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Als Kolo mit Löwenwald auf der offenen Terrasse eines Cafés saß, entwickelte er, mehr zu sich als zu dem Freunde sprechend, Ideen seltsamer Art. Er sagte:
„Ich glaube, daß, abgesehen von erotisch ganz indifferenten Menschen, in jedem Manne und jeder Frau die zwei konträrsten Empfindungen, Masochismus oder Sadismus, der Wunsch sich unterzuordnen und besessen zu werden oder das Verlangen zu besitzen und zu gebieten, wenigstens rudimentär entwickelt sind. Das Glück eines Zusammenlebens hängt vielleicht mehr als wir wissen davon ab, ob man sich in dieser Beziehung ergänzt. Bindet sich der Mann mit der sadistischen Andeutung an eine Frau mit masochistischer Note, so hat das Zusammenleben die wichtigste Voraussetzung zum Beglücken und Beglücktwerden. Wehe aber, wenn zum Beispiel der Mann, der die Frau beherrschen will, auf ein Weib stößt, das nicht Eigentum des Mannes werden, sondern ihn als Eigentum betrachten will — wehe dann! Das muß zu furchtbaren Konflikten, wenn nicht gar zum Morde führen!“
Löwenwald blickte dem Freunde verwundert in die Augen und meinte dann bedächtig:
„Da du als Bräutigam, der in einer Woche Ehemann sein wird, so reflektierst, so kann ich wohl annehmen, daß du in der guten Lage bist, nicht dein Spiegelbild, sondern deine Ergänzung gefunden zu haben. Also hoffe ich, die behagliche Rolle des Hausfreundes bei glücklichen Eheleuten spielen zu können.“
lsbaregg empfand wie von weither die Bedenken, die in diesen Worten lagen und strich sich nervös durch die dichten Haare. Er war mit seinen Gedanken bei dem von ihm ausgesprochenen Worte „Mord“ hängen geblieben und brütete, an diesem Worte kauend, vor sich hin.
Mitternacht war längst vorüber, als Kolo, voll von unruhigen, schweren, verdrossenen Gedanken, nach dem Haupttelegraphenamt ging, um dort einen Schritt zu tun, der die Zukunft entscheiden sollte. Er schrieb eine Depesche nieder, in der er den Generaldirektor der kanadischen Gesellschaft in Toronto, bei der er bis zum Kriegsausbruch erster Ingenieur gewesen war, frug, ob er, falls er sofort hinüberfahren würde, wieder seine Stellung bekommen könnte. Er gab die Depesche mit bezahlter Rückantwort auf und ging dann nach Hause, um den Rest der Nacht ruhelos im Zimmer auf und ab zu schreiten. Am nächsten Tag verließ er seine Wohnung nicht, entschuldigte bei Dagmar sein Fernbleiben durch dringende Erledigungen und wartete, welchen Weg ihm das Schicksal weisen würde. Spät abends kam die Antwort auf seine Depesche. Sie lautete kurz und bündig:
„Wir haben für Leute, die den Hunnen geholfen haben, Engländer und Kanadier zu ermorden, keine Verwendung!“
Kolo atmete tief auf, zerriß die Depesche auf Fetzen und ein kalter, harter Glanz trat in seine Augen.
Am nächsten Tag sprach er mit seiner Braut zum erstenmal über geschäftliche Dinge. Bisher war eine Geldfrage nie erörtert worden, er wußte ja, daß Dagmar über enorme Mittel verfügte, und sie zweifelte gar nicht daran, daß lsbaregg begütert sei. Tatsächlich war er gerade seit seiner Verlobung als durchaus reicher Mann aufgetreten, da ihm von allen Seiten Kredit angetragen worden war. An seinem Verlobungstage, also damals, als er den Rest seines Geldes beim Derby verloren, war er fast bettelarm gewesen, aber es hatte nur einer leisen Andeutung dem Baron Kutschera gegenüber bedurft, um ihm ein offenes Konto bei einer kleinen Winkelbank zu eröffnen. Und so war er denn in der Lage gewesen, Dagmar einen Ring mit einem Diamanten von erlesener Schönheit zu schenken, wie ihn kostbarer auch ein Millionär nicht hätte beschaffen können.
