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Es ist schon seit langen Zeiten keinem Dichter mehr gestattet, das Gleichnis vom Phönix zu verwenden, das von der Scylla und der Charybdis muß selbst ein Volksredner in der Provinz sorgfältig zu umschiffen verstehen, und das bekannte »Ei des Kolumbus« darf auf keinem guten literarischen Mittagstische mehr serviert werden. Gleichfalls wünscht ein kunstverständiges und zu kritisch gewordenes Publikum die Oase nirgends wo anders mehr als in der Wüste selber anzutreffen – also hütet euch wohl, ihr, die ihr da schreibt und redet, sie wiederum in unsere Breitengrade zu importieren!
Was wir wirklich am dringendsten benötigen, ist ein neues Sortiment von Gleichnissen und Bildern, denn die geläufigen sind sicherlich bis zur Unbrauchbarkeit und gänzlichen Unmöglichkeit abgenutzt. Diese heute kursierende Gleichnismünze ist zwar nicht falsch, aber sie hat nur noch den Wert von Spielmarken, welche die Abwesenheit der echten Münzen der Ideen markieren soll. Die Kritiker sollten sich wirklich einmal entschließen, diese abgenützte Geldsorte einzuziehen. In jenen guten, alten Tagen, als die Prägung noch frisch war und das Edelmetall in seinem ganzen Glanze erstrahlte, hätten wir ruhig die Freundschaft von Tancred und Fakredin mit der von Damon und Phintias vergleichen können. Diese beiden Herren waren der guten Gesellschaft von anno dazumal noch tatsächlich bekannt. Aber ihr Beispiel hat heute all seinen Einfluß verloren, und zwar kann das Erlöschen dieses Einflusses unmöglich durch die Annahme erklärt werden, es sei die Folge eines zu schrankenlosen Wettbewerbes in dieser Richtung gewesen. Denn unser eigenes, aufgeklärtes Zeitalter hat überhaupt keine Kollegen von Damon und Phintias hervorgebracht.
Von all den Unterschieden zwischen den Alten und uns Modernen ist keiner auffallender, wie der zwischen ihren und unseren Ideen von Freundschaft. Die griechische Freundschaft besonders scheint etwas so Erhabenes gewesen zu sein, daß man nur sehr schwer sich ein Bild von ihr entwerfen kann. Man muß über sie sich vielmehr im Plato oder in Plutarchs »Moralia« oder in einigen anderen Büchern, die vielleicht weniger bekannt, aber desto interessanter sind, zu unterrichten versuchen. Was die moderne Freundschaft anbetrifft, so findet man sie heute nur noch in den Klubs. Bei einem Diner in Privathäusern ist sie gewöhnlich zu aufdringlich, in einem Zigarrenladen zu unnatürlich, sehr liebenswürdig und voller Rücksicht findet man sie beim Taubenschießen, bei einem Cricketmatch oder einem Pferderennen – aber im Klub findet man sie ganz rein und unverfälscht ... Die Wahrheit ist: das neunzehnte Jahrhundert steht zwar der Freundschaft nicht vollkommen skeptisch gegenüber, aber ist tief im Innersten der unangenehmen Überzeugung, daß sie etwas Seltenes sei. Ein Mann hat zwar seine Freunde – aber sind sie aufrichtig? Schimpfen sie nicht auf uns hinter unserem Rücken und geben sie nicht am Ende in den Klubs, in denen sie uns als Mitglieder vorgeschlagen haben, ihre Stimmen heimtückisch gegen uns ab? Ein großer Philosoph könnte sich damit trösten, daß es angenehmer sei, hinterrücks, als offen ins Gesicht beschimpft zu werden, und über die zweite Katastrophe könnte ihm die Überlegung hinweghelfen, daß der aufrichtige Freund, der mit Erfolg sein Veto gegen unsere Wahl abgegeben hat, sich selbstverständlich immer bereit erklären wird, uns noch ein zweites Mal wo anders vorzuschlagen. Im allgemeinen wird im neunzehnten Jahrhundert und von vernünftigen, wohlhabenden Leuten derjenige für einen aufrichtigen Freund gehalten, der einem kein Geld abzuborgen versucht, während unter den mit Mammon weniger gesegneten Gesellschaftsklassen gerade derjenige als guter Freund gilt, der es einem borgt.
