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Fantasiestücke in Callots Manier.
Erste Ausgabe (1815). IV. Band. S. 149 ff. (Vgl.
unsre Ausgabe, Band I. S. 292.)
… »viel zu düster« nahm der Joviale das Wort: »es würde dienlich sein, etwas rein Lustiges, Luftiges vorzutragen, das weiter keine Ansprüche macht, als den der darin herrschenden guten Laune. Ist es vergönnt, so lese ich den ersten Akt eines fantastischen Schauspiels vor. dessen Plan ich früher mit dem Kreisler besprochen!« Der treue Freund versicherte, daß es gewiß allen lieb sein werde, etwas Heiteres zu hören. Er glaubte, daß so am besten Kreislers aufgeregte Stimmung, die noch aus seinen Blicken flammte, bekämpft und besiegt werden könne. – Niemand widersprach, der Joviale zog ein sauber geschriebenes Manuskript aus der Tasche, und fing, nachdem er was weniges Thee hinabgeschlürft hatte, ohne weiteres an:
Ein romantisches Spiel in drei Aufzügen.
Erster Auftritt.
Vorzimmer der Prinzessin Blandina. Sempiternus und Adolar treten von verschiedenen Seiten auf.
Adolar wundert sich; Sempiternus wundert sich gleichfalls. – Sie gehen beide wieder ab, woher sie gekommen. – Pause. –
Adolar tritt von neuem auf und wundert sich noch mehr.
Sempiternus tritt gleichfalls wieder auf und gerät in außerordentliche Verwunderung.
Ausdrucksvolle Pause gegenseitigen Erstaunens.
Adolar. Kann ich meinen Augen trauen? – ist es ein Spiel aufgeregter Fantasie? – ist es Täuschung? – ist es Trug? – Götter!
Sempit. Himmel und Hölle! bin ich ein fantastischer Narr geworden? soll ich an den Teufel glauben und so in Unschicklichkeiten geraten, die mir fremd worden, nachdem ich was weniges starke Bildung erhalten?
Adolar. Nein, nein! – die Stimme, die Sentiments, die diese Stimme vernehmen läßt – Sempiternus!
Adolar. Du bist's!
Sempit. Du bist's!
Beide (stark schreiend). Seliger Augenblick des Wiedersehns! (Sie stürzen sich in die Arme, lassen endlich voneinander ab und weinen sehr).
Sempit. (schluchzend). Das ist zu rührend!
Adolar (ebenfalls heftig schluchzend). Mich – stößt – der – Bock – daß – mir – das – Herz – zer – sprin – gen – möch – te – Au – Au – Au – Au
Sempit. – Au – – Au – Au Au. –
Adolar (plötzlich ernst und mit gravitätischem Ton). Jetzt ist es aber nachgerade Zeit einigermaßen vernünftig zu sein; blind und toll rennt man hinein in die Sentimentalität und vergißt was man sich selbst und dem Stande schuldig, in dem man nun, Gott sei gedankt, manchen Scheffel Salz gegessen. – Ich muß Ihnen aufrichtig bekennen, werter Monsieur! daß es mir sehr auffallend ist, wie Sie hier so mit einem Mal ins Vorzimmer der Prinzessin hineinplumpen, da man Sie in fernen Landen mit dem Wohl des Staats okkupiert glaubt. Wenn Sie meinem Rate folgen wollten, so gingen Sie gleich wieder zur Hinterthüre heraus und ließen sich gar nicht sehen.
Sempit. (ebenfalls ernst und mit gravitätischem Ton). Verehrter Kammerherr – denn das sind Sie doch wohl, wie ich's an den goldbesponnenen Knöpfen vermerke, die Sie dem Hinterteil Ihres Schlafrocks appliziert – also! – verehrter Kammerherr! – Sie – Sie sollten nun gar nicht mehr leben. Schon vor zwei Monaten wollten Sie ins Wasser springen, Sie liefen wie toll und rasend vor Liebe zur Prinzessin Blandina bis dicht an den Rand des Flusses, riefen mit schrecklicher Stimme: adieu pour jamais, princesse barbare! und kehrten, nachdem Sie die Verzweiflung, nämlich Ihre eigne werte Person im Wasser geschaut, wieder zurück! – Aber ein ehrlicher Mann hält Wort. – Sie können gar nicht mehr prätendieren zu leben; alle Menschen, die Ihnen begegnen, fragen ganz unmutig: Mein Gott, leben Sie noch? – Darum Bester! je eher je lieber kopfüber ins Wasser, das rät Ihnen der wohlwollende Freund!
Adolar (sich dem Sempit. vertraulich nähernd). Aber nicht wahr, Herr Bruder? – der Punsch war gestern Abend herzlich miserabel?
Sempit. Mordmäßig.
Adolar. Sempiternus! – um des Himmels willen! – Sempiternus!
Sempit. Was ist dir, Herr Bruder? – du siehst blaß und erschrocken aus.
Adolar. Still – still! – (leise zu Sempit.) Wir sprechen vom gestrigen Punsch und verraten uns auf schmähliche Weise! – Haben wir nicht eben eine herrliche Scene des Wiedersehens nach langer Trennung gegeben? – Wozu stehen wir denn hier auf dem Theater? – vielleicht um von schlechtem Punsch zu schwatzen und sogleich alles von Grund aus zu verderben? – Wozu stehen wir hier, frage ich nochmals?
Sempit. Du hast recht, lieber Adolar, wir befanden uns auf dem Wege aus dem Geleise zu kommen oder vielmehr, wir verließen den Weg und hüpften in den Dornbusch – links – rechts – außerhalb dem Geleise in den Acker, wo uns jeder Schuft pfändet und uns die Mütze nimmt, daß wir kahlköpfig dastehen, wie der Prophet Elisa und verspottet werden, ohne daß die Bären uns rächen sollten, die es mit der Natur halten und selbst barköpfig einhergehen, nicht einmal den Chapeaubas zierlich unter der Pfote tragend.
Adolar. Ja liebster Sempiternus, laß uns froh dem Verhängnis folgen, das uns in höhere Regionen schiebt, wo kein unedler Punsch von schnödem Fusel eitle Kräfte borgend, trügerischen Geist durch Nerv' und Adern gießt. Ich fühle mich in seltner Begeisterung meine Rolle fortzusetzen. Also! – Ach – Ach – Ach – Ach! – Sempiternus! – Ach!
Aufs neue blutet diese Herzenswunde,
Die kaum verharrscht des Blitzes glüh'nde Pfeile
Hineingestrahlt von ihrem Auge trafen.
Und –
Sempit. Still Adolar! – Es sind mir allerlei Gedanken gekommen, nämlich von vielem Denken und du weißt, wenn man etwas bedenkt, so finden sich die Bedenken von selbst – Steine des Anstoßes, die von des Regens Befruchtung aus der Erde wachsen. – Also! – sagen Sie mir fürs erste, verehrter Monsieur – wozu sind wir hier?
Adolar. Mein Gott, zu nichts anderm, als das Stück, das nun eben aufgeführt wird, vorzubereiten; es ist uns die sogenannte Exposition des Ganzen in den Mund gelegt. Wir sollen durch einige schlaue Andeutungen den Zuschauer gleich medias in res führen, wir sollen ihm unter den Fuß geben, daß wir Höflinge der Prinzessin Blandina sind, die nächst außerordentlicher sinnverwirrender Schönheit nicht sowohl einen entschiedenen Abscheu gegen das männliche Geschlecht in sich trägt, als daß sie von einiger Narrheit ergriffen, sich höheren überirdischen Ursprungs hält und daher ihr Herz jedem Erdensohn verschließt – daß sie von Verbindungen mit den Geistern der Luft faselt und nichts Geringeres erwartet, als so ein Ariel werde sich sterblich in sie verlieben, seine Unsterblichkeit um ihrentwillen aufopfern und die Gestalt des schönsten Jünglings auf Nichtwiedergeben borgend, um sie buhlen. Es liegt uns ferner ob, schrecklich zu lamentieren über diesen tollen Wahnsinn, der das Land schon in Not und Elend gebracht hat, da glatte lilienweiße Fürstlein mit roten Backen, so wie Mohrenkönige entsetzlich anzuschauen, wahre Fierabrasse, von der Prinzessin schnöde und höhnisch abgewiesen, hunderttausend Freiwerber mit blanken Säbeln und geladenen Kugelbüchsen abschickten, die mit den Liebesflammen ihrer Gebieter Dörfer und Städte anzündeten, so aber auf recht sinnige Weise das Volk zu unwillkürlichen Trauerkantaten zwangen, die an Blandinens Ohr mahnend schlagen und den Schmerz verschmähter Liebe verkünden sollten. Ich selbst soll dir geliebter Sempiternus erzählen, wie meine Gesandtschaft zu dem Mohrenkönig Kilian und die Überreichung des zierlichen Körbchens, den mir die Prinzessin mitgab, höchst miserabel abgelaufen, indem die schwarze Majestät sich nicht entblödete, mit höchst eigner schwerer Hand mich auf eine Art zu züchtigen, die mich, wiewohl schmerzhafterweise in die goldene Tage unbefangner Kindheit zurückführte und dann durchs Fenster zu werfen, wobei ich unfehlbar den Hals gebrochen, wenn das Glück nicht einen Wagen mit Wolljacken vorbeigeführt hätte, in die ich sanft und weich hineinplumpte. – Ich soll mit Schauer und Entsetzen verkünden, daß Kilian in voller Wut seinen Hirschfänger und seine Hetzpeitsche ergriffen, womit er die Armee von hunderttausend Mohren kommandiert und bereits im Lager vor der Hauptstadt steht. Das alles, lieber Sempiternus, soll ich dir jetzt erzählen, so wie du auch recht viel von der Prinzessin zu schwatzen hast, damit der Zuschauer gleich wisse, was er an ihr hat – Länge – Breite – Farbe und dergleichen betreffend.
Sempit. Ganz recht, Wertester! zu dem allen sind wir hier, aber ob wir uns dem was uns zugemutet fügen können, das ist die Frage! – Fürs erste, empfinden Sie, lieber Monsieur! einige Verehrung für sich selbst?
Adolar. O Gott! – unsäglich verehre ich mich, denn aufrichtig gestanden und Ihre werten Vollkommenheiten, Ihre angenehmen Talente in allen Ehren, würdigster Kollege! gefällt mir keiner doch so ganz durchgängig als eben ich mir selbst!
Sempit. Ja sehen Sie Verehrter, ein jeder weiß selbst am besten was er an sich hat. – Aber kurz von der Sache zu reden! – Niemand wird zweifeln, daß wir beide ehrenwerte Männer sind und Uns Uns hat man das untergeordnete gemeine Geschäft übertragen, was in jedem guten Schauspiel leicht und bequem von dem Gesinde – von den Bedienten besorgt wird. Diese Leute verraten ganz schlau oft nur durch einen bedeutenden Fingerzeig ein Charakterchen nach dem andern, ja! indem sie uns die wichtigsten Familiengeheimnisse der Herrschaft, welcher sie dienen, verraten, geben sie uns mit der Belehrung über das folgende Stück noch die Lehre, daß man im Leben solchen Menschen nicht über den Weg trauen darf, so aber wird das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. Sie sehen, mein teurer Adolar! wie uns bei diesen Umständen es gar nichts hilft, daß ich als Hofmarschall, Sie aber als Gesandter an Kilians Hofe auf dem Komödienzettel stehen; denn außerdem, daß Sie als geprügelter und in Wolljacke geschleuderter Gesandter ohnehin keine sonderliche Rolle spielen, so sinken wir auch durch das niedrige Geschäft des Exponierens zu gemeinen Handlangern des Dichters herab. – Haben wir denn Aussicht zu irgend einem tief eingreifenden Charakter? – zu einem brillanten Abgang, der die Hände in Bewegung setzt?
