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Amalek, der große Scheik der Rechabiten-Beduinen hatte die Halbinsel Peträa verlassen und in einem beinahe kreisrunden Tale unter den prächtigen Ruinen einer alten idumäischen Stadt sein Lager aufgeschlagen. Das Zelt des Häuptlings stand in der aus festem Felsen ausgehauenen Arena, deren sämtliche Sitzreihen fast noch unversehrt erhalten waren. Die Abhänge der Berge waren mit ausgegrabenen Gräbern und Tempeln und ehemaligen Wohnhäusern dicht besetzt, die auch heute wieder zahlreichen Menschen Schutz gewährten. Abgebrochene Säulenstümpfe und eine Menge von Marmorblöcken lagen regellos durcheinander. Von einer Bergschlucht her kam ein Fluß herunter in den Talkessel, durch den er sich hindurchschlängelte; seine Wasser jedoch waren kaum sichtbar, denn der Lauf des Flusses wird nur durch Weidengestrüpp, prächtigen Oleander und Feigenbäume dem suchenden Auge verraten. An einer Seite des Flusses, zwischen ihm und dem Amphitheater, befand sich eine in Halbmondform angeordnete Gruppe schwarzer Zelte, dazwischen Pferde und liegende oder stehende Kamele, über das Ganze warf die gerade untergehende Sonne einen violetten Farbenschimmer, während der Mond, weiß und behäbig, über den gegenüberliegenden Hügeln stand und sich seiner bald beginnenden Herrschaft zu freuen schien.
Vor seinem Zelte lag der Teppich des großen Scheiks, und auf ihm saß der Patriarch, rauchte seinen Tschibuk von Dattelholz und grübelte nach. Er sah durchaus nicht alt aus, nur hatte er einen schneeweißen langen Bart: im übrigen war er von sehniger, gedrungener Gestalt, hatte ein Gesicht fast ohne Falten, dunkle, regelmäßige, edle Züge und wundervolle Zähne. Auf dem Kopfe trug er eine rote Kefia, die mit Goldborten geschmückt war, sein Gewand war von derselben Farbe und seine Stiefel aus rotem Leder. Man konnte dem Manne ansehen, daß er der Häuptling einer der großen Stämme war, die, wenn sie sich vereinigten, an zehntausend Reiter ins Feld schicken konnten.
Aus der Schlucht kam in diesem Augenblicke ein Reitersmann mit einer langen Lanze an seiner Seite herausgaloppiert. Ohne den zahlreichen Fragenden, die ihn um Auskunft anriefen, eine Antwort zu geben, ritt er über die Ebene und machte nicht eher halt, als bis er das Zelt des großen Scheiks erreicht hatte.
»Salem, Scheik der Scheiks, die Tat ist ausgeführt: der Bruder der englischen Königin ist dein Gefangener.«
»Gut!« sagte der Scheik Amalek, »mag deine Mutter den Buckel eines jungen Kamels essen! Wann werden sie hier sein?«
»Sobald die ersten Strahlen des Mondes auf der Erde zu sehen sein werden.«
»Gut! Wird der Bruder der Königin mit Scheik Salem zusammenkommen?«
»Es gibt nur einen Gott: Scheik Salem wird nie wieder Leban trinken, es sei denn im Paradiese.«
»Gewiß gibt es nur einen Gott. Er ist Herr über Leben und Tod.«
»Wir haben viele üble Vorzeichen gehabt. Vier Hasen haben heute Morgen unseren Weg gekreuzt. Unser Salem an den englischen Prinzen war kein Salem des Friedens. Der Bruder der englischen Königin ist ein fürchterlicher Mann: er wollte durchaus den Kampf und hat den Scheik Salem durch den Kopf geschossen.«
»Es gibt nur einen Gott und sein Wille geschehe! Ich habe meinen Augapfel verloren. Ist der englische Prinz am Leben?«
»Er ist am Leben.«
»Gut! Der Witwe des Scheiks Salem sollen Kamele gegeben werden, sie selbst wird einen anderen Gatten erhalten. Ist noch anderes zu berichten?«
»Eine Weintraube macht noch keinen Weinstock, selbst wenn sie noch so groß ist.«
