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– der Allgemeinen Zeitung für Musik und Musiklitteratur. –
Von E. Hffmnn.
Wie heißt doch jene Beschwörungsformel, mit der die Autoren ihre Vorreden zu beschließen pflegen? – »Und nun gehe hin, du mein liebes Kind, das ich so sorglich gehegt und gepflegt« etc. – Es ist auch nichts natürlicher, und eben deshalb gang und gebe geworden, als die Geistesgeburt zu vergleichen der leiblichen.
Auf beiden ruht der Fluch der Erbsünde, nämlich Qual und Schmerz des Gebärens, aufgewiegt durch Vaterfreuden und hinlängliche Affenliebe für das geborne Wesen. – Eigentlich ist es ja aber niemals ein Kind, das der Autor eines vollständigen Buchs in die Welt schickt, sondern ein völlig ausgewachsener Mensch, dessen ganze Gestaltung im Innern und Äußern zu Tage liegt. Anders, ganz anders verhält es sich mit einem Werke, wie dasjenige, was hier soeben beginnt. – Der Verleger baut nach Kräften eine hübsche Wiege, der Redakteur legt einen Embryo hinein und bittet, so wie das kleine Ding sich nur regen mag, die gehörigen Paten, die denn nun eben als echte Paten für das Lebensbedürfnis, für Pflege und Erziehung des Täuflings sorgen. Recht unter den Augen der geladenen Gäste mag nun das Wesen emporwachsen und gedeihen nach seiner Art; es giebt einen fortwährenden Gevatterschmaus, und die Sache der gastgeberischen Paten ist es, dahin zu trachten, daß die Gerichte fein schmackhaft bleiben und es dem Getränk nie an wackrem Feuer und Geist mangle, damit die Gäste nicht fortbleiben und auch das Kleine, das oben ansitzt und mitißt und mittrinkt, Nahrhaftes und Verdauliches genieße und sich immer mehr erkräftige zum stammhaften Menschen. –
– Warum dies bittersaure Gesicht, geliebtester Komponist? – »Schon wieder ein neuer anatomischer Tisch errichtet, auf dem man unsere Werke mit gewaltsam ausgespreizten Gliedern festschrauben und mit rücksichtsloser Grausamkeit zerlegen wird. Ha! – ich sehe schon verdeckte Quintenfolgen, unharmonische Querstände entblößt von dem Fleisch der vollen Harmonie, unter dem funkelnden Messer des Prosektors emporzittern!« –
Daher dein Unmut? – Überzeugt, o mein Komponist! bin ich, daß du schreiben wirst oder schon geschrieben hast ein Werk, das so recht ganz und gar hervorging aus deinem innersten Wesen. – War es vielleicht eine Oper, die du schriebst, so nahmst du den poetischen Gedanken, der dem Ganzen zum Grunde lag, mit allen seinen tiefsten Motiven in dir auf; der Genius der Tonkunst rührte seine mächtigen Schwingen, und selbst die Fesseln, die ihm hin und wieder schlechte Worte des Gedichts anlegen wollten, vermochten nicht, seinen kühnen Flug zu hemmen, indem er alles, was jenem an poetischen Gedanken entstrahlte, emportrug in höhere Regionen. Alle Liebe, alle Sehnsucht, alles Verlangen, Wonne, Haß, Entzücken, Verzweiflung erschien, aber verklärt, in dem Glanz des höheren Reichs der Töne, und das menschliche Herz, auf seltsame Weise gerührt, fühlte selbst in dem Irdischen das Überirdische – Ich meine, in den Weihestunden der Begeisterung war es dir vergönnt, die Musik so zu denken, wie sie der richtende, ordnende Verstand als wahrhaftig anerkennen mußte. Ja, den Verstand! – diesen zuweilen etwas sauertöpfischen Schulmeister können wir nun einmal nicht entbehren. Er untersucht mit scharfem Blick die Stützen unseres Gebäudes, und findet er sie zu dünn oder zu morsch, so stößt er sie um mit dem Fuß und spricht, wenn der ganze Bau nachstürzt: Es war nichts! – Besser, so etwas thut Freund Sauertopf in unserem Innern, als es geschieht von andern äußerlich! – Genug, o mein Komponist, du hast, ich weiß es, ein wackres Werk gemacht und bist dir, wie es sich von selbst versteht, der Motive, so und so und nicht anders deine Musik gedichtet zu haben, vollkommen bewußt. Nun findest du dein Werk wieder, nicht