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Da nach der einmal üblichen und gewiß nicht zu verwerfenden Einrichtung im Theater jede Vorstellung mit Musik eröffnet wird, so sollte jedes wahrhaft bedeutende Schauspiel eine Ouvertüre haben, die das Gemüt gerade so, wie es der Charakter des Stückes erfordert, stimmte. Mehrere Trauerspiele haben schon Ouvertüren erhalten, und der geniale Beethoven hat auch Collins Coriolan mit einer herrlichen Arbeit dieser Art ausgestattet – wiewohl Rez. gestehen muß, daß ihm Beethovens rein romantischer Genius der Collinschen, meistens reflektierenden Poesie nicht ganz befreundet zu sein scheint, und der Komponist dann erst mächtig die Seele ergreifen und ganz für die folgenden Erscheinungen aufregen würde, wenn es ihm gefiele, zu den, die Romantik im höchsten Sinn aussprechenden Trauerspielen Shakespeares und Calderons Ouvertüren zu schreiben. Der düstere, schauerliche Ernst der vorliegenden Komposition, die grausenerregenden Anklänge aus einer unbekannten Geisterwelt, lassen mehr ahnen, als nachher erfüllt wird. Man glaubt wirklich, jene Geisterwelt, durch unterirdischen Donner furchtbar angekündigt, werde im Stück nähertreten, vielleicht Hamlets geharnischter Schatten über die Bühne schreiten, oder die verhängnisvollen Schwestern würden Macbeth in den Orkus hinabziehen. Mehr Pathos und Glanz würde der Collinschen Poesie vielleicht besser zugesagt haben. Indessen, abgesehen von jenen Erwartungen, die doch nur in wenigen, die Beethovensche Musik ganz umfassenden Kennern erregt werden, ist auch die Komposition ganz dazu geeignet, die bestimmte Idee zu erwecken: eine große, tragische Begebenheit werde der Inhalt des folgenden Stückes sein. Ohne den Komödienzettel gelesen zu haben, kann niemand etwas anderes erwarten; nicht einmal ein bürgerliches, sondern ausdrücklich ein höheres Trauerspiel, in welchem Helden auftreten und untergehen, kann nach dieser Ouvertüre vorgestellt werden. – Die Ouvertüre besteht nur aus einem Satz, Allegro con brio, ganzer Takt, C moll; die ersten vierzehn Takte sind indessen so geschrieben, daß sie wie ein, erst in das Allegro einleitendes Andante klingen. Dieser Anfang ergreift und fesselt das Gemüt unwiderstehlich, welches in der ganzen Idee, vorzüglich aber in der originellen Instrumentierung liegt. Unerachtet des ff. bleiben die beiden ersten Takte der Saiteninstrumente, welche das tiefe C anschlagen, dumpf und schneidend, und grell bricht im dritten Takte der F moll-Akkord des ganzen Orchesters um eine Viertelsnote lang herein. Die Totenstille nachher, das Wiederanfangen der Saiteninstrumente mit demselben dumpfen, schauerlichen C, wieder der grelle 6/4/3 auf F, wieder die Totenstille, zum drittenmal das C der Saiteninstrumente, der in 7 gesteigerte Akkord, nun endlich zwei Akkorde des ganzen Orchesters, die dem Thema des Allegro zuführen: alles spannt die Erwartung, ja es beengt die Brust des Zuhörers: es ist das fürchterliche, drohende Murmeln des nahenden Gewitters. Um verständlich zu sein, setzt Rez. den ganzen Anfang her:
Das nun eintretende Hauptthema des Allegro trägt den Charakter einer nicht zu stillenden Unruhe, einer nicht zu befriedigenden Sehnsucht in sich, und so unverkennbar es in Beethovens eigentümlichem Geist gedacht ist, so hat es den Rez. doch lebhaft an Cherubini erinnert, und es ist ihm die psychische Verwandtschaft beider Meister ganz klar geworden. Selbst die weitere Ausführung der Ouvertüre ist, vorzüglich in der Instrumentierung, mehreren Cherubinischen Ouvertüren nahe verwandt.
