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Viertes Kapitel

Als Tancred dem jungen Emir gegenüber jenes niederdrückende Bekenntnis abgelegt hatte, daß er vielleicht seiner Rasse wegen von der göttlichen Erleuchtung ausgeschlossen sei, war er mehr einer momentanen Eingebung, als einer wirklichen Überzeugung gefolgt. Noch vor vierundzwanzig Stunden hatte er nicht so schwarze Gedanken gehegt. Damals war er noch in nächster Nähe des Sinai und sein Herz hatte voller Gottvertrauen höher geschlagen. Aber seine unangenehme Gefangenschaft und seine bei jeder Bewegung schmerzende Wunde hatten ihn um all sein Selbstvertrauen gebracht. Er war allein, unter Fremden und Feinden, in Gefangenschaft und Gefahr – und seine gewöhnliche Energie, die sich sonst der drohenden Schwierigkeiten und aller Hindernisse freute, weil sie sich der Stärke seines Armes und der Überlegenheit seiner Intelligenz bewußt war – diese hohe Energie drohte jetzt, ihn zu verlassen. Als die Dämmerung über die Felsenstadt mit ihren Marmorgräbern, ausgegrabenen Tempeln und umgestürzten Säulen hereinbrach, ward sein Herz weich gestimmt und er dachte an die weiten Hallen und die stattlichen Türme von Bellamont und Montacute, und an all die Liebe, die seiner dort gewartet hätte und an den heiligen Familienherd, den er einstmals auf göttlichen Befehl hin – oder, wie er jetzt befürchten mußte, aus Phantasterei – verlassen hatte. In tiefer Kümmernis brütete er so vor sich hin und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Tancred hatte einen jener schwachen Augenblicke, die uns alle gleich machen, einen jener Augenblicke, da unser hoher Ehrgeiz, unsere genialen Gedanken, unsere ehernen Pflichtbegriffe sowie alle Dogmen unserer Philosophie und Religion uns zu verlassen drohen und wir haltlos in uns zusammensinken. Die Stimme seiner Mutter erklang in seinem Ohre und der vorwurfsvolle Blick seines Vaters schien auf ihm zu ruhen. Warum war er überhaupt hier? Warum war er, das Kind einer nördlichen Insel, hier im Herzen des steinigten Arabiens, fern vom Orte seiner Geburt und seiner Pflichten? Eine schrecklich quälende Frage, eine Frage, die ihre Antwort unbedingt finden müßte, wenn nicht seine ganze Zukunft in Frage kommen sollte.