auf dem anatomischen Tisch unter den mordbewaffneten Händen eines barbarischen Prosektors, sondern aufgestellt vor einem dir befreundeten Geiste, der es mit scharfem Blicke durchschaut und, statt daß jener es unerbittlich zerschnitten hätte, nur alles was er darin entdeckt, den ganzen wunderbaren Bau mit all' seinen Verschlingungen, in lauten Worten verkündet. – Sage nicht, o Komponist! daß es eben keine Freude sei, sich alles das, was man gedacht, empfunden, wie ein Exempel vorrechnen zu lassen. Die Freude, von einem verwandten Geiste ganz verstanden zu sein, ist es, die den Gedanken an jenes pedantische Vorrechnen nicht aufkommen läßt. – Zudem stelle dir, mein Komponist, dein Werk vor als einen schönen, herrlichen Baum, der, aus einem kleinen Kern entsprossen, nun die blütenreichen Äste hoch emporstreckt in den blauen Himmel. Nun stehen wißbegierige Leute umher, und können das Wunder nicht begreifen, wie der Baum so gedeihen konnte. Da kommt aber jener verwandte Geist gegangen und vermag mittelst eines geheimnisvollen Zaubers es zu bewirken, daß die Leute in die Tiefe der Erde wie durch Krystall schauen, den Kern entdecken und sich überzeugen können, daß eben aus diesem Kern der ganze schöne Baum entsproß. Ja sie werden einsehen, daß Baum, Blatt, Blüte und Frucht so und nicht anders gestaltet und gefärbt sein konnte. – Du siehst ein, mein Komponist, daß ich eben daran dachte, wie Beurteilungen musikalischer Werke beschaffen sein müssen, und daß ich nur recht in die Tiefe des Werkes eindringende und dieselben in ihren tiefsten Motiven entwickelnde Abhandlungen dafür gelten lassen mag, die den Komponisten, sollte auch nicht immer des Lobes Posaune erschallen, so wie seine verwandte Kollegen, erfreuen, andere Leute aber verständigen über manches, daß ihnen sonst entgangen. – Es ist gewiß, daß Beurteilungen dieser Art dazu führen können, daß man gut hört. – Gut hören ist nämlich wohl, wenn Anlage dazu da, zu erlernen; selbst gut machen freilich nicht, da dieses eine Kleinigkeit voraussetzt, die ein alter tüchtiger Meister geradezu aussprach in einem höflichen Schreiben an einen jungen Herrn von Stande, der in großer Herzensangst anfragte: wie um tausend Himmelswillen er es nur anfangen solle, die Welt mit einer meisterhaften Komposition zu entzücken. Der Meister antwortete: Wollten Ew. Hochgeboren nur die Gewogenheit haben, Genie zu besitzen, so würde alles etc.
Schließlich muß ich dir, mein Komponist! gestehen, daß es mich sehr merkwürdigerweise bedünken will, wie oft ein paar Lieder oder ein Heft Polonaisen oder, wären sie nicht aus der Mode gekommen, Menuetten, viel eher Beurteilungen jener Art aushalten können, als manches Werk an dem man sich drei Stunden lang satt und übersatt hört. – Ein ganzer Busch ins lockre Erdreich eingesteckter wurzelloser Sträußer ist noch kein lebensfrischer kräftiger Baum. –
Es giebt nichts erfreulicheres, als sich über eine Kunst, die man tief im Herzen hegt und pflegt, recht auszusprechen; aber wenn kommt man dazu? Reden ist viel besser, als schreiben, aber schreiben muß man wohl deshalb, weil man jetzt beinahe eher Leute findet, die da lesen, als die da hören und vollends Musiker hören nun viel lieber Noten, als Worte, und leiden ungern in der Rede, wie in der Musik, zu kühne Ausweichungen, die das geflügelte Wort doch nur zu leicht sich erlaubt. – Man sorge aber, daß der tote Buchstabe die Kraft an sich trage, lebendig zu werden vor dem Gemüt des Lesers damit dieses sich ihm aufthue! – Also auch Abhandlungen über musikalische Gegenstände ohne die Basis eines bestimmten Werks? – Nichts ist langweiliger, als derlei Abhandlungen sagst du? – Richtig! zumal in dem Stil, wie sie etwa in der Hildegard von Hohenthal der Held des Romans giebt, der seiner vornehmen Schülerin, in die er obenein auf eben nicht sehr