Da es uns also nicht verstattet ist, Tancred und Fakredin mit Damon und Phintias zu vergleichen, und da wir im heutigen London weder in Park Lane noch in Pall Mall In Pall Mall befinden sich viele Londoner Klubs; Park Lane am Hydepark ist die bevorzugte Wohnstätte der Hautefinance. ein moderneres Freundespaar zum Vergleich finden können, müssen wir uns mit der Bemerkung begnügen, daß ihre Jugend, ihre gegenseitige Sympathie und die außergewöhnlichen Umstände zusammen das ihrige dazu beitrugen, diese Freundschaft zu einer außergewöhnlich innigen und beide Teile unendlich befriedigenden zu machen. Besonders der junge Emir lebte der Überzeugung, daß, tief und aufrichtig wie er sie empfand, diese Freundschaft niemals ein Ende nehmen könnte und dürfte.
Fakredin war in seiner Heimat ein sehr angesehener Mann und auch dabei stets mit Eifer bemüht, seinen guten Ruf, auf den er stolz war, und der ihm zu noch größerer Macht verhelfen sollte, in jeder Beziehung aufrechtzuerhalten. Er war darum außerordentlich freundlich und leutselig zu jedermann, hielt stets offene und reichliche Tafel, sagte beständig angenehme Dinge und tat, was er nur immer konnte, um sich den Beifall der Seinigen zu verschaffen. Die Emirs und Scheiks, ob Maroniten oder Drusen, waren darum alle stolz auf den fürstlichen Sprößling ihres größten Hauses und kamen in großer Anzahl nach Canobia, wo ihnen jedes der zweihundert berühmten Rosse Fakredins zur Verfügung stand, wo es stets eine reichbesetzte Tafel gab, auf der der goldene Wein des Libanons im Glase perlte und bei welcher der prachtvolle und berühmte Tabak, der auf den umliegenden Hügeln wuchs, geraucht wurde.
Für Tancred war dieses Leben gleichzeitig neu und unterhaltend. Der Aufenthalt in der reinen Bergluft brachte ihm bald seine alte Gesundheit wieder; seine Wunde war beinahe gänzlich ausgeheilt, und ein jeder Tag brachte ihm neue Überraschungen und neue Freunde, mit denen er sich unterhalten konnte – und wenn selbst dies nicht der Fall war, so hatte er ja beständig seinen liebenswürdigen Fakredin zur Verfügung, Fakredin, der alles sah, hörte, wußte, und der schon jedem seiner zahlreichen Besucher seine Rolle in dem von ihm selber projektierten großen Geschichtsdrama angewiesen hatte.
Fakredin schwebten in diesem Augenblicke besonders zwei Pläne vor: der erste war die Einigung der vornehmsten Häuptlinge des Libanon, sowohl der Maroniten wie der Drusen. In Canobia sollte jene friedliche Verbrüderung und Vereinigung zwischen den beiden Rassen, die mit der diplomatischen Hilfe der Großmächte im Juni zu Beirut auf dem Papier zustande gekommen war, in die Wirklichkeit übersetzt werden. Sein zweiter Wunsch aber ging dahin, seinen an sich schon bedeutenden Einfluß auf jene Führer noch durch den Hinweis auf die Anwesenheit Tancreds zu vermehren. Er wollte ihnen beweisen, daß der englische Prinz, mit dem er so intime Beziehungen unterhielt, nur deswegen zu ihm geschickt worden wäre, weil diese Angelegenheit für die gewöhnliche Diplomatie zu schwierig sei, und daß man deswegen einen der reichsten und edelsten Gesandten der mächtigen englischen Nation damit habe betrauen müssen.
