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Meine erste Begegnung mit Cherubini. Er jagt mich aus der Bibliothek des Konservatoriums.
Als Lesueur meine harmonischen Studien weit genug vorgeschritten sah, wollte er meine Stellung regeln und mich in seine Klasse am Konservatorium eintreten lassen. Er sprach darüber mit Cherubini, der damals Direktor der Anstalt war, und ich ward zugelassen. Zum guten Glück wurde bei dieser Gelegenheit nicht von mir verlangt, mich dem furchtbaren Komponisten der Medea vorzustellen, denn im Jahre vorher hatte ich ihn in bleiche Wut versetzt unter folgenden Umständen, die er nicht vergessen haben konnte.
Kaum war Cherubini, an Stelle des gerade verstorbenen Perne, zur Leitung des Konservatoriums gelangt, so wollte er seiner Würde durch unerhörte Strenge in der inneren Verwaltung der Schule Ausdruck geben, wo der Puritanismus nicht gerade an der Tagesordnung war. Um Zusammenkünfte von Schülern beiderlei Geschlechts außerhalb der Aufsicht ihrer Lehrer unmöglich zu machen, ordnete er an, die Männer sollten durch das Portal vom Faubourg Poissonnière aus, die Schülerinnen durch das an der Rue Bergère gelegene eintreten; die beiden Eingänge befanden sich an zwei entgegengesetzten Seiten des Gebäudes.
Als ich mich eines Morgens nach der Bibliothek begab, ohne Kenntnis des moralischen Erlasses, der gerade bekannt gegeben war, trat ich nach meiner Gewohnheit durch das Portal an der Rue Bergère, durch die jungfräuliche Pforte, ein, und hatte fast die Bibliothek erreicht, als mich ein Diener mitten im Hofe anhielt und mich veranlassen wollte, umzukehren und dann durch die männliche Pforte an derselben Stelle wieder zu erscheinen. Ich fand diese Zumutung so lächerlich, daß ich den Argus in Livree seines Weges gehen hieß und meinen Weg fortsetzte. Der drollige Kauz wollte sich bei seinem neuen Herrn in Gunst setzen dadurch, daß er sich ebenso streng gebärdete, als er. Er hielt sich denn auch nicht für geschlagen, sondern beeilte sich, den Vorfall dem Direktor zu melden. Ich war schon seit einer Viertelstunde in die Lektüre der Alceste vertieft und dachte nicht mehr an den Zwischenfall, als Cherubini, gefolgt von meinem Denunzianten, den Lesesaal betrat, mit noch leichenhafterem Gesicht, noch mehr gesträubtem Haar, noch tückischeren Augen, noch ungleicheren Schritten als sonst. Sie gingen rund um den Tisch, an dem verschiedene Leser gestützten Hauptes saßen; nachdem sie alle der Reihe nach gemustert waren, blieb der Diener vor mir stehen und rief: »Da ist er!« Cherubini war so wütend, daß er einen Augenblick kein Wort hervorbringen konnte. »Ah, ah, ah, ah! Sie sinde das!« sagte er schließlich mit seinem italienischen Akzent, der seine Wut noch komischer machte, »das sinde Sie, die 'ier kommen durch den Heingang, den-den-den ich verboten 'abe!« – »Herr Direktor, ich kannte Ihr Verbot nicht, ein andermal werde ich mich danach richten.« – »Eine handere mal! Eine handere mal! Was-was-was wollen Sie 'ier?« – »Ich will hier die Partituren von Gluck studieren, wie Sie sehen.« – »Unde was 'aben, was-was-was 'aben sie diese Partituren für heine Bedeutung für Sie? Unde wer 'at Ihnen erlaubte, zu kommen in-in-in die Bibliothek?« – »Herr Direktor (ich begann meine Kaltblütigkeit zu verlieren), die Partituren von Gluck gehören zum Schönsten, das ich an Opernmusik kenne, und ich brauche, um sie hier zu studieren, keinen Menschen um Erlaubnis zu fragen. Von zehn bis drei Uhr ist die Bibliothek des Konservatoriums dem Publikum geöffnet, und ich habe das Recht, Gebrauch davon zu machen.« – »Das-das-das Rechte?« – »Jawohl!« – »Unde ich, ich verbiete Ihnen, noch heinmal 'ier'er zu kommen!« – »Trotzdem werde ich wiederkommen.« – »W-w-i-wie-wie 'eißen Sie?« schreit er nun, zitternd vor Zorn. Und ich, meinerseits erbleichend: »Herr Direktor, mein Name wird Ihnen vielleicht eines Tages bekannt sein, aber für heute ... sollen Sie ihn nicht erfahren!« – »'alt, 'a-a-alt ihn hauf, Hottin! (so hieß der Diener), da-da-damit ich hihn festenehmen kann!« Darauf begannen sie, Herr und Knecht, zum großen Erstaunen der Anwesenden, mich rund um den Tisch zu verfolgen, Sessel und Lesepulte umwerfend, ohne mich zu erwischen; schließlich entschlüpfte ich und rief hell auflachend meinen Verfolgern die Worte zu: »Ihr kriegt weder mich noch meinen Namen, aber bald komme ich zurück und studiere wieder die Partituren von Gluck!«
So verlief meine erste Begegnung mit Cherubini. Ich weiß nicht, ob er sich daran erinnerte, als ich ihm später auf »offiziellere« Weise vorgestellt wurde. Jedenfalls ist es spaßig, daß ich, nach zwölf Jahren und ihm zum Trotz, Kustos und schließlich Bibliothekar derselben Bücherei geworden bin, aus der er mich hatte verjagen wollen. Was Hottin betrifft, so ist er heute mein Orchesterdiener, von größter Ergebenheit und der wütigste Parteigänger meiner Musik; er behauptete sogar während Cherubinis letzten Lebensjahren, nur ich komme als Nachfolger des großen Meisters für die Direktion des Konservatoriums in Betracht. Herr Auber war hierin nicht seiner Ansicht.
Ich habe noch andere ähnliche Anekdoten von Cherubini zu erzählen, aus denen man ersieht, daß, wenn er mir gleich Nattern auftischte, ich ihm dafür mit einigen Klapperschlangen diente, deren Bisse er gespürt hat.