»So sprich die Wahrheit. Lasse die Worte aus deinem Munde fließen, wie das Wasser aus dem Felsen floß, den Moses mit dem Stocke schlug.«
»Es gibt nur einen Gott: wenn du Ibrahim-ben-Hassan, Molgrabi Teuba und Teuba-ben-Amin rufen würdest, auch sie würden dir keine Antwort mehr geben. Auch Verwundete haben wir.«
»Verkünde allen Menschen, daß es nur einen Gott gibt: hat der Scheik der Jellahins alle diese bösen Taten getan?«
»Ich spreche die Wahrheit, und meine Worte fließen aus meinem Munde wie Wasser aus dem Felsen Mosis. Der Scheik der Jellahins riet dem jungen Mann vom Kampfe ab, aber der junge Mann ist ein wahrer Satanai. Es gibt manchen Teufel in der Welt, aber keiner ist so schlimm wie ein Franke mit einem runden Hut.«
Der Abend brach herein; der weiße Mond, der vorher nur geschimmert hatte, begann zu leuchten; die Hälse der Kamele schienen um vieles verlängert und sahen in seinem Glanze wie von Silber aus. Die Biwakfeuer wurden angezündet, und die Lampen begannen durch die Spalten der Zelte hindurchzuscheinen. Da ertönte ein Schrei, eine allgemeine Bewegung entstand, und ein Wald von Speeren wurde in der Bergesschlucht sichtbar. Sie kamen näher – es war eine lange Schlangenreihe von Kriegern. Einige galoppierten, sowie sie in die Ebene gekommen waren, rasch vorwärts und warfen dabei ihre Speere in die Luft; aber die meisten bewahrten eine strenge Disziplin und ritten langsamen Schrittes auf das Zelt des Scheiks zu. Eine Abteilung Reiter kam zuerst; dann kamen Bewaffnete auf Dromedaren, dann Scheik Hassan, ernst und aufrecht, als ob nichts passiert wäre und obwohl er eine Wunde hatte, dann kamen seine Leute, denen man die Waffen abgenommen hatte, während man ihn selber im Besitz seines Speeres gelassen hatte. Baroni folgte. Er war unverletzt und ritt zwischen zwei Beduinen, mit denen er sich auf das eifrigste unterhielt. Hinter ihnen kamen, auf Kamelen geladen und mit ihren Mänteln bedeckt, die Leichen des Scheiks Salem und seiner getöteten Kameraden. Und dann kam die Hauptbeute des Tages, Tancred, auf einem Dromedar. Er trug den rechten Arm in einer Schlinge, die Baroni hastig für ihn zurechtgemacht hatte, und ritt inmitten einer Abteilung Bewaffneter, die ihn mit der größten Hochachtung behandelten, nicht allein, weil er ein großer Fürst war, dessen Lösegeld dem Stamm so manches Kamel einbringen konnte, sondern auch, weil er eine Tapferkeit an den Tag gelegt hatte, die man in der wilden Wüste zu schätzen wußte.
Tancred konnte, trotz seiner Wunde, die zwar leicht war, aber doch zu schmerzen begann und trotz der unangenehmen Sachlage selber nicht umhin, die malerische Schönheit des Lagers, dessen jetzt seine Augen ansichtig wurden, zu bewundern. Er hatte von diesen verlassenen Städten, die in die Felsen der Wüste eingehauen und einst die Hauptstädte blühender Königreiche gewesen waren, schon gelesen – und jetzt lag eine davon in Wirklichkeit vor ihm.
Vor dem Zelte des großen Scheiks wurde halt gemacht, und die Arena des Amphitheaters begann sich mit Kamelen, Pferden und Kriegern zu füllen. Es war ein äußerst lebhaftes Bild: viele waren auf die Sitze gestiegen, um die Szene besser übersehen zu können, die die in Waffen starrenden und bunt beturbanten Krieger im Mondenschein und bei dem Flackern der Biwakfeuer darboten. Sie halfen Tancred beim Absitzen und führten ihn unter höflichen Ehrenbezeigungen zu ihrem Häuptling. Dieser räumte ihm auf seinem eigenen Teppich einen Platz ein und ersuchte ihn, an seiner Seite Platz zu nehmen. Kleinere Teppiche wurden für den Scheik Hassan und für Baroni ausgebreitet.
