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Neuntes Kapitel

Tancred wurde schnell besser. Am Tage, nach dem er Eva erkannt hatte, hatte er mit Fakredin jene Unterhaltung, die den Emir dazu bewogen hatte, zu seinen Gunsten bei Amalek ein Wort einzulegen. Am dritten Tage stand er schon auf und wollte sogar schon aus dem Zelte gehen, aber Baroni riet ihm davon dringend ab. Tancred hatte um so mehr Sehnsucht nach frischer Luft, weil sein liebenswürdiger Besucher, der junge Emir, an diesem Tage nicht erschienen war. Baroni berichtete, daß seine Hoheit am frühen Morgen auf seinem Dromedar und ohne Begleiter in die Wüste geritten seien. Wie Baroni weiter berichtete, war weder über das Lösegeld, noch über Tancreds Freilassung irgend etwas beschlossen worden. Der große Scheik wäre anscheinend gerne in sein Hauptquartier zurückgekehrt und nur die Krankheit Tancreds hatte ihn veranlaßt, in dieser fürchterlichen Steinwüste zu bleiben. Eva hatte ihm, Baroni, seit ihrer Ankunft in der Ruinenstadt, gar nichts mehr über die Geschichte, die sie während ihrer Reise doch so unaufhörlich beschäftigt hatte, mitgeteilt, so daß man daraus den Schluß ziehen konnte, daß sie nichts Günstiges zu berichten hatte; auf der andern Seite aber war Baroni nicht ohne Hoffnung, da er ganz sicher war, daß sie bei vollkommener Aussichtslosigkeit ihrer Vorschläge nicht einen Tag hiergeblieben wäre. Die anscheinende Zufriedenheit des großen Scheiks, Evas Stillschweigen, Fakredins plötzliches Verschwinden – alles dieses waren Umstände, die Baroni zu der Überzeugung brachten, daß etwas in der Luft sei und, da er selber sanguinischen Temperaments war, so sprach er seinem Herrn aufrichtig Mut zu, dessen er im übrigen gar nicht so sehr bedurfte.

»Der Emir hat mir gestern berichtet, daß er ganz sicher alles ins Reine bringen würde,« sagte Tancred, »ohne uns in irgendeiner Weise bloßzustellen. Wir können nicht erwarten, daß solch ein Abenteuer, wie dieses, wie eine Jagd endigt. Einige Kamele werden wir wohl drangeben müssen, vielleicht auch noch etwas anderes dazu. Ich bin sicher, der Emir wird mit der Hilfe der schönen Dame von Bethanien, in deren Weisheit und Güte ich das höchste Vertrauen habe, alles ins Reine bringen.«

»Ich setze mehr Vertrauen in sie, als in den Emir,« sagte Baroni. »Mit diesen Schihabs weiß man nie, wie man daran ist. Ich bin sicher, er ist heute morgen nicht nach El Kuds geritten.«

»Ich bin dem Emir Fakredin auf das höchste verpflichtet,« sagte Tancred, »und mag ihn, ganz abgesehen davon, sehr gern.«

»Ich habe gar nichts gegen den edlen Emir einzuwenden,« sagte Baroni, »und ich bin auch ganz davon überzeugt, daß er sich gegen Eure Lordschaft sehr höflich und aufmerksam bewiesen hat; aber Schihab bleibt Schihab, und man weiß nie, wie man mit ihnen steht.«

»Er ist heißblütig und ehrgeizig,« sagte Tancred, »und er ist jung. Sind dieses Fehler? Außerdem hat er nicht den Vorteil einer regelrechten Erziehung genossen. Er ist stets ohne Führer gewesen und er ist dadurch etwas eigenwillig und zügellos geworden. Aber er hat eine großartige Stellung inne und ist ein kluger Kopf und ein energischer Charakter. Vielleicht hat die Vorsehung ihn zu großen Dingen bestimmt.«

»Ein Schihab wird sich nur um die Hauptsache kümmern.«

»Aber die Hauptsache wird für ihn die Befreiung seines Landes sein.«

»Sein Vaterland kann kein Mensch mehr retten,« sagte Baroni. »Die Syrier sind stets Sklaven gewesen.«

»Man kann sie doch heute unmöglich als Sklaven bezeichnen,« sagte Tancred, »denn sie haben Waffen und sind gute Krieger! Alles, was sie brauchen, ist eine gute Sache.«

»Und die werden sie niemals finden«, sagte Baroni.