Da in Syrien alles noch leichter geglaubt wird, wie anderswo, so gelang die große Mystifikation, in der Lord Montacute unbewußterweise eine Rolle spielte, vollkommen. Jedermann glaubte im Libanon, wie früher jedermann in der Steinwüste von Petraea, fest daran, daß der englische Gast in Canobia der Bruder der englischen Königin sei. Der Druse Achmet Raslan wie der Maronite Butros Kerauneh, die sich sonst über gar nichts einigen konnten, Die den Libanon bewohnenden Stämme der Drusen und Maroniten standen sich, besonders in den vierziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts, feindlich gegenüber. stimmten in diesem einen Punkte wenigstens vollkommen überein. Und wie sollten sie auch nicht? Hatte nicht Butros schon seit Tancreds Ankunft hintenherum zweihundert Gewehre zugestellt erhalten, und hatte nicht Fakredin Raslan ganz im Vertrauen ein bißchen von der kommenden englischen Anleihe versprochen?
Die außerordentliche Aufmerksamkeit, die übrigens beinahe an Ehrfurcht grenzte, mit der der Emir seinen hohen Gast behandelte, gab diesem Glauben natürlich neue Nahrung, ohne daß sie Tancreds Argwohn in irgend einer Weise wachgerufen haben könnte. Zwar fand er mitunter all die Ehrenbezeugungen, die ihm zuteil wurden, von seinem natürlichen und die Einfachheit liebenden Standpunkte aus herzlich überflüssig, aber sobald er dagegen Einspruch erhob, erwiderte ihm Fakredin, daß dieses Landessitte sei. Es war natürlich ganz unmöglich für Tancred, gegen die Gewohnheiten eines Landes Einspruch zu erheben, das er nicht kannte, aber einmal wurde es ihm doch zuviel. Eines Tages nämlich waren Tancred, Fakredin und eine Anzahl der angesehensten Häuptlinge auf die Falkenjagd geritten; Fakredin spielte dabei auf seiner schönen Kochlani-Stute und in einem kostbaren Gewande, das einem Soliman dem Prächtigen Ehre gemacht hätte, die erste Rolle, und als man nach Hause kam und Tancred eben aus dem Sattel wollte, schwang sich der Herr von Canobia aus dem seinigen, lief auf Tancred zu und wollte ihm den Steigbügel halten.
»Aber nein, das erlaube ich nicht«, sagte Tancred und wurde dabei ganz rot und blieb im Sattel.
»Wenn Sie sich dessen weigern, so werden Sie nicht mich, sondern alle die anderen hier persönlich beleidigen,« flüsterte der Emir leise zwischen den Zähnen hindurch, indem er dabei zu lächeln versuchte. »So ist es seit siebenhundert Jahren Sitte in unseren Bergen gewesen.«
»Merkwürdige Sitte«, dachte Tancred, als er, dem Wunsche Fakredins folgend, absaß.
In dieser glänzenden Versammlung war aber unser Tancred in seiner Jagdjoppe aus der St. James-Straße und seinem auf dem Markte zu Bellamont erstandenen Schlapphute, wie er so mit seiner schönen Purday-Büchse über der Schulter dastand, keineswegs die wenigst interessante Persönlichkeit. Die Emirs und Scheiks verfügten zwar sämtlich über jene Kunst der Selbstbeherrschung und Verstellung, für die der Orientale bekannt ist, und hatten alle in früher Jugend schon gelernt, über nichts Verwunderung an den Tag zu legen – aber eine Schwäche haben sie doch, nämlich die für Waffen. Nachdem sie Tancred mit ihren ruhigen Augen eine Zeitlang ununterbrochen gemustert hatten, schickte der Drusenfürst Francis el Kasin zu ihm und ließ anfragen, ob der englische Prinz Lust habe, einen Adler zu schießen. Dies führte die Annäherung herbei, und bald befand sich die Büchse in den prüfenden Händen des Drusen. Scheik Said Djinblat, der eher gestorben wäre, als daß er in den Verdacht geraten wäre, sich für Tancreds Büchse zu interessieren, konnte jetzt, da sie sich in den Händen eines verbündeten Scheiks befand, ebenfalls nicht der Versuchung widerstehen. Nun traten noch verschiedene andere Emirs und Scheiks hinzu, ein jeder gab seinem Erstaunen und seiner Verwunderung lauten Ausdruck, und man hörte allgemein die Versicherung, daß Gott groß sei.