Er war also wirklich ein unerwünschter, unerwarteter, ungerufener, unwillkommener Fremder auf diesem heiligen Boden? Es war also wirklich nur krankhafte Neugierde oder die sprichwörtliche Unruhe eines übersättigten Aristokraten, die ihn in diese Wildnis getrieben hatten? Aber hatte er denn wirklich so gar nichts in dieser Wildnis zu tun? Hatte er nicht von seiner frühesten Kindheit an in seinem Gebete jene Worte und Gesetze wiederholt, die von dem fürchterlichen Gipfel der umliegenden Berge herab einst zur Leitung und Erleuchtung der Menschheit verkündet worden waren? Und nach diesen arabischen Gesetzen war ja auch sein Leben eingerichtet. Und die Geschichte von der Wanderschaft eines arabischen Stammes in dieser »großen, schrecklichen Wildnis«, einer Wanderung, die unter dem direkten Schutze des Herrn, unter seinen Wundern, Ratschlägen und persönlich erteilten Befehlen stattgefunden hatte – diese Geschichte war doch die erste gewesen, die man seinem jugendlichen Gemüte anvertraut hatte, der er selbst seine erste Ansicht über menschliche und göttliche Dinge entnommen, aus der er seine ersten dunklen Ideen von den Beziehungen des Menschen zu seinem Gotte geschöpft hatte. Nun, dann hatte aber auch er ein heiliges Recht, hier zu sein! Zwischen ihm und dieser Wildnis gab es also doch ein Band, ein heiliges Band! Er war nicht hier wie ein indischer Brahmane, der Europa aus Neugierde oder aus irgend welchen Vernunfts- oder wissenschaftlichen Gründen besucht! Das Land, das solch ein Hindu besucht, ist nicht sein Land, nicht das Land seiner Väter, die Gesetze, denen dieses Land gehorcht, sind nicht seine eigenen Gesetze und der Glauben, der in diesen Tempeln verkündigt wird, ist nicht die Offenbarung, die am heiligen Ganges gilt. Aber für ihn, den Engländer, waren vor dreißig Jahrhunderten in dieser Steinwüste Dinge getan und Worte verkündet worden, die seine Meinungen und seine Lebensführung noch heute – und das täglich – beeinflußten, und dieses deswegen, weil jene Lehren in seinem seeumgürteten Heimatslande, das um jene Zeit nicht einmal so zivilisiert war wie heute die polynesischen Inseln, einst ebenso verkündet und geglaubt wurden, als auf dem Sinai. Das Leben und das Eigentum Englands wird geschützt durch das Gesetz vom Sinai. Das schwer arbeitende Volk Englands hat alle sieben Tage einen Ruhetag – durch das Gesetz vom Sinai. Und doch verfolgt man die Juden und haßt jene Rasse, der man jene erhabene Gesetzgebung, die das unvermeidliche Los der arbeitenden Klasse mildert, zu verdanken hat!

Und wenn diese arbeitende Klasse am siebenten Tage von jener Arbeit, die beinahe an ägyptische Sklaverei erinnert, ausruht und nach jenem Balsam gedrückter und wunder Herzen, nämlich nach der Poesie, verlangt, an welche Leier wendet sich dann das englische Volk, wo sucht es seinen Trost und seine Erleuchtung? Wer ist der populärste Dichter dieses Landes? Ist es Herr Wordsworth oder Lord Byron mit ihren trägen Träumereien oder Monologen erhabenen Überdrusses? Ist er vielleicht unter den Schöngeistern aus der Regierungszeit der Königin Anna zu finden? Können wir selbst dem überreichen Shakespeare die Palme reichen? Nein – denn der populärste Dichter Englands ist der erhabene Sänger Israels. Seit den Tagen des Volkes Gottes gibt es kein anderes Volk, das häufiger die Psalmen Davids singt, als das britische.

Jawohl: wenn auch die ganze menschliche Familie den Juden auf das innigste verpflichtet ist, das englische Volk schuldet ihnen noch mehr, wie alle anderen. Es war das »Schwert Gottes und Gideons«, das die gepriesenen Freiheiten Englands erstritt, und die Schotten erfochten unter den Tönen derselben Gesänge, die einst das Herz Judas entflammten, inmitten ihrer Schluchten ihre religiöse Unabhängigkeit und Gewissensfreiheit.

Und warum verfolgen dann die teutonischen und keltischen Völker einen arabischen Stamm, dessen erhabene Gesetze sie zu den ihrigen gemacht haben und in dessen Literatur sie Vergnügen, Trost und Belehrung gefunden haben? Das ist eine große Frage, die man in einem aufgeklärten Zeitalter wie dem unsrigen wohl stellen kann, die aber auch das neunzehnte Jahrhundert in all seiner Würde und Selbstgefälligkeit kaum zu beantworten imstande sein würde. Ist dem so oder nicht? Und ganz abgesehen von ihren bewundernswerten Gesetzen, die unsere Lage verbessert haben und von ihrer herrlichen Dichtkunst, die uns täglich von neuem entzückt, ganz abgesehen von ihrer heroischen Geschichte, die unser Volk zum Kampfe für seine Freiheit angespornt hat, ganz abgesehen von allen diesen Wohltaten schulden wir dem hebräischen Volke noch Dank für die Verkündigung des wahren Gottes und für die Erlösung von unseren Sünden.