Adolar. Sie haben recht, lieber Sempiternus! – Was indessen die Aussichten für die künftige Existenz im Stücke betrifft, so werden Sie gefälligst bemerken, daß ich mich zu Blandinens unglücklichen Liebhabern zähle und schon deshalb weit über Ihnen mein Wertester stehe. Unbezweifelt fällt mir viel Pathos zu und ich hoffe einigen Rumor zu erregen.
Sempit. (lächelnd die Hand auf Adolars Schulter legend). Lieber – Guter – eitler Mann, welche Wünsche, welche Hoffnungen! Muß ich Sie denn erst darauf aufmerksam machen, daß das ganze Stück höchst erbärmlich ist! – Elende Nachahmerei – nichts weiter. Die Prinzessin Blandina ist eine modifizierte Turandot, der Mohrenkönig Kilian ein zweiter Fierabras. – Kurz, man müßte nicht so viel gelesen haben, man müßte nicht in der Bildung so weit vorgeschritten sein, wenn man nicht augenblicklich alle Muster, die der Dichter vor Augen gehabt, wieder erkennen sollte. Überhaupt bin ich der Meinung, daß mir dem vielseitig Gebildeten gar nichts mehr auf der Welt neu und anziehend sein wird.
Adolar. Gerade auch mein Casus, unerachtet ich dem Werk des Dichters, das wir jetzt unter den Fäusten haben, um es gehörig zu walken und zu verarbeiten, mehr zugetraut, denn, aufrichtig gesagt, meine Rolle ist nicht übel, und wie ich sie dann gegriffen, wie ich den Charakter erst geschaffen durch meine Darstellung.
Sempit. Eitle Mühe – eitle Mühe! – Glauben Sie denn, daß das hilft, und was das Ärgste ist, der Dichter wird behaupten, nur er sei der Deus, der zum Schaffen befugt und das Nach- und Hineinarbeiten tauge den Teufel nichts.
Der Soufleur. Nein, nun wird mir das Ding zu arg, kein Wort von dem tollen Geschwätz steht im Buch – ich eile zum Direktor!
(Er verschwindet und seine Klappe fällt zu.)
Adolar. Undank ist der Welt Lohn, die Dichter bedenken niemals, daß sie eigentlich bloß der Schauspieler wegen da sind. – Indessen wollen wir, bester Kollege, dem Dinge gleich von Anfang den Todesstoß geben, der auf diese Weise ein rechter Gnadenstoß ist. – Kurz – wir exponieren nichts.
Sempit. Hand her, bekräft'ge es mit deutschem Faustschlag –
Vernichtet sei das Werk des schnöden Truges.
Weg mit dem Memorieren böser Jamben,
Die nur des Dichters Eigensinn geformt!
Weg mit dem tollen Stück fantast'scher Narrheit!
Wir exponieren nicht!
Adolar. Es sei geschworen!
Geschworen Tod sei allem Rhythmischen,
Das uns die Zunge teufelmäßig martert.
Sempit. Doch dünkt es mich, du sprachest auch in Jamben?
Adolar. Fingst du nicht ebenmäßig an Herr Bruder?
Sempit. O Gott, so wurden wir vom Wahn befangen!
Die Stimme des Direktors hinter der Scene. Zum Teufel, was ist denn das? die Kerls schwatzen ins Blaue hinein – wo bleibt die Exposition? – sollte nicht auch ein Blitz vorkommen? – Herr Regisseur, wo sind Sie? – bändigen Sie die Rasenden!
Sempit. und Adolar. Wir exponieren durchaus nicht – uns ist alles Exponieren fatal. – Cornelius Nepos und Ciceronis epistolae haben uns in der Schule Faustschläge hinter die Ohren genug gekostet, dem können wir uns, da wir ehrenwerte Männer geworden, nicht mehr exponieren und da wir uns nicht exponieren wollen, kann von irgend einer Exposition gar keine Rede sein.
Der Regisseur (hinter der Scene). Fünf Thaler Abzug in die Strafkasse.
Sempit.
O Schreckenswort! – tyrannisches Geschick!
So zehrt an unserm Lebensmark die Sünde,
Daß eitler Gaukelei wir sklavisch dienen.
Sind wir denn jemals wohl wir selbst? –
So wie es Fantasie und Laune will
Des Dichters, der sich Welten baut im Zimmer,
Sind wir bald Fürsten – Bettler – Weise – Narren.
Mit falschem Prunk beladen, oder bald
Gehüllt in ekelhafte schmutz'ge Lumpen,
Sehr miserabel anzuschaun, entstellt
Durch schwarze Striche, rote, gelbe Flecke,
So daß der Spiegel untreu aller Wahrheit
Uns nur mit falschen tollen Truggestalten,
Die wir nicht sind, wie Fastnachtsnarren neckt.
Und nun im Augenblick, da unser Recht
Auch selbst zu existieren als wir selbst,
Da dieses ew'ge Recht wir üben wollen –
Da schreit die unheimliche Höllenmacht,
Die wir Direktor nennen, hämisch klirrend
Mit schnöder Kette, die an ihn uns band.
Stimme des Direktors. Herr! – Sie fallen aus der Rolle!
Sempit. Nein, Herr! – ich bin aus der Rolle gestiegen.
Adolar.
Schon seh' ich des Direktors rote Nase,
Er schreitet vor gigantisch, bärenartig –
Karfunkeln schießend aus der Augen Glas.
– Uns rettet Bruder! nur die eil'ge Flucht
Und Vorschuß dem Kassierer abgetrotzt,
Von böser Unbill, die der garst'ge Dämon,
Der lange Regisseur, uns zugedacht.
(Sie fliehen eilig von der Bühne.)
Regisseur (hinter der Scene). Auf und davon sind sie – die Exposition ist hin – das Stück muß fallen – ich bedauere nur den armen Dichter.
Stimme des Direktors im fürchterlichen Ton. Herr Maschinist – Ins Teufels Namen, so klingeln Sie doch!
(Der Maschinist klingelt und das Theater wird verwandelt.)
Zweiter Auftritt.
Großer Audienzsaal mit einem prächtigen Thron im Hintergrunde. Unter einem feierlichen Marsch tritt die Leibwache von Brighella angeführt ein und umgiebt den Thron, dann kommt Tartaglia mit dem Stabe als Oberceremonienmeister, ihm folgen Trabanten und Höflinge; Prinzessin Blandina, Pantalon und andere Staatsbeamten und Höflinge. Eine zweite Abteilung der Wache beschließt den Zug. Prinzessin Blandina besteigt den Thron.
Blandina.
– Man lasse den Gesandten kommen
Des ungeschlachten groben Mohrenkönigs,
Den stolzer Wahn treibt zu vermehrten Wünschen,
Noch einmal will ich seine Botschaft hören,
Und dann verschließen meines Reiches Pforte,
Daß selbst des schnöden Frevels droh'nde Worte,
So wie von tönend Erz zurückgeschlagen,
Den Todespfeil in Feindes Busen jagen.
Pantalon. Allerteuerste Majestät! – liebste Prinzessin – Goldengel! lassen Sie dem alten Mann, der Sie auf diesen Armen getragen, der jährlich zweimal so viel borgte, als er aus der Rentkammer des hochseligen Papas erhielt, bloß um Ihnen die gehörigen Bonbons, Confituren – Brustküchlein zu kaufen – lassen Sie dem alten Mann einige Freiheit zu reden. Sehn Sie, Goldengel, was Sie da sagen von den erznen Pforten Ihres Reichs ist doch nur figürlich zu nehmen, gleichsam eine schöne Redensart; natürlich, in natura will ich sagen, hapert's was weniges. Ich frage nämlich, ob eine Pforte mit Wirkung anderswo anzubringen ist, als in einer Mauer, es müßte denn eine Ehrenpforte sein, durch die sich die Principes drängen, sollten sie auch nebenher freies Feld haben meilenweit. – Nun ist es aber mit der chinesischen Mauer um unser Reich ganz und gar nichts, nirgends etwas davon zu sehen und auf die Grenzfestung kann man sich auch nicht sonderlich verlassen, denn die bösen Gassenbuben haben längst die Wälle und Schießscharten eingekugelt mit Kirschkernen, von drei Kanonen sind viere vernagelt – oder umgekehrt meint' ich eigentlich und das wenige Wurfgeschütz haben ja diebische Wagehälse schändlicherweise gestohlen und an die Glockengießer verkauft, die Bügeleisen daraus fabriziert, so daß der schönste Mörser statt blutigen Tod zu verbreiten, jetzt in einer Art barbarischer Civilisation nur frischgewaschene Schürzen – hochbetagte Hemden quetscht und peinigt. – Bei diesen Umständen allerliebste Serenissima! kann dem Kilian nichts verschlossen werden, kann nichts abprallen von erznen Thoren, ihn selbst tötend. Er kann nicht bestrichen werden aus der Grenzfestung wenn er einrückt ins Land, denn ich frage: ob eine vernagelte Kanone ein schickliches Instrument ist, ihm seine Streiche anzustreichen oder auszustreichen? Ferner kann er nicht geworfen werden aus Wurfgeschütz, was nicht da ist, und wie es mit der Armee überhaupt aussieht, seit den friedlichen Zeiten des hochseligen Papas, weiß Brighella, der den Kern der Truppen, dem das Fleisch gänzlich abgefallen, anführt, am besten. Glauben Sie, Holde! daß dieser ungeschlachte barbarische Kerl, dieser Kilian, sich so wie unsre Ombrombroser Bürger für die Grenadier-Mützen fürchten wird, die der Papa als rednerische Figuren, partes pro toto an die Schilderhäuser nageln ließ, und unter die sich nur dann und wann an Galatagen die Leibgardisten stellten? Kurz! – Prinzessin, Herzengel! es sieht jammervoll mit dem Lande aus, wenn Sie den Gesandten des Kilian nach Ihrer gewöhnlichen Weise schnöde und stolz abfertigen. – Ist es Ihnen möglich, so rate ich, den Gesandten noch einige Tage ohne Audienz hinzuhalten; ich engagiere mich, ihn zum Besten des Staats alle Morgen mit kurfürstlichem Magenwasser und Pfefferkuchen zu traktieren. Ja! ich will mich zum Wohl der Menschheit jeden Morgen mit dem Kilianischen Premierminister beschnapsen; und so werden sich noch mehr edle Seelen finden, die sich aufopfern für Vaterland und Freiheit. Unterdessen soll Brighella sorgen, daß dem Kern der Armee etwas Fleisch anwachse; das heißt: er soll verschiedene Truppen werben und ihnen die tiefsten Grundsätze der Strategie beibringen – links und rechts – eins zwei, eins zwei, Schwenkungen – Kontramärsche, rückgängige Bewegungen. – Er kann auch vorwärts so weit gehen, sein Gesicht schwarz zu färben mit Ofenruß und die Armee zu prügeln, damit sie den gehörigen Zorn wider den Mohrenkönig fasse und geschlagen ausziehe, um wieder zu schlagen. Dann können wir dem Kilian trotzige Antworten geben, wie wir es sonst thaten, als es noch eine Armee gab, und gehöriges Land, sie drauf zu stellen, aber beides haben uns ja die bösen Freiwerber geraubt, so daß der König Kilian uns nur noch den Rest geben oder vielmehr nehmen darf. Also, beste Prinzessin! – Goldtochter! jetzt keinen Gesandten!