Tancred bat jetzt Freeman und Trueman, die in der Nähe standen, seine Doppelbüchse, sowie seine mit Stechern versehenen Pistolen herbeizuholen. Sie brachten sie denn auch, legten aber bei ihrer Vorführung jene bekannte eingebildete Überlegenheit an den Tag, die die englische Dienerschaft unter solchen Umständen von jeher ausgezeichnet hat. Anstatt sich über die Verwunderung der Bergbewohner zu freuen, warfen sie sich gegenseitig spöttische Blicke zu und machten sich über die Feudalherren des Libanons, die sich nicht einmal auf Doppelflinten verstünden, lustig, so daß Tancred über ihre Brutalität sich wirklich ärgerte und seinerseits die Unhöflichkeit seiner Diener wieder gutzumachen suchte. Er hatte sich in der Zwischenzeit, und ohne daß Fakredin es gemerkt hätte, eine nicht unbeträchtliche Kenntnis der Landessprache angeeignet und war so imstande, die Eigentümlichkeit seiner Schußwaffen den Umstehenden ganz gut zu erklären. Zum Schlusse nahm er dann die Waffe selber, trat auf die Terrasse heraus, legte auf einen mächtigen Reiher, der hundert Meter hoch in der Luft über ihnen schwebte, an und schoß den Vogel unter dem Beifall der Maroniten wie der Drusen kunstgerecht herunter.
Jetzt ertönten wieder die Handtrommeln – aber alle durcheinander und ohne jeglichen Rhythmus, in schrecklicher Monotonie – und aus der Ferne ertönte Hundegebell. Eine plötzliche Bewegung entstand darauf unter den Gästen. Viele von den Scheiks standen langsam auf; ihre Diener rannten durcheinander; einige untersuchten ihre Gewehrschlösser, andere wogen ihre Speere und Piken in der Hand, wieder andere zogen ihre Handschars aus der Scheide, prüften ihre Schärfe und steckten sie dann wieder ein. Wer oben im Schlosse gewesen war, kam in den Hof herunter, und von dort strömte alles aus dem Torwege hinaus ins Freie. Hier warteten die Reitknechte mit den Pferden, diejenigen des Emir Fakredin wurden von seinen schwarzen Sklaven vorgeführt. Viele von den Scheiks saßen schon im Sattel und warteten spannungsvoll der kommenden Dinge.
In dem mächtigen Walde, durch den Fakredin und Tancred zusammen gekommen waren, sollte nämlich die große Jagd abgehalten werden. Es war ausgemacht worden, daß drei verschiedene Gruppen, deren Anführer Fakredin sowie die beiden Kaimakams Titel des Vorstehers eines Kreises in der Türkei. der beiden Stämme sein sollten, an drei verschiedenen, voneinander entfernten Punkten den Wald betreten sollten, so daß sich die Treibjagd über viele Quadratmeilen hin ausdehnen konnte. Die Häuptlinge der beiden Stämme waren in der Gruppe des Emirs von Canobia, während ihre Verwandten und ihr Gefolge so verteilt worden waren, daß die Maroniten im allgemeinen unter die Leitung des Emir Raslan, des drusischen Kaimakams, kamen, während die Drusen der maronitische Emir Haidar befehligte. Die Jagdgesellschaft bestand im ganzen aus mehr als achthundert Personen, von denen nur die Hälfte beritten war, aber alle Waffen trugen, so daß selbst die, welche die Hunde an der Leine hielten, sich an der Jagd mit demselben Rechte wie der stolzeste Scheik beteiligen konnten. Die drei Gruppenführer schwangen sich nunmehr in den Sattel, machten einander eine elegante Verbeugung, worauf sich die verschiedenen Abteilungen trennten und in die Ebene hinabritten. Sowie sie diese erreicht hatten, galoppierten die Reiter unter lautem Geschrei und ihre Speere in die Luft werfend nach allen Richtungen auseinander, aber nach kurzer Zeit sammelten sie sich wieder um ihre verschiedenen Führer, und bald sah man von der Höhe des Schlosses herab die drei farbenprächtigen Gruppen sich mehr und mehr trennen, immer kleiner und kleiner werden und schließlich an verschiedenen Stellen in den Wald verschwinden.