»Warum nicht?«

»Der Orient ist erschöpft.«

»Der Orient ist heute nicht mehr erschöpft, als damals, da Mohammed erstand,« sagte Tancred. »Schwach und kläglich, wie die Regierung der Türken auch sein mag, sie ist um nichts schlimmer, wie jene der Byzantiner oder der Sassaniden.«

»Ich weiß nichts von diesen Leuten,« sagte Baroni, »ich weiß nur das eine, daß man mit den Herrschaften hier nichts mehr anfangen kann. Ich habe sie so ziemlich kennen gelernt. M. de Sidonia versuchte im Jahre 1839 etwas für sie zu tun und wenn sie damals in Syrien nur einen Funken von Energie gehabt hätten, das wäre der richtige Augenblick gewesen, aber –« Baroni zuckte mit den Schultern.

»Aber um was sollte denn im Jahre 1839 gefochten werden?« fragte Tancred mit Interesse.

»Um die einzige Sache, die in dieser Welt etwas wert ist,« sagte Baroni. »Wir hatten genügend Geld; wir hätten drei Millionen haben können.«

»Und wenn ihr sechs oder sechzehn gehabt hättet, so würde euch das auch noch nichts genützt haben. Ich habe kein Vertrauen in Nationen, die mittels einer fremden Anleihe sich auf die Beine helfen wollen, z. B. Griechenland. Und doch, wenn ein Mann den Berg Karmel bestiege und nur drei Worte sagen würde, so könnte er die Araber wieder nach Granada und vielleicht noch weiter führen.«

»Sie haben keine Artillerie«, sagte Baroni.

»Und die Türken haben Artillerie und wissen nichts damit anzufangen,« sagte Lord Montacute. »So ist denn der von der Natur begünstigste Teil der Erde heute vollkommen ohne Schutz, in ganz Asien gibt es keine Soldaten außer den Sepoys, der einen Schuß Pulver wert wäre. Man könnte die persischen, assyrischen und babylonischen Monarchien an einem Vormittage erobern – mit einem Säbelschlag, wenn man nur den rechten Glauben hätte.«

»Aber die Großmächte würden dagegen Einspruch erheben«, sagte Baroni.

»Was würde ich mir aus den Großmächten machen, wenn der Herr der Heerscharen auf meiner Seite fechten würde!«

»Na, die Heerscharen würden in Bagdad und Ispahan nicht viel ausrichten können.«

»Wenn jemand heute auf der persischen und mesopotamischen Ebene, den fruchtbarsten und wenigst bevölkerten Gegenden der Welt, eine große, religiöse Wahrheit verkünden würde, so würde er damit das ganze Asien wieder zum Leben erwecken. So etwas würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Wenn die arabische Halbinsel sich einmal zu regen anfängt, wird sie mit Leichtigkeit der kleinasiatischen Halbinsel Herr werden können. Ein wiederbelebtes Asien würde auch auf Europa zurückzuwirken imstande sein. Der europäische Komfort, den man Zivilisation benennt, ist doch bisher nur auf ein kleines Stückchen Erde beschränkt geblieben: die britische Insel, Frankreich und die Ufer eines einzigen Stromes, des Rheines, sind allein damit behaftet. Der größte Teil Europas ist so tot wie Asien und hat dabei nicht einmal den Trost eines schönen Klimas oder der unsterblichen Überlieferungen.«

»Als ich in Jerusalem war, Mylord, nahm ich mir die Zeit, auf das Konsulat zu gehen und den Obersten zu besuchen,« sagte Baroni, »ich dachte, es wäre besser, ihm etwas von unserer Geschichte zu erzählen. Ich ersah zu meinem Erstaunen, daß nicht einmal das Gerücht unseres Unfalls zu ihm gedrungen war; so habe ich ihm denn einiges davon erzählt, so daß er sich keine übertriebene Idee davon macht, falls er etwas aus anderer Quelle erfahren sollte. Er erwartet Sie im übrigen jetzt jeden Tag.«

