang er flog,
Bitterlich weinte sein Mütterlein,
Als sie Gutenacht ihm bot.
Er flog wohl hin, er flog wohl her,
Daß die höchste Höh' er erklimme,
Doch als er war überm wilden Meer,
Vernahm er des Nachtraben Stimme.
»Willkommen, Germann, du fröhlicher Held,
Ich harre schon lange dein;
Als dich deine Mutter mir einst versprach,
Da warst du noch winzig klein.
Willkommen, Germann, du fröhlicher Held,
Wo bist du so lang' nur gewesen?
Du warst schon, ehe zur Welt du kamst,
Zu eigen mir erlesen.«
– »O laß mich fliegen, laß fahren mich
Zum Herzlieb frank und froh;
Sobald zurück ich kehre,
Finden wir uns irgendwo.«
– »Dann will ich dich aber zeichnen,
Dich zu kennen jederzeit,
Und daß du mein nicht vergessest,
Du fahrest wohin und wie weit.«
Aus hieb ihm der Rabe das rechte Aug',
Trank halb sein Herzensblut,
Und dann flog Germann zur Jungfrau,
Denn sein Wille war so gut.
Er setzte sich auf das Fenstersims,
Er war so blutig, so bleich,
Die lustigen Mägdlein im Frauensaal
Verstummten allsogleich.
Und die Mägdlein all im Frauensaal,
Lust und Laune sie vergaßen;
Auf stand die schöne Adelutz,
Sie erschrak wohl über die Maßen.
»Willkommen, Germann, du fröhlicher Held,
Wo warst du? o sag' es sogleich!
Was sind deine Kleider so blutig?
Was sind deine Wangen so bleich?«
– »Lebt wohl nun, schöne Adelutz,
Muß wieder fort zum Raben:
Der mein Aug' ausriß, der mein Herzblut trank
Will den jungen Leib auch haben.«
Und da sie ihn hatte gar so lieb,
Schön Adelutz dies that:
Ein Bad ließ sie ihm bereiten,
Ihn bedient sie selber hat.
Dann nahm sie einen silbernen Kamm
Und kämmte sein goldenes Haar;
Für jede Locke, die sie gestrählt,
Vergoß sie Thränen klar.
Ein Horn nahm sie alsdann von Gold
Und füllt' es mit klarem Wein:
»Nun leere ich den letzten Kelch
Mit dem Allergeliebtesten mein!«
Das war jung Germann der fröhliche Held,
Die Wangen strich er ihr lind:
»Weint nicht, geliebteste Adelutz,
Seinem Schicksal keiner entrinnt.«
Sprach das die schöne Adelutz,
Die ihn umfangen thät:
»Verflucht sei jede Mutter,
Die so ihr Kind verrät!«
– »Verwünscht nur, schöne Adelutz,
Mein liebes Mütterlein nicht;
Sie hat es ja doch nicht
gewollt,
Daß so traurig mein Geschick.«
Er setzte sich in sein Federkleid,
Flog hin an den Wolken so hoch;
Sie hüllte sich in ein andres,
Und eilends ihm nach sie flog.
»Kehrt um, geliebte Adelutz,
O kehret wieder heim!
Eure Kammerthür steht ja offen,
Auf dem Stein liegt das Schlüsselein.«
– »Steht meine Thür auch offen,
Liegt mein Schlüssel auch auf dem Steine,
Dennoch werd' ich euch folgen,
Euer Los sei auch das meine!«
Sie setzte sich in ihr Federkleid,
Flog mit in die Wolken hinein:
Alle Vöglein, die sie sahe,
Zerschnitt sie in Stückchen klein.
Er flog wohl hin, er flog wohl her,
Die Wolken hingen so dicht,
Da dunkelte es mehr und mehr,
Sie verlor ihn aus dem Gesicht.
Alle Vöglein, die ihr begegneten,
Zerschnitt sie zu kleinen Stücken,
Doch den wilden Nachtrab' zu fangen,
Das wollt' ihr nimmer glücken.
Das war die Jungfrau Adelutz,
Sie flog hinab zum Strand,
Dort war nicht Germann der fröhliche Held,
Seine rechte Hand nur sie fand.
Da flog sie ergrimmt zu den Wolken hinan,
Sie flog nach allen Winden,
Zu treffen den wilden Raben,
Von ihr sollt' den Tod er finden.
Die Vöglein, die ihr begegneten,
Hat sie in Stücke zerschnitten,
Und als sie den wilden Nachtraben traf,
Durchschnitt sie ihn in der Mitten.
Und sie zerrt' ihn hin und sie zerrt' ihn her,
Bis erschöpft sie war und tot,
Und Germann war es, der fröhliche Held,
Um den sie litt Angst und Not.
– So fliegt er über den Rhein.