»Dann habe auch ich ein Recht hier zu sein,« sagte Tancred von Montacute und seine Augen schweiften weltverloren zu den Sternen Arabiens hinauf, »ich bin kein Weltenbummler, der sentimental auf einer Ruine trauert oder über eine entzifferte Inschrift in Ekstase gerät. Ich bin in das Land gezogen, dessen Gesetzen ich gehorche, dessen Religion ich bekenne und kann auf dessen Boden mit voller Berechtigung jene Erleuchtung erwarten, die den Menschen hier so oft schon zuteil geworden ist. Denn die Engel, die die Patriarchen besuchten und die Ankunft der Richter ankündeten, die Engel, die die Feder der Propheten leiteten und den Aposteln Botschaften überbrachten – sie haben auch zu den Hirten auf dem Felde gesprochen. Stehen denn die himmlischen Heerscharen nicht mehr vor dem Throne des Herrn? Wo sind die Cherubim, wo die Seraphim? Wo der todbringende Erzengel Michael? Und der Gottesbote Gabriel?«

In diesem Augenblicke wurden Tancreds Träumereien von Pferdegetrampel unterbrochen, er schaute auf und sah, wie eine Gruppe von Arabern, unter denen drei beritten waren, auf ihn zukam. Er erkannte auch bald den großen Scheik Amalek und Hassan, seinen ehemaligen Reisebegleiter. Der dritte Reitersmann war der junge Emir. Es war eine höchst zeremonielle Visite, mit der der große Scheik seinen vornehmen Gefangenen ehren wollte. Amalek preßte seine Hand aufs Herz und setzte sich auf den großen Teppich vor dem Zelte, während Freeman und Trueman, die inzwischen von einem Bedienten Fakredins darin Anweisungen erhalten hatten, sofort die Pfeifen herbeibrachten. Hassan folgte dem Beispiel Amaleks und legte dabei seine gewöhnliche, ruhige Würde an den Tag, ganz, als ob er noch ein vollkommen freier Mann wäre.

Die gewöhnlichen Begrüßungsphrasen waren gesprochen und man hatte begonnen, sich über Pistolen und Pferde zu unterhalten, als Fakredin plötzlich mit einer Art leichter Überlegenheit, die zu seinem fast unterwürfigen Wesen Tancred gegenüber in lebhaftem Widerspruch stand, Amalek fragte:

»Scheik der Scheiks, es gibt nur einen Gott: ist es nun Allah oder Jehova?«

»Der Palmenbaum heißt auch mitunter Dattelbaum,« erwiderte Amalek, »aber es gibt nur einen Baum.«

»Schön,« sagte Fakredin, »aber du betest doch nicht zu Allah?«

»Ich bete, wie meine Väter es mich gelehrt haben.«

»Also zu Jehova?«

»So sagt man.«

»Scheik Hassan,« sagte der Emir, »es gibt nur einen Gott und sein Name ist Jehova. Warum betest du nicht zu Jehova?«

»Wahrhaftig, es gibt nur einen Gott,« sagte Scheik Hassan, »und Mohammed ist sein Prophet. Er befahl meinen Vätern, zu Allah zu beten und darum bete ich zu Allah.«

»Ist Mohammed der Prophet Gottes, Scheik der Scheiks?«

»Es mag wohl sein«, erwiderte Amalek und nickte mit dem Kopfe.

»Warum betest du dann nicht ebenso zu ihm wie der Scheik Hassan?«

»Weil Moses, der ohne Zweifel der Prophet Gottes ist – denn an ihn glauben alle, Scheik Hassan und der Emir Fakredin und du auch, Fürst, Bruder der Königinnen – weil Moses in unsere Familie hineingeheiratet und uns gelehrt hat, zu Jehova zu beten. Es mag noch andere Propheten geben, aber die Kinder Jithros wären im Unrecht, wenn sie sich nicht mit Moses zufrieden gäben.«

»Und Ihr besitzt noch seine fünf Bücher?« fragte Tancred.