anständige Weise verliebt ist, den mathematischen Teil der Musikwissenschaft in solcher Art dociert, daß man nicht begreift, wie sie es aushält mit dem Pedanten! – Alles zu seiner Zeit und an rechter Stelle. – Wird ein Haus gebaut, so bedarf es des Gerüstes; seltsam genug würd' es aber sein, die Ehre des Baumeisters nicht im Gebäude, sondern im Gerüste zu suchen und zu finden! – Es giebt eine Art über musikalische Gegenstände zu reden (sei es mündlich oder schriftlich), die dem Eingeweihten genügt, ohne den Leuten im Vorhof des Tempels unverständlich zu sein. Ja, diese können große Freude daran haben, und unversehens einige Weihe erhalten, ohne das Priesterkleid anzuziehen. – Keine Kunst, und am allerwenigsten die Musik, leidet den Pedantismus, und eine gewisse Freigeisterei ist manchmal gerade dem großen Genie eigen. Ein alter Herr errötete einmal über einen verdeckten Oktavengang in der Ober- und Unterstimme, als würde eine Obscönität gesagt in honetter Gesellschaft. Was würde Kirnberger zu Mozarts Harmonik gesagt haben! – Von Instrumentierung ist gar nicht zu reden. – Tamino geht durch Feuer und Wasser nach den Tönen der Flöte und Pauke, und die Posaunen klingen hübsch dazu im Pianissimo! – Wahr ist es, zu der Feuer- und Wasserprobe des guten Geschmacks gehört jetzt aber das ganze Arsenal hölzerner und messingner Waffen, und wird täglich vermehrt durch seltsame Erfindungen, als da sind Klapphörner, Flügelhörner etc., die ihres Dissonierens halber sehr artig hervorstechen. Wahr ist es, daß jeder Bläser, da er jetzt nimmer rasten darf, sich die Lungen von Rameaus Neffen, oder von jenem verhexten Kerl wünschen möchte, der acht Meilen weit sechs Windmühlen durch seinen Hauch in Bewegung setzte. Wahr ist es, daß manche Partitur jetzt dermaßen schwarz aussieht, daß ein dreister Floh ohne Umstände sich darauf verunreinigen kann, niemand merkt's. Aber! – Effekt – Effekt! – Nun, das Hervorbringen des Effekts ist auch eins der wunderbarsten Geheimnisse der Komposition, darum weil das menschliche Gemüt auch das wunderbarste Geheimnis ist. Aus dem Gemüt in das Gemüt heißt es, und da kann man denn nicht sagen, was gerade mehr wirke, das ganze Ungewitter von Pauken, Trommeln, Becken, Posaunen, Trompeten, Hörnern etc., oder der Sonnenstrahl eines einzigen Tons der Hoboe, oder sonst eines Instruments von guter Art. Friedrich der Zweite nannte ein Crescendo, das Reichardt in einer Arie angebracht, einen Feuerlärm, und verließ zornig den Saal, als man es dahin gebracht, daß er sich einen Akt aus irgend einer Oper von Gluck vorspielen ließ, weil ihm alles nicht als Musik, sondern als ein verwirrtes Durcheinander erschien: Hasse und Graun allein hatten wahrhaft, d. h. edel, einfach und melodiös komponiert! – Kehrt zurück zu der Einfachheit der Alten, rufst du, alter Meister, den Jünglingen zu, fort mit dem Geklingel und Geklapper, vergeßt alle heutige Musik, vergeßt Mozart und Beethoven, und vollends – Nun, sag' an, alter Herr, welche Alten du meinst? – Bestimme das Zeitalter, in dem die wahrhafte Kunst der Musik abgeschlossen wurde, so daß alles, was darüber hinausgeht, vom Übel ist, und vereinige so in dir eine ganze Académie française, die die Kunst in Schranken einpfercht, die niemand überspringen darf, ohne gepfändet zu werden! – Was meinst du zu Fux, Keiser – oder später zu Hasse – Händel – Gluck etc. – Zweifelhaft? – Beiläufig gesagt, wollte man diesem Ritter, seiner ritterlichen Natur unerachtet, anfangs gar nicht recht trauen. – In den Forkelschen Beiträgen wurde sehr witzigerweise seine Ouvertüre zu der Iphigenia in Tauris mit dem Gelärm der Bauern in der Dorfschenke verglichen. – Und wenn nun Gluck in unsern Zeiten gelebt hätte, wäre es nicht möglich gewesen, daß er sich, was die Instrumentierung betrifft, auch leider auf die schlechte Seite gelegt! – Gewiß ist es, daß er mit der Idee einer Oper, die Hermannschlacht, wozu er ein ganz besonderes, die Tuba der Römer nachahmendes Instrument verfertigen lassen wollte, starb. – Er ist wohl dieser Absicht halber zu rechter Zeit gestorben. –
