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31.

Ich gebe mein zweites Konzert. Die phantastische Sinfonie. Liszt besucht mich. Beginn unserer Beziehungen. Die Pariser Kritik. Ein Wort Cherubinis. Abreise nach Italien.

 

Trotz meiner inständigen Bitten, die ich an den Minister des Innern um Dispens von meiner italienischen Reise richtete, zu der mich die Eigenschaft eines Laureaten des Instituts verpflichtete, mußte ich meine Abreise nach Rom rüsten.

Gleichwohl wollte ich Paris nicht verlassen, ohne meine Kantate Sardanapal öffentlich aufgeführt zu haben, deren Schluß bei der Preisverteilung verdorben worden war. Ich gab deshalb ein Konzert am Konservatorium, wo das akademische Werk neben der noch nie gehörten phantastischen Sinfonie figurierte. Habeneck nahm sich der Leitung des Konzertes an, für das mir alle Mitwirkenden mit einer Bereitwilligkeit, für die ich nicht dankbar genug sein kann, zum drittenmal ihre Kräfte umsonst zur Verfügung stellten.

Am Vorabend dieses Tages besuchte mich Liszt. Wir kannten uns noch nicht. Ich sprach mit ihm über Goethes »Faust«, den er, wie er mir gestand, noch nicht gelesen hatte, und für den er sich nachher sehr bald ebenso begeisterte, als ich. Wir empfanden lebhafte Sympathie füreinander, und seit der Zeit hat sich unser Verhältnis stets intimer gestaltet und befestigt.

Er wohnte dem Konzert bei, wo er dem ganzen Auditorium durch Beifallklatschen und begeisterte Kundgebungen auffiel. Die Aufführung war zweifellos nicht einwandfrei; man kann bei so komplizierten Werken mit nur zwei Proben eine vollkommene nicht erzielen. Jedenfalls genügte das Ensemble, um die Hauptzüge hervortreten zu lassen. Drei Sätze der Sinfonie: »Der Ball«, »Der Gang zum Hochgericht« und der »Hexensabbath« machten großes Aufsehen. Namentlich der »Gang zum Hochgericht« brachte alles außer Rand und Band. Die »Ländliche Szene« tat nicht die geringste Wirkung. Allerdings glich sie kaum dem, was sie heute ist. Ich faßte alsbald den Entschluß, sie umzuarbeiten, und F. Hiller, der damals in Paris lebte, gab mir ausgezeichnete Ratschläge nach dieser Richtung, aus denen ich versuchte, Nutzen zu ziehen.

Die Wiedergabe der Kantate war gut; der Brand brach aus, der Zusammenbruch fand statt und der Erfolg war sehr groß. Nach einigen Tagen sprachen sich die Aristarchen der Presse mit Leidenschaft, die einen für, die anderen gegen mich aus. Aber anstatt daß sich die Vorwürfe der feindlichen Kritik auf die hervorstechenden Fehler der beide Werke erstreckt hätten, sehr schwere Fehler, die ich in meiner Sinfonie durch mehrjähriges Umarbeiten meiner Partitur mit aller erdenklichen Sorgfalt getilgt habe, trafen sie fast alle daneben. Bald richteten sie sich gegen ungeheuerliche Ideen, die man mir unterschob und die ich niemals gehegt, bald gegen die Härte gewisser Modulationen, die nicht vorhanden waren, gegen die grundsätzliche Mißachtung gewisser Grundregeln der Kunst, die ich treulich befolgt hatte, und gegen das Nichtvorhandensein gewisser musikalischer Formen, die an den Stellen, wo man sie leugnete, ausschließlich angewandt waren. Übrigens, muß ich gestehen, haben mir auch meine Anhänger sehr häufig Absichten untergeschoben, die ich nie gehabt, und zwar vollkommen lächerliche. Wie freigebig seit dieser Zeit die französische Kritik beim Verhimmeln oder Herunterreißen meiner Werke mit Unsinn, Narretei, ausschweifenden Ansichten, Dummheit und Verblendung gewesen ist, das übersteigt alle Begriffe. Nur zwei oder drei Männer haben von Anfang an mit weiser, verständiger Zurückhaltung von mir gesprochen. Aber die klarsehenden, unvoreingenommenen Kritiker von Verstand, Gefühl und Phantasie, die eines gesunden Urteils über mich fähig sind und die Tragweite meiner Versuche und meine Geistesrichtung wohl zu würdigen verstehen, sind heutzutage nicht leicht zu finden. Jedenfalls gab es solche in den ersten Jahren meiner Laufbahn nicht; überdies hätten ihnen die seltenen, sehr unvollkommenen Aufführungen meiner Versuche viel zu raten aufgegeben.