Lange Zeit hindurch hörte man in der ganzen Gegend nichts anderes als Gewehrfeuer, Hundegebell und das Geschrei der Menschen – aber keines dieser menschlichen Wesen war sichtbar, ausgenommen einige Gruppen von Frauen, deren Schleier an großen, silbernen Hörnern befestigt waren. Allmählich sah man dann auch männliche Gestalten aus dem Walde herauskommen, ein oder zwei Leute zu Fuß, sodann größere Trupps; einzelne lagerten sich auf der Ebene zum Ausruhen nieder, andere kehrten in ihre Dörfer zurück, wieder andere stiegen die steile Anhöhe von Canobia hinan. Das Gewehrgeknatter, Hundegebell und Menschengeschrei wurden allmählich seltener. Bald kam ein müder Reiter langsam aus dem Walde heraus über die Ebene geritten, bald wieder eine lustige Gesellschaft, deren Pferde noch einen schärferen Trab anschlagen konnten. Und jetzt kamen langsam und in kleinen Abteilungen aus verschiedenen Gegenden des Waldes wieder andere Gruppen zu Fuß heraus. Draußen angekommen, sammelten sie sich, begannen, in einer gewissen Reihenfolge, durch die Ebene hin auf das Schloß zuzuschreiten. Der Marsch ging sehr langsam von statten, denn sie trugen anscheinend schwere Lasten – vor ihnen und hinter ihnen befand sich je ein Trupp von Reitern. Als sie näherkamen, bemerkte man, daß sie die Jagdbeute trugen; es waren vierundzwanzig Eber, die auf grünen Ästen getragen wurden, eine Unmenge von Gazellen und dazu auf vier Speere gespießt und von vier Männern getragen, eine mächtige Hyäne.
Bald nachdem diese Trägerkarawane das Schloß erreicht hatte, fing das Gewehrgeknatter, das eine Zeitlang aufgehört hatte, wieder von neuem an, aber die Töne kamen jetzt ganz aus der Nähe. Schließlich ertönte eine Gewehrsalve, und unmittelbar darauf kamen die Jagdteilnehmer in größeren Abteilungen aus dem Walde heraus. Sie schlossen sich nicht zu einem geordneten Zuge zusammen, sondern zerstreuten sich über die Ebene; die einen galoppierten hierhin, die anderen dorthin, dabei warfen sie ihre Speere in die Luft und feuerten ihre Pistolen ab. Fakredin ritt mit seinen Begleitern zum Kaimakam der Drusen herüber, und man tauschte beiderseits seine Komplimente und Glückwünsche ob des gelungenen Morgensports aus. Auch der Kaimakam der Maroniten ließ nicht lange auf sich warten, worauf die drei verschiedenen Gefolge sich zusammentaten und alle Welt in einem flotten Trabe den Schlängelweg zur Burg Canobia hinaufritt.
Die Küche Canobias war außerordentlich geräumig, wenn auch von sehr einfacher Art. Man hatte sie nämlich erst aus Anlaß dieses Festes errichtet, das heißt, man hatte in der Nähe des Schlosses an die fünfzig Gruben, jede vier Fuß lang und einen halben tief, angelegt. In jeder der vier Ecken dieser Gruben war ein Pfahl hineingeschlagen, und über diese Pfähle war ein ländlicher Bratrost, der aber nur aus grünem Holze bestand, gelegt. Die Grube unterhalb dieses Bratrostes war mit Holzkohlen angefüllt, die angezündet wurden und eine ziemlich starke und andauernde Hitze verbreiteten, bei welcher das oberhalb auf dem Bratrost liegende Wild allmählich geröstet wurde. Auf diese Art wurden auf einigen Rosten wilde Bären, auf anderen Schafe – gelegentlich auch ein paar Gazellen gebraten. Die Schafe hatte man, da Zeit dazu gewesen war, zuvor abgehäutet, aber das Wild hatte man nur aufgeschlitzt, ausgenommen und mit dem Rücken, mit an den Pfählen befestigten Füßen, auf den Rost gelegt. Während es geröstet wurde, warf man in den offenen Bauch der Tiere Stücke von Zitronen und ausgequetschte Granatäpfel, deren wohlriechender Saft zusammen mit dem kochenden Fett eine rötliche, sehr aromatische Sauce abgab. Die Jäger waren gleichzeitig auch die Köche; im übrigen wurde während dieser Operation die größte Ordnung beobachtet, und obgleich die Mehrzahl der Scheiks, Emirs und Stammeshäupter sich wieder zu ihren Nargilehs in ihre Diwans zurückgezogen hatten, so war doch unter den Bedienten und Sklaven manch ein ernster Krieger zu sehen, der sich persönlich an der Herrichtung dieses patriarchalischen und echt ländlichen Banketts beteiligte. Im Schlosse selber wurde der Reis zubereitet, der gekocht und auf große Zinnteller geschichtet wurde, daneben wurden noch Gallonen von Kaffee gekocht, und für besondere Feinschmecker die Leber der Eber und Gazellen in goldenem Libanonweine gebraten.