»Sie taten recht daran, ihn zu besuchen,« erwiderte Tancred, »denn man weiß nie, was passieren kann. Ich bin mir übrigens noch sehr darüber im Zweifel, ob ich nach Jerusalem zurückkehren werde. Wenn die Geschichte hier ins reine gekommen ist, so habe ich die Absicht, den Emir auf seinem Schlosse in Canobia zu besuchen. Ein Luftwechsel wird für mich das beste sein, und der Libanon ist ja, seiner Angabe nach, um diese Jahreszeit ein wunderbar schöner Aufenthalt. Ich brauche wahrhaftig etwas Luft, ich muß jetzt wirklich aus diesem dumpfen Zelte heraus, Baroni; die Sonne ist ja schon untergegangen, und draußen herrscht nicht mehr jene große Hitze, die Sie anscheinend für so nachteilig für mich halten.«

Es war die erste Nacht des neuen Mondes, dessen weiße Strahlen gerade über die purpurfarbene Landschaft zu fallen begannen. Die Luft glühte noch von der Hitze des Tages und von der Abendbrise, die mitunter vom Golfe von Akaba her durch die Schlucht zu streichen pflegte, war noch nichts zu spüren. Tancred hatte sich in seinen Beduinenmantel gehüllt und stattete in Baronis Begleitung den schwarzen Zelten einen Besuch ab. Er fand, daß diese beinahe leer waren, denn der ganze Stamm, mit Ausnahme der Wachen, die ein arabisches Lager immer aufzustellen pflegt, hatten sich in den Ruinen des Amphitheaters zu einer Vorstellung eingefunden. In dem Teil der Arena, der dem Zelte des großen Scheiks gerade gegenüber lag, trug nämlich ein berühmter Rezitator den »Besuch Antars bei dem Tempel der Feueranbeter« vor, ein Gedicht, das von den Abenteuern des größten arabischen Helden bei den verweichlichten und höchlichst entsetzten Höflingen des prachtliebenden, edlen Nuschirwans handelt.

Die Zuhörerschaft war ziemlich zahlreich, denn die ausgewählte Mannschaft der Kinder Rechabs war zweihundert Mann stark gewesen und die größere Hälfte dieser war auch gekommen; einige saßen, wie die alten Idumäer, auf den noch vollkommen erhaltenen Sitzen des Amphitheaters; andere hockten, aber in respektvoller Entfernung von dem Vortragenden, in Gruppen auf dem Boden; wieder andere saßen auf den umgestürzten Säulen oder standen gegen die zerfallenen, vom Silbermonde beschienenen Marmorwände gelehnt; alle Gesichter aber zeigten einen äußerst lebhaften, ja höchst gespannten Ausdruck. Mit vor Erwartung offenem Munde, blitzenden Augen und mit vor Aufregung, Sympathie und Entzücken ganz verklärten Gesichtern folgten diese Kinder der Wüste dem Vortrage ihres Stammesgenossen.

Dieser erzählte, wie Antar im Turniere den griechischen Ritter niederwarf, der von Konstantinopel eigens gekommen war, um den persischen Hof zu beleidigen, wie er den Speer des persischen Satrapen, der auf seine arabische Herkunft eifersüchtig war, mit der Hand auffing und ihn in das Herz des Feindes zurücksandte; wie er, hoch zu Roß sitzend, verkündete, er sei Iblas Geliebter und der edelste Ritter der Zeit. Und die Zuhörerschaft schrie naiv dabei auf: »Es ist wahr! Es ist wahr!«, obwohl sie damit für die Wahrheitsliebe eines Helden eintrat, der vor mehr als vierzehnhundert Jahren gelebt, geliebt und gestritten hatte. Antar ist die Iliade der Wüste, und ihr Held erfreut sich der leidenschaftlichen Bewunderung der Beduinen. Ewig können sie seine Taten wiederholen hören, zum Beispiel, wie er seinen Stamm zum Streite anspornte, mit den Worten: »Oh, bei Abs! Oh, bei Adnan!«, wie viele Kamele er den Feinden abnahm, wie viele Männer er tötete, wie viele Mädchen er zurückgewiesen hatte, denn er war und blieb einzig und allein »für immer Iblas Geliebter«. Was dieses große arabische Epos noch interessanter macht, ist die Tatsache, daß es noch vor dem Zeitalter des Propheten geschrieben wurde; es schildert somit die Wüste vor der Zeit des Korans und beweist uns, wie wenig ihre Bewohner sich selbst durch Einführung und Annahme des Islams verändert haben.