Blandina. Man lasse den Gesandten kommen!
Tartaglia (beiseite zu Pantalon). Minister! – sprich! – was soll ich thun?
Pantalon. Dich hängen!
Eh' es die schwarzen Bestien vollbringen.
Tart. Wie? – soll ich aus der Welt? – so schnell – so prunklos?
Ohne Ceremonie? – nein, wahrlich nein!
Ich thu' was meines Amts, weil sie es will!
(Er geht ab.)
Pantalon. Nun bricht das Unglück ein! – Aber ehe ich mein Herzblatt in den Krallen des schwarzen Ungetüms erblicken soll, will ich als ein treuer Premier-Minister auch Premier im Tode sein, und mich mit vergiftetem Konfekt töten, denn so sterbe ich fürs Vaterland einen süßen Tod. (Er weint.)
(Tartaglia tritt mit dem Hofrath Balthasar ein.)
Balthasar. Ist das höflich, daß man den Gesandten des großen Kilian so lange draußen stehen läßt unter den Bedienten und allerlei Gesindel, die mit aufgerissenen Mäulern gaffen, als hätten sie in ihrem Leben noch keinen Hofrath gesehen? – Aber freilich mag's bei euch keine solche Hofräthe geben, wie ich einer bin. – Ist das höflich? Ich merke schon, man muß euch Ombrombrosern Lebensart lehren. – Wetter! da ist ja auch die Prinzessin. Na! – ich komm' noch einmal, vielleicht sind Sie indes klüger geworden, Prinzessin! – viel Umstände mach' ich nicht, wenig Worte sind hinlänglich. Da draußen vor dem Thor steht meine liebe Majestät, der große Kilian, und läßt fragen, ob Sie Sich, Prinzessin, nunmehr entschlossen haben, ihn kurz und gut zu heiraten? Sagen Sie ja, so habe ich Ihnen gleich als Draufgabe ein kleines Präsent, ein lumpicht paar blanke Steine, nur sechs Millionen wert, die sonst an meines Herrn Nachtmütze saßen und für die Minister zwei Ordenszeichen vom goldnen Truthahn mitgebracht. Mein Herr kommt, und morgen ist Hochzeit; sagen Sie nein, so kommt er doch, aber mit dem blanken Schwert, das ganze Nest hier wird verbrannt und verwüstet, und Sie müssen ihm, mir nichts, dir nichts, folgen in sein Reich, und er macht Sie zu seiner Gesellschafterin in lustigen Stunden. – An Ringwechseln und Trauung ist dann gar nicht zu denken. – Nun, Püppchen! was gilt's, die Steinchen von der Nachtmütze blinkern dir in die Augen? – Nun! – soll er kommen, der Bräutigam? – Ich weiß auch nicht, wie man sich so zieren kann! Mein Herr ist reich und ein hübscher Sire von einnehmendem Wesen, Freilich ist sein Teint etwas dunkel – sehr brünett, aber seine Zähne sind desto weißer und ein Paar kleine funkelnde Äuglein – bißchen auffahrend zuweilen, aber dabei ein biedrer Deutscher, unerachtet er am Nil geboren. – Ein treffliches Herz, aber beinahe für einen Soldaten zu weich, denn hat er in der ersten Hitze einen seiner Getreuen niedergestoßen, so kann es ihm nachher oft in gewisser Weise fatal sein. – Nun, wie steht's? – Antwort, Prinzessin! – Ja oder Nein? –
Blandina (mit abgewandtem Gesicht).
Wie kann ich tragen diese Schmach! – wie hören
des groben Unholds pöbelhafte Reden,
die gift'gen Stacheln gleich die Brust verwunden,
daß Lebens-Blut dem Innersten entrinnt.
Kann ich denn Worte finden, die gleich Blitzen,
den aufgeblas'nen Wicht zu Boden schmettern?
Und doch sind Worte nur die schwachen Waffen,
die mir das ungetreue Glück noch ließ.
Balthasar. Nun, was wird's? was soll das heimliche Gemunkel? – Antwort will ich, Ja oder Nein?
Amandus (tritt vor und packt den Balthasar).
Da ist die Antwort, du gemeiner Schuft!
Du pöbelhafte Seele, fort mit dir!
Zu viel ward dir, Unwürdiger, beschieden,
Daß der Prinzessin Antlitz du geschaut.
– – Fort mit dir! –
(Er wirft den Balthasar zur Thüre hinaus.)
(Mehrere der Anwesenden durcheinander.) Was? – den Gesandten zur Thüre hinauszuwerfen! – des Gesandten geheiligte Person! – ein Hofrath, der Püffe bekommt? – es ist wider das Naturrecht! – Naturrecht – Völkerrecht – Kriegsrecht – Hugo Grotius – die Pandekten – Kommt zum ewigen Frieden! – Nun sind wir verloren. – War's nicht, als fiele schon ein Schuß? haben Sie einen bombenfesten Keller, Herr Nachbar? – Der Amandus muß arretiert werden – ausgeliefert werden dem Mohrenkönig! – greift den Amandus – er ist ein Staatsverbrecher – er prügelt Hofräthe – ein gefährlicher Mensch – niger est! – greift den Amandus – greift den Amandus! –
(Sie stürmen auf den Amandus los.)
Blandina (eilig vom Throne herabkommend und vorschreitend).
Haltet! –
Es nahe niemand sich dem treuen Diener,
der mir
das that, was einzig von der Schmach,
mutwill'gem stolzen Hohn mich retten konnte.
Nur nachgegeben hab' ich feigem Rat.
Nie hätte er mein Antlitz schauen sollen,
der Abgesandte jenes schwarzen Unholds –
Es war geschehn, doch als mit plumper Roheit
er pöbelhafte Reden übergeifernd,
die Fürstin schwer verletzte – waren Männer
denn nicht um sie versammelt? – waren's Taube,
die nicht der Rede Sinn verstanden, oder
Gebrechliche – gelähmt an Hand und Fuß,
nicht von der Stelle sich zu rühren fähig?
Denn keiner – keiner wagte das zu thun,
was Ehre – Liebe – Treue für die Fürstin
geboten! – Seht! ein mut'ger Jüngling war's,
der mit der Schmach die gleiche Schmach vergeltend
der Fürstin unerhörte Kränkung rächte.
Tartaglia. Erhabene Prinzessin! Alles, was Sie da zu sagen belieben, zeugt in der That von großen heldenmütigen Gesinnungen und es ist jammerschade, daß Dieselben sich nicht wie eine zweite Johanna an der Spitze einer großen Armee befinden, um sogleich den Mohrenkönig aufs Haupt zu schlagen – aber jetzt! – Dieselben geruhen Lateinisch zu verstehen, – » Aut Caesar, aut nihil« könnte Dero Wahlspruch sein, aber lieber Himmel! mit dem Caesar ist es nichts – mit dem aut auch nicht, bloß mit dem verdammten nihil sitzen wir in der Tinte und – ich rede in tiefster unterthänigster Ehrfurcht – bloß durch Dero allergnädigste Schuld! – Das Land sehnt sich nach einem Vater, Dieselben gehen aber in dem Abscheu dagegen so weit, daß sogar den Studenten verboten wurde, den Landesvater zu singen, wodurch die humaniora merklich gelitten. – Ich rede in tiefster unterthänigster Ehrfurcht! – Allerliebste milchweiße Fürsten haben Dero Hand begehrt und bloß um sie abzuweisen, wurde eine große Armee errichtet, die nun gestorben und verdorben. Jetzt kommt ein Mohrenkönig – er ist zwar hoch brünett – man könnte auf gewisse Weise sagen – schwarz, aber doch, wie der Herr Hofrath Balthasar äußerst richtig bemerkten, dabei von einnehmendem Wesen, denn er hat schon beinahe das ganze Land eingenommen. Das Land seufzt nach dem Vater, nach einiger Descendenz; wenn ich an die schwärzlichen Prinzchen denke, womit der Himmel den Staat segnen könnte, lacht mir das Herz im Leibe. Ich rede in tiefster unterthänigster Ehrfurcht! – Es wird wohl nichts übrig bleiben, als den König Kilian mit Dero zierlichem elfenbeinernen Händchen zu beglücken, und so das Land – Ihre armen Unterthanen zu retten! – Bedenken Sie, erhabenste Serenissima! wie das einzige Wörtchen Ja von Ihren Korallenlippen alles Elend endigt, und die Tiefgebeugten aufrichtet, daß sie in Jubel hopsen! – Wollen Sie das aber nicht – ich rede in tiefster unterthänigster Ehrfurcht – so werde ich, freilich mit tiefem Schmerz, lediglich zum Wohl des Landes, mich Dero angenehmer Person bemächtigen und dieselbe ohne weiteres der holden Kilianischen Majestät ausliefern müssen. – Ich rede in tiefster unterthänigster Ehrfurcht! – Dann giebt's Hochzeit – weißgekleidete Mädchen überreichen das Carmen auf einem Atlaskissen, und die Schuljugend singt: Aller Gram sei nun vergessen! Ich dächte, teuerste Prinzessin, Sie bequemten sich im Guten, ehe die Revolution Sie beim Ärmel erwischt und hinausführt zum Mohrenkönig. – Ich rede in tiefster unterthänigster Ehrfurcht! – Sagen Sie Ja! Angebetete Prinzessin!
Amand.
Schändlicher ganz gemeiner Bösewicht!
Du wagst es ohne Scheu laut zu verkünden
den schwärzsten Unheil bringenden Verrat?
Mutloser feiger Schwächling wisse es,
ein böser Traum hat neckend dich gehöhnt!
Für Sie allein nur brennen aller Herzen,
und Tod für Sie gilt heil'ges Martyrium! –
O laß mich Fürstin! in dein Auge schauen,
der Himmelsblick entzündet den Gedanken
von kühner That, der längst im Busen glimmte.
In regem Feuer bricht sie aus, ihr Glutstrom
wälzt sprühend hin sich über Feindes Scharen,
und unter gehen sie in schmachvollem Verderben.
Nicht mehr der Morgenröte goldnen Purpur
darf schau'n der freveliche Sohn der Nacht.
Ja wenn er ruhet in dem Schooß der Mutter,
in ihre Rabenschwingen eingehüllt,
dann soll die Rache feur'ge Blitze strahlend
ihn treffen – ihn den schutzlos sie verließ.
Denn fliehen wird die Nacht vom Wahn bethört,
daß Phöbus schneller seine Rosse lenkte,
und früher aus dem Meer entstieg Aurora,
sein flammend Gold in Flur und Wälder streute. –
Wie höh'ren Geistes Ahnung hebt die Brust
des wilden Kampfs, des Sieges Himmelslust;
fort dann zur That, in wenig Stunden
entflieht der Mohr geschlagen – überwunden.
(Er verbeugt sich gegen Blandina und eilt schnell ab.)
Blandina. Pantalon! eile schnell dem Jünglinge nach – ich genehmige alles, was er wider den verhaßten Mohrenkönig unternimmt. Sorge, daß jeder, den er zur Ausführung seines Plans aufruft, sich willig seinen Befehlen fügt. –
Pant. (beiseite). Lieber Gott! ich möchte doch, daß es nicht gerade der hübsche junge Mensch wäre, der sich so, mir nichts, dir nichts, dem Kilian zum Frühstück hingiebt. Denn zum Frühstück wird ihn der Kilian verspeisen und dann aus uns übrigen armen Teufeln sein Mittagsmahl bereiten.
