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Besagter Kapellmeister Kreisler ist allen denen bekannt worden, die ein gewisses fantastisches Buch gelesen haben, von dem erst vor einiger Zeit eine neue Ausgabe erschienen, auf solch glattem Papier, daß man nicht begreift, wie die Buchstaben so zierlich und gerade darauf stehen können, ohne ein einzigesmal auszugleiten. Dieser Kreisler schrieb also an einen Freund, mit dem er ein Herz und eine Seele ist, unter andern folgendes:
Sagt mir, mein vortrefflichster Herr und Freund! sagt mir nur um des Himmels willen, was es mit dem Konzert, das am zehnten März bei euch im Opernhause gegeben wurde, eigentlich für eine Bewandnis hat? – Ich bin, wie ihr wißt, nicht dort gewesen; es war schlechtes Wetter, ich hatte meinen Regenschirm verliehen, und dann kam mir, da ich gerade von einer gewissen Faulheit, der natürlichsten Neigung aller Menschenkinder, befallen, in der That der Weg von meinem Logement bis zum Opernhause zu weit vor, unerachtet er doch kaum lumpigte fünfzig Meilen betragen mag. Da lese ich nun gar verschiedenes über jenes Konzert, was mich ganz irre und konfus macht.
Haude und Spener giebt in Nr. 31 seiner Zeitung nicht undeutlich zu verstehen, daß das Harmonikaspiel der Frau K. ziemlich wirkungslos geblieben sei, und fragt, wie es komme, daß überhaupt die Harmonika jetzt nicht mehr so wirke als ehedem, ob unsere Nerven stärker oder schlaffer geworden, oder ob die Schuld an unserem durch das jetzige viele pauken, trompeten, posaunieren und klapphorn-lamentieren verwöhnten Trommelfell liege? Dagegen nennt der Freimütige für Deutschland in Nr. 62 seines Zeitblatts die Harmonika das schönste, tonvollste aller Instrumente und rühmt die beseelten Finger der talentreichen Künstlerin, die die Himmelslaute jenes Instruments hervorgerufen habe. – Ich für meinen Teil, der die Himmelslaute nicht gehört hat, muß darin dem Herrn Haude und Spener Recht geben, daß es mit der erstaunlichen zauberischen Wirkung der Harmonika, wie sie sonst vor Jahren stattfand, rein vorbei ist. Indessen meine ich, daß unsere Nerven ganz und gar dieselben geblieben sind, und daß unser Trommelfell, wird ihm auch in der That hart zugesetzt, mit Pauken und Trompeten, doch wohl noch immer auch zarte Himmelslaute in sich aufzunehmen vermag. Laßt es euch gefallen, mein würdigster Freund und Herr! daß ich mit wenigen Worten andeute, worin nach meinem musikalischen Urteil die Sache liegt. Der Ton ist in der Musik ganz und gar dasselbe, was in der Malerei die Farbe. Beide, Farbe und Ton, sind in nicht zu berechnender Varietät an und vor sich selbst der höchsten herrlichsten Schönheit fähig, bleiben aber nur der rohe Stoff, der sich erst gestalten muß, um tief und dauernd auf das menschliche Gemüt zu wirken. Den Grad dieser Wirkung wird die Stufe der Schönheit und Vollkommenheit bestimmen, zu der nun eben die Gestaltung gediehen.
Es ist nicht die Färbung des Grünen, es ist der Wald mit der anmutigen Pracht seines Laubes, der in unserer Brust das Entzücken weckt und die süße Wehmut. Das tiefe Blau des Himmels dünkt uns bald öde und traurig, steigen nicht die Wolken auf in tausend wechselnden Bildern: Wendet das auf die Kunst an und denkt euch, Würdigster! wie bald es euch ermüden, oder was für einen momentanen Sinnenkitzel es von Haus aus erregen würde, die schönsten Farben ohne Gestaltung zu schauen? – Denkt an das läppische Farbenklavier des Paters Castel! – Und nun ist's ebenso in der Musik. Der Ton wird nur dann erst tief unser Gemüt ergreifen, wenn er sich zur Melodie oder Harmonie, kurz, eben zur Musik gestaltet.
