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Die akademischen Pensionäre. Felix Mendelssohn.
Man hatte gerade Ave Maria geläutet, als ich am Tor der Akademie aus dem Wagen stieg; es war die Stunde der Hauptmahlzeit. So ließ ich mich denn eilends nach dem Speisesaal führen, wo, wie man mir sagte, alle meine neuen Kameraden versammelt waren. Da meine Ankunft in Rom sich aus verschiedenen Gründen, wie schon gesagt, verzögert hatte, so wartete man nur noch auf mich, und kaum hatte ich den Saal betreten, wo rund um einen wohlgedeckten Tisch etwa zwanzig Gäste geräuschvoll tafelten, als sich bei meinem Anblick ein Hallo erhob, das die Scheiben gesprengt hätte, wenn solche vorhanden gewesen wären.
– »Oh! Berlioz! Berlioz! Oh, dieser Kopf! Oh, was für Haare! Oh, welche Nase! Sag selbst, Jalay, er schlägt die deinige um einige Längen!«
– »Und dich, dich deckt er glatt zu mit seinen Haaren!«
– »Alle Wetter, welch ein Schopf!«
– »He, Berlioz! Kennst du mich nicht? Erinnerst du dich der Institutssitzung, deiner verdammten Pauken, die im ›Sardanapal‹ bei der Feuersbrunst nicht einsetzten? War der wütend! Aber wahrhaftig, es lohnte auch! Nun, erkennst du mich immer noch nicht?«
– »Ich entsinne mich Ihrer wohl, aber Ihr Name ...«
– »Ach, schau! Er sagt ›Sie‹ zu mir ... Du zierst dich, mein Alterchen; hier duzt sich alles gleich.«
– »Also! wie heißt du?«
– »Er heißt Signol.«
– »Noch besser Rossignol (Nachtigall).«
– »Schlecht, schlecht der Kalauer!«
– »Scheußlich.«
– »Laß ihn doch Platz nehmen!«
– »Wen? Den Kalauer?«
– »Nein, Berlioz.«
– »He, Fleury! Bringen Sie uns Punsch ... und zwar den berühmten; das wird besser sein, als die Dummheiten dieses Schlaukopfs.«
– »Endlich ist unsere Musikabteilung vollzählig beisammen!«
– »He, Montfort Komponist, Laureat des Instituts, der vor mir in Rom eintraf. Die Akademie, die 1829 keinen ersten Preis verliehen hatte, bewilligte 1830 deren zwei. Montfort bekam also einen zweiten ersten Preis, der ihm Anspruch auf eine Pension von vier Jahren gab., da ist dein Kollege!«
– »He, Berlioz! Da ist ton fort!«
– » C'est mon fort!«
– » C'est son fort.«
– » C'est notre fort.«
– »Umarmt euch.«
– »Umarmen wir uns.«
– »Sie sollen sich nicht umarmen!«
– »Doch, sie sollen sich umarmen!«
– »Nein, sie sollen sich nicht umarmen!«
– »Ja!«
– »Nein!«
– »Ach, sehr gut! Während sie schreien, ißt du alle Makaroni auf! Sei so gut und laß mir ein bißchen über!«
– »Schön! Umarmen wir uns und laßt gut sein!«
– »Nein, laßt uns anfangen! Da kommt der Punsch! Laß deinen Wein stehen.«
– »Nein, keinen Wein mehr.«
– »Nieder mit dem Wein!«
– »Zerbrechen wir die Flaschen! Achtung, Fleury!«
– »Pink, pank!«
– »Meine Herrn, lassen Sie wenigstens die Gläser ganz, wir brauchen sie für den Punsch: ich denke doch, Sie wollen ihn nicht aus kleinen Gläsern trinken.«
– »Pfui Teufel: aus kleinen Gläsern!«
– »Nicht schlecht, Fleury, die Bemerkung war am Platze! Ohne sie wäre das Unheil geschehen.«
Fleury heißt das Faktotum des Hauses. Diesem wackeren Manne, der des Vertrauens, das ihm die Direktoren der Akademie entgegenbringen, in jeder Hinsicht so würdig ist, liegt es seit langen Jahren ob, die Pensionäre bei Tisch zu bedienen; er hat so viele Szenen der eben beschriebenen Art gesehen, daß er nicht mehr darauf achtet und in solchen Fällen einen eisigen Ernst bewahrt, der wahrhaft ergötzlich von jenen absticht. Als ich mich ein wenig von der Betäubung erholt hatte, in die mich ein solcher Empfang stürzen mußte, bemerkte ich, daß der Saal, in dem ich mich befand, den wunderlichsten Anblick bot. An der einen Wand befinden sich die eingerahmten Porträts der alten Pensionäre, etwa fünfzig an der Zahl; auf der andern, die man nicht ansehen kann, ohne zu lachen, prangt in erschrecklichen Fresken natürlicher Größe eine Reihe von Karikaturen, deren groteske Ungeheuerlichkeit sich nicht beschreiben läßt. Die Originale haben allesamt die Akademie bewohnt. Leider mangelt heute der Platz, die seltsame Galerie fortzusetzen, und die Neuangekommenen, deren Äußeres zur Karikierung herausfordert, können zu den Ehren des großen Saales nicht mehr zugelassen werden.
Nach Begrüßung des Herrn Vernet folgte ich noch am selben Abend meinen Kameraden zu ihrem gewohnten Treffpunkt, dem berühmten Café Greco. Das ist so ziemlich die elendeste Bude, die sich finden läßt: ein dunkler, feuchter Raum, dessen Bevorzugung durch die in Rom ansässigen Künstler aller Nationen in keiner Weise zu rechtfertigen ist. Aber seine Nachbarschaft mit dem spanischen Platz und dem gegenüberliegenden Restaurant Lepri führt ihm Kunden in beträchtlicher Anzahl zu. Die Zeit wird dort mit Rauchen greulicher Zigarren totgeschlagen und mit Trinken von Kaffee, der kaum besser ist, und den man nicht etwa auf Marmortischen serviert, wie sonst überall, sondern auf kleinen hölzernen Leuchterstühlen, so breit, wie das Oberteil eines Hutes, und schwarz und klebrig, wie die Wände des anmutigen Orts. Trotzdem ist das Café Greco so besucht von fremden Künstlern, daß sich die meisten ihre Briefe dorthin adressieren lassen, und daß die Ankömmlinge, wenn sie Landsleute finden wollen, nichts besseres tun können, als dorthin zu gehen.
Andern Tages lernte ich Felix Mendelssohn kennen, der seit einigen Wochen in Rom weilte. Ich werde in meiner ersten »Reise nach Deutschland« von dieser Begegnung und den daraus folgenden Begebenheiten berichten.