Fakredin hatte seinen Teppich auf dem Marmorboden seines größten Zimmers ausbreiten lassen und die beiden Kaimakams, Tancred, sowie die Häupter der verschiedenen Häuser bitten lassen, mit ihm speisen zu wollen. Um sie herum nahmen die anderen Häuptlinge auf ihren eigenen Teppichen Platz, während die übrigen Scheiks und Emirs in kleinen Gruppen sich über den großen Hof und unter den Arkaden verteilten, wobei sie jedoch sorgsam darauf achteten, den Zugang zur Fontäne in der Mitte freizuhalten. Die Lehnsmänner nahmen, nachdem die anderen gegessen hatten, draußen vor dem Schlosse ihre Festmahlzeit ein.
Ein jeder brachte in seinem Gürtel sein eigenes Messer mit, Gabeln hingegen sah man überhaupt nicht. Fakredin zeigte mit Stolz sein französisches Porzellan, das die Häuptlinge mit ziemlicher Geringschätzung zu betrachten schienen. Dieser europäische Luxus aber blieb ausschließlich auf Fakredins eigenen Teppich beschränkt.
Tancred sah mit Verwunderung, mit welcher Gemütlichkeit die Granden des Libanon ihre Mahlzeit einnahmen und verglich mit ihrer ruhigen Art die laute Art und Weise, die bei dieser Gelegenheit im Frankenlande (denn den schönen orientalischen Namen »Christenheit« darf man wohl Europa nicht länger geben) beobachtet wird. Ja, diese Kinder des Syrierlandes waren vernünftige Männer, die der Meinung waren, daß wenn man sprechen wolle, man nicht essen solle, da dabei sowohl das Gespräch wie die Mahlzeit zu kurz kommen könnten.
Es steht außer Frage, daß an den häufigen Magenleiden von heute, neben der aufreibenden Sorge, die der Europäer auf den Erwerb überflüssigen Geldes verwendet, hauptsächlich jene Mahlzeiten schuld sind, bei welchen man zugleich reden und essen muß, und bei denen man, während der Magen arbeitet, noch gleichzeitig sein Hirn abplagen muß, um eine für die Gelegenheit passende Anekdote vom Stapel zu lassen. Man hat behauptet, daß die Gegenwart der Frauen bei unseren Festessen der Grund ist, der die Männer zu solch unhygienischen Anstrengungen veranlaßt und man hat demgemäß auch den Vorschlag gemacht, sie von derartigen Festlichkeiten auszuschließen.