Nennt nun der Freimütige f. D. die Harmonika das schönste und tonvollste aller Instrumente, so erwidere ich ihm als eingefleischter Musikant, daß die Harmonika in musikalischer Hinsicht eines der allerärmsten und unvollkommensten Instrumente ist, die es giebt! Von dem Unfug alle der Ariettchen und Variatiönchen und Polonaischen und anderer schaler Kindereien, die darauf gewöhnlich gespielt zu werden pflegen, will ich ganz schweigen und nur bemerken, daß jede Melodie auf der Harmonika wenigstens dem feineren Ohr steif und ungelenk klingt. Dies liegt in dem Mechanismus des Instruments, der es dem geübtesten Spieler unmöglich macht, die Töne (im Sinn der Kunst) zu verbinden. Eben dieser Mechanismus verbietet auch jeden geschwinden Satz. Dagegen gewährt die Harmonika den Vorteil der Orgel, daß der Ton fortdauert, so lange der Finger die Glocke berührt. Diese Eigenschaft führt von selbst darauf, daß die Eigentümlichkeit des Instruments nur geltend gemacht werden kann in langsamen Sätzen strengen Stils.
Damit ihr, Vortrefflichster! aber gleich auf der Stelle wissen möchtet, was ich sagen will, ohne daß es noch vieler Worte bedarf: Könnte ich euch wohl das ganze kanonisch gearbeitete Benediktus von dem Altvater Palestrina hersetzen, das eben vor mir auf dem Pult liegt, an dem jeder Fortepianospieler verzweifeln muß, das sich aber ganz für die Harmonika eignet und mit vieler Wirkung vortragen läßt? Aber ich weiß es, ihr habt selbst keine Harmonika, und lauft ihr nun mit meinem würdigem Beispiel zu diesem, jenem Herrn, der zu dieser, jener Dame, die ganz das Glas streichelt, so werden sie unmäßig klagen über weitgespannte Saiten u. s. w., kurz, über die Unausführbarkeit des Satzes. Und es kommt doch nur darauf an, die vier Stimmen den beiden Händen richtig zuzuteilen. – Aber das ist wieder ein eigenes Ding! – Hinc illae lacrymae, mein Vortrefflichster!
Ihr meint nun vielleicht, Würdigster! daß die Harmonika in solchen Sätzen eine Fülle harmonischen Reichtums entwickeln könne, und daß auf keinem Instrumente in der Welt, nimmt man die Orgel aus, der Choral schöner klingen müsse; aber auch hier verstört eine Mangelhaftigkeit alle Wirkung auf die Dauer.
Diese Mangelhaftigkeit liegt nämlich in dem geringeren Umfange des Instruments, dem der kräftige Baß durchaus fehlt, so daß die darauf vorgetragenen Sätze im gebundenen Stil, so wie die Choräle, dünn und wie man es in der Kunstsprache nennt, – jung klingen.
Ist es nun gewiß, daß die Harmonika in der Musik so wenig zu leisten vermag, so war es nur der Ton an und für sich selbst, der Bewunderung, ja durch den Reiz des Neuen ungewöhnliches Staunen erregte. Diese Bewunderung, dieses Wohlgefallen an dem gestaltlosen Stoff konnte aber unmöglich lange währen, und mußte desto mehr schwinden je unbefriedigter alle Ansprüche auf musikalische Gestaltung geblieben. Zudem fiel das Aufkommen der Harmonika in die Periode der schwachen Nerven, und hieß es nun, daß die Harmonika magisch auf die Nerven wirke, so konnte es nicht fehlen, daß sich das Instrument aller empfindsamen Seelen bemächtigte. Für jedes Mädchen von einiger Erziehung wäre es höchst unschicklich gewesen, nicht, so wie nur die Glocken berührt wurden, auf passable Weise in Ohnmacht zu fallen; sie hätte Gefahr gelaufen, jedem zarten Jüngling, der sie mit süßen Blicken so lange angeschmächtelt, auf der Stelle gleichgültig zu werden. Selbst älternde Damen spielten sich durch alles Weh seliger Verzückung um zehn bis fünfzehn Jahre zurück, und erhielten ein Herz und einen kurzen Roman dazu! – An den Gebrauch, den Mesmer von dem Instrumente machte, mag ich gar nicht denken!