»Salem, Bruder vieler Königinnen! Alles, was du siehst, ist dein; Salem Scheik Hassan! Wir sind Brüder. Salem!« fügte der Scheik Amalek hinzu und sah dabei Baroni an, »man hat mir berichtet, du verstündest unsere Sprache, die schön wie der Mond und viele Palmenbäume ist – sage dem Prinzen, dem Bruder vieler Königinnen, daß er meine Botschaft von heute Morgen mißverstand: es war eine Einladung zum Feste, nicht zum Kriege. Sage ihm, daß wir Brüder sind.«
»Antworten Sie dem Scheik,« sagte Tancred, »daß mein Sinn nicht nach Festen steht, und daß ich von ihm wissen möchte, warum ich sein Gefangener bin.«
»Sage dem Prinzen, dem Bruder vieler Königinnen, daß er kein Gefangener, sondern ein Gast ist.«
»Dann fragen Sie den Scheik, ob wir sofort wieder von hier abziehen können.«
»Sage dem Prinzen, dem Bruder vieler Königinnen, daß es gegen Sitte und Anstand sein würde, wenn ich ihn heute Nacht nicht bei mir bewirten würde.«
»Fragen Sie den Scheik, ob ich dann morgen von dannen ziehen kann.«
»Sage dem Prinzen, daß er morgen früh wissen wird, daß ich sein Bruder bin.« Mit diesen Worten nahm der große Scheik seine Pfeife aus dem Munde und gab sie Tancred – eine hohe Auszeichnung. In wenigen Augenblicken wurden auch Pfeifen für Scheik Hassan und Baroni hereingebracht.
»Wenn Sie einmal mit ihm aus derselben Pfeife geraucht haben, Mylord, kann Ihnen nichts mehr passieren,« sagte Baroni. »Wir müssen versuchen, uns in unser Schicksal zu fügen. Ich bin mit M. de Sidonia in noch schlimmeren Lagen gewesen. Sie haben ja wohl schon von malaiischen Piraten gehört. Verglichen damit sind das alles Gentlemen hier.«
Während Baroni dieses sagte, war ein junger Mann von großem Anstand langsam durch die Reihen der Umstehenden hindurch auf die Gruppe zugetreten. Er warf im Vorübergehen einen forschenden Blick auf Tancred und setzte sich dann auf denselben Teppich, den der große Scheik innehatte. Diese Tatsache allein hätte die hohe Würde des neuen Gastes bewiesen, außerdem zeigte aber auch noch seine Kefia, die der des Scheiks Amalek ganz ähnlich war, seinen fürstlichen Rang. Er war sehr jung, und Tancred, der schon durch seinen forschenden Blick angenehm berührt war, fühlte sich auch durch sein ganzes Gesicht mit seiner feinen Schönheit und seiner hohen Intelligenz zu ihm hingezogen.
Inzwischen wurden im Innern des Zeltes allerlei Vorbereitungen zum Feste getroffen. Ein halbes Dutzend Schafe wurden den zurückgekehrten Kriegern zur Verfügung gestellt – von überall her erscholl das knirschende Geräusch der Kaffeemühlen, und alle Augenblicke gingen Leute vorbei, die Krüge mit Leban und Körbe von noch warmen, soeben aus dem Ofen kommenden Brotkuchen trugen. Der große Scheik hatte inzwischen, nach orientalischer Art, mancherlei zu fragen gewußt: welches die mächtigste Nation sei, England oder Frankreich; welches der Name eines dritten europäischen Volkes sei, die weiße Männer mit flachen Nasen und grünen Röcken wären; ob diese weißen Männer mit flachen Nasen und grünen Röcken ebenfalls Akkra hätten einnehmen können, und ob die Einnahme von Akkra ein Beweis militärischer Tüchtigkeit sei; wie viel Pferde die englische Königin besäße und wie viel Sklaven; ob die englischen Pistolen gut schössen; ob die Engländer Wein tränken; ob die Engländer christliche oder heidnische Giaurs wären? Nachdem er alles dieses gefragt und die Antworten immer mit würdigem Kopfnicken entgegengenommen hatte, forderte er Tancred, Scheik Hassan und zwei bis drei andere auf, in sein Zelt einzutreten und sich zur Mahlzeit zu setzen.
»Der Scheik muß mich entschuldigen,« sagte Tancred zu Baroni. »Ich bin verwundet und müde. Fragen Sie ihn, ob ich mich zurückziehen darf und ob er mir ein Zelt zur Verfügung stellen könne.«
»Sie sind verwundet?« fragte der junge Scheik, der auf Amaleks Teppich saß. Seine Stimme war voll zarter Sympathie, und er sprach in fließender, fränkischer Sprache.