Als Tancred und sein Begleiter an das Amphitheater herankamen, erscholl ein lautes Gelächter.

»Antar sitzt gerade mit dem Könige von Persien nach seinem Siege bei der Festtafel,« sagte Baroni; »dies ist eine Lieblingsszene der Araber. Antar fragt die Höflinge nach dem Namen jedes Gerichtes und möchte auch gerne von ihnen wissen, ob der König jeden Tag so gut speise. Er entblößt seine Arme, schiebt das Essen in seinen Mund und schlingt es herunter, ohne seine Kinnbacken zu bewegen. Sie haben dies schon hunderte von Malen mit angehört und lachen doch stets wieder mit derselben Herzlichkeit darüber.« »Nicht wahr, Schidad, Sohn Amrus,« fragte Baroni einen ihm zur Seite sitzenden Araber, »Du hast diese Geschichte schon gehört, als du zum ersten Male Liban gekostet hast und sie amüsiert dich noch immer!«

»Ich höre immer gerne die schöne Sprache wieder,« sagte der Beduine; »Parfüms riechen immer wieder gut, obwohl man sie schon tausendmal gerochen hat.«

Nur wenn ihr Gefühl lebhaft erregt wurde, hörte man Lachen oder einen Ausruf, sonst herrschte absolutes Schweigen. Nicht einmal geflüstert wurde, so daß Baroni ganz leise Tancred ins Ohr raunen mußte, daß der große Scheik anwesend wäre und daß er, bei seinem ersten Ausgang nach der Krankheit die Verpflichtung hätte, ihn zu begrüßen. Sie standen darum beide auf und Baroni ging Tancred voran, damit er den Besuch bei dem großen Scheik melden konnte. Dieser begrüßte seinen jungen Gefangenen mit dem freundlichsten Lächeln, bat ihn auf seinem Teppich Platz nehmen zu wollen, gab seiner Freude über seine Genesung Ausdruck, bot ihm seine Pfeife an und wendete dann wieder seine ganze Aufmerksamkeit dem Vortragenden zu. Baroni nahm hinter Tancred Platz und beugte sich gelegentlich zu seinem Herrn herüber, um ihm den Inhalt des Vorgetragenen zu verdolmetschen.

Nach einiger Zeit hörte der Dichter auf. Jetzt entstand ein allgemeines Geflüster und allerlei Lobreden wurden laut, und einer sagte dem andern: »Es ist alles wahr, denn ebenso hat es mir mein Vater erzählt.« Der große Scheik drückte sein Wohlgefallen aus, befahl seinen Sklaven, dem Dichter eine Tasse Kaffee zu geben, entnahm seinem Gürtel eine mächtige, über einen Fuß lange Börse und holte, nach langem Suchen, eine der kleinsten Münzen heraus, die der Dichter, trotz ihres geringen Wertes, an die Lippen legte und dabei die Versicherung abgab, daß Gott groß sei.

»O Scheik der Scheike,« sagte er dann, »was ich soeben vorgetragen habe, ist ein Gedicht, das schon in den Tagen der Riesen aufgeschrieben wurde, aber ich habe meine Feder auch in mein eigenes Gehirn getaucht und möchte jetzt ein Gedicht vortragen, das, so hoffe ich, eines Tages im Tempel von Mekka aufgehangen werden wird. Es ist zu Ehren eines Mädchens, das, wenn sie in unserer Mitte erschiene, wie der Vollmond sein würde, wenn er über der Wüste aufgeht. Ja, ich singe von Eva, der Tochter Amaleks (die Beduinen ließen in ihrer Genealogie immer Besso aus), Eva, der Tochter von tausend Häuptlingen. Möge sie nie mehr die Zelte ihres Stammes verlassen! Möge sie stets Nejidstuten und silbergezäumte Dromedare reiten! Möge sie ständig bei uns bleiben! Möge sie sich ihrem Volke zeigen wie ein freies, arabisches Mädchen!«