Die Zeit der schwachen Nerven und der Ohnmachten ist so ziemlich vorüber.
Noch muß ich des großen Übelstandes erwähnen, daß auf der Harmonika beständig Sachen abgefingert werden, die gar nicht für das Instrument passen, und daß man beinahe niemals Kompositionen im strengen gebundenen Stil zu hören bekommt. Dies geschieht aus dem einfachen Grund, weil die Spieler nicht im stande sind, dergleichen vorzutragen.
Denn, würdigster Freund und Herr! so leicht es dünken mag, einen solchen Satz, wie das Palestrinasche Benediktus zu spielen, so kann ich euch doch versichern, daß es ein ganz eigenes Ding damit ist, und daß sich wenige darauf recht eigentlich verstehen. Die Kirchgeßner spielte im gebundenen Stil sehr miserabel, Pahl nicht viel besser, Frau K. habe ich, wie gesagt, wegen Mangels des Regenschirms, nicht gehört, muß mich also alles Urteils enthalten.
Der beste Harmonikaspieler neuester Zeit, den ich gehört, war ein feiner Mann von milden angenehmen Sitten, der, aus dem französischen Kriege heimkehrend, einige Tage hindurch mit mir in einem Hause wohnte. Ich meine niemanden anders, als meinen schätzbaren Freund, den Baschkirenobristen, Tetulow Pripop, der mit Unrecht in der musikalischen Welt wenig bekannt geworden ist. Dieser Mann war ganz versessen auf die Harmonika, die er in meinem Hause vorfand; er spielte den ganzen Tag über, und wußte dem Instrument die allerseltsamsten Töne zu entlocken, die man nur hören kann, sowie auch die Sätze, die Akkorde, die er zu vernehmen gab, sich der wundersamsten Originalität erfreuten. Den gewissen unnachahmlichen Ton, den sonst gute Harmonikaspieler nur dann und wann anzubringen vermögen, und von denen unempfängliche Leute behaupten, er gleiche dem Kratzen eines Messers auf der Fensterscheibe, diesen Ton hatte der Obrist so sehr in seiner Gewalt, daß er ununterbrochen darin bleiben konnte. Der Knecht meines guten Tetulow Pripop, ein munterer junger Kerl, mit einer allerliebsten einnehmenden Tigerphysiognomie, war auch über die Virtuosität seines Herrn so außer sich, daß er laut heulend niederstürzte und ihm die Füße küßte. Doch war es wohl kein Wunder, daß dieser Mensch so tief fühlte, denn auch er war musikalisch, und wußte auf seiner langen dünnen Baschkirenpfeife blasend, wahrhaft idyllische Begeisterung in der Brust zu erwecken. Man versetzte sich augenblicklich an den schönsten Unkenteich, an dem jemals ein empfindsames Herz gesessen.
Ewig werde ich des Augenblicks gedenken, als Tetulow Pripop zum letztenmal auf der Harmonika spielte. Er hatte, von innerem Gefühl überwältigt, die große spitze Fuchsmütze und nächstdem noch drei kleinere Mützchen, die darunter befindlich, abgenommen, und saß da in einem roten Käppchen, die bezauberndsten Himmelslaute hervorfingernd, so daß sein Tiger auch entsetzlich heulte und lamentierte.
Wie im herzzerschneidenden Weh über das Scheiden des geliebten Freundes, zersprangen zuletzt die mehrsten Glocken.
Darauf zog der Baschkirenobriste Tetulow Pripop weiße Glacéhandschuh an und eilte seinem Pulke entgegen.
Ich habe den Vortrefflichen nie wiedergesehen.
Schreibt doch, würdigster Herr und Freund! an Herrn Gerber nach Sondershausen, daß er in einer etwanigen neuen Ausgabe seines Tonkünstlerlexikons meines würdigen Obristen Tetulow Pripop mit gebührendem Ruhm gedenke. Gehabt euch wohl etc.
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