Kolo unterbrach die zärtlichen Liebkosungen, die Dagmar ihm freigebig spendete und sagte, indem er selbst so viel Zärtlichkeit als er aufbringen konnte, in die Stimme legte:
„Kind, laß uns jetzt einmal vernünftig sein und über unsere zukünftigen Beziehungen in materieller Hinsicht sprechen.“
Und trotz Dagmars Widerspruch, die immer wieder erklärte, daß alles, was sie besaß, auch ihm gehöre, entwickelte er schließlich doch seine prinzipiellen Anschauungen:
„Du bist wahrscheinlich im Vergleich zu mir enorm reich. Mit den Zinsen der paar Millionen, die ich habe, kann ich allein behaglich und angenehm leben, aber absolut nicht den ungeheueren Bedarf deiner luxuriösen Umgebung bestreiten. Ich bin nicht so albern und banal, dir zuzumuten, dich von nun an nach meiner Decke zu strecken, sondern finde es ganz natürlich und selbstverständlich, wenn wir unser gemeinsames Leben nach deinen großen Mitteln einrichten. Aber andererseits wäre es mir sehr peinlich, wenn du den Haushalt bestreiten, die Dienerschaft entlohnen würdest und ich mich bei jeder außergewöhnlichen Ausgabe an dich wenden müßte. Ich mache dir nun folgenden Vorschlag: Wir schließen ordnungsgemäß einen Vertrag, der mich berechtigt, während des Bestandes unserer Ehe und bis zu deinem Widerruf zwar nicht über dein Vermögen, wohl aber über dessen Zinsen zu verfügen. In dem Augenblick, wo du beabsichtigst, die Ehe nicht fortzusetzen, respektive zu lösen, erlischt dieser Vertrag und du bist dann wieder uneingeschränkte Herrin über deine Einkünfte. Das gilt sowohl für den Fall, als ich an der Lösung der Ehe schuldtragend wäre oder du oder wir beide in gleichem Maße. Bist du damit einverstanden?“
Und das sonst so kritische, von quälendem Mißtrauen und zersetzender Beobachtung erfüllte junge Weib schmiegte sich zärtlich an den Geliebten und erwiderte:
„Mit allem bin ich einverstanden, was du willst und wenn du verlangen würdest, daß ich mich zerfleischen lasse, damit du mein Blut trinken kannst, so würde ich es auch tun!“
Kolo, der jeden Überschwang haßte und vollends den erotischen Überschwang einer Frau, die ihn nicht mitreißen konnte, biß sich auf die Lippen:
„Also gut, wir wollen das durch Ludwig Löwenwald in gesetzliche Form bringen lassen. Bei dieser Gelegenheit fällt mir aber noch etwas ein: Wenn ich plötzlich sterben sollte, so würdest du nur einen kleinen Pflichtteil meines Vermögens erben, die Hauptsache fiele an ganz entfernte, mir höchst gleichgültige Verwandte, die ich seit Jahren nicht gesehen habe. Ich will also durch Löwenwald auch meinen Willen dahin aufsetzen lassen, daß du im Falle meines Ablebens meine Alleinerbin bist. Späterhin, wenn wir ein Kind haben sollten, kann das ja noch immer abgeändert werden.“
Dagmar lachte sinnlich und erregt auf:
„Oh, Kolo, wie gerne will ich ein Kind von dir haben! Und das mit dem Testament ist ja Unsinn, aber mach‘ das, wie es dir recht ist. Nur daß ich genau in derselben Lage bin, wie du! Brrr, mir graut bei dem Gedanken, daß die Tante Rasumoffsky und andere Tanten und Onkeln in Kopenhagen mich beerben könnten! Nein, die Freude will ich ihnen nicht bereiten! Wir setzen uns also gegenseitig als Erben ein, und wenn ich sterbe, so sollst du alles haben, das Haus hier und meinen Schmuck, mein Vermögen und sogar die Güter in Dänemark!“
Kolo atmete tief auf! Das war also so verlaufen, wie er es gewünscht und gedacht! Eine starre, krampfartige Spannung, die ihn in der letzten Zeit beherrscht und gelähmt hatte, wich von ihm und machte einer weichen, wirklich zärtlichen Stimmung Platz. Dagmar war überselig und kostete diese Zärtlichkeit mit allen Sinnen und Nerven aus, ohne zu fühlen, daß es nicht die Zärtlichkeit des begehrenden Mannes, sondern eher die des älteren Bruders der hilflosen, kranken Schwester gegenüber war.