»Wir haben sie immer besessen und werden sie bis an das Ende der Welt in Ehren halten.«

»Und Ihr habt daraus gelernt, daß Moses die Tochter Jithros geheiratet hat?«

»Brauche ich zu lernen, daß ich Kamele und Pferde besitze? Wir haben keine Bücher nötig, um zu erfahren, wer unsere Töchter geheiratet hat.«

»Und doch ist es lange her, daß Moses aus Ägypten nach Midian geflohen ist.«

»Da urteilst du nach euren Städten und deren Gepflogenheiten, wo man an einem Tore sagt, es ist Morgen und am anderen, es ist Abend. Wo man Lügen erzählt, ist die Tat des Morgens das Geheimnis des Sonnenunterganges. Aber in der Wüste ändert sich nichts; weder die Taten eines Mannes, noch seine Worte. Wir trinken aus derselben Quelle, an der Moses Zipporah half; wir hüten dieselben Herden, wir leben in denselben Zelten und unsere Worte haben sich so wenig verändert, als unsere Wässer, unsere Gewohnheiten, unsere Wohnungen. Was mein Vater von seinen Vätern gelernt hat, lehrte er mich und auch ich habe es wiederum meinen Sohn gelehrt. Wie könnte ich da je vergessen haben, daß einstmals ein Prophet Jehovas in mein Haus hineingeheiratet hatte?«

»Wo sich wenig zuträgt, wird auch wenig geredet,« bemerkte Scheik Hassan, »und das Schweigen ist die Mutter der Wahrheit. Seit der Hedschra hat sich in Arabien nichts mehr ereignet, und vorher war Moses und vor dem die Riesen.«

»Gebt immer der Wahrheit die Ehre,« sagte Amalek, »deine Worte sind ein fließender Strom, und die Kinder Rechabs und die Stämme der Semiten schlossen sich nie an den Propheten von Mekka an, denn sie hatten die fünf Bücher und sie sagten: ›Ist das nicht genug?‹ Sie zogen sich in die syrische Wüste zurück und waren fruchtbar und mehrten sich. Aber die Söhne Koreischs, die zwar auch die fünf Bücher hatten, aber nicht die Kinder Rechabs waren, sondern die in der Nähe von Medina sich in der Wüste niedergelassen hatten, nachdem Nebukadnezar El Kuds zerstört hatte, die Söhne Koreischs waren es, die zuerst sich dem Propheten von Mekka anschlossen und ihn dann nachher bekriegten; aber er zerbrach ihre Bogen und führte sie in die Gefangenschaft; und sie leben bis auf den heutigen Tag in den Städten Yemens. Die Kinder Israels, die noch heute in den Städten Yemens leben, sind der Stamm der Koreischiten.«

»Unglückliche Söhne Koreischs, die den Propheten bekriegten und die in Städten leben!« sagte Scheik Hassan und nahm eine frische Pfeife.

»Und wenn Ihr,« sagte der junge Emir, »nicht Kinder Jithros gewesen wäret, dann würdet vielleicht auch Ihr Euch dem Propheten von Mekka angeschlossen haben, Scheik der Scheiks!«

»Es gibt nur einen Gott,« sagte Amalek, »aber es gibt viele Propheten. Es ziemt einem Sohne Jithros nicht, sich einen anderen wie Moses zu wünschen. Aber ich will damit nicht sagen, daß der Koran nicht von Gott kommt, denn er war geschrieben von einem aus dem Stamm Koreisch und der Stamm Koreisch stammt direkt von Ibrahim ab.«

»Und du bist also der Meinung, daß das Wort Gottes nur dem Samen Abrahams zuteil wird?« fragte Tancred mit eindringlicher Gebärde.