Die Transposition dieses Themas einen Ton tiefer, ( B moll) gleich nach der Taktpause, ist auch unerwartet und steigert die Spannung, in die man gleich durch die ersten Takte versetzt wurde. Der Satz wendet sich nach F moll, in dem nun eintretenden vollen Tutti nach C moll, und geht, nachdem das Hauptthema von der zweiten Violine und dem Violoncell abgekürzt berührt worden
in den Sexten-Akkord der Dominante der verwandten Dur-Tonart Es, der die erste Periode der Ouvertüre schließt. Nun tritt das zweite Hauptthema ein, welches von einer Figur, die in dem ganzen Satz oftmals wieder vorkommt, und die beinahe immer im Violoncell liegt, begleitet wird:
F molI, G moll, C moll werden meistens in der Durchführung jenes zweiten Thema berührt, bis die zweite Periode der Ouvertüre in G moll, und zwar in synkopierten Noten der ersten Violine, wozu Violoncell und Bratsche eine neue Figur in Achteln ausführen, in G moll schließt:
Nach dem Schluß in der Dominante führt die eben allegierte Figur mit eben der Begleitung der Violoncelle und Bratschen durch G moll, F moll, As dur, Des dur etc. 34 Takte hindurch den Satz in F moll, worin der Anfang der Ouvertüre wiederholt wird. Der Satz wendet sich nach C moll, und das zweite Thema mit derselben Begleitung, wie im ersten Teil, tritt in C dur ein, geht aber gleich in D moll, E moll und unmittelbar darauf nach C moll zurück:
Es folgt dieselbe Figur in synkopierten Noten mit der Begleitung der Violoncelle, die erst den Schluß in G moll herbeiführte, jetzt aber in folgender Art abgebrochen wird:
Rez. hat die Hoboen, Trompeten und Pauken mit eingerückt, um die schauerliche Wirkung des dissonierenden C, die er bei der Ausführung der Ouvertüre empfunden, den Leser ahnen zu lassen. Auch der dumpfe Hörnerton G 8va, worauf ganz unerwartet das zweite Hauptthema C dur eintritt (wie es oben allegiert worden) spannt noch vor dem Schluß die Erwartung aufs neue. Dieses lichtvolle C dur war aber ein flüchtiger Sonnenblick durch das schwarze Gewölk: denn schon nach vier Takten kehrt die düstere Haupttonart wieder, und ein, der schon öfters gedachten Figur ähnliches Thema in synkopierten Noten führt zu dem Anfang der Ouvertüre zurück, der jetzt aber anders instrumentiert erscheint. Die Hoboen, Klarinetten, Fagotte und Trompeten halten das dumpfe C, welches erst bloß in den Saiteninstrumenten lag, mit aus. Jetzt kommen kurz abgebrochene Sätze, Taktpausen, und endlich erstirbt der Satz in folgenden Noten:
Rez. bemerkt, daß er die vollständige Partitur des Schlusses hergesetzt, und daß das ganze übrige Orchester schweigt, und diese dumpfen Töne, dieser lugubre Ton des Fagotts, der die Quinte des Grundtons aushält, die Klage der Violoncells, das kurze Anschlagen der Kontrabässe – alles ist mit tiefem Sinn zur höchsten tragischen Wirkung und zur höchsten spannenden Erwartung dessen, was uns der Aufflug des geheimnisvollen Vorhangs enthüllen wird, vereinigt. –
Rez. war bemüht, eine deutliche Idee von der innern Struktur des Meisterwerks zu geben, und man wird bemerken können, aus welchen höchst einfachen Elementen sein künstliches Gebäude zusammengesetzt ist. Ohne kontrapunktische Wendungen und Umkehrungen ist es hauptsächlich die künstliche und rasch fortschreitende Modulation, die denselben Sätzen im Wiederkehren Neuheit gibt und den Zuhörer gewaltsam fortreißt. Wären mehrere verschiedene Sätze angehäuft, so würde, bei der nie ruhenden, sondern immer von einer Tonart zur andern rastlos eilenden Modulation, die Komposition wie viele Sätze neuerer nachahmender Komponisten, eine Rhapsodie ohne Haltung und innern Zusammenhang geworden sein: aber nur zwei Hauptthemata gibt es; selbst die verbindenden Mittelsätze, die kräftigen Tutti, bleiben dieselben, ja selbst die Form der Modulation bleibt sich gleich, und so tritt für den Zuhörer, dem das Thema sich unwillkürlich einprägt, alles klar und deutlich heraus.
Rez. muß auf das Studium des Werks selbst verweisen, um die tiefe, sinnvolle Instrumentierung, die ihn wahrhaft entzückt hat, herauszufinden, da das Allegieren der vielen, einzelnen, genialen Stellen ihn zu weit führen würde. Jeder Eintritt der Blasinstrumente ist für die höchste Wirkung berechnet und angewandt. Die Es-Hörner und C-Trompeten bilden öfters Dreiklänge, die einen tiefen, schauererregenden Eindruck machen. – Seit einigen Jahren ist das Violoncell ein für das Orchester neuerworbenes Instrument: denn sonst dachte man nicht daran, es durchaus obligat, außer dem Grundbaß zu behandeln. Auch in dieser Ouvertüre geht es selten col Basso, sondern hat seine eignen, zum Teil nicht leicht auszuführenden Figuren. Rez, gesteht zu, daß diese Art, das Violoncell zu behandeln, ein offenbarer Gewinn für das Orchester ist, da manche Tenorfigur, von den gewöhnlich schwach besetzten und überhaupt dumpfklingenden Violen vorgetragen, nicht genug heraustritt, der durchdringende, originelle Ton des Violoncells dagegen von eingreifender Wirkung ist: in dem vollen Tutti würde er sich aber nicht entschließen können, den Kontrabässen die Unterstützung der Violoncelle zu rauben, da diese erst durch die höhere Oktave den Ton der Kontrabässe deutlich und scharf bestimmen. Rez. redet hier nämlich nur von Figuren, die das Violoncell als Mittelstimme im Tutti ausführen sollte: denn daß es Baßfiguren, die für den Kontraviolon unbequem sind, im Tutti, der Wirkung und Deutlichkeit des Grundbasses unbeschadet, ausführen, und dieser nur die Grundtöne anschlagen kann, versteht sich von selbst.
Übrigens ist die Ouvertüre, wie beinahe alle Orchester-Kompositionen des genialen, sinnigen Meisters, eine sehr schwere Aufgabe für das Orchester, ohne daß in den einzelnen Instrumenten besondere Schwierigkeiten liegen. Nur ein lebendiges Zusammengreifen, ein tiefes Eingehen jedes Mitspielers in den Geist der Komposition, durch öftere fleißige Proben herbeigeführt, kann die gewaltige, unwiderstehliche Wirkung hervorbringen, welche der Meister beabsichtigte und wozu er alle Mittel reichlich spendete.
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