»Nicht sehr schwer,« sagte Tancred in etwas freundlicherem Tone als er bisher gesprochen hatte, denn die Art und Weise und die ganze äußere Erscheinung des jungen Mannes berührte ihn angenehm; »aber dies war mein erster Kampf, und ich mache vielleicht zuviel Aufhebens davon. Indessen mein Arm schmerzt mich wirklich, und er ist auch steif, und Sie werden verstehen, daß ich nach diesem ereignisreichen Tage ein wenig Ruhebedürfnis verspüre.«
»Der große Scheik hat Ihnen eine Abteilung in seinem eigenen Zelte zur Verfügung gestellt,« sagte der junge Mann, »aber für einen Verwundeten dürfte es dort zu geräuschvoll sein. Ich selbst habe mein Zelt hier, ein einfacheres wie dieses, aber es ist wenigstens ruhig. Lassen Sie mich Ihr Wirt sein.«
»Sie sind sehr liebenswürdig, und ich würde auch Ihre Einladung mit Freuden annehmen, allein Sie sehen ja, ich bin gefangen und«, fügte er lächelnd hinzu, »darf mir nicht mehr einbilden, einen eigenen Willen haben zu können.«
»Ich werde das ins reine bringen,« sagte der junge Mann und sprach darauf einige kurze Sätze mit dem Scheik Amalek. Dann standen alle auf, der junge Mann ging auf Tancred zu und sagte zu ihm mit freundlicher Stimme: »Sie stehen unter meinem Schutze. Ich werde Ihnen kein grausamer Aufseher sein, selbst wenn ich es sein wollte, wäre es mir unmöglich.« Mit diesen Worten machten die beiden jungen Männer dem großen Scheik ihre Verbeugung und zogen sich zurück. Baroni wollte ihnen folgen, aber der junge Mann hielt ihn zurück und sagte mit großer Bestimmtheit: »Der große Scheik wünscht nicht, daß Sie ihn verlassen. Ich werde Ihrem Herrn behilflich sein, Sie erlauben es mir doch?« fügte er in sanfter Manier zu Tancred gewendet hinzu. Mit diesen Worten bot er ihm seinen Arm und sagte dabei leise: »Ich bin ganz verzweifelt darüber, daß Sie verwundet sind.«
Tancred fühlte sich zu dem jungen Fremden hingezogen; sein ganzes Äußere nahm sofort für ihn ein, seine sanfte Art und Weise stand in wohltuendstem Gegensatz zu der ganzen Umgebung und zu den Erlebnissen des verflossenen Tages. Tancred begleitete ihn darum nicht ungern zu seinem Zelte, das außerhalb des Amphitheaters errichtet war und einzeln dastand. Trotzdem der junge Scheik von ihm in so bescheidener Weise gesprochen hatte, war es durchaus nicht unansehnlich, denn es wies mehrere getrennte Abteilungen auf und war auch sonst in Farbe und Art von denen des Stammes verschieden. Einige Pferde waren nach arabischer Sitte an die Zeltpflöcke gebunden und eine Anzahl Diener, die rauchten und mit großer Lebhaftigkeit aufeinander einsprachen, saßen in einem Kreise um ihn herum. Als Tancred und sein Wirt an ihnen vorbeikamen, legten sie ihre Hände aufs Herz, standen aber dabei nicht auf. Innerhalb des Zeltes bemerkte Tancred eine Menge Kissen und weißer Teppiche, die zusammen einen hübschen Diwan abgaben; dazu Pfeifen und Waffen und zu seiner großen Überraschung verschiedene Nummern einer französischen, in Smyrna erscheinenden Zeitung.
»Ah!« rief Tancred aus und warf sich dabei auf den Diwan, »nach allem, was ich heute ausgestanden habe, tut das wohl!«
»Der Diwan gehört Ihnen,« sagte der junge Araber und klatschte mit den Händen, »und sowie ich erst einige Befehle für Ihre Bequemlichkeit erteilt haben werde, bin ich Ihr Gast und nicht Sie der meinige mehr.« Er sagte zu dem hereintretenden Diener einige Worte auf arabisch, worauf dieser sich entfernte, aber bald mit einer silbernen, mit Palmöl gespeisten Lampe zurückkehrte, die er auf den Boden stellte.