(Er geht ab.)
Bland. Du aber, verräterischer Tartaglia, der du gewagt, mir selbst zu drohen, sollst im tiefsten Kerker für deine böse Absicht büßen. Brighella, du vollführst meinen Befehl und stehst mit deinem Leben dafür, daß der Hochverräter nicht entkomme.
(Beiseite.)
Welch ein Vertrauen, welcher seltne Mut
durchströmt mein Innres! – Dieser Jüngling,
der nie das Schwert geführt, nur goldner Leier
des Klangs geheimnisvolles Wunder
wohl sonst mit kunstgeübter Hand entlockte,
daß in den lieblich tönenden Accorden
des Dichters Lied sich froher – kühner regte.
Der Jüngling, wie vom Heldengeist durchstrahlt,
Verkündet Kriegesthaten, will befrein
das Land von der verhaßten Brut – will töten
ihn selbst, den Mohrenkönig Kilian!
Ein Engel scheint er mir, gesandt zu retten
mich von Verzweiflung, unerhörter Schmach!
Ich glaub' an ihn, er kämpft für mich, er siegt,
zu sterben weiß ich, wenn der Glaube trügt.
(Sie geht mit dem Gefolge ab.)
Dritter Auftritt.
(Tartaglia, Brighella, ein Teil der Leibwache im Hintergrunde.)
Tart. Wache ich? – träume ich? – ich – der Minister, die Exzellenz – der Ober-Ceremonien-Meister ohne alle Ceremonie als Hochverräter angeklagt – zum Kerker verdammt? – von dieser Prinzessin, von diesem eigensinnigen unsinnigen Kinde?
Brigh. Beliebt es werte Exzellenz, so wollen wir uns in aller Stille nach dem Turm verfügen.
Tart. Ha! – Brighella! – wir kennen uns nun schon gar geraume Zeit. Du warst von jeher mein Freund! Erinnere dich der goldnen Tage, als in Venedig zu St. Samuel uns die größten Wunder der Feenwelt aufgingen, da waren wir miteinander lustig und gescheut. Neunhundert lachende Gesichter hingen an unsern Blicken, an unsern Worten. Mühselig und kümmerlich haben wir uns seitdem durch die Welt geschleppt, und ob wir gleich hie und da wirklich als existierende Personen gedruckt auf dem Zettel standen, glaubte doch niemand an uns, ja ich fürchte sogar, daß eben heute schon viele ernsthafte Personen an uns gezweifelt. Wirfst du mich nun in den Turm, gräbst du bei lebendigem Leibe mein Grab, so bedenke, daß indem der Spaß, mein Ich untergeht, das deinige baufällig wird und du selbst der besten Stütze beraubt in die Grube plumpst, die du mir bereitet. – Bedenke das, Liebster! und laß mich laufen.
Brigh. Werte Exzellenz! – Sie thun gar nicht gut, daß Sie mich an die alten Zeiten erinnern, denn, mit gütiger Erlaubnis! wenn ich an den sel'gen Deramo denke, den Sie durch das verräterische »Crif Craf« – aus einem schätzbaren König in einen wilden Hirsch umsetzten, so, daß er durch den ekelhaften Körper eines schäbigten Bettlers wandern mußte, um zu einiger Menschlichkeit und zur Frau zu gelangen – wenn ich ferner mich der schönen Zemrede und des unglücklichen Sand erinnere – wenn ich endlich mir den König Millo und den Prinzen Jennaro ins Gedächtnis zurückrufe – Ja, liebste Exzellenz! dann wird es mir ganz klar, daß Sie seit uralter Zeit stets entweder ein Spitzbube oder ein Esel gewesen. – Kurz von der Sache zu reden! – es ist noch nicht Zeit, Hochzeit zu halten mit Rübenkompott, gerupften Mäusen und abgezogenen Katzen. – Sie müssen in den Turm werte Exellenz, es hilft kein Singen und kein Beten!
Tart. (die Hand an den Degen). Was, verräterischer Sklave, du wagst es? – weißt du, daß ich Minister bin? – Ober-Ceremonien-Meister, Exellenz?
Brigh. Lassen Sie den Degen nur stecken, mein Werter! Es ist jetzt alles in andern Schwung geraten. Gesandte erhalten, wie unser gute Adolar diverse Streiche auf den H –, Hofräthe fliegen zur Thüre hinaus, und es kann sein, daß die Exellenz mit gnädigster Erlaubnis einige Püffe erhält, wenn sie nicht gutwillig in den Turm kriecht. Schauen Sie gefälligst dorthin. (Auf die Wache zeigend.) Es sind meine Untergebene, lauter liebe gute Kinder mit blanken Hellebarden und wenn ich rufe: Vorwärts marsch – zum Beispiel: (laut rufend) Vorwärts marsch!
(Die Wache dringt auf den Tartaglia ein.)
Tart. Halt! – Halt! – Halt! – Ich gehe ja schon, aber fürchte meine Rache, Bösewicht! Morgen ist Kilian Herr des Landes, und dann bist du verloren. Im Triumph werd' ich aus dem Kerker geführt, und laut wird es der Welt bewiesen, daß du, grober Flegel! weiter nichts bist, als eine verfehlte Idee, ein lamentabler Spaß – ein Nichts das sich auflöset in nichts!
Brigh. Morgen ist nicht heute – wo Sie morgen sitzen werden, Exzellenz, weiß ich nicht, aber heute müssen Sie in den Turm.
(Brighella geht mit der Wache, die den Tartaglia umringt, ab)
Vierter Auftritt.
(Wildverwachsene Partie eines englischen Parks mit einem Einsiedlerhäuschen an der Seite, vor dem ein steinerner Tisch steht.)
Roderich (tritt auf).
Ha! – bin ich! – leb' ich? – atm' ich noch? – Wohin
trieb mich Verzweiflung, Wahnsinn – Raserei
verschmähter Liebe? noch nicht abgeworfen
des Lebens Bürde? – noch des Schmerzes Stachel
tief in der Brust daß Herzblut ihr entquillt?
Doch hier soll Liebesqual so laut sich künden,
daß von dem Ton die zarte Luft verwundet,
sich krampfhaft kräuseln soll in Sonnenstäubchen;
daß selbst der Quellen, duft'ger Büsche Flüstern
verstummen soll! In furchtbar toter Öde
darf nichts mehr leben als der Liebe Schmerz!
Blandina will ich rufen – schreien – brüllen.
Und wie des Donnrers Hammer schlägt der Name
an jene schwarzen Felsen! – dann geweckt
aus tiefem Schlaf erwachen ihre Stimmen
und rufen dumpf Blandina! – wie der Tod,
wie das Entsetzen selbst erklingt der Name
der Grausamen, der Feindin treuer Liebe.
Des Frühlings buntgefiedert luft'ges Heer,
der Liebe Sänger, Nachtigallen stürzen
verstummt im Tod' von den laublosen Ästen,
denn wie des Winters eis'ger Todesstarrkrampf,
traf die Natur das Schreckenswort Blandina!
*
In wilde Einsamkeit,
Weit weit
Bin ich getrieben
Von Liebesqual!
Doch überall,
Wo ich geblieben,
Nur Sie! Nur Sie!
Ach nie! Ach nie!
Kann ich Sie vergessen,
Kann weder trinken noch essen,
Muß vergehn, verschmachten,
Muß beständig trachten
Nach ihr! Nach ihr! – Muß klagen.
Den Blumen, den Büschen sagen,
Was ich leide für Pein,
Bis vergangen wird sein
Mein Stimmlein,
Und mich decket ein Stein!
*
Nicht Speis' und Trank soll diese Zunge letzen,
Nur Schmerz soll nähren meiner Liebe Schmerz:
Bis die Verzweiflung drängt den Stahl zu wetzen
Und zu durchbohr'n dies hoffnungslose Herz.
Das Ächzen nur, das Klaggestöhn der Eulen
Beweint des Dichters Marter – seinen Tod,
Den Wandrer schreckt das ahnungsvolle Heulen,
Das brausend durch die Luft ihm Unglück droht.
Doch bald verkünden bange Traumgestalten
Ihr, der Tyrannin, selbst mein Mißgeschick;
Des Treuen Seufzer, ach! die längstverhallten,
Sie kehren nun in
ihre Brust zurück.
Dort mahnen sie all' die verlorne Tage,
Der Lust, die ihr das frohe Leben bot,
Und trostlos an der Freuden Sarkophage
Klagt die Tyrannin dann in Liebesnot!
*
Ha, schon durchbeben
die Schauer des Todes
den blutenden Busen.
Zerrissen von Qualen
von Wahnsinn, Verzweiflung!
Hinab in den Orkus –
Blandina – Blandina!
Ha! – Seufzer des Todes!
Blandina – Blandina!
Ha, Todeskampfs Röcheln!
Blandina – Blandina!
Ha, wütende Rache!
Ha, rächendes Wüten!
Ha –
Ich weiß aber auch gar nicht, wo heute der Truffaldin mit dem Frühstück bleibt. Der Atem geht mir in der That beinahe aus, wenn ich nicht gleich etwas Konsistentes, Stomachales zu mir nehme! Truffaldin – he! – Truffaldin.
(Truffaldin kuckt furchtsam und verstohlen hinter den Büschen hervor.)
Ich glaube gar, er vergißt mich heute ganz? – Das fehlte noch! Nachdem ich mich auf höchst vortreffliche Weise der Verzweiflung überlassen, bin ich hungrig und durstig geworden. Truffaldin, he Truffaldin!
Truffaldin (tritt mit einem Flaschenkorbe und einer zugedeckten Schüssel schüchtern aus dem Gebüsch). Darf ich denn, gnädiger Herr! darf ich denn Dero verzweifelte Begeisterung unterbrechen?
Roderich. Du hörst ja, daß ich dich rufe, es ist ja die Frühstücksstunde.
Truffaldin. Aber nur noch gestern, als ich zur selbigen Zeit mitten in Dero Verse hineintrat, beliebten Sie mich für diesen Tritt mit mehreren Tritten zu regalieren, und so meint' ich, daß vielleicht heute ebenmäßig –
Roderich. Narr! Du mußt es dem Geist meiner Verse anmerken, wenn er sich nach des Leibes Nahrung und Notdurft sehnt. – Setze das Frühstück auf.
Truffaldin (deckt eine Serviette auf den steinernen Tisch und setzt die Schüssel, eine Flasche Wein, Glas u. s. f. auf). Der Herr Mundkoch hat heute köstliche Koteletten mit einer angenehmen Sardellensauce bereitet, er meinte, das sei rechte Nahrung für einen einsiedlerischen Dichter – sowie auch der Drymadera –
Roderich. Er hat recht! – Vorzüglich nach der Verzweiflung magenstärkend. (Er ißt und trinkt mit vielem Appetit.)
Truffaldin. Wie lange denken Sie denn noch in dieser wilden schauerlichen Gegend sich der menschlichen Gesellschaft zu entziehen?
Roderich. So lange meine Verzweiflung und das gute Wetter anhält.
Truffaldin. Es ist aber auch in der That eine recht liebe Einsamkeit – so bequem gelegen, gleich hinter dem Schlosse der Prinzessin, und so allerliebst gemacht, man möchte gleich alles auf die Tafel stellen. – Die Berge – das rauschende Wasser – die Grotten. – Aber, gnädiger Herr, unrecht ist es doch, daß Sie sich der Welt so ganz entzogen.