»Das sind die Worte der Wahrheit,« riefen die Beduinen freudig aus, »jedes Wort ist eine Perle.«

Der große Scheik sandte eine Sklavin in das Zelt und ließ Eva bitten, mit ihren Dienerinnen herauszukommen. Eva folgte dem Wunsche ihres Großvaters und hörte die Ode, die der Dichter zu ihren Ehren ersonnen hatte, mit an. Er hatte Palmenbäume gesehen, die nicht so groß und nicht so graziös wie Eva waren; er hatte die Augen von Tauben und Antilopen gesehen, aber sie waren nicht so glänzend und so sanftmütig wie die Evas; er hätte aus den frischen Quellen der Wüste getrunken, aber sie waren ihm nicht so willkommen gewesen wie Eva, und selbst der sanfte Glanz des Wüstenmondes käme nicht Evas hoheitsvoller Stirne gleich. Sie wäre die Tochter Amaleks, die Tochter von tausend Häuptlingen. Möge sie stets in ihren Zelten leben, stets auf Nejidstuten und silbergezäumten Dromedaren reiten und sich stets ihrem Volke als freies, arabisches Mädchen zeigen!

Nachdem der Dichter sein Thema noch auf die verschiedenste Art variiert hatte, hörte er auf und ein starker Beifall lohnte seine Worte.

»Er ist ein wahrer Dichter,« sagte ein Araber, der, wie die meisten seiner Brüder, auch ein guter Kritiker war, »er ist wirklich ein zweiter Antar.«

»Wenn er diese Verse dem Perserkönige vorgetragen hätte, so würde der ihm tausend Kamele dafür gegeben haben«, erwiderte sein Nachbar bedächtig.

»Das Gedicht sollte im Tempel von Mekka aufgehängt werden«, sagte ein Dritter.

»Was ich am meisten daran bewundere, ist sein Gleichnis vom Vollmond: das kann gar nicht oft genug angebracht werden«, sagte ein Vierter.

»Das ist wahr: der Mond sollte immer scheinen,« sagte ein Fünfter. »Auch sollten in allen wirklich guten Versen Palmenbäume und frische Quellen vorkommen.«

Tancred, dem Baroni den Inhalt der Verse mitgeteilt hatte, war ebenfalls höchlichst entzückt: und da er vorher mit angesehen hatte, daß der große Scheik den Dichter belohnte, nahm er eine Kette, die er glücklicherweise gerade trug, von seiner Brust und übersandte sie dem Sänger von Evas Tugenden. Das Geschenk erregte große Aufmerksamkeit und entlockte den Arabern ein allgemeines Beifallsgemurmel.

»Wahrlich, er ist der Bruder von Königinnen«, flüsterten sie einander zu.

Die Zuhörerschaft stand jetzt auf und entfernte sich. Tancred bat seinen Gastgeber um die Erlaubnis, sich zu Eva begeben zu dürfen, denn sie saß, um ein Beträchtliches von den andern entfernt, vor dem Eingang des Zeltes.

»Wenn ich ein Dichter wäre,« sagte Tancred und verbeugte sich dabei vor ihr, »so würde auch ich versuchen, der Dame von Bethanien einen poetischen Dank auszusprechen. Ich hoffe,« fügte er nach einer Pause hinzu, »daß Baroni Ihnen meinen innigsten Dank zu Füßen gelegt hat. Als ich Sie um die Erlaubnis bat, Ihnen morgen meine Aufwartung machen zu dürfen, konnte ich noch nicht ahnen, daß ich so eigenwillig sein würde, schon heute mein Zelt zu verlassen.«

»Es wird Ihnen keinen Schaden tun,« sagte Eva, »unsere arabischen Nächte bringen Balsam.«

»Ich fühle es selber,« erwiderte Tancred, »dieser Abend wird mich wieder vollkommen gesund machen. Ich verdanke Ihnen meine Heilung.«

»Meine Kenntnisse sind nicht sehr umfangreiche und meine Mittel sind sehr einfache,« sagte Eva, »aber ich freue mich, daß sie in diesem Falle genützt haben, besonders, da wir alle an Ihrer Pilgerfahrt das größte Interesse nehmen.«

»Der Emir Fakredin hat Ihnen also erzählt?« sagte Tancred mit forschendem Blicke und in etwas unruhigem Tone.

