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Abseits des Albdorfs Auingen ragt hart an den Grenzen des heutigen Truppenübungsplatzes ein runder Bergkopf auf: die Reichenau. Hier stund vor Zeiten ein Schloß, und noch sieht man Brunnen und Wälle und Mauern. Da liegt hundert Klafter unter den Ruinen ein ungeheuer reicher Schatz, in einem goldenen Kessel geborgen. Alle fünfhundert Jahre einmal wird ein Mensch geboren, der kann den Schatz heben, wenn er mutig genug dazu ist. Gelegenheit dazu hatte einmal der Hirte von Heroldstatt. Der weidete eines Tages seine Herde am Fuße der Reichenau. Als er nun gegen den Abend eintreiben wollte, vermißte er ein junges Rind, und nach einigem Suchen hörte er es oben auf der Reichenau brüllen. Er stieg den Berg hinan und war schon nahe dem Gipfel desselben, als mit einemmal eine wunderliebliche, aber seltsam gekleidete Jungfrau vor ihm stand und zu ihm sprach: »Du lieber Trautgesell, du kommst zur rechten Stunde her; wisse, daß du berufen bist, den vergrabenen Schatz unter deinen Füßen zu heben, du bist dann mit eins der reichste Mann weitum im Fleinsgau.« Der Hirte erschrak zuerst über der seltsamen Erscheinung, aber er faßte Mut und besprach sich mit der Jungfrau. Er vernahm, daß er von heute in vierzehn Tagen, wenn der Vollmond am Himmel stehe, wieder auf diesem Platz sich einfinden solle. »Und zwei Priester nimm' mit dir, die müssen die Beschwörung sprechen,« sagte die Jungfrau. »Ihr werdet den Schatz in güldenem Kessel auf dem Gipfel des Berges funkeln sehen. Alsdann schreitet hinzu und laßt euch nicht irren. Was auch immer euch in den Weg träte, und sähe es noch so schrecklich aus, es kann euch nicht schaden. Greifet nur kecklich in den Goldhaufen ein, und er ist euer für immer. Aber wenn ihr euch schrecken lasset und feig die Flucht ergreifet, wehe dann mir! Abermals muß ich dann 500 Jahre verzaubert sein und kann die ewige Ruhe nicht finden. Deshalb erbarme dich meiner, wie du willst, daß Gott sich deiner erbarme!« In diesen letzten Worten zitterte eine solche Fülle des Jammers, daß der Hirte versprach, die Pein der Jungfrau zu lindern und nach vierzehn Tagen in der Vollmondnacht zu kommen und den Schatz zu heben. Dann zerfloß die holde Erscheinung der Jungfrau wie ein Nebelwölkchen im Frühlicht, und im selbigen Augenblick kam das gesuchte Rind aus dem Gebüsch gesprungen und folgte seinem Leiter willig den Berg hinab.
Am andern Tag lief der Hirte zum Priester von Münsingen, welcher ein rechtschaffen frommer Mann war, und erzählte ihm alles, was er auf Reichenau gesehen und gehört hatte. Der Mann Gottes beschloß, hilfreiche Hand zu bieten, weil es sich hier um einen Triumph über den Satan handle. Und er verordnete einen Amtsbruder zum Werke. Als die Vollmondnacht nun erschien, da gingen der Hirt und die Priester hinaus zur Reichenau. Eben als der Nachtwächter im nahen Auingen die elfte Stunde ausrief, stiegen sie den Berg hinan. Plötzlich rumorte es innen im Berge, und mit einemmal schoß oben auf dem Gipfel eine hohe Flamme empor. In ihrem Scheine aber glänzte ein Kessel, der war bis zum Rande mit Gold und mit Silber gefüllt. Als sie nun hinzugehen wollten, da erhub sich rings um sie her ein Geschrei von Raben und Eulen, und Fledermäuse flogen herzu, und aus dem Gebüsch wurden Knochen und Steine geschleudert, und grinsende Schädel kollerten unter ihren Füßen dahin. Aber ihre frommen Gebete bannten den Teufelsspuk, und sie drangen tapfer voran. Plötzlich verfinsterte sich der Himmel, der eben noch voll Mondlicht gewesen, und der Berg erbebte, und ein schreckliches Unwetter tobte. Blitze fielen gleich feurigen Lanzen hernieder, und schauerlich knallten die Donner im nächtlichen Wald. Und jetzt stürzten grausige Tiere aus Busch und Felsenspalt und drohten, jeden zu töten, der näher käme. Aber die Dreie achteten das nicht. Sie schritten herzhaft auf den funkelnden Kessel zu, und jetzt waren sie oben. Eben wollte der Hirte vortreten, um, wie ihm die Jungfrau geboten, einen Griff in den Kessel zu tun. Da öffnete sich, von unsichtbarer Hand gespalten, die Erde, und dem Boden entstieg scheußliches Gewürme, und Raubtiere fletschten die Zähne, und ein abscheulicher Gestank erfüllte die Luft, also daß es nicht möglich war zu atmen. Da wandte sich der Hirte, und als er sah, wie die Priester in eiliger Flucht davonliefen, erfaßte ihn ebenfalls jähes Entsetzen, un er lief nun auch den Abhang hinunter. Die Jungfrau aber ermahnte mit jämmerlichem Bitten zum Ausharren; umsonst, die Männer kehrten nimmer um. Erst als der Lärm um sie her verstummt war, da faßten sie soviel Mut, rückwärts zu schauen. Und siehe, um den Gipfel der Reichenau zog ein flammender Schein, und eine tiefe Spalte klaffte im Berg, und der goldene Kessel verschwand eben in der Tiefe. Aus dem Walde aber hörte man ein ohrenbetäubendes Lachen, das Hohngelächter der Hölle; Satans Künste hatten wieder einmal über der Menschen Furcht gesiegt. Seit der Zeit haben's die Leute noch oftmals unternommen, den Goldkessel der Reichenau zu heben, aber keinem ist es gelungen, auch den Schatzgräbern nicht, die im Jahre 1818 durch Monden hindurch nächtlicherweile an diesem Ort ihr Glück versucht haben.
(E. Schnerring.)