»Ich habe zwei Engländer bei mir,« sagte Tancred, »die meine Diener sind; ich fürchte, sie sind in ziemlicher Verlegenheit, denn sie sprechen kein Wort –«
»Ich werde sofort Befehl erteilen, daß sie Sie wieder bedienen können. In der Zwischenzeit müssen sie aber einige Erfrischungen zu sich nehmen. Ohne das dürfen Sie nicht zur Ruhe gehen.« In diesem Augenblick trat auch schon eine Anzahl Diener mit einer großen Menge verschiedener Gerichte herein. Tancred wollte gerade beteuern, daß er keinen Appetit hätte, aber der junge Scheik kam ihm zuvor, wählte eines der Gerichte aus und sagte: »Wenigstens von diesem müssen Sie kosten, denn es ist ein beliebtes Gericht bei uns, das besonders nach großen Anstrengungen gerne und mit großem Nutzen genossen wird. Es wird auch Sie erfrischen.« Mit diesen Worten überreichte er Tancred ein Gericht, das aus Brot, Datteln und saurer Sahne bestand und welches diesem, trotz seiner zunächst empfundenen Abneigung, ausgezeichnet schmeckte. Als er sich hinlänglich gesättigt fühlte, wurden Pfeifen hereingebracht, die beiden jungen Leute warfen sich in die Kissen und begannen sich zu unterhalten.
»Ich habe an dem heutigen Tage viel erlebt,« sagte Tancred, »aber das überraschendste und auch das angenehmste Erlebnis war doch, daß ich Ihre Bekanntschaft gemacht habe. Ihre Freundlichkeit hat die rohe Behandlung, die ich von seiten Ihres Stammes erfahren habe, fast wieder gutgemacht und ich gestehe offen, daß ich ein derartig höfliches Benehmen in den Zelten der Wüste ebensowenig vermutet haben würde, als diese französische Zeitung hier.«
»Ich bin kein Araber,« sagte der junge Mann etwas zögernd.
»Ah!« erwiderte Tancred.
»Ich bin ein christlicher Fürst.«
»So!«
»Ein Fürst des Libanons, der immer zu den Engländern gehalten hat und dadurch schon in manche Verlegenheit gekommen ist.«
»Sie sind vielleicht auch ein Gefangener hier, gerade wie ich?«
»Nein, ich bin hierhergekommen, um Hilfe für jene Leute zu erbitten, die heute meine Untertanen wären, wenn man mir nicht mein Zepter geraubt hätte, ein Zepter, das durch siebenhundert Jahre hindurch ununterbrochen im Besitze meiner Familie geblieben ist. Der mächtige Stamm, der dem Scheik Amalek gehorcht, schlägt oftmals seine Zelte in der großen syrischen Wüste in der Nähe von Damaskus auf, und in manchen Verlegenheiten können sie meinen unglücklichen Landsleuten Beistand leisten.«
»Sie sind also ein Syrier und ein christlicher Fürst zur gleichen Zeit?« fragte Tancred. »Welch eine schöne Würde!«
»Ja,« erwiederte der Emir mit Eifer, »wenn die Engländer nur ihre Interessen richtig verstünden, so könnte Syrien mit meiner Hilfe ihnen gehören.«
»Den Engländern!« sagte Tancred, »aber warum sollten die Engländer Syrien haben wollen?«
»Weil es ihnen sonst die Franzosen wegnehmen würden.«
»Hoffentlich nicht«, sagte Tancred.
»Aber etwas muß geschehen,« sagte der Emir, »die Pforte kann unser Land niemals regieren. Glauben Sie, daß irgend jemand im Libanon sich wirklich etwas aus dem Pascha in Damaskus macht? Wenn die Ägypter nicht den Libanonstämmen die Waffen abgenommen hätten, so würden die Türken in einer Woche aus Syrien heraus sein.«
»Ein Syrier und ein christlicher Prinz!« sagte Tancred vor sich hinsinnend. »In dieser Würde liegen Möglichkeiten, die sich stärker als die Pforte, als England, als das vereinigte Europa selbst erweisen könnten. Syrien war einst ein großes Land, und das zu einer Zeit, da Frankreich und England noch von Urwäldern bedeckt waren. Die Trikolore hat den Rhein und die Alpen überschritten und die Flagge Englands hat sogar die Trikolore geschlagen – aber wenn ich ein syrischer Prinz wäre, so würde ich das Kreuz Christi aufrichten und keine fremde Macht mehr um Hilfe angehen.«
»Wenn ich nur eine Anleihe bekommen könnte,« sagte der Emir, »dann könnte ich schon ohne Englands und Frankreichs Hilfe auskommen.«
»Eine Anleihe!« rief Tancred aus; »ich sehe, das Gift des modernen Liberalismus ist selbst bis in die Wüste gedrungen. Glauben Sie mir, eine nationale Erlösung kann nicht mittels Wucher und Anleihen zustande kommen.«
In diesem Augenblicke drang von draußen ein Geräusch herein, das anscheinend durch die eben angekommenen Diener Tancreds, Freeman und Trueman, verursacht wurde. Diese braven jungen Leute versuchten nämlich, sich in ihrer Muttersprache den Arabern verständlich zu machen. Sie konnten natürlich nicht erwarten, daß irgendeiner sie verstehen würde, aber sie bestanden doch in einer Art Stolz und Dummheit, die spezifisch britisch ist, auf diesem ihrem guten Rechte und so folgte eine englische Wortsalve der anderen, deren Nichtverstehen von den Dienern selbstverständlich als ein Zeichen der angeborenen Dummheit der Araber ausgelegt wurde. Das Geschrei wurde lauter und lauter und schließlich traten Freeman und Trueman in das Zelt.