Hingegen muß man das eine hervorheben, daß selbst Diners, an. welchen nur Männer teilnehmen, in dieser Hinsicht durchaus nicht besser verlaufen. Außerdem sind diese noch besonders langweilig, denn wenn man eine Persönlichkeit in hoher Stellung ist, so wird man dieser Stellung wegen und um nichts anderes eingeladen, und wenn man kein so hochgestelltes Wesen ist und dennoch versucht, zur Unterhaltung beizutragen, so macht man sich nur unbeliebt und läuft die Gefahr, weder hier noch irgendwo anders je wieder eingeladen zu werden. Und die Plage des Sprechens und Sprechenmüssens ist hier ganz dieselbe wie bei den anderen Festmahlzeiten; von der Suppe bis zum Kaffee, vom Hors d'œuvre bis zum Apfel wird da geredet, werden Anekdoten erzählt, werden Geheimnisse, die jedermann kennt, ausgekramt und langweilige, alte Geschichten, die niemand interessieren, aufgetischt, wobei man sich vor allem hütet, ja nichts Neues zu bringen, nichts, das nicht sorgsam und kaltblütig für die betreffende Gelegenheit vorher ausgedacht ist. Glücklicherweise gehörten die Fürsten der Libanon-Häuser nicht zu dieser Schule. Stillschweigend, ununterbrochen-energisch und mit bestem Appetite widmeten sie sich der großen Aufgabe des Essens. Dieses Monster-Bankett, das zwei feindliche Stämme einen sollte, wurde wirklich nicht mit jener heuchlerischen, gewöhnlichen Gastfreundschaft heruntergegessen, mit der bei uns ein gelangweilter Wirt seine unwilligen Gäste zu beglücken pflegt; es war ein Fest, ein wirkliches Fest, an das man noch lange sich erinnern sollte. Die Gäste lernten sogar mit der Zeit, sich an das Pariser Porzellan zu gewöhnen und sich der geschliffenen böhmischen Gläser zu bedienen. So verschwanden ein schönes Bärenstück und eine fette Gazellenschnitte nach der anderen. Außerdem gab es noch Holztauben, Rebhühner und Wachteln, die man der Falkenjagd zu verdanken hatte. Schließlich verlangten die Gäste, zum Zeichen, daß sie genug Fleisch gegessen hatten, nach Reis, worauf sofort nubische Sklaven feine mit Gold bestickte Handtücher vor ihnen ausbreiteten, kleine Schalen darüber stellten und den Festesteilnehmern aus den Tonflaschen süßes Wasser über die Hände gossen.
Es wurde jetzt etwas Zuckerwerk, das von Nonnenhänden zubereitet war, herumgereicht und einige stärkere Liköre, für deren Herstellung einzelne Klöster berühmt waren, beschlossen das Gastmahl. Darauf priesen die Häuptlinge Gott für die gespendete Nahrung, standen von ihren Teppichen auf und nahmen auf ihren Diwans Platz. Sofort trat in das Zimmer eine Anzahl Sklaven, von denen ein jeder eine Nargileh trug, die er seinem Herrn überreichte. Dann erst begann das Gespräch. Man unterhielt sich hauptsächlich von den Ereignissen des Tages, der eine ganze Menge heroischer Jagderlebnisse aufzuweisen hatte. Hatte man doch einige wilde Bären erlegt, die sich tapfer zur Wehr gesetzt und ihre Feinde verwundet, ja, in richtige Lebensgefahr gebracht hatten. Scheik Said Djinblat erkundigte sich bei Lord Montacute danach, ob es in England Hyänen gäbe, wurde aber sofort von einem lebhaften und gutunterrichteten Scheik Djezbek eines Besseren dahin belehrt, daß es dort zwar keine Hyänen, sondern nur Löwen und Einhörner gäbe.
In der Zwischenzeit hatte man überall die Pfeifen in Brand gesetzt und die Raucher tranken dazu ihren schwärzlichen Mokka, andere auch den etwas mehr anregenden Raki. So saßen sie da – an die vierhundert Mann, jeder mit seiner Pfeife und seinem Tschibuk bewaffnet und mit Eifer und Vergnügen nach solch einem harten Jagdtage und einer so ungewöhnlich guten Mahlzeit, ihre Rauchwolken einsaugend und in die Lüfte blasend! Außerhalb der Schloßmauern saß dieselbe Anzahl Menschen noch einmal bei ihrer Mahlzeit, sie schnitten mit ihren blinkenden Handschars mächtige Massen Fleisches herunter, begruben gierig ihre Hände in den vor ihnen aufgestapelten Reisbergen und löschten ihren Durst, indem sie mit den gewaltigsten Zügen eine der vielen Tonflaschen auf einmal leerten.