Roderich. Die Dichter lieben die Einsamkeit, daher wählen sie im Sommer gern Landhäuser, Parks, Tiergärten und dergl. zu ihrem Aufenthalt.
Der Dichter ist sich selbst die ganze Welt,
Er faßt sie auf im reinen Strahlenspiegel,
Den in dem Innern ihm sein Geist geschliffen.
In dieser wilden Einöde leb' ich ganz der göttlichen Begeisterung meiner Liebe – meines Schmerzes – meines Wahnsinns und ich kann überzeugt sein, daß vor fünf Uhr nachmittags, zu welcher Stunde die Spaziergänger sich einzufinden pflegen, mich niemand stört.
Blandina! göttlich Weib! welch himmlisch Sehnen
Durchbebt die Brust – ein qualvoll wonnig Wähnen
Reißt mich empor mit magischer Gewalt,
Sie ist's – ich schau' der Teuern Lustgestalt!
(Er trinkt.) Der Drymadera könnte besser sein, gar kein Feuer – matt! – Die Koteletten waren ziemlich, aber in der Sauce zu wenig Moutarde, kein vinaigre a quatre voleurs. – Du kannst es dem Mundkoch sagen, daß ich das liebe!
Truffaldin (beiseite). Ein lieber absonderlicher Herr, der Herr von Roderich. Da lamentiert er über verschmähte Liebe und Schmerz und Verzweiflung und Todesnot und hat dabei einen Appetit, daß mir das Wasser im Munde zusammenläuft, wenn ich ihn essen sehe! – Hat die Prinzessin Blandina auf der Zunge und will doch Senf und Diebsessig kosten.
Roderich. Was murmelst du Truffaldin?
Truffaldin. Ach, es war nichts – in der That gar nichts, das wert wäre, anders als in den Busch hineingesprochen zu werden, der sich das gefallen lassen muß.
Roderich. Ich will es aber wissen.
Truffaldin. Der Mund nahm sich gleichsam heraus zu betrachten, so daß das Auge notgedrungen in Worte ausbrach! – aber –
Roderich. Kein unsinniges Geschwätz – was sagtest du hinter meinem Rücken?
Truffaldin (mit vielen Bücklingen). Wenn Sie es denn gebieten, so will ich in tiefster Unterthänigkeit – unmaßgeblich – doch mit gehöriger Salvierung meiner Extremitäten – wenn – etwa – von wegen der Fußtritte, die Ew. Gnaden Dero Versen entziehen könnten, wodurch diese denn nun offenbar einige Lahmheit –
Roderich. Wird es bald?
Truffaldin (beiseite). Wenn er mich prügelt, lauf' ich aus der Einsamkeit, große Pakete von meines Herrn Versen unter den Armen, die verkaufe ich den Käsekrämern, befördere so den guten Geschmack, indem ich gemeinen Käsen einen vornehmen Beischmack gebe, und schaffe mir einen Zehrpfennig. (Stark Atem holend – laut.) Nun will ich alles – alles sagen! – Ew. Gnaden, mein gnädiger Herr, haben solch ein grenzenlos amikables Air im Essen, daß ich es wagte, mich im Innersten darüber zu ergötzen und zu erfreuen! Ach Gott, wenn Sie so ein Kotelettchen nach dem andern auf die angenehmste Weise verschwinden ließen, wenn Sie so ein Gläschen Madera nach dem andern hinabzuschlürfen geruhten – das Herz sprang mir vor Freuden hoch auf. Dero Appetit war so appetitlich, daß ich selbst – doch am mehrsten war ich höchlich darüber erfreut, daß Ew. Gnaden meine unterthänige Besorgnis so ganz zu Schanden machten. Eben als ich mit dem Frühstück auf dem Wege war aus der Hofküche, hört' ich Dieselben schon aus der Ferne erschrecklich lamentieren. Dergleichen bin ich nun zwar schon gewohnt, als ich aber näher kam, hört' ich zwar in ganz angenehmen aber doch fürchterlichen Worten Dinge, die mir das Haar sträubten. Ew. Gnaden wollten hinführo nichts weiter genießen, als einigen Schmerz – durchaus schnöde Kost, die der Mundkoch der Prinzessin niemals serviert, da er es höchstens zu Thränen bringt, die der Zucker über Backwerk gießt. Dann wollten Ew. Gnaden endlich ein Klappmesser wetzen, und sich das Herz durchbohren – Sie röchelten schon im Todeskampfe und riefen ganz erbärmlich: Blandina, Blandina! – Mein Jammer war unbeschreiblich, bis mich Ihre Sehnsucht nach dem Frühstück wieder aufrichtete. Nun komme ich hervor, finde Sie frisch und gesund – nun noch der erstaunliche Appetit dazu – kurz! – ich bin in heller, herrlicher Fröhlichkeit überzeugt, daß, so wie es mit der ganzen schauerlichen Einöde und Einsamkeit ein angenehmer Spaß ist, auch Dero Verzweiflung, Dero gnädiger Wahnsinn – Dero inbrünstige Liebe zur Prinzessin Blandina nur gleichsam ein angenehmer Schnörkel – so ein –
Roderich (springt entrüstet auf). Was? – Esel! du wagst es, an der Wahrheit meiner Gesinnungen zu zweifeln? – an der Wahrheit meiner Liebe zur göttlichen Blandina?
Truffaldin. Nicht im mindesten, nicht im mindesten, ich meinte nur –
Roderich. Wahr und echt aus dem Innersten heraus kommen die Empfindungen für die Prinzessin, denn in ihnen ruht meine Poesie, und diesen poetischen Strom, der aus dem Innersten sprudelt, aufzufassen, ja ihn zu verdichten zum Krystall, in dem sich die glänzenden Gestalten meiner Fantasie hell und farbigt abspiegeln, ja! daß ich mit kräftiger Faust den Bogen spanne wie der fernhintreffende Apollo und meine Verse wie des Blitzes Pfeile fortschleudere – dazu kräftige ich mich – deshalb esse ich Koteletten mit Sardellensauce und trinke Drymadera!
Truffaldin. Also lieben Ew. Gnaden die Prinzessin wirklich? – wünschen eine unmaßgebliche Verbindung?
Roderich. Die göttliche Blandina ist meine Muse, meine Liebe zu ihr eine poetische Idee, die in tausend Strahlenbrechungen in meinen Liedern den Glanz und Reichtum der Poesie verbreitet und die Gemüter entzündet. Unbezweifelt rührt am Ende mein Schmerz, meine Verzweiflung die Stolze und ich werde über kurz oder lang regierender Fürst von Ombrombrosa, wiewohl dann Blandina weder meine Muse noch meine poetische Idee bleiben kann, denn zu beiden ist eine Frau nicht tauglich.
Truffaldin (Roderich zu Füßen fallend). Ach, gnädiger Herr! Unvergleichliche Durchlaucht in spe – Wenn Sie nun dasitzen auf dem roten Sammtstuhl und mit dem Scepter in der Faust, Land und Leute regieren nach Herzenslust – wollen Sie denn nicht dem treusten Diener – so ein Ministerstellchen dacht' ich und einen tüchtigen venetianischen Wurstkram dabei, das könnte schon den Mann nähren! – Alle meine Würste wollt' ich in Dero angenehme Sonnettchen –
Roderich (entrüstet). Kerl! bist du rasend? (gelassen) Doch stehe auf und erzähle mir das Neueste, was du in der Hofküche vernommen. Was macht Blandina? hat sich beim Dejeuner kein neuer Nebenbuhler eingefunden? – hat sie nicht diesem – jenem freundliche Blicke hingeworfen? So etwas wäre mir jetzt gerade recht, denn ich brauche vor Tische noch einige Verzweiflung, ja sogar einige Raserei könnte nicht schaden. Nach Tische kann dann mit Nutzen stiller hinbrütender Liebesschmerz, sentimentale Schwärmerei eintreten.
Truffaldin. Ach, gnädiger Herr! – Am Hofe sieht es gar bunt und gefährlich aus. Der Mohrenkönig Kilian hat einen plebejen Hofrath als Abgesandten zur Prinzessin geschickt, den hat der junge Monsieur Amandus zur Thüre hinausgeworfen, darauf ist in der Person des Ministers und Ober-Ceremonien-Meisters Tartaglia eine fürchterliche Revolution ausgebrochen und hat die Prinzessin beim Ärmel erwischen und hinausführen wollen zum groben Mohrenkönig, das hat aber der Mons. Amandus nicht gelitten, sondern versprochen, gleich nach dem Abendsegen ganz allein herauszuwandern und den hunderttausend Mohren, die vor Ombrombrosa im Lager stehen, mit seinem Couteau de chasse die Köpfe abzusäbeln, wie man ein Feld absichelt. Blandina zweifelt keinen Augenblick, daß dieser sinnreiche Anschlag durchaus gelingen werde und man spricht, daß sie dem lieben tapfern Monsieur gleich nach vollendeter That Herz und Hand geben wird, so daß in kühler Nacht zurückkehrend, er sich gleich, nachdem er nur das Mohrenblut abgewaschen, ins Ehebette legen kann und keinen Schnupfen befürchten darf.
Roderich. Was höre ich? Amandus, der Chitarrist? der erbärmliche hochmütige prosaische Liederling, der zu meinen göttlichsten Gedichten nie eine Melodie finden konnte, der nie meine wohlklingendsten Verse singen wollte? der verspricht Heldenthaten? der soll Blandinens Hand gewinnen – der göttlichen? Vor der Hand habe ich Stoff genug zur Verzweiflung und zum Wahnsinn! – Doch da der Anschlag offenbar unsinnig ist, insofern dem hochmütigen Amandus nicht Geister helfen, die nur selten mit Wirkung zu brauchen, auch überhaupt teufelmäßig schwer zu behandeln sind und also es voraus zu sehen, daß der König Kilian die Prinzessin und den Amandus besiegen wird, so laufe schnell und erkundige dich, wo und wie weit der Mohrenkönig steht und anzutreffen ist, damit ich noch zu rechter Zeit zu ihm übergehen und meine Dienste als Hofpoet anbieten kann. Ich werde denn gleich die nötigen Siegeshymnen auf den Einmarsch des Mohrenkönigs in Ombrombrosa anfertigen und den Kilian sehr loben, für jetzt will ich verzweifeln und mich deshalb tiefer in die Einöde, das heißt in die zwanzig Schritte von hier gelegene schauerliche Felsenpartie begeben. Dort will ich was weniges rhythmisch brüllen. (Er ist im Abgehen, Truffaldin will das voll eingeschenkte Glas ergreifen, Roderich kehrt schnell um.) Ach! – bald vergessen. (Er leert das Glas und will von neuem abgehen.)
Truffaldin (ihm nachrufend). Gnädiger Herr! – Gnädiger Herr!
Roderich (umkehrend). Was soll's?
