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XV. Wilhelm Scherenschleifer grüßt den Magister Ortuin.

Ich wundere mich sehr, ehrwürdiger Mann, warum Ihr mir nicht schreibet: und doch schreibet Ihr anderen, die Euch nicht so oft schreiben, wie ich es tue. Wenn Ihr mein Feind seid, und mir nicht mehr schreiben wollt, so schreibt mir wenigstens, warum Ihr mir nicht mehr schreiben wollt, damit ich weiß, warum Ihr mir nicht schreibet, da ich ja doch immer an Euch schreibe, wie ich denn auch jetzt an Euch schreibe, obgleich ich weiß, daß Ihr mein Schreiben nicht beantworten werdet. Gleichwohl aber bitte ich Euch von ganzem Herzen, Ihr wollet mir doch schreiben, und wenn Ihr mir einmal geschrieben habt, so will ich Euch zehnmal schreiben, weil ich meinen Freunden gern schreibe, und will mich im Schreiben üben, so daß ich zierliche Aufsätze und Briefe schreiben kann. Ich kann mir nicht denken, was der Grund ist, daß Ihr mir nicht schreibet. Auch beklagte ich mich unlängst, als einige Kölner hier waren, und frug: »was macht doch Magister Ortuin, daß er mir nicht schreibt? Er schrieb mir in zwei Jahren nicht; saget ihm doch, daß er mir schreibe, da ich Briefe von ihm gerner lesen möchte, als Honig essen, und er einst mein Hauptfreund war.« Auch frug ich, wie es Euch in jenem Streite mit Dr. Reuchlin gehe? Da sagten sie, jener Jurist wisse Euch mit seinen Kniffen an der Nase herumzuführen. Auf dies äußerte ich den Wunsch, der Herr wolle Euch seine Gnade verleihen, auf daß Ihr den Sieg davontraget. Wenn Ihr mir schreiben wollt, so müßt Ihr mir auch darüber schreiben, weil ich es gerne wissen möchte. jene Juristen laufen hier herum und sagen: »Dr. Reuchlins Geschäft steht gut, und die Theologen in Köln haben ihm unrecht getan.« Und bei Gott! ich fürchte, die Kirche könne in ärgerliche Widerwärtigkeiten kommen, wenn jenes Buch, genannt »Augenspiegel« nicht verbrannt wird, weil es Schmähsätze enthält und wider den katholischen Glauben ist. Und wofern jener Jurist nicht zum Widerrufe gezwungen wird, werden andere es auch versuchen, in der Theologie so zu schreiben, obgleich sie es nicht verstehen und keine Studien auf der Bahn eines Thomas, oder eines Albertus und Skotus gemacht haben, und auch nicht durch die Gnade des heiligen Geistes im Glauben erleuchtet sind. Ein jeglicher muß bei seinem Fache bleiben und die Sichel nicht in die Ernte des anderen bringen: der Schuster ist Schuster, der Schneider ist Schneider, der Schmied ist Schmied. Es würde auch nicht gut stehen, wenn der Schneider Schuhe oder Pantoffeln machen wollte. Ihr müßt Euch und die Theologie mutig verteidigen, und auch ich will Gott für Euch bitten, daß er Euch seine Gnade verleihen und Euern Verstand erleuchten wolle, wie er den alten Vätern getan hat, damit nicht der Teufel samt seinen Dienern die Oberhand über die Gerechtigkeit bekomme. Aber schreibet mir doch, bei Gott, wie es mit Euch steht; Ihr macht mir große Angst und habt es doch nicht nötig. Doch, für jetzt empfehle ich Euch Gott dem Herrn. Gehabt Euch wohl in Christo!

Gegeben zu Frankfurt.


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