»Ich und meine Väter haben unsere Herden seit dem Beginn der Welt in den Wüsten getränkt,« erwiderte Amalek, »wir haben die Pharaonen und Nebukadnezar und Iskander und die Römer und den Sultan der Franzosen gesehen: sie haben sich alles unterworfen, ausgenommen uns – und wo sind sie jetzt? Sie sind Sand. Der Mensch mag an der Existenz des Einhorns zweifeln – er kann an allem andern zweifeln – aber eins darf er niemals bezweifeln: daß Gott niemals zu jemand anderem als einem Araber gesprochen hat.«

Tancred bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Nach einigen Augenblicken jedoch sah er auf und sagte: »Scheik der Scheiks, ich bin Euer Gefangener. Aber als ich in Eure Hände fiel, war ich gerade im Begriff, zum Berge Sinai zu wallfahrten, und der Berg Sinai ist Eurem Glauben ebenso heilig, wie dem meinen. Wir sind, wie man mir sagt, nur zwei Tage von dem heiligen Orte entfernt. Erlaube mir, dorthin zu ziehen und gib mir so viele Leute zu meiner Bewachung mit, wie du nur immer für nötig hältst. Ich gebe dir mein Wort, das Wort eines christlichen Edelmannes, daß ich keinen Versuch zur Flucht machen werde. Ich werde, lange bevor die Antwort von Jerusalem eintreffen wird, wieder hierher zurückgekommen sein und, welche Antwort Baroni auch bringen mag: ich werde wenigstens meine Pilgerfahrt, die ich mir gelobt, ausgeführt haben.«

»Fürst, Bruder von Königinnen,« erwiderte Amalek mit jener Höflichkeit, die die Häuptlinge der arabischen Stämme auszeichnet; »unter meinen Zelten hast du nur zu befehlen; gehe, wohin du willst und komme zurück, wann es dir beliebt. Meine Kinder werden dich zum Schutze, nicht zur Bewachung begleiten.« Mit diesen Worten erhob sich der große Scheik und zog sich zurück.

Tancred ging ebenfalls in sein Zelt, warf sich auf den Diwan und verfiel in eine tiefe Träumerei. Die Geschichte seines Lebens und seiner Gedanken schien mit Blitzesschnelle an ihm vorüberzuziehen; seine Geburt, in einem Lande, das den Patriarchen noch unbekannt war; sein Unterricht in arabischer Literatur, von deren Bedeutung er damals noch gar keine Ahnung hatte, aber die ihm unwiderruflich orientalische Ideen und Glaubensart einprägten; der Gegensatz, in dem die westliche Gesellschaft, in der er aufgewachsen war, zu diesen orientalischen Ideen stand; seine feste Überzeugung von der ständig wachsenden Melancholie des aufgeklärten Europas, die sich hinter all dem frechen Geschrei, hinter all dem lauten Galgenhumor und marktschreierischen, wissenschaftlichen Brimborium doch nur schlecht verbergen konnte; sein Erstaunen darüber, daß die asiatische Offenbarung von damals und die europäische Praxis von heute so wenig übereinstimmten, sein Bedauern über die verloren gegangenen Beziehungen zwischen Asien und Europa, sein inbrünstiger Wunsch, in das Mysterium der Alten Welt wieder einzudringen und ihrer himmlischen und göttlichen Privilegien ebenfalls teilhaftig werden zu können – alle diese Gefühle, Wünsche, Hoffnungen seines verflossenen Lebens zogen wieder an Tancred vorüber und preßten ihm einen tiefen Seufzer aus.

Jemand faßte ihn sanft bei der Hand. Tancred sah sich um. Der junge Emir kniete vor ihm und in seinen schönen, blauen Augen schimmerte eine Träne.

»Sie sind unglücklich«, sagte Fakredin in einem Tone des Bedauerns.