Truffaldin. Ach, gnädiger Herr! – ich wollte bitten – wenn Sie meinen unsäglichen Eifer für Dero würdige Person, vorzüglich wegen des Sammtstuhls – der Ministerschaft – des Wurstkrams nicht übel deuten wollten – ich hätte so eine Idee! – einen unmaßgeblichen Vorschlag –
Roderich. Nun, was ist es, was ist es? – Die Zeit vergeht, bald kommt die Mittagsstunde heran, und ich bin nicht bis zur Raserei gediehen. –
Truffaldin. Sehn Sie, gnädiger Herr, ich habe von einem würdigen Manne guter Herkunft, nämlich vom seligen Don Quixote gelesen; der wollte es aus Liebe zu seiner Dulcinea von Toboso, die eigentlich auch nur eine poetische Idee war, dem Ritter Amadis von Gallia nachthun. So wie dieser auf dem Felsen Armut als Dunkelhübsch allerlei tolle Streiche verführte, so zog auch der Ritter Don Quixote in einer wilden wüsten Gegend vor den Augen seines treuen Sancho Pansa sich ganz fasernackt aus, und schoß einige Purzelbäume, welches Sancho Pansa nachher der geliebten Prinzessin Dulcinea gehörig rühmen sollte. Wie wäre es, wenn Sie jetzt, gnädiger Herr! nach dem erhabenen Beispiel jener würdigen Männer so vor meinen Augen Ihren Schlafrock und Ihre liebe Höschen ablegten und einige anmutige Purzelbäumchen gnädigst versuchten. Ich würde das als Ihr treuer Sancho mit vieler Wirkung in der Hofküche erzählen. Was gilt's, wir spielen dem Amandus einen Streich und das Fürstentümchen fällt, mir nichts dir nichts, in Ihre Tasche, noch ehe es der Mohrenkönig Kilian wegbrennt, denn der Hofmundkoch ist ganz vertraut mit der Oberhof –
Roderich (ihn entrüstet unterbrechend). Du bist ein verdammter Hasenfuß! (Er eilt fort und man hört ihn gleich darauf brüllen.)
Truffaldin (nach einer Pause). Wären der Prinzessin Blandina nicht vielleicht seine Purzelbäume lieber gewesen als seine Verse? – Stoff zur tiefsinnigsten Betrachtung. – Ehe ich aber in die Tiefe dieser Betrachtung hinabsteige, will ich mich in jenes Einsiedlerhäuschen bis auf den Grund vertiefen und sogleich ein paar tüchtige Stöße von meines Herrn Versen zusammenbinden. Bis Mittag bin ich über die Grenze, weil ich nicht Kilianisch werden will und mein Herr mir den Wein vor der Nase aussäuft.
(Er geht in das Einsiedlerhäuschen.)
Fünfter Auftritt.
Amandus (tritt von der Seite ein).
Welch ein neues Leben ging mir auf! – Dunkle Stimmen, die in meinem Innern tönten, wehen nun in freudigem lauten Gesange durch Flur und Wald, und verkünden ein wunderbar Geheimnis, das sonst in meiner Brust ruhte wie ein tötender Schmerz! – Es ist mir als verstehe ich jetzt erst mein Saitenspiel, das oft wie im bewußtlosen Traum von meiner Hand berührt in seltsamlichen wonnevollen Ahnungen erklang. – Und doch kann ich es nicht mit Worten sagen, was herrlich und glänzend wie mit tausend goldnen Sonnenstrahlen mich umleuchtet, ja was so verständlich mir die Blumen, die Gebüsche, die Quellen zulispeln. – Nie gedachte, nie empfundene Melodien, aber wie in einem einzigen überschwenglich herrlichen Ton zusammenstrahlend durchbeben mein Innerstes und ist nicht dieser Ton, von dem erfüllt meine Brust in unnennbarer Sehnsucht brennt, Sie – Sie selbst? – Alle schelten mich thöricht und vermessen, daß ich, der ich nie verstand die Waffen zu führen, mit dem ungeschlachten Mohrenkönig Kilian zu kämpfen mich unterfange und weissagen mir den Tod; aber giebt es denn wohl für mich nur irgend eine Gefahr? – Seitdem ich durch Sie – in Ihr – mein wahres Sein, den höheren Geist in mir erkannt habe, weiß ich, daß der Gesang nicht außer mir wohnt, sondern ich selbst bin der Gesang und der ist unsterblich! – Zerschlägt Kilian das Instrument, so wird der darin wie in ein enges Gefängnis gebannte Ton frei und licht daherschweben und ich werde in ihr – Sie selbst sein. Ebensowenig wie die Luft kann Kilian den Geist, der mein Ich – der der Gesang ist, verwunden oder töten. So wie Sie die unaussprechliche Sehnsucht der Liebe ist, die wie der Atem des Lebens meine Brust hebt, so werde ich dann selbst das Lied sein, das emporquillt aus den Saiten, die ihre Schwanenhand berührt! – Ja! in den aufschwellenden Tönen des Liedes, das von ihren rosigen Lippen strömt, werde ich von meiner Liebe, von meiner Sehnsucht singen. –
Brighella hat mir gar viel von seinen listigen Anschlägen gegen das Heer der Mohren gesagt, mag er seinen Weg verfolgen, mutig schreite ich fort auf dem meinigen, der mich zum gewissen Siege führt!
(Truffaldin kommt mit zwei ungeheuern Papierstößen unter den Armen aus dem Einsiedlerhäuschen.)
Truffaldin. Ei, mein Himmel, da ist ja der junge Held, Monsieur Amandus mit einem ungeheuern Schwert an der Seite! – Er sieht recht martialisch aus und wenn ihm der Bart gewachsen ist, kann er ganz getrost unter die Leibhusaren gehen.
Amandus. Wer bist du, seltsamer Geselle?
Truffaldin. Sollten Sie mich denn nicht kennen, allerliebster heldenmütiger Monsieur? – sollten Sie mich niemals in der Nähe des Hofes erblickt haben? – Ich bin ja der Diener des Herrn Hofpoeten Roderich, der sich zwanzig Schritte vom Schlosse in die wilde Einöde begeben, um über die Grausamkeit der Prinzessin Blandina gehörig zu jammern. Er liebt die Prinzessin unendlich, seine Verse, vergangene und zukünftige aber noch viel mehr und um diese mit seiner werten Person zugleich zu erhalten, will er zum König Kilian übergehen und Siegeshymnen singen. – Ich meinesteils will nicht Kilianisch werden, sondern mich im stillen der Tugend widmen und der göttlichen Poesie, weshalb ich der Begeisterung wegen einen Schnaps- und Wurstladen anlegen und gleich selbst mein bester Kundmann werden will.
Amandus. Was trägst du aber denn für schwere Last?
Truffaldin. Einige vergangene Verschen meines gewesenen Herrn zur Belehrung – zur Erbauung – zur Erhebung – zur Verbreitung des guten Geschmacks, da ich sie in kleinen Portionen meinen Cervelatwürsten beifügen und den Käufern in den Kauf geben will – Gehorsamst aufzuwarten!
Amandus.
Nach deiner Kleidung, deinem droll'gen Wesen,
Scheinst du mir wirklich wahrer leichter Scherz.
In tiefem Ernst schreit' ich zu ernster That,
Doch in der dunklen ahnungsvollen Tiefe,
Aus der dem Magus gleich mit kräft'gem Zauber
Der Dichter seltsame Gestalten lockt,
Daß sie, Trugbilder zwar, doch hell und farbigt
Vom höhern Geist beseelt gar seltne Lust
Dem Gläubigen bereiten – In
der Tiefe
Da gatten Ernst und Scherz sich willig, wandelnd
Auf
einer Bahn, erreichend gleiches Ziel.
Darum Geselle! – frisch! – wirf ab die Bürde,
Die ird'scher Tand nur nach der Erde strebend
Dich selbst zur Erde beugt, den leichten Schritt
Den du gewohnt, nur hindert! – wirf sie ab!
Sei du mein Knappe! – wie ein muntres Liedchen,
Das sich an ernste Weisen neckisch hängt,
Sollst du mir folgen in den Kampf. – Den Mohren
Trifft bald zum Tode meines Geistes Macht.
So komm denn luft'ger Spaß die That zu schauen,
Du kannst dem Ernst, der Ernst kann dir vertrauen.
(Er geht ab.)
Truffaldin. Wie bin ich doch so wunderlich an diesen blutjungen Helden geraten, der soeben erst fertig worden, noch ganz blank und neu! – Aber ich glaube, es ist mehr an ihm, als an dem Hofpoeten und erlegt er den Kilian, so ist mein Glück gemacht. Der junge Mensch hat mich ordentlich in Rage gesetzt, und ein glücklicher Coup könnte mich bis zur Courage bringen. – Ein Paarhundert Schrittchen davon will ich dem Kampfe mit einer Standhaftigkeit, mit einer Bravour zuschauen, daß niemand mehr an meiner Tapferkeit zweifeln soll. – Die Bündel hier werfe ich in den Bach und sind es Verse nur von einigem Gewicht, so werden sie schnell untersinken.
(Er wirft die Bündel hinter dem Gebüsch in den Bach, tritt dann weiter vor und spricht pathetisch.)
So will ich nur zum Spaß die That denn schauen,
Wird's Ernst, so kann ich schneller Flucht vertrauen!
(Er folgt dem Amandus.)
Sechster Auftritt.
(Freie Gegend. Im Vordergrunde das prächtige Gezelt des Mohrenkönigs Kilian, hinten das Lager der Mohren.)
Kilian, eine riesenmäßige dicke Figur mit der Krone auf dem Haupt, aus einer langen Pfeife Tabak rauchend, tritt mit dem Hofrath Balthasar im Gespräch ein; hinter ihnen Gefolge von Mohren, von denen einer ein großes Glas, ein anderer mehrere Flaschen, der dritte Kilians Scepter trägt.
Kilian. Er ist gewiß wieder einmal ein Esel gewesen, Hofrath! und hat den ganzen Brei verdorben mit seiner dummen Weise.
Balthasar. Sie wollen auch stets allein alle Weisheit gefressen haben, Majestät! und doch bedürfen Sie, so wie der ganze Hof, immer Rat, weshalb Sie mich zum Hofrath gemacht haben; ich thue meine Pflicht und lasse es nie an der gehörigen Grobheit mangeln.
Kilian. Sieht Er! – mit seiner Grobheit ist es nun ganz und gar nichts, denn es fehlt ihr immer die gehörige Dicke, da kann er was von mir lernen. Er ist gegen mich nur ein dünnes kleines Knäbchen, dem es schon recht ist, wenn ihm einmal die Ohren gewaschen werden. Hat Er denn der Prinzessin die Diamanten gezeigt?
Balthasar. Freilich! und ausdrücklich gesagt, daß Sie selbst die Kleinodien an der Nachtmütze getragen haben, aber das dumme Volk hat gar nicht darauf geachtet.
Kilian. Weil Er das Ding mit den Diamanten auch recht dumm gemacht haben mag, wie gewöhnlich! – Nun! – morgen soll's mir die Prinzessin, wenn sie meine Frau geworden, selbst erzählen, und wenn ich denn nun erfahre, daß Er ein Maulaffe gewesen, sieht Er, so soll – (Er schwingt die Tabakspfeife.)
Balthasar. Ach – für die Pfeife fürcht' ich mich auch noch nicht – machen Sie sich nur nicht so breit, Sie sind so schon breit genug, Majestät! – Warum haben Sie denn nicht gleich die Armee in die Stadt geschickt, und die Prinzessin holen lassen, wie ich es geraten?
Kilian. Halt Er's Maul und schwatz' Er nicht ins Gelag hinein. – Ich bin heute nicht zum Heiraten disponiert! – Morgen ist auch ein Tag.
Balthasar. Aber mir ahnet's, daß bis morgen allerlei dazwischen kommen wird.
Kilian. Ich glaube gar, Er untersteht sich, Ahnungen zu haben? – Sieht Er, Hofrath, wenn ich merke, daß Er außer seiner Tölpelei auch noch von dummen Aberglauben besessen ist, so lasse ich Ihn stehenden Fußes zum Lande hinauswerfen. Ich glaube, Er wäre imstande, durch seine Tollheit mein Volk und die zarte hoffnungsvolle Jugend zu berücken!