Halten Sie, gestrenger alter Herr, mich ja nicht für einen Ruchlosen, der die Väter nicht ehrt, oder der nicht vielmehr tief in der Brust empfindet, daß all unser Leben ausging von ihrer Schaffungskraft, und daß wir des Bandes, womit sie uns gängeln, nie entbehren können, ohne Gefahr zu straucheln, indessen – Doch indem ich Sie, mein alter Herr, recht anschaue, belieben Sie ja auf einmal ganz jugendlich auszusehen! – Nun, dergleichen Fantasmagorien bin ich gewohnt von alters her. – Mein jüngerer Bruder war ein drolliger Junge. Als fünf- bis sechsjähriger Bube pflegte er des Großvaters Perücke aufzusetzen, und uns älteren mit grämlicher Miene vorzudozieren, worüber wir dann immer gar herzlich lachen mußten! –
»Schließt eure Fenster, eure Thüren zu, ihr Tonsetzer, der Spuk geht um!«
Sollt' es möglich sein, daß irgend eine Zeitschrift, irgend eine künstlerische Zeitung existieren könne, ohne einige Klatschereien? – Mitten im Komponieren wird der Meister überfallen von diesem oder jenem Kollaborator, und muß ihm Rede stehen, er mag wollen oder nicht. Besagter Kollaborator verkündet dann der Welt, der große X trage, er könne es aus eigner Überzeugung versichern, beim Komponieren einen nicht ganz sauberen Schlafrock von buntem Ziz, bediene sich sehr schön rastrierten venetianischen Notenpapiers, habe exzellente schwarze Tinte, setze seltsamerweise die Linie der Bratschen unter die Linie des Fagotts, und trenne so das Quartett, sei aber sonst ein seelensguter herrlicher Mann. Von A. halte er nicht viel, über B. habe er sich nicht recht auslassen wollen, C. scheine er zu lieben, was er aber über D. gesagt, solle vor der Hand verschwiegen bleiben etc.
Darum »schließt eure …« – Doch nein – nein! Es giebt solch eine anmutige Klatscherei, die statt gehässig zu sein, nur dazu dient, das geistige Band, das die Menge an den geliebten, geachteten Meister fesselt, noch fester zu knüpfen, und diese mag sich immerhin auch in diesen Blättern einstellen. Es ist nun einmal das Erbteil unserer schwachen Natur, daß wir das Werk nicht von der Person des Meisters trennen können, sondern bei jenem auch stets an diese denken, denn sonst würden nicht die Bildnisse beliebter Meister so ämsig gesucht und gekauft werden. »Wie mag er wohl aussehen der, der imstande war, mich so recht ins Innerste hinein zu erfreuen?« denkt gleich ein jeder. Erzählt nur einer, der den Meister kennt, auf gemütliche Weise recht viel von seinem eigentümlichen Wesen, stellt er sein ganzes Bild dar in lebensvollen Zügen: in der That, befreundeter wird sich jeder mit ihm fühlen, der ihn schon sonst im Herzen trug.
Zur Zeit als die Physiognomik florierte, wollte man auch Herzen und Nieren erforschen mittels der Handschrift, und gewiß ist es, daß in dieser auch viel Charakteristisches zu finden. Viel greller als in der Wortschrift möchte sich dieses in der Notenschrift aussprechen, und gar hübsch wär es, wenn diese Blätter künftig dieses, jenes Faksimile großer Meister einschalteten. – Aus der Schule darf nicht geplaudert werden, daher ist es nicht thunlich zu erfahren, wie, d. h. mit welchem Mechanismus, dieser, jener Komponist seine Werke aufschreibt. Jeder hat darin seine besondere Weise, und es wäre in der That sehr anziehend, mit feiner Nase herauszuspüren, wie jener Mechanismus auf die Werke selbst gewirkt hat und wirkt. – Selbstgeständnisse sind kaum zu erringen, und daher könnte so etwas nur von verstorbenen Meistern gesagt und geschrieben werden!
Doch Gedanke reiht sich an Gedanke, daher u. s. w.
Hffmnn.
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