»Er hat mir einiges erzählt, auf das unsere erste Unterhaltung mich eigentlich schon vorbereitet hatte.«

»Ah!« sagte Tancred nachsinnend, »unsere erste Unterhaltung. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ich bei Ihrer Gartenfontäne in Schlummer verfiel, und doch kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, denn es war für mich eine Zeit voller Gedanken und Ereignisse.«

»Und doch schlug Ihr Herz schon damals für unser unglückliches Asien«, sagte die Dame von Bethanien.

»Unglückliches Asien! Warum nennen Sie es unglückliches Asien! Dieses Land göttlicher Taten und göttlicher Gedanken! Sein Schlummer ist mehr wert, wie das wache Leben des übrigen Erdballs, geradeso wie der Traum des Genies wertvoller ist, wie das Wachsein eines gewöhnlichen Sterblichen. Unglückliches Asien nennen Sie es? Ich trauere viel mehr über das Unglück Europas.«

»Europa, das Hindostan erobert hat und Persien und Kleinasien unter seinen Schutz nahm, vermeint, auch Syrien gerettet zu haben,« sagte Eva bitter. »Ach, was können wir gegen Europa machen?«

»Es retten«, sagte Tancred.

»Wir können uns selber nicht retten, wie können wir anderen helfen?«

»Durch das, womit Ihr uns stets gerettet habt, durch göttliche Wahrheit. Verkündet, wie Ihr vordem getan habt, auf dem Berge Sinai, in den Dörfern Galiläas und den Wüsten Arabiens einen großen Gedanken und Ihr werdet damit allen unseren Einrichtungen neues Leben einflößen, unsere ganzen heutigen Grundsätze ummodeln und alles wieder aufleben lassen.«

»Ich habe auch öfter solche Träume gehabt,« murmelte Eva und sah dabei zu Boden. »Nein, nein,« rief sie dann aus und erhob ihren Kopf wieder, »es ist unmöglich! Europa ist heute mit seiner neuerworbenen Herrschaft über die Natur zu stolz geworden, um noch auf Propheten zu hören. Sie durchbohren Berge, sie fahren ohne Pferde und segeln ohne Wind durch das Meer – wie könnte man solchen Leuten beibringen, daß es über ihnen noch irgend eine menschliche oder göttliche Gewalt gäbe?«

»Was ihre sogenannte Herrschaft über die Natur anbetrifft,« sagte Tancred, »so wollen wir doch einmal sehen, wie sie sich bei einer zweiten Sündflut benehmen werden. Herrschaft über die Natur! Die gewöhnlichste Erdfrucht, die ihnen als Nahrung dient, ist plötzlich in Europa krank geworden und sie zittern bereits vor etwaigen Folgen. Anspielung auf die Kartoffelkrankheit, die 1845 in Europa ausbrach. Dieser kleine Mutwille der Natur, dessen sie angeblich Herr geworden sind, hat schon Weltreiche erschüttert und kann das Schicksal von Nationen entscheiden. Nein, werte Dame, Europa ist nicht glücklich. Trotz seiner falschen Aufregung, seines lauten Erfindergeschreis, seiner endlosen Arbeit hängt eine tiefe Melancholie über seinem Gemüte und nagt an seinem Herzen. Vergeblich haben sie ihren Lärm mit dem Euphemismus ›Fortschritt‹ getauft; eine innere, dämonische Stimme raunt ihnen beständig ins Ohr: ›Fortschritt, jawohl, aber woher und wohin?‹ Nein, niemand, ausgenommen jene Leute, die noch zu Ihrem arabischen Glauben halten, ist heute in Europa glücklich: unser Erdteil, zu dem Gott niemals gesprochen, ist vielmehr heute ohne jeglichen Trost, ohne jegliche innere Befriedigung.«


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