Alles, was es damals in Paris an musikalisch einigermaßen gebildeten jungen Leuten gab, die jenen sechsten Sinn besitzen, den man den künstlerischen nennt, verstand mich, ob sie Musiker waren oder nicht, besser und schneller als jene kühlen Prosaiker voller Eitelkeit und anmaßlicher Unwissenheit. Die Musikprofessoren, deren Werke Grenzpfählen glichen, mit denen manche meiner stilistischen Eigentümlichkeiten empfindlich kollidierten und zusammenstießen, begannen sich vor mir zu bekreuzigen. Namentlich erbitterte sie meine Pietätlosigkeit im Hinblick auf gewisse scholastische Glaubenssätze. Und Gott weiß, es gibt nichts Blutgierigeres, als solch ein Fanatismus. Man kann sich Cherubinis Zorn über die Ketzeransichten denken, die um meinetwillen entstanden, und über all den Lärm, den ich verursachte. Seine Vertrauten hatten ihm Bericht über die letzte Probe meiner »abscheulichen« Sinfonie erstattet. Am nächsten Tage ging er an der Tür des Konzertsaales vorbei, im Augenblick, als das Publikum dort einzutreten begann; jemand hielt ihn an und sagte: »Nun, Herr Cherubini, wollen Sie sich nicht die neue Komposition von Berlioz anhören?« – »Ich 'abe nichte nötig zu erfahren, wie man es nicht machen soll,« antwortete er mit dem Gebaren einer Katze, der man Senf zu fressen geben will. Noch viel schlimmer war es nach dem Erfolg des Konzerts: es schien, er habe wirklich Senf gefressen; er sprach nicht mehr, er nieste. Nach Verlauf einiger Tage ließ er mich rufen: »Sie wollen nach Italien, wie ich 'öre?« – »Ja, Herr Direktor.« – »Sie werden jetzte aus der Schülerliste des Konservatoriums gestrichen, Ihre Studien sind zu Ende. Aber es scheinte mir, daß-daß-daß Sie mir erst heine Besuch machen sollten. Man-man-man-man gehte 'ier nicht fort wie aus heine Pferdestall!« ... Ich war drauf und dran zu antworten: warum nicht, wenn man uns wie Pferde behandelt?, war aber so vernünftig, mich zusammenzunehmen und sogar unserm liebenswürdigen Direktor zu versichern, ich habe nicht daran gedacht, Paris zu verlassen, ohne mich zuvor von ihm zu verabschieden und für seine Güte zu bedanken.

Ich mußte also, wohl oder übel, meinen Kurs nach der römischen Akademie richten, wo ich Muße finden sollte, die Anmut des guten Cherubini, die spitzigen Speerstiche des »französischen Ritters« Boïeldieu, die grotesken Erörterungen der Feuilletonisten, die warmen Kundgebungen meiner Freunde, die Angriffe meiner Feinde, die musikalische Welt und selbst die Musik zu vergessen.

Diese Einrichtung hatte zweifellos im Grunde für Kunst und Künstler einen nützlichen Zweck. Es kommt mir kein Urteil darüber zu, bis zu welchem Grade die Absichten des Gründers im Hinblick auf Maler, Bildhauer, Graveure und Architekten erfüllt worden sind; was aber die Musiker betrifft, so ist die italienische Reise – obzwar der Entwicklung ihrer Phantasie förderlich durch den Schatz an Poesie, den Natur, Kunst und Erinnerung ihnen um die Wette zu Füßen breiten – zum mindesten überflüssig für sie in Anbetracht spezieller Studien, denen sie dort nachgehen könnten. Aber diese Tatsache wird deutlicher werden durch die getreue Schilderung des Lebens, das die französischen Künstler zu Rom führen. Vor ihrer Abreise dorthin verabreden sich die fünf oder sechs neuen Laureaten, um zusammen die Anstalten zur großen Reise zu treffen, die sie gewöhnlich gemeinschaftlich antreten. Ein Kutscher wird gemietet, um seine Schiffsladung großer Männer gegen eine ziemlich mäßige Summe nach Italien zu schaffen; er drückt sie in eine plumpe Kutsche, die gerade gut genug für Provinzler ist. Da er nie die Pferde wechselt, braucht er sehr lange, um durch Frankreich zu fahren, die Alpen zu durchqueren und in den römischen Staat zu gelangen; aber diese Fahrt in kleinen Tagereisen muß einem halben Dutzend junger Leute, deren Gemütsverfassung zu solcher Zeit weit entfernt von Melancholie ist, eine Fülle willkommener Zwischenfälle darbieten. Ich rede im Dubitativ, weil ich die Fahrt so selbst nicht mitgemacht habe; gewisse Umstände hielten mich nach der erhabenen Feierlichkeit meiner Krönung bis Mitte Januar in Paris zurück, und nachdem ich einige Wochen in la Côte-Sainte-André zugebracht hatte, wo mir meine Eltern, ganz stolz auf die akademische Palme, die ich gerade errungen, den besten Empfang bereiteten, schlug ich, allein und traurig genug, den Weg nach Italien ein.


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