Ein Mohr (eintretend). Es ist ein Mensch draußen, der die Majestät schauen will und unerachtet er in einem Kabriolett bei den Vorposten ankam, sagte er doch, er sei ein Überläufer aus den Staaten der Prinzessin Blandina.
Kilian. Merkt Er, Hofrath, wie das Volk dem künftigen Landesvater zuläuft? Vielleicht ist es schon gar der Bürgermeister von Ombrombrosa mit den Schlüsseln des Landes. – Er mag nur immer hineintreten.
(Der Mohr entfernt sich.) – Meinen Scepter! (Er giebt die Tabakspfeife dem Mohren, der den Scepter trägt und nimmt den Scepter, indem er sich gravitätisch vor des Zeltes Eingang stellt.)
Siebenter Auftritt.
(Roderich tritt ein von zwei Mohren begleitet.)
Kilian. Nun! – Was will Er? – Wer ist Er? Hat Er die Schlüssel des Landes bei sich?
Roderich. O Majestät! – großer König! zu schwer würden diese Schlüssel sein, um an meines Rockes Hinterteilen zu prangen, wo nur sonst ein goldnes Schlüsselchen der geheimsten Kammer meiner Prinzessin neckisch an einem Schleifchen baumelte, denn mit Erlaubnis, ich war Blandinens geheimer Kammerherr.
Kilian. Hofrath? – ich glaube, der Kerl ist verrückt, er prahlt mit 'nem fatalen Amte – er schneidet auf. Ist denn das 'ne alberne stolze Sitte am Ombrombroser Hofe, daß man goldne Schlüssel zum –
Balthasar. Ach, schwatzen Sie doch nicht solch ungewaschenes Zeug, Majestät! – Fragen Sie nur den Menschen ordentlich, wer er ist? –
Kilian (barsch). Wer ist Er?
Roderich. Großer König! ich nenne mich Roderich, ich biete Ihnen, wohlwollender Sire! meine Dienste an, um Dero Siege zu verkünden, denn außer dem vorher bemerkten Amte war ich Hofpoet der Prinzessin Blandina und wünsche nun den gleichen Dienst bei Ihnen, großer majestätischer König! anzutreten.
Kilian. Poet? – Hofpoet? – Was will Er damit sagen? Was ist das eigentlich?
Roderich.
Poet! – auch Dichter sonst nach deutscher Sprache,
Ein wunderlich geheimnisvolles Wesen! –
Im Purpur der aus fernem Geisterlande
Hinüberstrahlt erscheint ihm die Natur,
Erscheint ihm alles, was sein Aug' erfaßt.
Das arme dürft'ge Leben glanzlos sonst,
Fahl – erdigt – lautlos ohne Farbenjubel,
Geht ihm dann auf in hellen lichten Klängen.
Wie im Krystall des silberklaren Baches
Sich magisch Wolken, Büsche, Blumen spiegeln,
So spiegelt sich auch die Natur, das Leben,
Im Geist des Dichters ab – Ein Zauberschimmer
Blitzt über alles hin in kleinen Wellchen,
Die wie im Spiel sich ineinander kräuseln.
*
So ging auch mir das Dichterleben auf.
Mein Aug' erfaßt' das ferne Geisterreich,
Romant'schen Putz geb' ich dem, was ich sehe.
Auch du, mein guter Sire! bist nicht Kilian,
Bist nicht der furchtbar starke Mohrenkönig –
Nein! – nur ein herrliches poet'sches Bild,
Erreicht durch kühnen Flug des regen Dichters,
Du bist –
Kilian (ihn im höchsten Zorn unterbrechend). Was? – Er unverschämter Kerl? – ich wäre kein Kilian? – kein Mohrenkönig? nur ein Bild? gleichsam eine Malerei? – Lug und Trug? – I so soll doch das Wetter drein schlagen! (Er prügelt den Hofpoeten stark mit dem Scepter, der Hofpoet entflieht schreiend: Erbarmen! Erbarmen! – ich nehme alles zurück – ich bin kein Poet – kein Dichter etc. Kilian verfolgt ihn bis außerhalb der Scene.)
Kilian (zurückkehrend, keuchend und atemlos). – Nun – der – soll – daran – denken – mich – für – ein Bild anzusehen! – Hofrath! trockne Er mir einmal den Schweiß von der Stirne!
(Der Hofrath thut es, muß sich aber auf den Fußspitzen erheben, um an Kilians Stirne hinaufzureichen, er stolpert und stößt dem Kilian die Krone vom Kopfe.)
Kilian. Er ist aber auch ein recht ungeschickter Tölpel, Hofrath! Er kann nicht das mindeste zum Wohl des Staats ausrichten, ohne eine Flegelei zu begehen.
Balthasar. So kann Er selbst fürs Wohl des Staats arbeiten und sich den Schweiß abtrocknen, Majestät! (Er wirft ihm das Schnupftuch, das er von ihm empfing, wieder zu.)
Kilian. Ja das geht auch! (Er wischt sich die Stirne ab, die Mohren setzen ihm wieder die Krone auf.) Jetzt will ich von meinen Geschäften ausruhen und versuchen, inwiefern ich noch an den morgenden Einzug in Ombrombrosa etwas weniges denken kann. Man bringe mir einige Flaschen Doppeltbier und ein halbes Pfund geschnittenen Rollenknaster in mein Zelt. – Hofrath, leg' Er sich aufs Ohr und sei Er morgen vernünftiger – Gute Nacht ihr Flegel allzumal! –
(Er geht Tabak rauchend ins Zelt, das sich hinter ihm schließt.)
Balthasar. Wenn der Kilian nicht solch ein ehrlicher Mann wäre und solch ein vortreffliches Herz hätte wie alle Grobiane, der Teufel hielte es bei ihm aus.
(Er geht mit den Mohren ab.)
Zwischenscene hinter dem Theater.
Der Regisseur. Herr Maschinist ziehen Sie die Glocke zum Nachtmachen.
Der Direktor. Was ist das? jetzt soll es mit einem Mal Nacht werden? – Das stört die Illusion – vor ein paar Minuten hat der Dichter Roderich ja erst in der Einöde gefrühstückt.
Der Reg. Es steht aber so im Buche.
Der Direkt. So ist das Buch unsinnig – das Stück ohne alle Theaterkenntnis geschrieben. Dieser Akt müßte notwendig bei Tage schließen, der folgende hätte dann in Gottesnamen in der Finsternis anfangen können.
Der Reg. Sie hätten das Stück lesen und früher an die nötigen Änderungen denken sollen, um vernünftige Illusion hineinzubringen. Nun wird es einmal gespielt.
Der Direkt. Was? – Ich bin Direktor und soll auch noch die Stücke vorher lesen, ehe ich sie aufführen lasse? – Herr! – solche unsinnige Zumutungen verbitte ich mir. Ich habe genug zu thun mit der Kasse und jede Woche die Gagen gehörig in Papier zu wickeln und zu überschreiben. – Ich mache sogar die Komödienzettel, was auch Ihres Amts sowie das Lesen der Stücke wäre. – Ich merke schon, das ist heute wieder so ein neumodisches ästhetisches Stück, Kraut und Rüben durcheinander, und ich habe Ihnen doch gesagt, ich will nichts Ästhetisches auf meiner Bühne – meine Bühne soll nicht ästhetisch sein. – Verse kommen auch wieder vor, die hätten Sie hübsch in Prosa umsetzen sollen, wie ich es Ihnen so oft befohlen habe – Sie sind auch für den Teufel da, Herr Regisseur – ich bin mit Ihnen höchst unzufrieden. –
Der Reg. Aber, bester Herr Direktor, nun ist es einmal im Gange, was ist zu thun?
Der Direkt. Es kann durchaus nicht sogleich Nacht werden, es müssen noch ein paar Scenen eingeschoben werden, damit der Zuschauer das Frühstück vergesse – Kilian mag indessen sich noch eine Pfeife stopfen. –
Der Reg. Aber um des Himmels willen, was für Scenen? – Doch eben fällt mir bei – eine haben wir ja soeben selbst gespielt, werter Herr Direktor, und nun muß jemand von der Gesellschaft vortreten, gleichsam wie ein in des Stückes Mitte sprechender Prologus und den Dichter förmlich des Illusionsfehlers halber entschuldigen.
Der Direkt. Ja! – Ja! – aber wen nehmen wir dazu?
Der Reg. Keinen andern als den Adolar.
Der Direkt. Ich hole ihn!
(Es wird ein paar Minuten hindurch stille, dann erheben sich die Stimmen aufs neue.)
Adolar. Ich thue es aber nicht – durchaus nicht.
Der Direkt. Sie sind aber auch ein obstinater Mensch! – Herr! – reißen Sie mich dasmal aus der Verlegenheit, ich will's Ihnen lebenslang gedenken. – Die notierte Strafe wegen Vergehens in Scene eins wird gestrichen und ein Thaler wöchentlich Zulage. Herr! mehr kann ein ehrlicher Mann nicht thun.
Adolar. Sie sind zwar sonst trotz dem Mohrenkönig ein Grobian, aber doch, wie ich merke, ein edler Mann, solange es nämlich Ihr Vorteil erheischt. – Nun es sei dann, ich will mein Möglichstes thun.
Der Reg. (schiebt ihn hinaus). Hinaus – hinaus – bester Kollege!
Adolar (tritt vor).
Hochgeehrteste Zuschauer!
Es würde mich versetzen in Trauer,
Wenn Sie nicht gütigst glaubten,
Daß diese Scenen den Tag wegraubten,
So, daß nun kommt die finstre Nacht,
In der viel Großes wird vollbracht.
Der Dichter – Sie glauben es, Werte, kaum,
Sitzt hoch oben über dem Raum,
Er dort der Zeit gewaltiges Rad
Mit kühner Hand erfasset hat.
Das dreht er bald langsam, bald geschwind,
Wie er's nun gerade nötig find't,
Und so dehnt sich die Minute zu Stunden
Und oft ist ein Jahr in Minuten verschwunden.
Drum ist's nun Mitternacht geworden,
Und Schlaf befängt die wilden Horden.
Herr
Kilian, der ungeschlachte Mohr,
Liegt schnarchend im Zelte auf dem Ohr.
– Nacht machen Herr Maschinist!
(Der Maschinist klingelt, die Lampen versinken und das Theater wird ein wenig finstrer als es vorher war.)
Sehn Sie wohl, wie's nun finster ist?
Zwar können Sie alles gut unterscheiden.
Daß oben hier die tollen rußigen Heiden,
Die, weil es Nacht geklingelt, sind
Alle betölpelt ganz stockblind.
Sie rennen umher keck und verwegen
Zuletzt verzweifelnd in die eigene Degen.
Sie haben nun das Gehörige vernommen,
Adieu! – Ich höre den Amandus kommen.
Achter Auftritt.
( Amandus kommt mit bloßem Schwerte.)
Das ganze Heer hat der Schlaf wie mit bleierner Last zu Boden gedrückt. Der Ruf der Wachen ist verstummt – mit kraftloser Faust das Gewehr umklammert, liegen sie im Grase und der Traum befängt sie mit neckhaftem Spuk, daß sie wähnen keck und munter die Flinte scharf geschultert einher zu schreiten und mit lautem Schreien und Singen die Kameraden wach zu halten, während sie hingestreckt mit gelähmter Zunge nur leise stöhnen. Brighella schleicht ungehindert mit den Seinigen in das Lager, aber mich hat es wie mit magischer Gewalt hergezogen. Hier muß das Zelt des Königs Kilian stehen. Truffaldin! – zünde die Fackel an!