»Das Merkwürdigste,« sagte Freeman zu Trueman, die sich beide mit einem guten Stück Braten unter einer Pinie niedergelassen hatten und mit ihrem Reisebesteck daran herumarbeiteten, »das Merkwürdigste ist, daß diese Leute Christen sein sollen. Hat man jemals etwas von turbantragenden Christen gehört?«
»Oder von Christen, die ohne Messer und Gabel essen«, fügte Trueman hinzu.
»Na, im Dienerschaftszimmer auf Bellamont-Schloß würden sie schön die Augen aufmachen, wenn sie dies hier mit ansähen, John, nicht wahr?« sagte Freeman nachdenklich, »ja, ja, ein Mann, der in der Welt herumkommt, lernt so manches neue.«
»Und muß auch so manches ausstehen,« sagte Trueman, »ich meinesteils mache mir aus der Arbeit nicht zu viel, aber dafür muß ich durchaus zur regelmäßigen Stunde meine Mahlzeiten haben.«
»Nun, dies Zeug hier schmeckt gar nicht so schlecht,« sagte Freeman; »man nennt das hier ›Gazelle‹, was wahrscheinlich der fremde Name für ›Rehbraten‹ ist.«
»Wenn du das in Bellamont als ›Rehbraten‹ bezeichnen würdest, so würden sie dich schön auslachen.«
»Bellamont ist Bellamont, und diesen Ort kannst du so ohne weiteres damit nicht vergleichen, John,« sagte Freeman vorwurfsvoll. »Der Emir ist ein hochgeborener Herr, jeder Zoll ein Gentleman, ich freue mich wirklich aufrichtig, daß Mylord hier einen solchen Verkehr mit seinesgleichen gefunden hat. Das ist doch ein ganz anderer Mann als die Mönche und Eremiten und das andere niedrige Volk, die wahrhaftig für Mylord keine angemessene Gesellschaft sind und ihn am Ende zum Papisten hätten machen können.«
»Das könnte eine schöne Geschichte geben,« sagte Trueman, »Mylady würde darüber sehr unglücklich sein. Lieber sollte er gleich Türke werden.«
»Sicherlich,« erwiderte Freeman, »denn damit würde er wenigstens unsere britische Konstitution nicht verletzen. Der türkische Sultan darf einen Gesandten zu unserer Königin schicken, aber der römische Papst nicht.«
»Ich würde aber nicht gerne Türke werden«, sagte Trueman in Gedanken versunken.
»Ich weiß, woran du denkst, John,« sagte Freeman in ernstem Tone. »Du machst dir Sorgen, wie wir beide, wenn uns in diesem Heidenlande etwas passieren sollte, ein christliches Begräbnis erhalten könnten.«
»O nein, Freeman, ich dachte gerade an ein Glas gutes Bier.«
»Ach!« seufzte Freeman, »das Herz tut einem weh, wenn man in die weite Fremde verschlagen, wie wir sind, an solche schönen Sachen denkt. Weißt du was, John, mitunter ist mir doch hier schon sehr miserabel zumut gewesen. Eines Abends überraschte ich mich, wie ich » Home, sweet Home« »Heimat, süße Heimat«, ein bekanntes englisches Volkslied. sang – das war damals – da unten, weißt du – bei den Wilden. Mitunter hat man doch etwas Zuspruch nötig, ja wahrhaftig, John! – denn es fehlt einem so manches – z. B. das allabendliche Familiengebet – alle um den Tisch herum, John – und wie du schon sagtest, das gute Bier dazu, das stets bei uns im Hause gebraut wurde. Ach Gott!«
Als die Dämmerung sich zu Ende neigte, zündele man mächtige Feuer ringsherum an, sowohl um die Panther, die der Geruch gebratenen Fleisches hätte anlocken können, als auch um die Hyänen, die für den Mord der Brüder hätten Rache nehmen wollen, vom Biwak hinwegzuscheuchen. Schließlich aber wurde die Unterhaltung der beteiligten Festgenossen stiller, und bald hörte sie ganz auf. Man hatte gegessen und getrunken und die Tschibuks geraucht und hüllte sich jetzt in die Mäntel und Schafspelze, um der wohlverdienten Ruhe zu pflegen.