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Am nächsten Morgen frühstückte Kolo Isbaregg sehr frühzeitig und begab sich dann nervös und erregter, als er sich es hätte eingestehen wollen, in das im selben Haus befindliche Cafe, wo er einen Fensterplatz wählte. Nicht lange blätterte er in den Zeitungen herum, als Herr Geiger, eine umfangreiche Aktentasche in der Hand, das Haustor verließ. Kolo, der schon gezahlt hatte, lächelte selbstsicher vor sich hin und folgte dem gebückt einherschreitenden Mann in angemessener Entfernung. Bei der Oper zögerte Geiger, trat an einen Chauffeur heran, es enspann sich ein Zwiegespräch, das damit endete, daß der Geizhals erbost und ersichtlich zornentbrannt weiter zu Fuß die Kärntnerstraße entlang schritt, Isbaregg immer hinter ihm her. Im Gebäude des Bankvereins verschwand Geiger und Kolo konnte nun eine ganze Stunde lang ungeduldig auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf und ab schreiten, bevor der alte Mann endlich wieder erschien. Jetzt war die Aktentasche zum Bersten voll, der Alte preßte sie förmlich inbrünstig an sich und bestieg diesmal ohne Pourparlers ein Auto.
Kolo wußte genug, es war so gekommen, wie er vorausgesehen: Geiger hatte, von Panik über die kommende neue Vermögensabgabe ergriffen, sein Depot behoben, etwaige Aktien in Bargeld umgetauscht und würde nun den Betrag zu Hause verbergen.
Isbaregg hatte nun allerlei Besorgungen zu machen. Er begab sich nach einer stillen Seitengasse der Kärntnerstraße zu einem Schuster, dessen Spezialität orthopädische Schuhe waren, und bestellte mit schnarrender, norddeutscher Aussprache ein Paar Stiefel für seinen Bruder, Nr. 43 Länge, 5 Breite. Der rechte Schuh müsse einer Verkürzung des Beines halber drei Zentimeter höher sein als normal. „Postarbeit, bitte, spätestens übermorgen brauche ich die Schuhe, weil ich sie dann sofort wegschicken muß.“ Er erlegte sofort eine Anzahlung und kaufte in einem Gummigeschäft einen Pfropfen für einen Spazierstock, wie ihn Hinkende zu benützen pflegen. Dann begab er sich nach der Elisabethstraße, wo er den Laden eines Theaterfriseurs betrat. Dort verlangte er für das Kostümfest, das demnächst im Stadtpark stattfinden sollte, einen schwarzen Knebelbart. In einem Farbwarengescbäft erstand er eine Tube schwarzer flüssiger Farbe, bei einem Optiker eine schwarze Brille, bei Gerngroß einen mächtigen schwarzen Schlapphut, wie man ihn kaum noch trug, und einen dünnen Wettermantel mit einer Pelerine.
Mit Paketen beladen, begab sich Kolo nach Hause, ging aber gleich wieder fort und studierte in einem Haustor die Annoncen des „Neuen Wiener Tagblattes“, aus dem er sich mehrere Adressen aufnotierte. Eine halbe Stunde später hatte er in der Apfelgasse, also in nächster Nähe des Schwarzenbergplatzes, ein diskretes Absteigequartier mit separatem Eingang von der Treppe aus auf vierzehn Tage gemietet und vorausbezahlt. Da solche Absteigequartiere nur für galante Stunden vermietet werden, frägt man nicht nach dem Namen, sondern begnügt sich, den Mieter mit Herr Doktor anzureden. Er nahm den Zimmerschlüssel an sich, versicherte, daß er das Zimmer nur selten und immer auf ganz kurze Zeit benützen würde, und hatte die Gewißheit, daß die wackere Zimmervermieterin diskret und froh sei, wenn sie mit ihrem jeweiligen Herrn nichts weiter zu tun habe.
Zwei Tage später erzählte Frau Dr. Schlüter abends ihren Gästen, daß ein neuer und recht interessanter Herr bei ihr eingezogen sei. „Ein Spanier in diplomatischen Diensten. Er spricht kein Wort deutsch, aber natürlich vollkommen französisch. Er heißt Doktor Diego Alvarez und macht einen höchst distinguierten Eindruck. Morgen zieht er schon hier ein, wird aber erst nach einer Woche mit uns speisen, da er vorläufig in der Familie des spanischen Botschafters Tischgast ist.“
Fräulein Holthaus schrie entzückt auf: „Ein Spanier, Gott, wie interessant!“ Während Frau Albari unter allgemeiner Spannung fragte, ob dieser Spanier ein so schöner Mann sei, wie man es von Spaniern vorauszusetzen pflege. Wobei sie Kolo einen koketten Blick zuwarf. Lachend erklärte Frau Dr. Schlüter:
„Nun, da müssen Sje Ihre Erwartungen schon herabstimmen! Er hat einen schwarzen, abscheulichen Knebelbart, dunkle Brillen, trägt einen unmöglichen Kalabreser und hinkt außerdem recht heftig.“
„Der Arme!“ seufzte die Stillebenmalerin und nahm sich vor, gegen den unglücklichen Krüppel recht sanft und zuvorkommend zu sein, während Herr Holthaus, der erotische Sezessionist, trocken meinte:
„Solche Leute pflegen Glück bei Frauen zu haben. Merkwürdigerweise löst Krüppelhaftigkeit bei hysterischen Weibern starke erotische Reizungen . .
Frau Dr. Schlüter räusperte sich energisch mit einem Blick auf einen Backfisch, der bedenklich zu kichern begann, und lenkte das Gespräch auf die allgemeine Ernährungslage. Von da an sprach man nicht mehr von dem Spanier, der mit einem umfangreichen Handkoffer seinen Einzug hielt und vorläufig nur morgens und abends beim Verlassen und Kommen, aber auch dann nicht regelmäßig, vom Stubenmädchen gesehen wurde.