Truffald. (außerhalb der Scene). Gleich! – Doch wenn Sie gütigst erlauben, gnädiger Held! so thue ich es hier oben. Es nimmt sich besser aus, eine recht malerische romantische Beleuchtung so aus der Ferne von oben herab.
(Man sieht den Schein von Truffaldins Fackel hereinbrechen.)
Amandus (Kilians Zelt erblickend).
– Ha! – da ist Kilians Zelt!
Aus tiefem Schlaf will ich den Unhold wecken!
So laut ertönen soll im mächt'gen Klange
Des kühnen Mutes Stimme, daß das Zelt
Wie ein zersprungenes Gehäus' zerfallend
Den gift'gen Wurm im Innern ohne Schutz
Bloßstellen soll dem Angriff auf den Tod!
Heraus, du ungeschlachter Mohrenkönig,
Hör's, wie des Kampfes Geist ein flamm'ger Strahl
In Funken klingend an dein Leben schlägt!
Erwache! – Denn dein schmachvolles Verderben
Mußt selbst du schauen – mußt im Leben sterben!
(Er schlägt mit dem Schwert gegen das Zelt, welches sich spaltet. Kilian erhebt sich vom Lager.)
Kilian. Was schimpft – was schreit, was tobt da draußen? – wer alle Teufel unterfängt sich, mich im besten Schlaf zu stören? – Ist Er es, Hofrath, so soll Ihn das Donnerwetter –
Amandus. Ich bin's – die Rache Blandinens, die dich verfolgt und tötet! – Heraus zum Kampf!
Kilian. Ach! – dummer Schnack, ist gar keine Rache, kein Kampf nötig. Morgen wird alles in der Güte abgemacht. – Morgen – Morgen, mein guter Sohn! –
Amandus. Heraus du schnöder feiger Wicht, oder ich töte dich auf deinem Lager!
Kilian. Nun nun! – es hat keine solche große Eile! (Er steht auf und kuckt zum Zelte heraus.) Was? – Knäbchen, possierlich Männlein? Du du – willst mit mir kämpfen? – gegen dich ziehe ich nicht meinen guten Hirschfänger, dich spieß' ich auf mit meiner Frühstücksgabel –
Amandus.
Verächtlich klingt dein Hohn mir, ganz gemein!
In großer Masse ist die Kraft nur klein.
Hervor mit dir – die Augenblicke fliegen,
Vernichtet wirst du, wähnend stolz zu siegen,
(Kilian kommt mit einer ungeheueren Gabel heraus und geht auf den Amandus los; Amandus schwingt sein Schwert und in demselben Augenblick fällt Kilians Kopf hohltönend zur Erde, der Körper stürzt in die Coulissen hinein.)
Truffaldin (mit der Fackel hervorspringend). Juchhe! – Juchhe! – Triumph! Sieg! – Die Majestät ist umgekugelt – Der Kopf ist herunter! Als treuer Schildknappe ergreife ich das königliche Haupt und – schnell damit zurück nach der Stadt – in den Palast. Ich will exekrabel schreien – Blandinchen muß aus den Federn – alles muß jubilieren – die Stadtmusikanten wischen ihre alten Zinken aus und blasen ganz erschrecklich Viktoria herunter von den Türmen – im Stockfinstern suchen die Kanoniere das Zündkraut und lösen alle Kanonen, die nur jemals der Staat möglicherweise besessen. (Er hebt den Kopf auf, der ein bloßer Haubenstock ist.) Aber was ist denn das? – gar kein Blut? – werter Held! – teure Exzellenz! schauen Sie, das nenn' ich mir einen leeren Kopf – Wahrhaftig der Kilian muß aus dem Laden einer Putzmacherin herstammen. Ein bloßer Haubenstock, dem ein königlicher Rumpf anwuchs, als ihm ein Diadem aufgepaßt wurde.
Amandus (den Haubenstock erblickend).
So hat mich meine Ahnung nicht betrogen,
Der
Kilian war ein trügrisch leeres Nichts.
Nie brannt' ein Funke in der toten Masse,
Kein Herzblut rann in dem herzlosen Wesen,
Nur äußre Lichter liehen ihm den Schein
Des Lebens! – wie der Fels im Innern stumm
Zu sprechen scheint nur Laute wiedertönend.
Die an ihn prallen, so war auch sein Reden
Trüglicher Schein vom fremden Schein erborgt.
Den prahlerischen nicht'gen Mohr durchstrahlte
Der Geist mit seines Schwertes regen Blitzen,
Und er sank hin vernichtet in sein Nichts.
(Hin und wieder brechen im Lager der Mohren Flammen aus – man hört Schüsse – Geheul – dumpfes Geschrei – Mohren fliehen über die Bühne.)
Fliehende Mohren. Rette sich, wer sich retten kann – der König – die Majestät hat den Kopf verloren – nun ist's aus mit uns! flieht – flieht – flieht! –
Amandus.
Schon glüh'n die Flammen auf zum Firmament.
Vernichtet ist der Feind – sein Lager brennt,
Blandina ist befreit, komm, laß uns eilen,
Den frohen Jubel mit dem Volk zu teilen.
(Er will abgehen und stößt auf Brighella.)
Neunter Auftritt.
Brighella. Alles ist geglückt! – Während Sie sich, mein Teuerster! hier mit dem Abnehmen des Kilianschen Hauptes beschäftigten, war ich mit meinen Getreuen ins Lager geschlichen und wir zündeten es an, an allen Ecken, die wir nur in der Nacht ausfindig machen konnten. Die Höken in Ombrombrosa können vierzehn Tage hindurch Markt halten mit Mohrenbraten. Unsere zehn Scharfschützen die würdigen Quadres von zehn würdigen Regimentern, thaten Wunder der Tapferkeit; jeder lud zehn Kugeln in die Büchse und jede Kugel traf zehntausend Mohren, so daß noch viel mehr umgekommen sind, als sich eigentlich im ganzen Lager befanden. – Die Straßenjungen von Ombrombrosa haben bereits den nötigen Lärm gemacht und die Prinzessin Blandina zieht mit ihrem Hofstaat zum Stadtthor heraus uns beiderseitigen Helden entgegen. Eilen Sie daher mit mir, wertester Kollege und legen Sie ihr Kilians Haupt zu Füßen.
(Er geht mit Amandus ab.)
Truffaldin.
Erfochten ist der Sieg – nun ohne Weilen
Will mit mir selbst ich Kilians Nachlaß teilen.
Zehnter Auftritt.
Feierlicher Siegesmarsch. Prinzessin Blandina, Pantalon, Amandus. Brighella, Höflinge, Gefolge, die Ombrombrosische Armee – das Volk – treten ein.
Blandina.
Wie schön erfüllt ist all' mein kühnes Hoffen,
Der Feind entflieht von Feuer – Schwert getroffen.
Erglänzt in Phöbus' Golde Wald und Flur,
Ist weggetilgt der wilden Horden Spur!
Du sprachst vom Geist beseelt, ein heil'ger Seher!
Amandus! – Kühner Jüngling, tritt mir näher.
Zu retten mich von Schmach, gabst du dein Blut,
Wie soll ich lohnen deinen Heldenmut!
Nur dir allein verdank' ich meine Krone.
Komm! sei der Nächste nun an meinem Throne!
Pantalon. Ach, süßes Herz! – wer hatte das denken sollen vor Schlafengehen, daß wir noch in der Nacht hier jubilieren sollten unter freiem Himmel! – Vor Freude bin ich mit dem rechten Fuß in den linken Pantoffel gefahren und habe meinen Schlafrock verkehrt angezogen, welches ich bloß meinem patriotischen Entzücken zuzuschreiben und zu verzeihen bitte. Nun! – der Himmel beschere uns bald eine fröhliche Hochzeit. –
(Wiederholung des Marsches, alle gehen ab, bis auf Brighella.)
Brighella. Wer das Glück hat führt die Braut nach Hause! – Sein Blut hat er für sie vergossen, sagt Blandina, und wenn er sich nicht am Säbelknopf den Daumen geritzt hätte, als er die Prinzessin salutierte, wär' er nicht um zwei Tropfen Bluts ärmer als vorher! – Wem der Himmel wohl will, dem giebt er's im Schlafe – wenigstens ist dem Monsieur Amandus es über Nacht gekommen, er weiß selbst nicht wie – wenn ich das Lager nicht angesteckt hätte, wenn meine zehn Scharfschützen nicht – hm – hm – hm – hm –
(Er geht unzufrieden brummend ab.)
Truffaldin (tritt aus dem Zelt mit Kilians Krone, Scepter, Tabakspfeife – u. s. w. und spricht im Enthusiasmus):
Ihr Götter! – nah' bringt mich mein Herr dem Throne!
– Indes verkauf' ich Kilians reiche Krone! –
(Er geht eilig ab, der Vorhang fällt.)
Die Klubbisten hatten während des Lesens zuweilen gelacht, indessen waren ihre Urteile über das begonnene Stück sehr verschieden. Der Unzufriedene fand es ohne alle Tiefe, ohne allen wahrhaft eingreifenden Humor, höchstens hin und wieder schnackisch und verdammte vorzüglich ohne Gnade alle eingemischte Verse. Der Gleichgültige war minder hart, der reisende Enthusiast nahm die Masken in Schutz und ihm trat der Bedächtige bei. Die Wortspiele wurden einstimmig verworfen. Der Joviale verlor dadurch nicht im mindesten seine gute Laune, sondern behauptete nur fortwährend: wie er auf tiefen Eindruck gar nicht gerechnet, sondern nur ein Spiel zum Spiel beabsichtigt habe. Kreisler der so lange geschwiegen, nahm das Wort, indem er mit erhobener Stimme sprach: »Ei schweigt doch, schweigt doch, wüßtet ihr, wie höchst vortrefflich die beiden folgenden Akte sind, die ich mit meinem jovialen Freunde zusammengemacht, aber nicht aufgeschrieben habe und auch niemals aufschreiben werde, ihr würdet mit euerem Tadel verstummen und erstaunen über unsere Tiefe und Weisheit. So viel will ich euch nur verraten, daß Blandina keinesweges den Amandus heiratet, dieser vielmehr durch den hämischen Roderich irdisch untergeht. Amandus zieht nach seinem irdischen Untergange als singender Schwan durch die Lüfte und rettet Blandina aus den Klauen des Teufels, der sie als Elementargeist täuschte und ins Verderben locken wollte. Ihr Herz bricht in des Gesanges höchster Seligkeit!« – »So ist es«, murmelte der Joviale und nun fuhren in buntem Spiel die sonderbarsten Meinungen über jenen Plan des Stücks durcheinander, bis endlich der Unzufriedene in der That höchst unzufrieden aufbrechen mußte, weil er mit dem Bedächtigen wohnte, der den Hausschlüssel einzustecken vergessen … »Ich weiß nicht«, sprach der treue Freund: »wie du mir heute vorkommst Kreisler! – Du bist so aufgeregt, und doch ohne allen Humor, gar nicht so wie sonst!« – »Ach Freund!« erwiderte Kreisler: »ein düstrer Wolkenschatten geht über mein Leben hin! – Ich wollte, irgend ein Roderich stieße mich nur gleich hinterrücks von dem Felsen herab und ich schwämme wie Amandus als Gesang durch den reinen Äther.« – – – – –
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