»Nun,« fragte Tancred, »wie geht es euch?«
»So ziemlich,« antwortete Freeman und fügte dann etwas verächtlich hinzu, »wir haben zusammen mit den Wilden essen müssen.«
»Das sind aber keine Wilden hier, Freeman.«
»Aber sie haben doch nicht viel mehr Kleider an, Mylord, als die Wilden – und Messer und Gabel gibt es auch nicht bei ihnen.«
»Aber noch vor zweihundert Jahren gab es auch in England noch keine Gabel und doch waren auch wir damals keine Wilden mehr, denn der beste Teil des Montacuter Schlosses war schon lange vor dieser Zeit erbaut.«
»Das Schloß von Montacute! Ach, wären wir erst wieder dort!«
»Ich kann deinen Wunsch verstehen; wir müssen uns indessen in unsere Lage zu schicken versuchen. Zunächst möchte ich einmal hören, ob ihr genug zu essen gehabt habt. Was euer Quartier anbetrifft, so wird Baroni schon dafür Sorge tragen; und sollte er es vergessen haben, so legt euch vor diesem Zelte nieder. Mit euren eigenen Decken und Mänteln und meinen hier dazu wird die Sache ja wohl gehen.«
»Wir danken bestens, Mylord! Wir haben die Koffer Eurer Lordschaft gleich mitgebracht. Wie ich aber morgen früh die Stiefel Eurer Lordschaft wichsen soll, ist mir noch unklar. Die Wilden haben die Wichsbüchse mir geräubert und sie radikal ausgeleckt.«
»Kümmere dich nicht um meine Stiefel,« sagte Tancred, »wir haben Wichtigeres zu tun.«
»Ich sagte ihnen, was drin war,« sagte Freeman, »aber sie ließen sich nicht stören.«
»Die dickköpfigen Hunde!« sagte Tancred.
»Ich glaube, sie haben es für Gelee gehalten, Mylord,« sagte Trueman, »ich habe nie größere Esel gesehen, wie diese Bande hier.«
»Da kannst du sehen, Trueman, daß eine gute Erziehung auch seinen Wert hat.«
»Jawohl, Mylord, wir sehen das auch vollkommen ein und wir werden nicht vergessen, daß wir Eurer Lordschaft Mutter hauptsächlich dafür zu danken haben. Als wir von den Bergen herunterkamen und die vielen lodernden Feuer vor uns sahen, da dachten wir schon, sie würden uns lebendig verbrennen, wenn wir nicht unsere Religion wechselten! Ich betete den Katechismus mit einer wahren Inbrunst herunter und hielt mich schon für einen heiligen Märtyrer – wahrhaftig, Mylord!«
»Nun,« sagte Tancred, »so schlimm wird es ja wohl nicht werden. Aber viel helfen kann ich euch hier nicht, nur wenn ihr irgend einen besonderen Wunsch habt, so werde ich meinen Gastgeber hier darum ersuchen.«
Freeman und Trueman sahen einander bedeutungsvollfragend an. Nach einigem Zögern sagte schließlich der erstere: »Wir möchten nicht gerne zu anspruchsvoll erscheinen, Mylord – wahrhaftig nicht, Mylord –, aber vielleicht könnten Eure Lordschaft uns etwas Zucker verschaffen, wir können ihren Kaffee ohne Zucker nicht herunterbekommen.«