»Das ist das Los der Menschenkinder,« erwiderte Tancred, »und meine traurige Stimmung ist in meiner Lage nur zu erklärlich.«

»Der Fluch von zehntausend Müttern auf diejenigen, die Sie gefangen genommen haben, der Fluch von zwanzigtausend Müttern auf jenen, der Ihnen diese Wunde beibrachte!«

»Das Schicksal hat es wohl so gewollt,« sagte Tancred, der jetzt etwas heiterer zu werden schien, »vielleicht habe ich sogar an etwas ganz anderes gedacht.«

»Wissen Sie, warum ich Sie in dieser traurigen Stimmung überhaupt gestört habe?« fragte der junge Emir. »Sehen Sie, wenn Sie jetzt wollen, so sind Sie ein freier Mann. Der große Scheik hat seine Zustimmung dazu gegeben, daß Sie zum Sinai gehen können. Ich habe zwei Dromedare bei mir, die geschwinder als der Chamsin sind. Bei der Quelle von Mokatteb, wo wir unser erstes Nachtlager haben, werde ich den Beduinen Raki verabreichen lassen – ich habe welchen bei mir, der stark genug ist, um den Schnee des Libanons zu schmelzen; und wenn das noch nicht genügt, werde ich ihnen Timbak zu rauchen geben, und sie werden danach schlafen wie die Paschas. Ich kenne diese Wüste so genau, wie mein Vaterhaus – wir werden in Hebron sein, ehe sie überhaupt ein Auge aufgemacht haben. Wollen Sie?«

»Und wäre ich selbst allein, ohne Bewachung,« erwiderte Tancred, »ich müßte doch wieder zurückkommen.«

»Warum?«

»Weil ich mein Wort, das Wort eines christlichen Edelmannes, gegeben habe.«

»Aber einem Manne, der nicht an Jesus Christus glaubt. Pah! Ist es nicht selbst Sünde, ein einem Ungläubigen gegebenes Wort zu halten?«

»Aber ist er ein Ungläubiger?« fragte Tancred. »Er glaubt an Moses und achtet jeden Propheten, der aus dem Samen Abrahams hervorgegangen ist. Ist er doch selber ein Sprößling aus diesem großen Stamme! Ich wünschte, ich wäre so ein Ungläubiger wie der Scheik Amalek!«

»Wenn Sie mich einmal im Libanon besuchen, werde ich Sie unserem Patriarchen vorstellen, mit dem Sie sich nach Herzenslust über Theologie unterhalten können. Ich selber habe mich nicht viel mit dieser Wissenschaft beschäftigt – Sie wissen, ich bin in einer merkwürdigen Lage – wir haben so viel Religionen in unseren Bergen – aber die Zeit drängt; sagen Sie mir darum schnell, o Fürst, sollen wir nach Hebron zu entkommen versuchen?«

»Und wenn Amalek an Baal glaubte,« erwiderte Tancred, »ich müßte doch wieder zurückkehren, und wäre es selbst mein sicherer Tod. Außerdem könnte ich meine Leute doch nicht im Stiche lassen, und was würde aus Baroni werden?«

»Wir könnten leicht durch List auch sie befreien. Denken Sie nicht an Ihre Begleiter und vertrauen Sie sich gänzlich mir an. Nichts würde mir größeres Vergnügen machen, als diesen Räubern hier ihre Beute wieder abjagen zu können.«

»Ich darf an alles dies gar nicht denken,« sagte Tancred, »ich muß entweder hier bleiben oder wieder zurückkommen.«

»Was haben Sie nur auf dem Berge Sinai zu tun?« murmelte Fakredin in ziemlich ärgerlichem Tone. »Wenn es noch der Berg Libanon wäre, da gäbe es wenigstens Beschäftigung! Wir könnten die Lage des Volkes bessern, wir könnten Fabriken gründen, den Ackerbau fördern, den Handel heben, wir könnten zum Beispiel alle Seide zu sechzig Piaster das Pfund aufkaufen und sie in Marseille wieder zu zweihundert verkaufen! Und nebenbei könnten wir die wahre Religion fördern, soviel Sie nur immer wünschen!«


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