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21.

Verhängnis. Ich werde Kritiker.

 

Ich muß jetzt den Umstand berichten, der mich in das Getriebe der Kritik eingreifen ließ. Humbert Ferrand, die Herren Cazalès und de Carné, deren Namen in unserer politischen Welt bekannt genug sind, hatten gerade, zur Unterstützung ihrer Ansichten über Religion und Monarchie, eine literarische Zeitschrift, die Revue européenne, gegründet.

Humbert Ferrand schlug vor, mich mit der musikalischen Kritik zu betrauen. »Aber ich bin kein Schriftsteller,« sagte ich ihm, als er davon sprach, »meine Prosa wird kläglich sein, und ich wage wirklich nicht« ... – »Sie täuschen sich,« entgegnete Ferrand, »ich habe Briefe von Ihnen gelesen; Sie werden bald die Ihnen fehlende Geschicklichkeit erwerben. Außerdem werden wir Ihre Artikel vor der Drucklegung durchlesen und Ihnen die etwa nötigen Verbesserungen anzeigen. Kommen Sie mit mir zu Carné, dort erfahren Sie die Bedingungen, unter denen die Mitarbeit Ihnen angeboten ist.«

Der Gedanke an eine solche Waffe in meinen Händen, zur Verteidigung des Schönen, zum Angriff auf das, was ich als Gegenteil des Schönen empfand, stellte sich mir sogleich verlockend dar, und die Erwägung einer bequemen Bereicherung meiner stets so beschränkten Geldmittel vollendete meinen Entschluß.

Ich habe nie viel Selbstvertrauen gehabt, bevor ich meine Kräfte erprobt; aber diese Naturanlage verstärkte sich hier noch infolge eines unglücklichen Ausflugs, den ich bereits auf das Gebiet musikalischer Polemik getan hatte, bei folgender Gelegenheit: Die Schmähungen der rossinistischen Journale dieser Zeit gegen Gluck, Spontini und die ganze Schule des Ausdrucks und guten Geschmacks, und ihre abenteuerlichen Bemühungen, Rossini und seine Sinnenmusik zu stützen und herauszustreichen, die unglaubliche Geschmacklosigkeit ihrer Beweisgründe, daß die Musik, dramatisch oder nicht, keinen anderen Zweck habe, als dem Ohr zu schmeicheln, und außerstande sei, Gefühle und Leidenschaften auszudrücken; diese ganze Menge anmaßender Dummheiten, von Leuten ausgeheckt, die nicht die Tonleiter kennen, verursachte mir wahre Wutanfälle.

Als ich die ausschweifenden Behauptungen eines dieser Narren las, fühlte ich mich eines Tages versucht, darauf zu antworten.

Es fehlte mir an einer geeigneten Rednerbühne. Ich schrieb an Herrn Michaud, den Chefredakteur und Eigentümer der Quotidienne, einer damals ziemlich vielgelesenen Zeitung. Ich setzte ihm meinen Wunsch, mein Ziel, meine Ansichten auseinander und versprach ihm, in diesem Kampf ebenso gerecht als kräftig dreinzuschlagen. Mein Brief, der ernsthaft und belustigend zugleich war, gefiel ihm. Er antwortete sofort im bejahenden Sinne. Mein Vorschlag war angenommen, und mein erster Artikel wurde mit Ungeduld erwartet. »Ah, Elende!« schrie ich, vor Freude hüpfend, »hab' ich euch!« Ich irrte; ich hatte nichts, keinen Menschen. Meine Unerfahrenheit in der Kunst des Schreibens war zu groß, meine Unkenntnis der Welt und des journalistischen Anstands zu vollständig, und meine musikalischen Leidenschaften waren zu stark, als daß ich zunächst nicht kräftig hätte vorbeihauen sollen.

Der Artikel, den ich Herrn Michaud brachte, war in sich sehr ungeordnet und schlecht disponiert; er war polemisch nach allen Kanten und zwar in der allerhitzigsten Weise. Herr Michaud ließ ihn sich vorlesen, erschrak über meine Kühnheit und sagte: »All das ist wahr, aber Sie fallen mit der Tür ins Haus; es ist mir ganz unmöglich, einen derartigen Artikel in die Quotidienne aufzunehmen.« Ich ging und versprach, ihn umzuändern. Faulheit und der Ekel, daß mir soviel Schonung auferlegt war, kamen bald dazu, und ich beschäftigte mich nicht mehr damit.

Was meine Faulheit betrifft, so war sie immer groß, wenn ich Prosa schreiben sollte. Ich habe wohl schon ganze Nächte über meinen Partituren zugebracht, sogar die recht anstrengende Arbeit des Instrumentierens hält mich manchmal acht Stunden lang ununterbrochen an meinem Tische fest, unbeweglich, ohne daß ich auch nur Lust bekäme, die Stellung zu wechseln; aber nur mühsam fasse ich den Entschluß, eine Seite Prosa anzufangen, und bei der zehnten Zeile (sehr seltene Ausnahmen abgerechnet) stehe ich auf, gehe im Zimmer umher, schaue auf die Straße, schlage das nächstbeste Buch auf und versuche schließlich alle Mittel zur Bekämpfung der Langeweile und Müdigkeit, die mich rasch befallen. Ich muß mich acht- oder zehnmal erholen, um ein Feuilleton für das Journal des Débats zu Ende zu bringen. Gewöhnlich brauche ich zwei Tage, um es zu schreiben, selbst wenn sein Gegenstand mir gefällt, mich unterhält oder lebhaft begeistert. Und wieviel Durchgestrichenes! Welche Sudelei! Man müßte meine erste Niederschrift sehen ...

Die musikalische Komposition ist für mich eine natürliche Betätigung, ein Glück; Prosa schreiben ist Arbeit. Ermuntert und gedrängt von H. Ferrand, lieferte ich dennoch für die Revue européenne einige Artikel bewundernder Kritik über Gluck, Spontini und Beethoven; ich überarbeitete sie dann nach den Angaben des Herrn de Carné; sie wurden gedruckt, mit Nachsicht aufgenommen, und so begann ich, die Schwierigkeiten dieser gefährlichen Tätigkeit kennen zu lernen, die mit der Zeit von so großer, bedauerlicher Wichtigkeit für mein Leben werden sollte. Man wird sehen, wodurch es mir unmöglich gemacht wurde, mich ihr zu entziehen, und die verschiedenen Einflüsse kennen lernen, die sie auf meine Künstlerlaufbahn in Frankreich und andererorten gehabt hat.


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